Die juristische Presseschau vom 20. Februar 2024: High Court berät über Ass­ange-Aus­lie­fe­rung / VGH zu Har­b­arths Honorar­pro­fessur / IGH-Ver­hand­lung zu Paläs­tina hat begonnen /

20.02.2024

Der Londoner High Court entscheidet über das Schicksal von Julian Assange. Der VGH Ba-Wü gewährte keine Auskunft über Gutachter zu Harbarths Honorarprofessur. Der IGH hat seine Anhörung zur israelischen Besatzung Palästinas begonnen. 

Thema des Tages

Großbritannien – Julian Assange: Der Londoner High Court verhandelt an diesem Dienstag und Mittwoch über eine mögliche Auslieferung des Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA. Assange droht dort ein Prozess mit Anklagen in 18 Punkten und eine Gesamtstrafe von 175 Jahren. Der Australier hatte 2010 Geheiminformationen auf seiner Website veröffentlicht, die Menschenrechtsverletzungen durch die USA belegten. Seine Frau Stella Assange fürchtet im Falle einer Auslieferung die Verletzung der UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK). Die SZ (Christian Zaschke) fasst den möglichen Ausgang des Verfahrens so zusammen: "Sollte das Gericht für Assange entscheiden, bleibt er zwar im Gefängnis, aber er darf dann seine Argumente gegen die Entscheidung der damaligen britischen Innenministerin vom Juni 2022, ihn auszuliefern, ausführlich vor Gericht vortragen. Entscheidet das Gericht gegen Assange, gibt es im Königreich keine gerichtliche Instanz mehr, die seine Auslieferung stoppen könnte." Ob der High Court bereits am Mittwoch ein Urteil fällt, ist noch unklar. 

Rechtspolitik

Cannabis: In einem offenen Brief fordern Expert:innen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, das Cannabisgesetz (CanG) bei der Abstimmung im Bundestag diese Woche zu unterstützen. Laut LTO (Hasso Suliak) argumentierten die Unterzeichner:innen, darunter Mediziner:innen, Anwält:innen und Polizist:innen, dass eine moderate Neuregulierung zu verbesserten Gesundheitsmaßnahmen führen könne, ohne den Konsum zu erhöhen. Man sei überzeugt, dass das CanG geeignet sei, den Cannabis-Schwarzmarkt einzudämmen. 

Resilienz des BVerfG: Rechtsprofessor Lars Dittrich setzt sich auf dem Verfassungsblog mit Vorschlägen zum besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts auseinander. Die Debatte dürfe nicht den Eindruck erwecken, dass mit einer entsprechenden Reform des Verfassungs(prozess)rechts alle Gefahren beseitigt wären. Es gebe weiter Einfallstore für demokratiefeindliche Mehrheiten, etwa über das Haushaltsrecht. Letztlich komme es auch weiterhin vor allem auf die Akzeptanz des BVerfG in der Bevölkerung an und die Bereitschaft der Zivilgesellschaft, das BVerfG zu verteidigen.

Mietwucher: Der Bundesrat möchte die Strafvorschriften zum Mietwucher nach dem Wirtschaftsstrafgesetz verschärfen. Hierzu gab es eine Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags. Das Tatbestandsmerkmal der Ausnutzung der individuellen Lage des Mieters soll gestrichen und so der Nachweis des Wuchers erleichtert werden. Außerdem soll der Bußgeldrahmen von 50.000 Euro auf 100.000 Euro verdoppelt werden. Kritiker nannten das Projekt eine "verschärfte Mietpreisbremse 2.0". Die FAZ (Corinna Budras) berichtet.

ZPO: Rechtsanwalt Peter Bert und Richter Benedikt Windau resümieren auf dem ZPO-Blog die bisherigen Bestrebungen der Ampel-Regierung zur Reform des Zivilprozessrechts. Bis auf das nach EU-Recht umzusetzende Gesetz über Verbraucherschutz-Verbandsklagen habe die Koalition noch keines ihrer Vorhaben beenden können. Die Autoren geben einen überblick über den Stand  der Gesetzgebung u.a. bei Videoverhandlungen, Commercial Courts und Leitentscheidungen des BGH. 

Digitale Dienste: Am morgigen Mittwoch wird das Digitale-Dienste-Gesetz im Digitalausschuss des Bundestages diskutiert. Darin wird die Bundesnetzagentur als deutscher "Digital Services Coordinator" nach dem EU-Digital Services Act (DSA) festgelegt. Die FAZ (Michael Hanfeld) ) kritisiert, dass durch das Zugriffsrecht der EU-Kommission laut DSA und die Benennung der Bundesnetzagentur als Digitalkoordinator die Staatsferne des Rundfunks gefährdet wird. Fragwürdig sei aber vor allem, dass die Landesmedienanstalten nach dem Digitale-Dienste-Gesetz nur nach Maßgabe des aktuellen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Bundesländer Aufsichtskompetenzen behalten und diese verlieren könnten, wenn der Vertrag geändert wird. 

Verfassungsschutz Berlin: In Berlin soll der dortige Verfassungsschutz künftig öffentlich mitteilen dürfen, ob und welche Organisationen als Verdachtsfälle geführt werden. Geplant ist eine entsprechende Änderung des Berliner Verfassungsschutzgesetzes. Wie LTO berichtet, möchte die schwarz-rote Koalition in der Berlin damit Fällen vorbeugen, in denen die Einstufung einer Organisation als Verdachtsfall – wie etwa der AfD im Jahre 2021 – auf anderem Wege als durch offizielle Pressemitteilungen publik wird, die Berliner Verwaltung sich hierzu jedoch nicht äußern darf. 

Justiz

VGH BaWü zu Harbarths Honorarprofessur: Die Universität Heidelberg muss einem Kölner Rechtsanwalt keine Informationen über das Zustandekommen der Honorarprofessur von Stephan Harbarth, des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, herausgeben. Dies entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in der Berufung. Der Rechtsanwalt hatte herausfinden wollen, wer die beiden Gutachter in dem Bestellungsverfahren für die Honorarprofessur waren und wollte auch die Herausgabe der hierzu erstellten Gutachten erreichen. Während Letzteres bereits in erster Instanz scheiterte, entschied der VGH, dass auch die Namen der Gutachter zur Wissenschaft gehören und deren Herausgabe wegen einer Bereichsausnahme für die Wissenschaft im Landes-Informationsfreiheitsgesetz nicht verlangt werden kann. LTO berichtet.  

LSG Nds-Bremen zu Grundsicherungs-Betrug: Ein in Bremen gemeldetes nigerianisches Ehepaar (eine Anwältin und ihr Ehemann) muss rund 33.000 Euro an das Jobcenter zurückzahlen, da es jahrelang deutsche Grundsicherungsleistungen bezog, obwohl es sich tatsächlich wohl in Nigeria aufhielt. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nahm an, dass das Paar die Anwesenheit in Deutschland beweisen muss und nicht das Jobcenter die Abwesenheit. Für die Beweislastverteilung spreche u.a., dass der Ehemann Manipulationen an seinem Reisepass vorgenommen hatte. spiegel.de und beck-aktuell berichten. 

LG Kempten – Mord an Neuschwanstein-Touristinnen: Vor dem Landgericht Kempten hat der Prozess gegen den US-Amerikaner Troy B. wegen Mordes, Vergewaltigung, versuchten Mordes, Köperverletzung sowie des Besitzes kinderpornographischen Materials begonnen. B. hatte im Juni 2023 am Schloss Neuschwanstein zwei US-Touristinnen angegriffen, die eine von ihnen vergewaltigt und zu Tode stranguliert, nachdem er ihre Freundin in Tötungsabsicht einen Abhang hinuntergestoßen hatte. Der Angeklagte gestand die Taten weitgehend. Auf seinem Mobiltelefon wurden kinderpornographische Aufnahmen seiner damals 14-jährigen Schwester gefunden. SZ (Florian Fuchs), FAZ (Karin Truscheit) und spiegel.de berichten. 

LG Wuppertal zu Säureangriff auf Innogy-Gründer: Das Landgericht Wuppertal hat im zweiten Prozess zum Säureattentat auf Energiemanager Bernhard Günther am Montag den serbischen Staatsbürger Marco L. wegen schwerer Körperverletzung zu elf Jahren Haft verurteilt. Das Gericht kam zur Überzeugung, dass L. einer der beiden Männer war, die Günther 2018 nach einer Joggingrunde Säure ins Gesicht gegossen hatten. L. konnte ermittelt werden, nachdem der Geschädigte 100.000 Euro für Hinweise auslobte. Ein Mittäter war schon im Vorjahr verurteilt worden. SZ (Uta Eisenhardt) und FAZ (Reiner Burger) berichten.

LG Detmold – Mord an Obdachlosen: Das Landgericht Detmold verhandelt im Prozess gegen drei Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren, die einen Obdachlosen mit Schlägen und Messerstichen getötet und die Tat mit dem Handy gefilmt haben sollen. Die Kammer hat 14 Zeugen geladen. Ein Urteil wird für Mittwoch erwartet, die FAZ (Reiner Burger) berichtet.

VG Düsseldorf zu Abschleppmaßnahme: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die Klage einer Fahrzeug-Halterin gegen die Abschleppmaßnahme ihres entgegen der Fahrtrichtung geparkten Aufliegers abgewiesen. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass das Fahrzeug aufgrund der fehlenden Beleuchtung und seiner Positionierung in der Nähe einer Kurve die öffentliche Sicherheit gefährdete. Es stellte fest, dass die Polizei berechtigt war, den Auflieger ohne vorheriges Anrufen der aufgedruckten Telefonnummern abzuschleppen, da die Werbeaufschrift nicht darauf hinwies, dass sich ein Verantwortlicher in unmittelbarer Nähe befand und weitere Ermittlungen zu Verzögerungen und erhöhter Unfallgefahr geführt hätten. beck-aktuell berichtet. 

Amtsgericht Berlin-Köpenick – Balkonsolaranlage: Mit einem Musterprozess vor dem Amtsgericht Köpenick will die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klären, dass Mieter Balkonsolaranlagen ohne schikanöse Auflagen installieren dürfen. Im konkreten Fall hatte eine Wohnungsbaugenossenschaft solche Anlagen zunächst ganz untersagt und später eine Freigabe durch die Feuerwehr und die Prüfung der gesamten Elektro-Installation der Wohnung gefordert. Die taz (Bernward Janzing) berichtet. 

Investitionsschutzklagen: Gegen die Bundesrepublik Deutschland laufen laut Auskunft der Bundesregierung derzeit vier Investitionsschutz-Klagen vor privaten Schiedsgerichten, wie die taz (Leila van Rinsum) berichtet. Deutschland sind dafür bislang Verfahrenskosten in Höhe von 23 Millionen Euro entstanden. Der Abgeordnete Ralph Lenkert (Linke) kritisierte private Schiedsgerichte als "teuer, intransparent, demokratiefeindlich". In zwei der vier Fälle geht es um die nachträgliche Verschlechterung der Bedingungen für Windenergieprojekte in Deutschland.

Recht in der Welt

IGH/Israel – Besatzung palästinensischer Gebiete: Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat die Anhörung zu dem von der UN-Generalversammlung in Auftrag gegebenen Gutachten darüber begonnen, ob die seit 1967 andauernde israelische Besatzung palästinensischer Gebiete rechtmäßig ist. Am ersten der sechs Anhörungstage hatten die Vertreter Palästinas das Wort, darunter renommierte Völkerrechtler wie der Brite Phillip Sands und der Deutsche Andreas Zimmermann. Die Rechtsvertreter Palästinas und der palästinensische Außenminister Riad al-Malki führten aus, Israel verstoße seit Jahrzehnten gegen internationales Recht, gegen das Diskriminierungs- und Apartheidsverbot und verletze das Selbstbestimmungsrecht Palästinas in all seinen Komponenten. Insgesamt wollen sich 52 Staaten an der Anhörung beteiligen. SZ (Ronen Steinke), FAZ (Christian Meier), taz (Tobias Müller) und LTO (Franziska Kring) berichten.

Russland – Atomwaffen im Weltraum: In einem Gastbeitrag auf LTO bewertet Rechtsanwalt Philipp Feth die angeblichen Pläne Russlands, Atomwaffen im Weltraum zu stationieren. Nach dem Weltraumvertrag von 1967 ist die Stationierung von Atomwaffen im Weltraum verboten, auch als Anti-Satellitenwaffen. Zulässig sind allerdings konventionelle Anti-Satelliten-Waffen, weil Satelliten auch für Zwecke der Kriegsführung eingesetzt werden können. Auch konventionelle Anti-Satelliten-Waffen, die mit Atomkraft angetrieben werden, sind zulässig. 

Sonstiges

Sanktionen gegen Russland/Alexej Nawalny: Nach dem Tod des Kreml-Gegners Alexej Nawalny schlagen Deutschland und andere EU-Staaten weitere Sanktionen gegen Russland vor. Bereits nach der Inhaftierung Nawalnys waren Sanktionen gegen russische Staatsfunktionären verhängt worden, d.h. es wurden Konten eingefroren und Einreiseverbote verhängt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schlug vor, das EU-Sanktionsinstrument zur Bestrafung von schweren Menschenrechtsverstößen in "Nawalny-Menschenrechtssanktionsregime" umzubenennen. Es berichten FAZ (Thomas Gutschker u.a.) und LTO.

DSA/Tiktok: Nach dem Vorgehen gegen die Plattform "X" leitet die EU-Kommission nun auch gegen den Kurzvideodienst "Tiktok" ein Verfahren nach dem Digital Services Act (DSA) ein. Es soll geprüft werden, ob der Dienst das Grundrecht auf körperliches und geistiges Wohlbefinden vor allem von Kindern und Jugendlichen verletzt sowie deren Radikalisierung fördert. Da Tiktok insbesondere von Minderjährigen genutzt wird, sei eine der "obersten Durchsetzungsprioritäten des DSA" betroffen, so der EU-Binnenmarktkommissar Breton. Wie die FAZ (Werner Mussler) berichtet, drohen dem Unternehmen bei Bestätigung des Verdachts Geldbußen in Milliardenhöhe. 

Reinhard Müller (FAZ) meint, Tiktok könne nicht ohne Jugendschutz gedacht werden. Es müsse sichergestellt werden "dass sich die großen Tech-Konzerne jedenfalls an die europäischen Spielregeln halten." Es gehe dabei um europäische Werte. 

Juristische Ausbildung

Diversität im Jurastudium: Doktorandin Jannina Schäffer berichtet bei beck-aktuell über eine jetzt gestartete Umfrage der Bundesfachschaft Jura über die Diversität an juristischen Fakultäten. Die Ergebnisse sollen im zweiten oder dritten Quartal 2024 vorgestellt werden.

Das Letzte zum Schluss

Kein Toilettenpapier: Ein 26-jähriger Mann hat in einem Zug in Nordrhein-Westfalen mehrfach den Notruf betätigt. Der Grund: Es gab kein Toilettenpapier mehr. Außerdem beschwerte sich der Mann bei der eingeschalteten Bundespolizei über die Sauberkeit des Bahn-WC und erhielt eine Anzeige wegen des Missbrauchs von Notrufen. welt.de berichtet. 


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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lkh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. Februar 2024: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53912 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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