Die juristische Presseschau vom 4. April 2024: Neue Karenz­zeiten für Ex-Minister:innen? / BGH warnt Gerichte vor Selbst­über­schät­zung / EGMR und Russ­land

04.04.2024

Konnte Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zu schnell die Seiten wechseln? Der BGH mahnte das OLG Köln, bei medizinischen Fragen lieber ein Gutachten einzuholen. Angelika Nussberger zweifelt am Nutzen von Menschenrechtsgerichten.

Thema des Tages

Lobbyismus/Ex-Minister:innen: Die Organisationen Lobbycontrol und Transparency International fordern eine Verschärfung der Regeln für ausgeschiedene Minister:innen. Anlass ist das Ausscheiden von Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) aus dem Bundestag und dessen Gründung eines Beratungsunternehmens. Bisher müssen ehemalige Minister:innen der Bundesregierung mitteilen, wenn sie eine Arbeit außerhalb des öffentlichen Dienstes antreten wollen. Die Anzeigepflicht besteht vom Zeitpunkt des Amtsendes an 18 Monate lang. Eine Ethikkommission prüft dann, ob die neue Tätigkeit zu Interessenkonflikten führen kann und schlägt ggf. eine Sperrzeit vor, über die das Bundeskabinett entscheiden muss. Diesen Anforderungen ist Scheuer laut spiegel.de (Sven Becker/Nicola Naber) nachgekommen. Lobbycontrol fordert nun eine Ausweitung der Karenzzeit auf drei Jahre. Transparency International will die dreijährige Frist sogar erst mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag beginnen lassen. 

Rechtspolitik

Digitalisierung der Justiz: Die Bundesrechtsanwaltskammer kritisiert den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur weiteren Digitalisierung der Justiz. So wird u.a. die geplante Möglichkeit abgelehnt, Strafanträge per Email zu stellen. Bei E-Mails sei keine ausreichende Identifizierung des Antragstellers gewährleistet, es besteht die Gefahr, dass Emails "über fremde E-Mail-Accounts bzw. Fake-Accounts" versandt werden. beck-aktuell berichtet über diesen und weitere Kritikpunkte der BRAK. 

Vorratsdatenspeicherung: SPD-Innenpolitiker drängen Justizminister Marco Buschmann, seine Ablehnung einer Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen aufzugeben. Das Hbl (Dietmar Neuerer) zitiert SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, den stv. Vorsitzenden des Bundestags-Innenausschusses Lars Castelucci und Thüringens Innenminister Georg Maier. Anlass des Drängens ist die aktuelle Gefahr durch islamistischen Terror.

Infektionsschutz: Gegenüber der Welt (Ricarda Breyton) haben sich die Rechtspolitiker:innen Johannes Fechner (SPD) und Manuela Rottmann (Grüne) sowie der Gesundheitsexperte Andrew Ullmann (FDP) für eine grundlegende Reform des Infektionsschutzgesetzes ausgesprochen. Sie nehmen teilweise Bezug auf den Bericht einer Sachverständigenkommission von 2022. Das Bundesgesundheitsministerium prüft bereits Änderungsvorschläge der Länder. 

Resilienz des BVerfG: Am kommenden Montag wollen sich Vertreter:innen der Ampel-Koalition und der CDU/CSU-Fraktion treffen, um über mögliche Grundgesetzänderungen zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts zu beraten. Die Zeit (Heinrich Wefing) schildert die beiden Hauptgefährdungslagen (Ausschaltung des BVerfG durch eine einfache Mehrheit des Bundestags bzw. Blockade der Richterwahl durch ein Drittel der Stimmen in Bundetag und/oder Bundesrat) und schildert Lösungsmöglichkeiten. 

Asyl/Bezahlkarte: Eine auf den jeweiligen Landkreis beschränkte Bezahlkarte für Asylantragsteller:innen, wie sie Bayern plant, ist unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Zu diesem Schluss kommt Fabio Knipper im JuWissBlog. Der Eingriff in die Allgemeine Handlungsfreiheit gem Art. 2 I GG sei durch die gesetzgeberischen Ziele, etwa die Abschreckung von Migration oder die bessere Integration vor Ort, nicht zu rechtfertigen. 

Parkgebühren und Klimaschutz: Rechtsprofessor Thorsten Ingo Schmidt erläutert im Interview mit beck-aktuell (Tobias Freudenberg/Monika Spiekermann), dass Parkgebühren nur dann Klimaschutzziele verfolgen dürfen, wenn dies als Gebührenzweck im zugrundeliegenden Gesetz benannt ist. Eine solche gesetzliche Regelung sei wegen des verfassungsrechtlichen Gewichts des Klimaschutzes voraussichtlich zulässig.

Justiz

BGH zu medizinischen Gutachten: Das Oberlandesgericht Köln durfte die Arbeitsfähigkeit eines Feuerwehrmannes nicht ohne Einholung eines Gerichtsgutachtens verneinen, wenn Atteste des Hausarztes und einer ärztlichen Psychotherapeutin von einer Berufsunfähigkeit infolge eines Unfalles ausgehen. Dies entschied der Bundesgerichtshof in einem Nichtzulassungsbeschluss von Mitte März. Es berichten beck-aktuell (Joachim Jahn) und LTO (Luisa Berger)

BVerwG zu Zwangsdoping: Rechtsanwalt Johannes Wasmuth kritisiert auf beck-aktuell das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach Opfer von Zwangsdoping nicht nach dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zu entschädigen seien. Die Annahme des BVerwG, dass es sich hier um keinen diskriminierenden Willkürakt handelte, sei falsch, denn nur Spitzenportler:innen wurden zwangsgedopt. Sie seien damit gegenüber sonstigen Sportler:innen diskriminiert worden. 

VGH BaWü zu "From the River...": Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat im Eilverfahren eine Auflage der Stadt Freiburg gebilligt, wonach eine pro-palästinensische Demonstration auf die Losung "From the River to the Sea - Palestine will be free" verzichten muss. Es bestehe das Risiko, dass die Parole ein Kennzeichen der in Deutschland verbotenen Hamas und damit strafbar sei. Dies wiege schwerer als die Grundrechtseinschränkungen der Demo-Veranstalter:innen. Wenige Stunden zuvor hatte das Verwaltungsgericht Freiburg noch dem Eilantrag der Veranstalter:innen stattgegeben. LTO berichtet.

LG Halle – Björn Höcke: Die Staatsanwaltschaft Halle hat den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke wegen Verwendung von NS-Kennzeichen gem. § 86 StGB angeklagt. Höcke soll bei einer Veranstaltung im Dezember die SA-Losung "Alles für Deutschland" verwendet haben, in dem er "Alles für" rief und das Publikum "Deutschland" vervollständigte. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, das Verfahren mit einem ähnlichen älteren Verfahren am LG Halle zusammenzulegen. LTO berichtet. 

LG Lübeck zum Kauf kranker Katzen: Merkt eine Katzenkäuferin erst nach dem Kauf, dass die Katzen krank sind, darf sie diese nur in einem Notfall sofort zum Tierarzt bringen. Ohne Notfall muss sie dem Verkäufer eine Frist zur Nachbesserung stellen, das heißt die Gelegenheit zur tierärztlichen Beauftragung geben. Das entschied das Landgericht Lübeck und lehnte den Anspruch einer Katzenkäuferin auf Ersatz der Behandlungskosten für zwei kranke Katzen in Höhe von rund 700 Euro ab. LTO (Charlotte Hoppen) berichtet. 

LG München I – Jérôme Boateng: Die erneute Hauptverhandlung gegen den Fußballprofi Jérôme Boateng beginnt am 14. Juni; das Landgericht München I hat sechs Verhandlungstage terminiert. Boateng wird die Misshandlung seiner damaligen Freundin vorgeworfen. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe durch das LG München I hatte das Bayerische Oberste Landesgericht aufgehoben, weil das LG einen Befangenheitsantrag Boatengs zu Unrecht abgelehnt hatte. LTO berichtet. 

Strafmaß bei Sexualdelikten: Ronen Steinke (SZ) warnt im Feuilleton davor, das Strafmaß bei Sexualdelikten stärker an Sichtweisen in der Bevölkerung auszurichten, wie es die Rechtsprofessorinnen Frauke Rostalski und Elisa Hoven forderten. Er verweist auf eine Untersuchung, wonach Befragte für die Vergewaltigung unbekannter Frauen eine deutlich höhere Strafe forderten als für die Vergewaltigung der eigenen Intimpartnerin. Die Orientierung an Wertungen der Bevölkerung führe also nicht unbedingt zu feministischeren Ergebnissen. 

Recht in der Welt

EGMR/Russland: Das Europäische Menschenrechtssystem habe bei seiner ersten ernsthaften Bewährungsprobe versagt, konstatiert Angelika Nußberger, Ex-Richterin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in einem Gastbeitrag für die FAZ. Der EGMR entscheide zwar noch anhängige Fälle aus Russland, doch nach dem Ausscheiden Russlands aus dem Europarat sei jeder offizielle Kontakt abgebrochen. Russland lese die Urteile nicht mehr, öffne keine Post aus Straßburg. Dass Russland verpflichtet ist, noch 2633 Straßburger Urteile umzusetzen und Schadenersatz in Höhe von über zwei Milliarden Euro zu zahlen, werde völlig ignoriert. 

IGH/Israel – Besatzung palästinensischer Gebiete: Rechtsprofessor Kai Ambos analysiert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) den Vorwurf der Apartheid gegen Israels Besatzungspolitik, wie er jüngst von dreißig Staaten in einem Gutachtenverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof erhoben wurde. Dem Vorwurf sollte zwar nicht vorschnell ein antisemitischer Hintergrund unterstellt werden, so Ambos, allerdings sei der Vorwurf in seinen Teil-Elementen auch schwer zu beweisen.  

Uganda – Homosexualität: Das Verfassungsgericht von Uganda hat eine Klage von Abgeordneten, Aktivist:innen und Rechtswissenschaftler:innen gegen das im letzten Mai beschlossene Gesetz gegen Homosexualität abgelehnt. Das Gesetz droht bei homosexuellen Handlungen lebenslange Freiheitsstrafe an und bei schwerer Homosexualität (u.a. mit Minderjährigen) sogar die Todesstrafe. zeit.de berichtet.

Sonstiges

Investitionsschutz: Die FAZ (Katja Gelinsky) gibt einen Überblick über die deutsche Investitionsschutz-Rechtslage. Derzeit bestehen noch 113 Investitionsschutzverträge, davon 80 mit Investor-Staat-Schiedsverfahren. Aus dem Energiecharta-Vertrag ist Deutschland im Vorjahr ausgetreten, bleibt aber für Bestandsinvestitionen noch 20 Jahre lang verklagbar. Derzeit sind vier Klagen aus dem Energiecharta-Vertrag gegen Deutschland anhängig, die bereits zu Anwaltkosten in Höhe von 22 Millionen Euro führten.

AfD-Verbot: Der emeritierte Rechtsprofessor Günter Frankenberg und der emeritierte Soziologieprofessor Wilhelm Heitmeyer schildern auf dem Verfassungsblog das "Dilemma des Demokratieschutzes". Weder ein Parteiverbotsverfahren noch die Strategie gesellschaftlicher Mobilisierung sei ohne Risiko. 

Wohnungsräumung: Die Anwältin Carola Handwerg berichtet im Interview mit der taz (Jasmin Kalarickal) über Fälle von Wohnungsräumungen. Oft kommen diese für Betroffene sehr überraschend, weil sie aus psychischen oder anderen Gründen keine Post mehr öffnen. Die Räumung kann auch stattfinden, wenn keine Ersatzunterkunft gegeben ist. Bei Eigenbedarfskündigungen gebe es eine Härtefallklausel, die aber nur mit anwaltlicher Beratung in manchen Fällen erfolgversprechend geltend gemacht werden könne.

Syndikusanwält:innen: Anwalt Martin W. Huff schildert auf beck-aktuell, wie Syndikusanwält:innen zur eigenständigen Sparte der Anwaltschaft wurden. Ausgangspunkt war 2014 eine Entscheidung des Bundessozialgerichts, dass Syndikusanwält:innen nicht Mitglied im anwaltlichen Versorgungswerk werden können. Der Gesetzgeber reagierte darauf schon 2015 und erlaubte den Syndikusanwält:innen die Mitgliedschaft in Anwaltskammern und im Versorgungswerk. Heute sind rund ein Viertel der Kammermitglieder Syndikusanwält:innen.


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LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. April 2024: . In: Legal Tribune Online, 04.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54249 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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