Die juristische Presseschau vom 21. Dezember 2023: Eini­gung über EU-Asyl­recht / Gesetz­ent­wurf zu V-Leuten / BKA-Gesetz vor dem BVerfG

21.12.2023

Ministerrat und Europaparlament einigten sich auf EU-Asylrechtsreform. BMJ legte Entwurf für gesetzliche Regelung von V-Leuten und Lockspitzeln vor. Bundesverfassungsgericht verhandelte Klage gegen BKA-Gesetz 

Thema des Tages

Asyl: Vertreter:innen des EU-Ministerrats und das Europaparlaments einigten sich auf politische Eckpunkte einer Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Dabei hat sich der Rat weitgehend durchgesetzt.  Antragsteller:innen aus Ländern, die als relativ sicher gelten, sollen bis zur Entscheidung über den Asylantrag unter haftähnlichen Bedingungen monatelang in Lagern an den EU-Außengrenzen auf das Ergebnis ihres Asylverfahrens warten. Dies gilt auch für Familien. Asylbewerber:innen sollen künftig ohne Asylprüfung in sichere Drittstaaten abgeschoben werden können, wenn sie zu diesen eine "vernünftige" Beziehung haben. Ein "Solidaritätsmechanismus" sieht vor, dass Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, eine andere Art der Unterstützung leisten müssen, etwa in Form von Geldzahlungen. Die Einigung muss noch vom Plenum des Europaparlaments und vom EU-Ministerrat bestätigt werden. Dies kann noch Wochen dauern, da noch keine ausformulierten Rechtstexte vorliegen. FAZ (Thomas Gutschker), SZ (Markus Balser/Josef Kelnberger), taz (Christian Jakob), Hbl (Jürgen Klöckner/Dietmar Neuerer/Carsten Volkery), Welt (Christopf B. Schiltz), LTO (Hasso Suliak/Sevinc Onart), spiegel.de (Markus Becker/Felix Keßler) und beck-aktuell berichten. Die taz (Frederik Eikmans) und spiegel.de (Markus Becker) geben einen Überblick über befürwortende und kritische Stimmen. 

Karoline Meta Beisel (SZ) meint, der Kompromiss verfolge "zwei Ziele: die Abwehr von Flüchtlingen – und von Populisten". Nikolas Busse (FAZ) kommentiert, die Einigung sei nicht "so menschenunwürdig, wie die Flüchtlingsverbände diese Kurskorrektur darstellen". Christian Jakob (taz) dagegen hält die Einigung für entrechtend und zeigt sich entsetzt, dass "der Rat alle menschenrechtlichen roten Linien" eingerissen hat. Jacques Schuster (Welt) begrüßt die Einigung.

Rechtspolitik:

V-Leute: Das Bundesjustizministerium legte einen Referentenentwurf zum Einsatz von Vertrauenspersonen und Lockspitzeln vor. Dieser sieht unter anderem vor, dass V-Leute künftig nur nach Anordnung durch ein Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft eingesetzt werden dürfen. Eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung soll nun kein Ausschlusskriterium mehr für die Rekrutierung als V-Person sein. Auch in anderen Bereichen will die Bundesregierung den Einsatz nicht so stark beschränken wie ursprünglich geplant. Der Entwurf wurde Verbänden und Bundesländern nun zur Prüfung zugeleitet. LTO (Leonie Ott/Hasso Suliak) berichtet. 

Bundespolizei: Das Kabinett hat einen Gesetzentwurf für die lange umstrittene Reform des Bundespolizeigesetzes beschlossen, mit der die Bundespolizei unter anderem neue Befugnisse erhalten soll. So dürfen etwa auch Handys und Mobilfunkkarten – nach richterlichem Beschluss – identifiziert und lokalisiert werden. Zudem sieht das Gesetz erstmals eine Kennzeichnungspflicht für Beamt:innen vor. Auch sollen künftig bei verdachtsunabhängigen Kontrollen Kontrollquittungen ausgestellt werden, um Vorwürfe von Racial Profiling besser prüfen zu können. Die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman kritisierte die Reform als einseitig. FAZ (Friederike Haupt), taz (Konrad Litschko) und spiegel.de berichten.

Einbürgerung/Abschiebung: Laut FAZ (Eckart Lohse), taz (Daniel Bax) und LTO kündigten die Ampelfraktionen an, dass die Gesetzesentwürfe zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und zur Erleichterung von Abschiebungen ("Rückführungsverbesserungsgesetz") im Januar im Bundestag beschlossen werden sollen. 

Seenotrettung: Die Juniorprofessoren Aziz Epik und Valentin Schatz befassen sich auf LTO mit einem Aspekt des geplanten "Rückführungsverbesserungsgesetz", über das derzeit im Innenausschuss des Bundestags verhandelt wird. Das Gesetz würde zu einer tatbestandlichen Kriminalisierung von uneigennützig handelnden Seenotretter:innen führen und diese auf eine Stufe mit Schleuser:innen stellen. Zur Wahrung de Verhältnismäßigkeit und zur Sicherstellung der Unionsrechtskonformität sollte daher mindestens ein unmissverständlich formulierter Tatbestandsausschluss für humanitär motivierte Hilfeleistungen vorgesehen werden.

Die Doktorand:innen Ana Srovin Coralli, Irene Manganini und Fekade Abebe beschäftigen sich auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) mit der Frage, ob eine staatliche Pflicht zur Seenotrettung besteht und wie eine solche durchgesetzt werden könnte. 

Digitale Dienste: Die Bundesregierung beschloss den Gesetzentwurf für ein Digitale-Dienste-Gesetz, das die DSA-Verordnung der EU ergänzen soll. Die Vorgaben für sehr große Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzer:innen sind schon in Kraft und werden seit August von der EU-Kommission durchgesetzt. Bis zum 17. Februar 2024 müssen die Mitgliedstaaten nachziehen und nationale Regelungen für kleinere Dienste festlegen, um sicherzustellen, dass Onlineplattformen und Suchmaschinen wirksam gegen rechtswidrige Inhalte im Netz vorgehen. Die Bundesnetzagentur soll in Deutschland die zentrale Beschwerde- und Koordinierungsstelle werden. Zudem sollen auch die Landesmedienanstalten Zuständigkeiten im Rahmen des neuen Gesetzes erhalten. Die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet.

Dokumentation der Hauptverhandlung/Video-Verhandlungen: spiegel.de (Sophie Garbe) fasst die aktuelle Diskussion rund um die Gesetze zur Aufzeichnung der Hauptverhandlung und zu Videoverhandlungen zusammen und kommt zu dem Schluss, dass das "Herzensprojekt" von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) endgültig scheitern könnte, sofern der mittlerweile angerufene Vermittlungsausschuss keine Lösung findet. 

Bürokratieabbau: Im Interview mit der FAZ (Katja Gelinsky) spricht Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) über seine Pläne zur Bürokratieentlastung. Er selbst verstehe sich als "Bürokratieabbau-Minister". Dies sei jedenfalls der Auftrag, den er sich gegeben habe. 

Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg: In einer Seite-Drei-Reportage stellt die SZ (Ronen Steinke) die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg vor, die als "knallhart gegenüber der AfD" gilt und nun ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels als Voraussetzung für eine Einbürgerung fordert. 

Justiz

BVerfG – BKA-Gesetz: Das Bundesverfassungsgericht verhandelte über die Verfassungsbeschwerde von zwei Strafverteidigerinnen, zwei Fußballfans und einem bayerischen Kommunisten, die mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegen das im Jahr 2017 neu gefasste BKA-Gesetz klagten. Es zeichnete sich ab, dass die Klage zumindest in Bezug auf eine zu weit gefasste Regelung über die Überwachung von Kontaktpersonen von Personen, die Straftaten begehen wollen, Erfolg haben wird. Der zweite Teil der Verhandlung betraf die geplante neue IT-Infrastruktur der deutschen Polizei, wonach Daten künftig nicht mehr in getrennten Datenbanken, sondern in einer großen gemeinsamen Datenplattform von Bund und Ländern gespeichert werden sollen. Die GFF hält die Regelungen für die Weiterspeicherung von Verurteilten, Beschuldigten und Verdächtigen für "widersprüchlich und zu unbestimmt". SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), LTO (Christian Rath) und tagesschau.de (Max Bauer) berichten. 

EuG zu Sanktionen gegen russische Oligarchen: Die von der EU gegen den russischen Oligarchen Roman Abramowitsch verhängten Strafmaßnahmen wegen dessen Verbindungen zu Wladimir Putin und seinen Geschäftsaktivitäten bleiben bestehen. Dies entschied laut spiegel.de das Gericht der Europäischen Union und wies eine Klage des Unternehmers damit ab. Der Rat habe keine Beurteilungsfehler begangen, die Sanktionen seien rechtmäßig. Dass Abramowitsch auch die portugiesische Staatsbürgerschaft und damit die EU-Bürgerschaft besitzt, stehe dem nicht entgegen. Auch werde Abramowitsch nicht unverhältnismäßig in seinen Grundrechten eingeschränkt. 

BAG zu Hetze in Chatgruppen: Nun stellt auch die Anwältin Ramona Segler im Expertenforum Arbeitsrecht eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. August vor, wonach die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers, der sich in einer WhatsApp-Chatgruppe beleidigend und menschenverachtend über Arbeitskollegen und Vorgesetzte äußerte, rechtmäßig ist. 

OLG Frankfurt/M. - Umgehung von Sanktionen: Generalbundesanwalt Peter Frank hat beim Oberlandesgericht Frankfurt/M. beantragt, 720 Mio. Euro einer Tochter der russischen Börse als Tatmittel einzuziehen. Die Firma soll versucht haben, ihr Guthaben den EU-Sanktionen zu entziehen und damit eine Straftat begangen haben. spiegel.de (Jörg Diehl/Fidelius Schmid) berichtet.

VG Berlin – Beamtenbesoldung: Das Verwaltungsgericht Berlin hält die Berliner Beamtenbesoldung in den Besoldungsgruppen A4 von 2016 bis 2018 und A5 von 2018 und 2019 für zu niedrig. Da über die Verfassungswidrigkeit einer Besoldung aber nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden kann, hat das VG dem BVerfG diese Frage nun vorgelegt. Neben diesem Beschluss hat das VG noch ein abweisendes Urteil gefällt, bei diesem aber zugleich die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Bei dem abweisenden Urteil geht es um die laut VG grundsätzlich bedeutsame Frage, wann eine verfassungswidrige Alimentation gegenüber dem Dienstherrn als "zeitnah geltend gemacht" anzusehen ist. LTO und beck-aktuell berichten. 

StA Göttingen - Reiner Fuellmich: Wie spiegel.de schreibt, hat die Staatsanwaltschaft Göttingen Anklage gegen den seit Oktober inhaftierten ehemaligen Kanzlerkandidaten der Partei "Die Basis", den Rechtsanwalt Reiner Fuellmich, erhoben. Ihm wird gewerbsmäßige Untreue in 18 Fällen in Zusammenhang mit der Mitte 2020 gegründeten "Stiftung Corona-Ausschuss" vorgeworfen. Insgesamt soll der 65-Jährige mehr als eine Million Euro veruntreut haben. 

Recht in der Welt

USA - Trump/Wahlausschluss: Nun berichten auch FAZ (Majid Sattar), SZ (Fabian Fellmann), taz (Bernd Pickert), Hbl (Annett Meiritz), LTO und beck-aktuell über die Entscheidung des Supreme Courts im US-Bundesstaat Colorado, wonach Donald Trump aufgrund seines Verhaltens im Zusammenhang mit dem Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 nicht an den republikanischen Vorwahlen von Colorado teilnehmen darf. Trump will den US-Supreme Court anrufen.

Fabian Fellmann (SZ) warnt davor, dass die Richter des US-Supreme Courts es Trump erlauben könnten, "sich mit Verweis auf seine Immunität aus den Strafverfahren zu winden". Bernd Pickert (taz) hält das Urteil aus Colorado für "bahnbrechend" und "wirkungslos zugleich". Denn bis zu den Vorwahlen im März werde es kein Urteil des US-Supreme Courts geben – und auch danach "käme es einem Wunder gleich“, wenn die konservative Mehrheit der Richter:innen "ausgerechnet jenen Mann von der Wahl ausschließen würde, dem drei von ihnen ihren Platz auf der Richterbank verdanken". Marc Pitzke (spiegel.de) befürchtet, dass die "jetzt schon beispiellos wilde US-Wahlsaison vollends im Chaos versinken, wenn nicht zu einer Art Bürgerkrieg führen" würde, falls der US-Supreme Court das Urteil aus Colorado tatsächlich bestätigen sollte.   

USA – Kontakte von Epstein: Laut FAZ (Jannis Holl) und spiegel.de hat eine New Yorker Richterin die Offenlegung der Namen von zahlreichen Personen angeordnet, die mit dem verstorbenen US-Sexualstraftäter Jeffrey Epstein in Verbindung standen, darunter etwa Opfer, Mitarbeiter:innen und Geschäftspartner:innen. Die Betroffenen haben bis zum 1. Januar Zeit, gegen die Anordnung Einspruch einzulegen. Die Anordnung steht im Zusammenhang mit den Versuchen der Zeitung "Miami Herald", Zugang zu den Akten zu erhalten und das Epstein-Netzwerk zu untersuchen. 

USA – Mord an Haitis Präsident: Zwei Jahre, nachdem Haitis Präsident Jovenel Moïse von einem Mordkommando überfallen und getötet wurde, ist der in das Komplott verwickelte frühere Senator des Karibikstaates Joseph Joel John von einem US-Bundesgericht in Miami zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der 52-Jährige hatte gestanden, Fahrzeuge und andere Ressourcen für die Verschwörung gegen Moïse zur Verfügung gestellt und Mitverschwörer getroffen zu haben, beteuerte aber bis zuletzt, sein Ziel sei nicht die Ermordung des Präsidenten gewesen. spiegel.de berichtet. 

Großbritannien – Mord an Transgender-Mädchen: Laut spiegel.de wurden zwei britische Jugendliche (ein Mädchen und ein Junge) wegen Mordes an der 16-jährigen Brianna Ghey schuldig gesprochen. Die beiden zur Tatzeit 15-jährigen Teenager hatten das Transgender-Mädchen Anfang des Jahres in einem Park aus Mordlust mit 28 Messerstichen getötet und die Tat zuvor monatelang geplant. Beide haben eine Autismus-Störung. Das Strafmaß gegen die Täter:innen wird nach Weihnachten bestimmt.

Frankreich – Genozid in Ruanda: Weil er der ruandischen Interimsregierung, die 1994 zum Massenmord an der Volksgruppe der Tutsi aufgerufen hatte, nahegestanden und auch an entsprechenden Regierungssitzungen teilgenommen haben soll, wurde ein mittlerweile 68-jähriger ehemaliger Arzt von einem französischen Gericht unter anderem wegen Völkermords zu einer 24-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. spiegel.de berichtet.

Frankreich - Serienmörderin Monique Olivier: Wie die SZ (Moritz Geier) schreibt, wurde Monique Olivier, die ehemalige Ehefrau und Komplizin des Serienmörders Michel Fourniret, wegen ihrer Beteiligung am Tod von zwei weiteren Frauen und einem Mädchen erneut zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Fourniret, der 2021 starb, und Olivier waren bereits 2008 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. In dem aktuellen Prozess ging es um drei weitere Fälle. Olivier gestand die Taten. 

Sonstiges

Rechtsgeschichte – Auschwitz-Prozess: Vor 60 Jahren, am 20. Dezember 1963, begann der Auschwitz-Prozess in Frankfurt. tagesschau.de (Max Bauer) schildert Hintergründe und Ablauf des Verfahrens und befasst sich auch mit dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der als Jude und Sozialdemokrat selbst aus Nazi-Deutschland fliehen musste und nach dem Krieg "Motor einer Vergangenheitsaufarbeitung" war. Der Beitrag erinnert zugleich daran, dass die große Mehrheit der SS-Täter von Auschwitz sich nie vor Gericht verantworten mussten, was auch an der damaligen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lag.

Reichsbürger: Im Interview mit der Welt (Ulrich Kraetzer/Lennart Pfahler) spricht der Staatsrechtler Christoph Schönberger über die "Ermächtigungsversuche" und die Ideologie der Reichsbürger-Szene. 

 

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LTO/bo/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Dezember 2023: . In: Legal Tribune Online, 21.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53471 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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