Die juristische Presseschau vom 12. Dezember 2023: Anklage gegen Gruppe Reuß / Anwalt nötigt Flücht­ling / Aus­sage gegen Ex-Kanzler Kurz

12.12.2023

Die Reuß-Gruppe wird wegen Umsturzplänen vor drei OLGs angeklagt. Das Amtsgericht Reutlingen verurteilte einen Anwalt wegen Penisuntersuchungen. Sebastian Kurz wurde im Falschaussage-Prozess belastet. 

Thema des Tages

OLGs Frankfurt/Stuttgart/München – Umsturzpläne/Reuß: Die Bundesanwaltschaft hat laut unbestätigten Medienberichten gegen den Frankfurter Geschäftsmann Heinrich XIII. Prinz Reuß, die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann sowie acht weitere Personen am Oberlandesgericht Frankfurt/M. Anklage erhoben. Den Angeklagten wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie das Vorbereiten eines "hochverräterischen Unternehmens" vorgeworfen. Sie sollen die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung, insbesondere die bewaffnete Besetzung des Bundestages geplant haben. Während die Führungsgruppe der Umsturzpläne in Frankfurt/M. angeklagt wird, sollen weitere Anklagen gegen neun bzw. acht Personen der rechtsextremen Gruppe vor den Oberlandesgerichten Stuttgart und München erhoben werden. Es wird einer der größten Staatsschutzprozesse der deutschen Geschichte erwartet. spiegel.de (Sven Röbel/Wolf Wiedmann-Schmidt)tagesschau.de (Michael Götschenberg/Holger Schmidt/Frank Bräutigam) und LTO (Markus Sehl) berichten.

Rechtspolitik

Haushalt: Die Koalitionär:innen der Bundesregierung verhandeln über ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse im Jahr 2024. Die SPD schlägt dabei vor, die Folgekosten des Ukraine-Kriegs in Form von Militär- und humanitären Hilfen sowie Flüchtlingskosten als Grund für eine Notlage gem. Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG zu werten. LTO (Christian Rath) stellt fest, dass dies verfassungsrechtlich möglich wäre, auch wenn die Notlage 2023 anders begründet wird und der Krieg bereits vor zwei Jahren begann. Die von der FDP verlangte hundertprozentige Verfassungsfestigkeit könne aber niemand garantieren. Es sei eher unwahrscheinlich, dass die CDU/CSU-Fraktion gegen einen Notlagenbeschluss für 2024 klagen werde.

Rechtsprofessor Alexander Thiele und die Direktor:innen des "Dezernats Zukunft" Max Krahé und Philippa Sigl-Glöckner stellen in der FAZ fest, dass das Bundesverfassungsgericht die Feststellung von Notlagen auch (jährlich neu) für längerfristige Krisen erlaubt, auch zur Finanzierung von Maßnahmen gegen indirekte Krisenfolgen. Es bleibe aber eine Unsicherheit, außerdem könnten so präventive Maßnahmen nicht finanziert werden. Erforderlich sei daher auch eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz.

Prostitution/geschlechtliche Selbstbestimmung: Im Interview mit der FAZ (Helene Bubrowski) erklärt die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), warum sie sich für ein sofortiges Verbot von "Sexkauf" einsetzt. Außerdem kritisiert sie am geplanten Selbstbestimmungsgesetz, dass Jugendliche auch ohne Zustimmung der Eltern ihr Geschlecht ändern können, weil eine Vermutung geplant ist, dass die gewünschte Geschlechtsänderung dem Kindeswohl entspricht.

Justiz

AG Reutlingen zu Anwalt, der Flüchtling nötigt: Der 71-jährige Rechtsanwalt Dieter K. wurde vom Amtsgericht Reutlingen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und dreijährigem Berufsverbot verurteilt. Der Anwalt wollte einem nigerianischen Asylbewerber einreden, er habe eine asylrelevante sexuelle Störung. Der Anwalt hatte daher mit seinem Mund am Penis des Nigerianers dessen Fähigkeit zum Samenerguß untersucht. bild.de (Hagen Stegmüller) berichtet. 

EuGH zu Schufa: Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur grundsätzlichen EU-Rechtswidrigkeit des Schufa-Scorings kündigt das Legal-Tech-Unternehmen "Europäische Gesellschaft für Datenschutz" an, eine "Klagewelle" gegen die Schufa starten zu wollen. Die Schufa erwiderte, dass dem Unternehmen gar keine Betroffenenrechte zustünden und dass dessen Geschäftsmodell in der Vermittlung von Datenschutzrechtsanwälten bestehe. Die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet. 

BVerwG – Unterhaltsvorschuss bei Mitbetreuung: Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt heute über die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "alleinerziehend" nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Es soll geklärt werden, inwieweit das Merkmal noch zu bejahen ist, wenn das Kind auch vom anderen Elternteil betreut wird. Geklagt hatte eine Mutter von Zwillingen, nachdem das Jugendamt Höxter ihr einen Unterhaltsvorschuss mit der Begründung verweigert hatte, dass die Kinder zu 36 Prozent auch vom Vater betreut werden. LTO (Hasso Suliak) berichtet.

OLG Frankfurt/M. zur Vermittlung von Cannabis-Ärzt:innen: Wer Ärzt:innen vermittelt, die Leistungen im Zusammenhang mit medizinischem Cannabis anbieten, darf auch Rabatte einräumen. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. gilt dies jedenfalls, solange die Vermittler:innen den Rabatt selbst finanzieren und die vermittelten Ärzt:innen nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) vergütet werden. Wie beck-aktuell berichtet, sah das Gericht auch keine Gefahr für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung durch einen möglichen Preiswettbewerb der Vermittler:innen. 

KG Berlin zum Streitwert von Werbemails: Das Kammergericht hat über den Streitwert für Unterlassungsansprüche gegen unerwünschte Werbemails entschieden. Ein Rechtsanwalt hatte französische Gesellschaften wegen unerwünschter Werbemails verklagt und Ersatz für außergerichtliche Kosten geltend gemacht. Das Kammergericht erhöhte den Wert von 3.750 Euro auf 18.300 Euro, indem es 3.000 Euro pro unerbetener Werbe-E-Mail festsetzte. beck-aktuell berichtet. 

LG Chemnitz – Hetzjagd: Am Landgericht Chemnitz hat mehr als fünf Jahre nach den gewaltsamen Ausschreitungen im Spätsommer 2018 ein Prozess gegen neun Angeklagte begonnen. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten Teilnehmer:innen einer Gegendemonstration zu einem Trauermarsch gegen Ausländergewalt angegriffen und dabei  elf Personen schwer verletzt. Drei Angeklagte sind flüchtig und ein weiterer befindet sich in einer geschlossenen Einrichtung. Die FAZ (Stefan Locke) berichtet. 

LG Hannover zu Kindsmord durch Unterlassen: Die Mutter und der Stiefvater des vierjährigen Fabian G. wurden am Landgericht Hannover zu lebenslangen Freiheitsstrafen wegen Mordes durch Unterlassen verurteilt, wobei die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde. Fabian wurde über Monate körperlich und seelisch misshandelt, unter anderem mit Gürteln und Handyladekabeln geschlagen. Das Gericht sah laut Bericht der FAZ (Katharina Roos) die Mordmerkmale Grausamkeit und niedrige Beweggründe als erfüllt an und betonte, die Angeklagten hätten wissen müssen, dass Fabian ohne ärztliche Hilfe sterben würde. 

LG Düsseldorf – Corona-Impfstoffpatente: Das Landgericht Düsseldorf hat die geplanten Verhandlungstermine in dem Verfahren ausgesetzt, bei dem der mRNA-Impfstoffhersteller Moderna von seinem Konkurrenten Biontech Schadenersatz für Patentverletzungen verlangt. Grund für die Aussetzung war die Entscheidung des Europäischen Patentamts (EPA) vor drei Wochen, ein Klagepatent von Moderna aufgrund eines Einspruchs von Biontech für nichtig zu erklären, wogegen Moderna Beschwerde einzureichen beabsichtigt. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet. 

LG Osnabrück zu Sportschütze, der Jugendlichen erschoss: Der 82-jährige Giuseppe del B. ist vom Landgericht Osnabrück zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt worden, weil er seinen 16-jährigen Nachbarn mit einer Sportwaffe erschossen hat. Zusätzlich ordnete das Gericht die Unterbringung des Mannes in einer psychiatrischen Klinik an, weil er unter paranoider Schizophrenie leidet. Er hatte die Wahnvorstellung, der 16-Jährige und seine Mutter terrorisierten ihn mit einer Lärmmaschine. bild.de (Markus Brekenkamp) berichtet. 

LG Düsseldorf zu Pop-up-Fenstern: Das Landgericht Düsseldorf hat die Targobank wegen aggressiven geschäftlichen Handlungen verurteilt. Die Bank hatte Kunden beim Online-Banking ein Pop-up-Fenster mit Zustimmung oder Ablehnung zu Geschäftsbedingungen präsentiert und bei Nichtzustimmung scheinbar mit Kündigung gedroht. Das Gericht stellte auf Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) fest, dass die Praxis eine unangemessene Drucksituation erzeugte und die Informationen im Fenster teils unverständlich oder missverständlich waren. beck-aktuell berichtet.

GenStA Berlin – Mahmud Abbas: Die Aussage des Palästinenserpräsidents Mahmud Abbas, der Israel bei einem Staatsbesuch in Deutschland im August 2022 "50 Holocausts" an den Palästinenser:innen vorwarf, erfüllen laut Generalstaatanwaltschaft Berlin zwar den Straftatbestand der Volksverhetzung, Abbas wird jedoch nicht angeklagt, weil er diplomatische Immunität genießt. LTO berichtet.

Recht in der Welt

Österreich – Sebastian Kurz: Im Prozess gegen den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat nun sein früherer Vertrauter, Thomas Schmid, ausgesagt. Vorgeworfen wird dem Ex-Kanzler eine Falschaussage auf Fragen, ob er als Kanzler und Parteichef der ÖVP in die Besetzung von Posten in (teil-)staatlichen Unternehmen involviert war. Laut Schmid habe Kurz in allen Personalfragen das Sagen und ein Vetorecht in entscheidenden Angelegenheiten gehabt. Die Verteidigung von Kurz bestreitet die Falschaussagen und zweifelt die Glaubwürdigkeit des Zeugen an. SZ (Cathrin Kahlweit) und FAZ (Stephan Löwenstein) berichten. 

USA – Trump/Verschwörung: Im Verfahren gegen Ex-Präsident Trump wegen versuchter Wahlbeeinflussung hat Sonderermittler Jack Smith den US-Supreme Court angerufen, um über eine eventuelle Immunität Trumps entscheiden zu lassen. Der Fall betreffe Fragen von außergewöhnlicher nationaler Bedeutung. Die zuständige Richterin hatte die Immunität verneint. Indem Smith direkt den Supreme Court einschaltet, will er die Berufungsinstanz umgehen und so Zeit sparen. spiegel.de berichtet.

USA – Abtreibung in Texas: Im US-Bundesstaat Texas hat der dortige Oberste Gerichtshof entschieden, dass eine 31-Jährige den Abbruch ihrer potenziell lebensbedrohlichen Schwangerschaft nicht in Texas durchführen darf. Die Frau wird sich nach Bericht von spiegel.de in einem andern Bundesstaat medizinische Hilfe suchen. 

Israel – Krieg in Gaza: Angesichts der steigenden Zahl ziviler Opfer im Gaza-Krieg erläutert die SZ (Ronen Steinke) erneut die Zulässigkeit von Kollateralschäden im bewaffneten Konflikt. 

Polen – Verfassungsgericht zu EU-Recht: Während des Regierungswechsels in Polen hat das polnische Verfassungsgericht entschieden, dass Artikel des EU-Vertrags und des Statuts des Europäischen Gerichtshofs, aufgrund derer die EU 2021 Geldstrafen gegen Polen verhängt hatte, nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien. Die Verfassungsrichter wurden in den letzten acht Jahren von der PiS-Mehrheit im Parlament gewählt und hatten bereits zuvor gegen den EuGH entschieden. Die FAZ (Gerhard Gnauck/Reinhard Veser) berichtet. 

Für Reinhard Veser (FAZ) zeigt das Urteil, mit welchen Widerständen die neue Regierung zu kämpfen haben wird. Die PiS werde "ihre verbliebenen Machtpositionen skrupellos nutzen."

Ukraine/Krim – Diskreditierung der russischen Streitkräfte: Auf der Krim laufen 593 Verfahren wegen angeblicher Diskreditierung der russischen Streitkräfte. Fast 90 Prozent der Verfahren sind so genannte Ordnungsverfahren, bei denen die Angeklagten mit Geldstrafen und mehrtägigen Arreststrafen belegt werden können. Die Vergehen der Betroffenen reichen von ablehnenden Äußerungen zum Krieg bis zu Loyalitätsbekundungen zur Ukraine. Oftmals folgen auf Ordnungsstrafen längere Haftstrafen, wie die taz (Bernhard Clasen) berichtet. 

Türkei – somalischer Präsidentensohn: Die türkische Justiz hat einen Haftbefehl gegen den Sohn des somalischen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud erlassen, der beschuldigt wird, Ende November durch Fahrlässigkeit im Straßenverkehr den Tod eines Kurierfahrers in Istanbul verursacht zu haben. Die Opposition in Ankara kritisiert einen möglichen Justizskandal, da der Sohn Mahmud die Türkei vor der polizeilichen Fahndung verlassen konnte. Erst nach Veröffentlichung eines Videos wurde festgestellt, dass der Fahrer des somalischen Diplomatenfahrzeugs den Unfall verursacht hatte. Die FAZ (Friederike Böge) berichtet. 

Iran – schwedischer EU-Beamter: In Teheran ist ein schwedischer EU-Beamter wegen angeblicher Spionage angeklagt. Es wird vermutet, dass die Festnahme und nun drohende Todesstrafe vom Iran genutzt wird, um Druck auf die schwedische Regierung auszuüben und die Auslieferung des Iraners Hamid Noury zu erwirken, der wegen Mordes und Verbrechen gegen das Völkerrecht in Schweden im Gefängnis sitzt. Die SZ (Alex Rühle) berichtet. 

Großbritannien – Prinz Harry: Der Londoner High Court hat am Montag entschieden, dass Prinz Harry im Rechtsstreit mit dem Verlag der Zeitung "Mail on Sunday" die Anwaltskosten der Gegenseite in Höhe von 48.447 Pfund (etwa 57.000 Euro) bezahlen muss, da sein Antrag, in einem Rechtstreit mit dem Verlag ein Schnellverfahren anzuwenden, abgelehnt wurde. Dort wird nun vier Tage lang über den Vorwurf Harrys gegen den Verlag verhandelt, ein Kommentar habe ihn mit der Behauptung verleumdet, Harry habe erst angeboten, für seinen Polizeischutz in Großbrittanien zu zahlen, als seine Weigerung öffentlich wurde. spiegel.de berichtet. 

Sonstiges

Bündnis Sahra Wagenknecht: Die FAZ (Matthias Wyssuwa) erläutert die Rechte, die dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" zustehen, wenn es den beantragten Status als Gruppe im Bundestag erhält. Es ergeben sich Folgen für Rederechte, Antragsrechte, Finanzierung sowie die Beteiligung am Präsidium. 


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LTO/lkh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 12. Dezember 2023: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53393 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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