Die juristische Presseschau vom 1. September 2023: Ex-BSI-Chef Schön­bohm zieht vor Gericht / Recht­s­pro­fessor:innen für Kli­ma­schutz / BGH kas­siert Rol­ling Stones-Frei­k­arten-Urteil

01.09.2023

Schönbohm klagt wegen Vorwürfen der Russland-Nähe gegen BMI und ZDF. Professor:innen lehnen Aufweichung des Klimaschutzgesetzes ab. Das LG Hamburg muss wegen Bestechlichkeitsvorwürfen neu gegen Bezirksamtsleiter verhandeln.

Thema des Tages

VG Köln – Ex-BSI-Chef Schönbohm vs. BMI: Arne Schönbohm, der im Oktober 2022 abgesetzte Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), klagt vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen das Bundesinnenministerium (BMI) auf Schadensersatz in Höhe von zunächst 5.000 Euro wegen Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht. Schönbohm wurde elf Tage nach der Ausstrahlung einer Sendung von Jan Böhmermanns ZDF-"Magazin Royale", in der ihm enge Verbindungen zum russischen Geheimdienst nachgesagt wurden, freigestellt und anschließend versetzt. Trotz intensiver Prüfung ergaben sich jedoch kaum Anhaltspunkte gegen Schönbohm. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ließ sogar das Bundesamt für Verfassungsschutz das Umfeld von Schönbohm überwachen. Doch erst im April 2023 stellt Faeser ein Disziplinarverfahren gegen Schönbohm ein. Das Verhalten des BMI und Faesers stelle sich nach Ansicht von Schönbohms Anwalt "in der Gesamtwürdigung als Mobbing durch das BMI und besonders die Ministerin dar". Schönbohm will zudem zivilrechtlich gegen Nancy Faeser, die BMI-Staatssekretäre Hans-Georg Engelke und Markus Richter sowie gegen den BMI-Abteilungsleiter Martin von Simson klagen. bild.de (Nikolaus Harbusch) und focus.de (Axel Spilcker/Josef Hufelschulte) berichten.

Ex-BSI-Chef Schönbohm vs. ZDF: Zudem kündigte Schönbohm an, zivilgerichtlich gegen das ZDF und ggf. auch gegen Jan Böhmermann selbst wegen der genannten Sendung vorzugehen. Er fordert eine Unterlassungserklärung hinsichtlich der Behauptung, er habe bewusst in Kontakt mit dem russischen Nachrichtendienst gestanden, sowie eine Entschädigung in Höhe von 100.000 Euro. Schönbohms Anwalt begründete die Entschädigungssumme damit, dass sein Mandant "nicht nur einem falschen Verdacht, sondern durch die Bezeichnung als 'Cyberclown' auch der Häme" ausgesetzt wurde. Es berichten FAZ (Michael Hanfeld), SZ (Jannis Brühl/Anna Ernst) und bild.de.

Rechtspolitik

Klimaschutz: In einem offenen Brief fordern 63 Rechtsprofessor:innen auf dem Verfassungsblog von der Bundesregierung eine völker- und verfassungsrechtskonforme Klimaschutzpolitik. Sie sprechen sich insbesondere gegen die geplante Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes aus, nach der die sektorspezifischen Ziele der Bundesministerien geschwächt werden sollen. Die parallelen Diskussionen um eine Verschärfung des Straf- und Polizeirechts in Hinblick auf Klimaproteste kritisieren die Unterzeichner:innen als "verfassungsrechtlich fragwürdig" und "vor allem als Ablenkung von den dringend nötigen Auseinandersetzungen über die konkrete Umsetzung der verfassungs- und völkerrechtlichen Klimaschutzpflichten."

Antidiskriminierung/KI: Ferda Ataman, die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, fordert besseren gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung durch Künstliche Intelligenz (KI). Einem von Ataman vorgelegten Rechtsgutachten zufolge gibt es im Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Rechtsschutzlücken hinsichtlich des Einsatzes von KI, die beispielsweise systemspezifische Gruppendiskriminierungen oder Offenlegungspflichten zur Funktionsweise der KI betreffen. Eine Umsetzung der Forderungen Atamans durch das Bundesjustizministerium wird in nächster Zeit nicht erfolgen, so LTO (Hasso Suliak).

"Sichere Herkunftsstaaten": Alexander Haneke (FAZ) begrüßt die geplante Einstufung von Georgien und Moldawien als "sichere Herkunftsstaaten". Er behauptet: "In Zeiten überfüllter Unterkünfte wird es spürbar Entlastung bringen, wenn deren Anträge deutlich schneller bearbeitet werden können." Durch die beschleunigten Verfahren könnten auch die Betroffenen "möglichst schnell Gewissheit" über ihr grundsätzlich versagtes Bleiberecht erlangen.

Bürokratieabbau: Die SZ (Constanze von Bouillon) fasst die von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vorgestellten Eckpunkte für das Bürokratieentlastungsgesetz zusammen. Geplant sind unter anderem reduzierte Informations- und Dokumentationspflichten für Unternehmen sowie die "weitmöglichste" Digitalisierung des Rechtsverkehrs, indem die digitale Textform künftig für viele Verträge ausreichen soll. Durch das Gesetz sollen 2,3 Milliarden Euro an Bürokratiekosten eingespart werden. 

Chatkontrolle: netzpolitik.org (Andre Meister) veröffentlicht ein als Verschlusssache eingestuftes Verhandlungsprotokoll des Rats der Europäischen Union zur Chatkontrolle. Aktuell sind sich die Staaten noch nicht einig; bis zum 28. September soll eine Ratsposition feststehen.

KI: beck-community (Axel Spies) stellt mögliche Definitionen von Künstlicher Intelligenz (KI) vor, die im Rahmen des aktuell verhandelten AI-Acts der Europäischen Union zur Geltung kommen könnten.

Gesundheitsdaten: Der Rechtsanwalt Philipp Roos und der Doktorand John-Markus Maddaloni stellen auf LTO den am 30. August vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (Gesundheitsdatennutzungsgesetz, GDNG) vor, der parallel zu einem bereits im Mai 2022 von der EU-Kommission präsentierten Entwurf einer EU-Verordnung zur Nutzung von Gesundheitsdaten ausgearbeitet wurde. Der derzeit geltende akteurgebundene Zugangsmechanismus zu Gesundheitsdaten, nach dem unter anderem Krankenkassen und Hochschulen anonymisierte Daten beantragen können, soll – wie auch in dem EU-Entwurf vorgesehen – in einen zweckgebundenen Zugangsmechanismus umgewandelt werden. So könnten auch kommerziell agierende Unternehmen Zugang zu Gesundheitsdaten beantragen. Das GDNG wird voraussichtlich Anfang 2024 in Kraft treten, die Trilogverhandlungen zum EU-Entwurf sind erst für Ende 2023 angesetzt.

EDV-Gerichtstag - Gerichtsöffentlichkeit: Der kommende EDV-Gerichtstag beschäftigt sich vom 13. bis 15. September in Saarbrücken u.a. mit der Digitalisierung der Gerichtsöffentlichkeit. Die Präsidentin des EDV-Gerichtstags, Anke Morsch, fordert auf beck-aktuell eine offene Diskussion, die nicht nur die Bedenken in den Blick nimmt, sondern auch die Chancen einer besseren Sichtbarkeit der Justiz berücksichtigt.

Justiz

BGH zu Rolling Stones-Tickets: Der Bundesgerichtshof hob ein Urteil des Landgerichts Hamburg auf, das den ehemaligen Hamburger Bezirksamtsleiter R. wegen Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung zu einer Geldstrafe verurteilt hatte, weil er 2017 vom Veranstalter eines Rolling Stones-Konzerts 100 Freikarten forderte und erhielt, die er dann an seine Mitarbeiter:innen weitergab. Der BGH sah im Hamburger Urteil "durchgreifende Rechtsfehler" sowohl zugunsten als auch zulasten des Angeklagten und verwies den Fall zurück an das LG Hamburg. Nach Ansicht des BGH reichen die Feststellungen des LG zur Begründung der Vorteilsannahme nicht aus, weil keine Verknüpfung zwischen Vorteil und Dienstausübung (Unrechtsvereinbarung) erkennbar sei. Die Freikarten könnten auch eine prinzipiell zulässig Gegenleistung für die Nutzung des Stadtparks gewesen sein. Auch bei der Weitergabe der Karten an die Mitarbeiter:innen sei keine Unrechtsvereinbarung ersichtlich. Allerdings könnte sich R. trotz angemessen festgesetzter Höhe des Nutzungsentgelts für die Konzertwiese der Bestechlichkeit strafbar gemacht haben, wenn die mögliche Gegenleistung für die Freikarten in einem generellen Wohlwollen bei der Vertragsabwicklung lag. Die Weitergabe der Konzertkarten an die Mitarbeiter:innen könnte zudem eine Untreue gegenüber der Stadt gewesen sein, wenn diese Eigentümerin der Konzertkarten war. Es berichten LTO (Leonie Ott), taz-nord und spiegel.de.

BGH – Cum-Ex/Hanno Berger: Hanno Berger, der im Juni 2023 vom Landgericht Wiesbaden und Ende letzten Jahres auch vom Landgericht Bonn wegen Steuerhinterziehung verurteilte Steueranwalt, legte jeweils Revision beim Bundesgerichtshof ein. Er begründet dies u.a. damit, dass die deutschen Gerichtsurteile unvereinbar mit dem Schweizer Auslieferungsbescheid seien, so SZ und FAZ.

OLG München zu tschetschenischem Auftragsmord: Das Oberlandesgericht München verurteilte Walid D. wegen Sich-Bereiterklärens zu einem Mord, wegen Vorbereitung einer schweren, staatsgefährdenden Gewalttat und wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Haftstrafe von 10 Jahren. D. hatte einen Auftragsmörder ausgewählt, der 2020 einen tschetschenischen Oppositionellen in Deutschland töten sollte. Nach Feststellung des Gerichts kam der Auftrag an D. von einem Cousin des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Als V-Mann beim mecklenburgischen Verfassungsschutz hatte D. durch einen dortigen Verfassungsschutzbeamten die Adresse des potenziellen Opfers erlangt. Es berichten SZ (Annette Ramelsberger), FAZ (Robert Putzbach), spiegel.de und bild.de.

In einem separaten Kommentar mutmaßt Annette Ramelsberger (SZ), dass das OLG München die Öffentlichkeit nicht nur wegen der "Gefährdung der Staatssicherheit und des Leibs und Lebens des Angeklagten und weiterer Personen" weitgehend vom Strafprozess ausschloss, sondern auch, weil so ein "Skandal kleingehalten werden" sollte. Die Rolle des MV-Verfassungsschützers, der D. half, müsse endlich geklärt werden. 

OVG NRW zu Waffenschrankschlüsseln: Der Schlüssel zu einem Waffenschrank muss ebenso sicher aufbewahrt werden, wie es die gesetzlichen Vorschriften zur Aufbewahrung von Waffen und Munition verlangen. Mit dieser Entscheidung legte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hierfür erstmals konkrete Maßstäbe fest. Gleichzeitig gab es einem Jäger recht, der gegen den Entzug seiner waffenrechtlichen Erlaubnis wegen fehlerhafter Aufbewahrung des Schlüssels in einem Tresor mit Zahlenschloss klagte. Der Jäger habe damit zwar die objektiven Anforderungen verletzt, dies rechtfertige aber keine Unzuverlässigkeitsprognose, da er subjektiv seine Pflichten nicht schwer verletzt hatte. Die strengen Schlüsselaufbewahrungsvorgaben hätten sich einem juristischen Laien nicht aufdrängen müssen, zumal es weder eine gesetzliche Regelung noch entsprechende Gerichtsurteile gab. LTO (Paula Binder) berichtet.

LG Köln zu Ebay-Vertipper: Das Landgericht Köln entschied, dass ein:e Verkäufer:in, die sich beim Online-Stellen eines Ebay-Angebots vertippt, unverzüglich nach Kenntnisnahme darauf aufmerksam machen muss, um die Anfechtungsfrist des § 121 BGB zu wahren. Im konkreten Fall hatte ein Ebay-Käufer ein Sofa im Wert von 7.000 Euro für 700 Euro ersteigert, doch die Verkäuferin versagte die Auslieferung des Sofas. Nach Rücktritt vom Vertrag hat der Käufer nun Anspruch auf Schadensersatz im Wert von 6.300 Euro, so das LG. LTO berichtet.

Hans-Georg Maaßen/Volksverhetzung: Der Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, Jens-Christian Wagner, hat Anzeige wegen Volksverhetzung gegen den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen erstattet. Maaßen hatte in einem Post auf X, vormals Twitter, die Kritik an einem gemeinsamen Foto von Harald Schmidt und Maaßen mit den Boykott-Aufrufen der Nazis gegen Juden gleichgesetzt. Damit relativiere Maaßen "die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus, die im Massenmord endete", so Wagner. Es berichten SZ (Harald Hordych), spiegel.de, zeit.de und focus.de.

Recht in der Welt

Kolumbien – Sondergericht/Kriegsverbrechen: Das kolumbianische Sondergericht für den Frieden, das Teil des Friedensabkommens zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung ist, hat nun den ehemaligen Militärchef Mario Montoya wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Montoya soll für 130 Fälle verantwortlich sein, in denen Zivilist:innen getötet wurden, wie die taz (Katharina Wojczenko) schreibt.

Tschechien – Verfassungsgericht: Die Doktorandin Andrea Procházková schildert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) aktuelle Diskussionen um die Auswahl tschechischer Verfassungsrichter:innen. Die Autorin kritisiert, dass keine konkreten Kriterien bestehen.

USA – Trump/Wahlbeeinflussung in Georgia: Im Strafverfahren wegen versuchten Wahlbetrugs plädierte der ehemalige US-Präsident Donald Trump vor einem Gericht in Georgia auf nicht schuldig und kündigte an, bei der Verlesung der Anklage am 6. September nicht vor Gericht zu erscheinen. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 forderte Trump unter anderem den Wahlaufseher in Georgia auf, weitere Stimmen für ihn "zu finden", um so das Wahlergebnis "nachzuberechnen". Es berichten zeit.de und focus.de.

USA – Angriff aufs Kapitol: Ein ehemaliger Anführer der Gruppe "Proud Boys" wurde wegen "aufrührerischer Verschwörung" zu einer Haftstrafe von 17 Jahren verurteilt, weil er mehrere "Proud Boys"-Anhänger beim Angriff auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 anführte. Dies ist die zweithöchste bisher verhängte Strafe im Zusammenhang mit dem Kapitolsturm, so spiegel.de und zeit.de.  

Sonstiges

Verfassungsschutz: Anlässlich von Informationen, wonach der thüringische Verfassungsschutz ab sofort Material über den ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen sammelt, erläutert Rechtsprofessor Josef Franz Lindner im FAZ-Einspruch, unter welchen Voraussetzungen Verfassungsschutzämter tätig werden können. Grundsätzlich sind Personenzusammenschlüsse mit "verfassungsfeindlichen Bestrebungen", nicht aber Einzelpersonen, Beobachtungsobjekte der Verfassungsschutzbehörden; für letztere gelten höhere Beobachtungshürden. 

Freiheit und Gesetz: Hannes Stein (Welt) widmet sich im Leitartikel dem Begriff der Freiheit. Er meint, dass sich Diktaturen von liberalen Staatsformen dadurch unterscheiden, dass erstere "meist wenige bis gar keine Alltagsgesetze aufstellen", während es in liberalen Demokratien "viele Gesetz gibt, die dafür sorgen sollen, dass einer dem anderen möglichst wenig auf die Nerven geht". Stein resümiert, dass "Freiheit in einer liberalen Demokratie nicht bedeutet, dass jeder alles darf", sondern, dass "jeder alles darf, was keinen anderen verletzt."  

Das Letzte zum Schluss

Sonderbare Rettungseinsätze: In Nordrhein-Westfalen hob die Feuerwehr mithilfe eines Krans ein Pferd aus einem Pool, das dort hineinstürzte und nicht mehr von alleine hinauskam, so bild.de. In Mecklenburg-Vorpommern verständigten Jugendliche spiegel.de zufolge mitten in der Nacht die Polizei, weil sie vor Wildschweinen auf einen Baum geflüchtet waren. Der Notruf brach  jedoch vorzeitig ab, weil den Jungs das Handy aus der Hand fiel, sodass zur Ermittlung des genauen Standorts ein großflächiger Drohneneinsatz erforderlich war.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. September 2023: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52610 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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