Die juristische Presseschau vom 27. Februar 2024: Libe­rale Juden for­dern eigenen Staats­ver­trag / Gesetz­ent­wurf zur Bun­des­po­lizei / BGH zur BeA-Nut­zung

27.02.2024

Union progressiver Juden fordert per Verfassungsklage eine unabhängige Finanzierung. Bundesregierung legte Gesetzentwurf zu BPolG-Reform vor. Vorübergehender BeA-Ausfall darf nicht selbst verursacht worden sein.

Thema des Tages

BVerfG – liberale Juden: Die Union Progressiver Juden (UPJ) will mit einer Verfassungsbeschwerde einen eigenen Staatsvertrag und die Zusage regelmäßiger Zuwendungen für die liberalen jüdischen Gemeinden in Deutschland erreichen. Die UPJ kritisiert, dass ihr der Zentralrat der Juden in Deutschland von den erhaltenen Zuwendungen weniger als ein Prozent als institutionelle Förderung weiterleitet, obwohl die UPJ vier Prozent der jüdischen Gläubigen und rund 15 Prozent der jüdischen Gemeinden vertrete. Die Verfassungsbeschwerde beruft sich auf einen "religionsverfassungsrechtlichen Teilhabeanspruch". Zwar haben Religionsgemeinschaften keinen originären Anspruch auf staatliche Finanzierung, wenn jedoch der Staat eine Gemeinschaft unterstützt, müsse er aus Gründen der religiösen Neutralität auch andere Gemeinschaften fördern. Die UPJ verweist auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2009, der ein "Abhängigkeitsverhältnis" zwischen Religionsgemeinschaften untersagte. Es berichtet LTO (Christian Rath)

Rechtspolitik

Bundespolizei: Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf zur Neustrukturierung des Bundespolizeigesetzes vorgelegt. Danach soll die Bundespolizei mehr Befugnisse u.a. bei Überwachung der Telekommunikation, erhalten. Personen, die langfristig für die Bundespolizei arbeiten wollen, sollen gründlich überprüft werden, um die Einstellung von Extremist:innen auszuschließen. Eine Kennzeichnung der Beamt:innen ist ebenfalls vorgesehen. Laut beck-aktuell reagiert die geplante Gesetzesänderung u.a. auf verfassungsgerichtliche Vorgaben und setzt EU-Richtlinien zum Datenschutz um. Die Modernisierung des Bundespolizeigesetzes war bereits in der letzten Legislaturperiode geplant, wurde jedoch im Juni 2021 vom Bundesrat abgelehnt. 

Resilienz des BVerfG: Der Tsp (Jost Müller-Neuhoff) kann verstehen, dass der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz in der Debatte um den Schutz des Bundesverfassungsgerichts laviert und auf Zeit spielt. Der Glaube, das Bundesverfassungsgericht könne sich einer Abschaffung der Demokratie wirksam entgegenstellen, sei trügerisch. Im Falle eines rechtspopulistischen Bebens wäre auch das Gericht betroffen. "Zudem sollte gut bedacht sein, was in einer Gesellschaft, die Wandel zum Leben braucht, wirklich 'veränderungsfest' im Grundgesetz gestaltet werden soll."

Prostitution: Der SWR-RadioReportRecht (Max Bauer/Milena Wassermann) spricht mit der Präsidentin des Verwaltungsgerichts Göttingen Stefanie Killinger und der Professorin für christliche Sozialethik Elke Mack über das von der CDU/CSU geforderte Sexkaufverbot, insbesonder über das sogenannte Nordische Modell, das einen Fokus auf Zuhälter- und Freierstrafbarkeit legt. 

Justiz

BGH zu beA-Nutzung: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass bei verspäteter Einreichung von Schriftsätzen jenseits des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgen kann, wenn die Unmöglichkeit der beA-Nutzung selbst verursacht wurde. Der BGH stellte klar, dass im elektronischen Rechtsverkehr gehobene Sorgfalt und technische Fertigkeiten erforderlich sind, insbesondere im Umgang mit dem beA. So sei die Software auf dem neuesten Stand zu halten und wenn die PIN wegen Falscheingaben gesperrt ist, müsse sie mit der PUK entsperrt werden. Eine vorübergehende technische Störung müsse glaubhaft gemacht werden, was einer Anwältin im konkreten Fall nicht gelang. LTO (Hasso Suliak) und beck-aktuell (Michael Dollmann) berichten.

EuGH zu Kopftuchverbot: Rechtsanwältin Ramona Segler bespricht im Expertenforum Arbeitsrecht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom November 2023. Der EuGH hat entschieden, dass eine interne Regelung einer belgischen Gemeindeverwaltung, welche das Tragen sichtbarer religiöser oder weltanschaulicher Zeichen am Arbeitsplatz generell untersagt, gerechtfertigt sein kann, um ein neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Die Autorin weist darauf hin, dass die Anforderungen an ein Kopftuchverbot nach deutschem Verfassungsrecht jedoch strenger sein können. 

BAG zu Befangenheit bei AGG-Hopper: Richter:innen können trotz Kenntnis von anderen am eigenen Gericht anhängigen Verfahren neutral bleiben. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht im Fall von Befangenheitsanträgen gegen alle Vorsitzenden Richter:innen am LAG Berlin-Brandenburg. Der Kläger ist ein angehender Wirtschaftsjurist. der bundesweit Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) einreicht, die teilweise bereits als rechtsmissbräuchlich abgewiesen wurden. Die Frage, ob Richter:innen Kenntnisse über andere Verfahren eigenständig in ihre Entscheidungen einbeziehen dürfen oder ob dies gegen den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz verstößt, ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. LTO (Tanja Podolski) berichtet. 

BGH zu Auswahl der Betreuer:in: Der Bundesgerichtshof hat enschieden, dass der Wunsch eines Betreuten bei der Auswahl der Betreuer:in respektiert werden müsse, wenn er auf freiem Willen beruhe. Eine anm Asperger-Syndrom erkankte Frau hatte sich für die Betreuung in Gesundheitsangelegenheiten ihre Mutter anstatt ihrer Betreuer:in in anderen Angelegenheiten gewünscht. Wie beck-aktuell berichtet, wurde der Fall an das Landgericht zurückverwiesen, um festzustellen, ob der Wunsch der Frau auf einer freien Willensentscheidung basiert und ob sie einsichtsfähig ist.  

OLG Hamburg zu Äußerungen von Lindemann-Anwalt: Das Hanseatische Oberlandesgericht hat den Antrag auf einstweilige Verfügung der Süddeutschen Zeitung im Prozess gegen den Anwalt des Sängers Till Lindemann, Simon Bergmann, zurückgewiesen. Die Zeitung hatte in nunmehr zweiter Instanz versucht, Bergmann Äußerungen, die er im Streitgespräch bei LTO über die Vorgehensweise der SZ bei der Recherche über Lindemann getätigt hatte, untersagen zu lassen. Laut FAZ (Michael Hanfeld) entschied der Senat, dass es sich bei den Aussagen von Bergmann um Meinungsäußerungen handele und nicht um falsche Tatsachenbehauptungen. 

OLG Koblenz – Anschlag auf Asylheim Saarlouis: In dem Verfahren um den Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Saarlouis 1991, bei dem der Flüchtling Samuel Yeboah ums Leben kam, steht nun ein weiterer Angeklagter wegen Beihilfe zum Mord und zu versuchtem Mord in 20 Fällen vor Gericht. Wie die SZ (Gianna Niewel) berichtet, soll vor dem Oberlandesgericht Koblenz nun geklärt werden, ob der angeklagte Peter St. den bereits verurteilten Peter Werner S. durch ein Gespräch unmittelbar vor der Tat in seinem Tatentschluss beeinflusst und bestärkt hatte.

LG Rostock zu Hundebiss: Das Landgericht Rostock hat einer Frau Schadensersatz zugesprochen, weil sie von einem Hund gebissen worden ist, während sie versuchte, den Angriff eines Schäferhundmischlings auf ihren kleinen Yorkshire-Terrier abzuwehren. Welcher Hund gebissen hat, blieb ungeklärt, aber auch unerheblich. Denn selbst wenn der Terrier vor Angst zugeschnappt hatte, war der Halter des Schäferhundmischlings dafür verantwortlich. Die Frau erlitt erhebliche Langzeitfolgen, darunter Arbeitsunfähigkeit, Jobwechsel, Dauerschmerzen und Einschränkungen bei der Hausarbeit. Der Halter des Schäferhundmischlings muss etwa 8600 Euro Schadensersatz zahlen und haftet auch für mögliche zukünftige Schäden durch den Hundebiss. spiegel.de berichtet. 

AG Hannover zu Hotelbett: Ein Reisender erhält 15% seines Reisepreises zurück, weil er und seine Frau während ihrer Hochzeitsreise auf Mauritius ein Bett teilen mussten, das nur 1,40 Meter breit war. Das Amtsgericht Hannover entschied, dass Reisende in einem Hotel, das mit fünf "Sonnen" bewertet wurde, einen Schlafplatz von mehr als 70 Zentimetern Breite erwarten dürfen. Obwohl das Hotel im Prospekt als besonders hochwertig und komfortabel beschrieben wurde, entsprach die Ausstattung nicht den vertraglichen Vereinbarungen. beck-aktuell berichtet. 

BSG-Präsidentin Fuchsloch: Die FAZ (Katja Gelinsky) stellt in einem Porträt die neue Präsidentin des Bundessozialgerichts Christine Fuchsloch vor. Die erste Frau an der Spitze des Gerichts habe keine Scheu, sich auch an politischen Debatten zu beteiligen. So sprach Fuchsloch direkt zum Beginn ihrer Amtszeit über die Kindergrundsicherung und regte eine Debatte darüber an, die Zuständigkeit der Jobcenter bei der Kindergrundsicherung über den Kreis der Bürgergeldempfänger hinaus auszuweiten. Auch sei Gleichberechtigung immer ein Thema der in Frankfurt am Main geborenen Richterin gewesen. 

Recht in der Welt

IGH/Israel – Besatzung palästinensischer Gebiete: Die sechstägige Anhörung des Internationalen Gerichtshofs ist abgeschlossen. Das Gericht wird nun ein Gutachten über die Vereinbarkeit der Besatzung palästinensischer Gebiete durch Israel mit Völkerrecht anfertigen. Wie LTO berichtet warfen die Vertreter Palästinas bei der Anhörung Israel Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts und des Apartheidsverbotes vor, während Israel im Verfahren einen Missbrauch des Völkerrechts sieht. Die USA riefen den IGH dazu auf, sich "mit einseitigen Forderungen an Israel zurückzuhalten", denn die Forderung, die besetzten Gebiete unverzüglich und bedingungslos zu räumen, könnte den Friedensprozess noch weiter blockieren. Das Gutachten wird aufgrund einer Resolution der UN-Generalversammlung erstellt.

Großbritannien – Asylverfahren in Ruanda: Der LL.M.-Student Emil Krude kritisiert auf dem Verfassungsblog die vom britischen Unterhaus am 17. Januar beschlossene Safety of Rwanda Bill, mit der englische Asylverfahren in Ruanda ermöglicht und ein Urteil des englischen obersten Gerichtshofs ausgehebelt werden sollen. Ruanda wird darin per gesetzlicher Fiktion zum sicheren Drittstaat erklärt, eine Berufung auf Grundrechte ist weithin nicht mehr möglich und Eilmaßnahmen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind nur noch zu beachten, wenn dies ein Regierungsmitglied ausdrücklich anordnet.

Österreich – Kindesmisshandlung: In Österreich steht eine Frau, die mit der Hilfe einer Freundin ihr eigenes Kind misshandelt haben soll, wegen versuchtem Mord vor Gericht. Die Angeklagte soll ihren Sohn gefesselt, geschlagen, geknebelt und zeitweise in eine Hundebox eingesperrt haben, um ihn gefügig zu machen. Die Mutter legte vor Gericht ein Teilgeständnis ab, wie SZ und spiegel.de berichten. 

USA – Trump vor Gericht: Im Schweigegeld-Prozess gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der am 25. März beginnen soll, hat die New Yorker Staatsanwaltschaft beantragt, Trump zu untersagen, Zeugen anzugreifen oder die Identität der Geschworenen preiszugeben. Gegen seine Verurteilung wegen Finanzbetrugs zu einer Geldstrafe in Höhe von mehr als 460 Millionen Dollar in einem anderen Verfahren hat der Ex-Präsident Berufung eingelegt. spiegel.de berichtet. 

Ukraine - Russische Kriegsverbrechen: Im Interview mit der FAZ (Anna Schiller) spricht der Generalstaatsanwalt der Ukraine, Andrij Kostin über die Bemühungen, Wladimir Putin vor Gericht zu stellen und die Herausforderungen bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine. Der Generalstaatsanwalt betont die Bedeutung der internationalen Unterstützung und erklärt, wie die Ukraine mutmaßliche Täter verfolgt, auch wenn sie sich in Russland befinden. Es wird auch die Frage des Völkermords und die Zusammenarbeit mit der UN-Untersuchungskommission diskutiert.

Sonstiges

Litigation-PR: beck-aktuell (Pia Lorenz/Anne Herr) stellt ausführlich die Diskussion um Sinn und Grenzen von Litigation-PR dar, die sich anhand eines Äußerungs-Verfahrens beim LG Hamburg zum Correktiv-Bericht über das rechtsextreme Remigrations-Treffen ergeben hat. Während argumentiert werde, dass die strategische Kommunikation zur Begleitung eines Rechtsstreits notwendig sein kann, um den Mandanten zu schützen und den öffentlichen Diskurs zu korrigieren, sehen andere sie kritisch und warnten vor möglichen Irreführungen oder Verstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Die Rolle der sozialen Medien und die schnelle Verbreitung von Meinungen und Empörung werden dabei als Faktoren für die Wirksamkeit von Litigation-PR hervorgehoben.

Film "Sie sagt. Er sagt.": Amtsrichter Lorenz Leitmeier rezensiert bei LTO die ZDF-Verfilmung von Ferdinand von Schirachs "Sie sagt. Er sagt". Der Autor kritisiert viele juristische Ungenauigkeiten im dargestellten Prozess. 

Jobsharing in der Anwaltskanzlei: Im Interview mit LTO-Karriere (Franziska Kring) berichten zwei Rechtsanwältinnen über das Modell des Jobsharing in einer Anwaltskanzlei, ihren Alltag und für wen ein solches Modell geeignet ist. 

Das Letzte zum Schluss

Verräterischer Weihnachtsbaum-Wurf: In Irland ist eine Frau mit einer Schadensersatzklage wegen Verdienstausfalls gescheitert. Laut spiegel.de hatte sie nach einem Autounfall vor Gericht ausgesagt, starke Rückenschmerzen zu haben und deswegen nicht arbeiten zu können. Das Gericht war indes nicht von ihrer Arbeitsunfähigkeit überzeugt, da die Klägerin fast ein Jahr nach dem Unfall auf einem Foto zu sehen war, wie sie an einem Weihnachtsbaumwurf-Wettbewerb teilnahm und einen zwei Meter hohen Weihnachtsbaum laut Gericht "mit einer sehr agilen Bewegung geworfen" hatte. 


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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lkh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. Februar 2024: . In: Legal Tribune Online, 27.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53972 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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