Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. Mai 2023: Erleich­terte Ein­bür­ge­rungen? / De Mai­zière für Aus­nah­me­zu­stand-Rege­lung / Klagen gegen TikTok-Verbot in Mon­tana

22.05.2023

Bundesinnenministerium legt Entwurf für Reform des Staatsbürgerschaftsrechts vor. Ex-Innenminister Thomas de Maiziére fordert eine Staatsreform. Nutzer:innen klagen gegen TikTok-Verbot im US-Bundesstaat Montana.

Thema des Tages

Einbürgerung: Das Bundesinnenministerium unter Nancy Faeser (SPD) hat einen Entwurf für die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts vorgelegt. Im Kern sieht er vor allem Erleichterungen vor. So solle eine Einbürgerung künftig schon nach fünf Jahren rechtmäßigem Aufenthalt und nicht erst nach acht Jahren möglich sein. Wer die deutsche Staatsbürgerschaft annimmt, soll zudem seine vorige Staatsangehörigkeit behalten können. Die FDP hatte zuletzt noch an einigen Stellen Verschärfungen durchgesetzt. So solle die Einbürgerung von Menschen erschwert werden, die nicht für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen können oder in Deutschland bereits straffällig geworden sind. Der Referentenentwurf geht nun zur Anhörung an Länder und Verbände. Sa-FAZ (Helene Bubrowksi), Mo-taz (Frederik Eikmanns/ Jasmin Kalarickal), WamS (Marcel Leubecher) und spiegel.de (Severin Weiland/Wolf Wiedmann-Schmidt) berichten.

Ronen Steinke (Sa-SZ) konstatiert, es sei nicht nur "nett oder großzügig", Einbürgerungen zu erleichtern, sondern "überfällig und geboten". Wenn eine große Zahl an Menschen kein Wahlrecht besitzt, entstehe eine Repräsentationslücke, die "für eine Demokratie auch zum wachsenden Legitimitätsproblem" werde. Reinhard Müller (Sa-FAZ) dagegen meint, die Staatsangehörigkeit dürfe nicht "verschenkt" werden. Es sollten nur diejenigen eingebürgert werden, die das Land als "das ihre ansehen". Frederik Eikmanns (Mo-taz) kritisiert den "konservativen Sound" Faesers, der zwar geeignet sei, der konservativen Kritik zuvorzukommen; dem gesellschaftlichen Klima tue Faeser damit aber keinen Gefallen.

Rechtspolitik

Staatsreform/Ausnahmezustand: Im Interview mit der Mo-FAZ (Helene Bubrowski) fordert der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine umfassende Staatsreform, die insbesondere Regeln für den Ausnahmezustand festlegen solle. Der Bundestag müsse entscheiden, wann ein solcher Ausnahmezustand vorliege und habe dann auch zu entscheiden, welche Regeln wie lange außer Kraft gesetzt werden. Bei nationalen Katastrophen solle der Bund zuständig sein. De Maizière appelliert an den Kanzler, die Ministerpräsidenten und die Parlamentspräsidentin, ein entsprechendes Verfahren anzustoßen.

Reinhard Müller (Mo-FAZ) meint, der föderale Staat habe sich als lernfähig und krisentauglich erwiesen. Es sei aber richtig, die Reaktion auf Krisen immer wieder zu überprüfen. Der Notstand dürfe nicht zum Normalfall werden. Es müsse aber "normal sein, Krisen schneller zu erkennen und zu bekämpfen".

Geschlechtliche Selbstbestimmung: Arnd Diringer bezeichnet in seiner WamS-Kolumne den Verweis auf das Hausrecht im Entwurf des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes als "Nebelkerze". Denn bei Ausübung des Hausrechts müssten die Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes beachtet werden. Diese ließen es nicht zu, bei einer abweichenden Geschlechtsidentität an äußere Merkmale anzuknüpfen. Lösen könne man das Problem laut Diringer nur, wenn der Gesetzgeber auf die Ermöglichung von Geschlechtswechsel durch bloße Eigenversicherung verzichte. Zwar sei es richtig, dass frühere Vorgaben für einen Geschlechtswechsel für Betroffene zum Teil entwürdigend waren; dies rechtfertige aber nicht, nun berechtigte Interesse von Frauen zu ignorieren – insbesondere nicht, "wenn es um ihren Schutz geht".

Medien/EMFA: Die Senior Research Fellow Judit Bayer setzt sich auf dem Verfassungsblog mit der von der EU-Kommission vorgeschlagenenen EU-Medienfreiheitsverordnung (EMFA) und ihren Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Nationalstaaten im Bereich der Medien auseinander. Sie kommt zu dem Schluss, dass vermieden werden sollte, einzelnen Einrichtungen dominierenden Einfluss auf die Medien zu gewähren, und zwar weder den Nationalstaaten noch der EU-Kommission noch der Plattformökonomie. Zu präferieren sei ein System, in dem sich die Einrichtungen gegenseitig kontrollieren und Gerichte über strittige Rechtsfragen entscheiden können.

Dokumentation der Hauptverhandlung: Die deutschen Generalstaatsanwälte haben ihre Ablehnung zum Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung bekräftigt und den in der vergangenen Woche vorgelegten Regierungsentwurf, in dem eine Videoaufzeichnung zusätzlich zur fortan verpflichtenden Tonaufzeichnung und anschließender Transkription lediglich optional sein soll, einstimmig abgelehnt. Die bereits an der ursprünglichen Fassung des Entwurf geäußerten Kritikpunkte seien noch immer nicht ausgeräumt. Insbesondere fehle es an einer Regelung, wie mit den Aufzeichnungen und Wortlautprotokollen in Revisionsverfahren umzugehen sei. Die Behauptung, dass die audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung keine Veränderung des Revisionsverfahrens mit sich bringe, treffe nicht zu. LTO berichtet. 

Asyl: Ronen Steinke (Mo-SZ) kritisiert die auf EU-Ebene diskutierten Pläne, Asylverfahren schon an den Außengrenzen im Schnelldurchlauf abzuwickeln. Steinke meint, man müsse Jens Spahn (CDU) fast dankbar dafür sein, dass er kürzlich vorgeschlagen hat, "die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention radikal zusammenzustreichen, anstatt sie nur, wie die Ampel-Regierung und die EU es beabsichtigen, durch immer neue Verfahrenshürden faktisch ins Leere laufen zu lassen". Denn dies benenne zumindest, worum es geht. Und es sei "rechtsstaatlich weniger verlogen".

Sexualstraftaten: Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) möchte sich bei der bevorstehenden Justizministerkonferenz für eine Reform des Sexualstrafrechts einsetzen. Unter anderem strebt er an, die Aufbewahrungs- und Speicherfrist bei Ermittlungsverfahren wegen Sexualstraftaten auf jeweils zehn Jahre zu verlängern. Dadurch könne man besser nachvollziehen, wenn mehrere Opfer über einen längeren Zeitraum hinweg unabhängig voneinander ähnliche Vorwürfe gegen ein und dieselbe Person erheben, was wiederum ein Indiz für die Glaubwürdigkeit sein könne. Zudem fordert Eisenreich die Einführung eines neuen Paragrafen 176 ins Strafgesetzbuch. Dieser solle bei groben Pflichtverletzungen von fürsorge- oder aufsichtspflichtigen Personen zur Anwendung kommen, durch die ein sexueller Missbrauch ermöglicht werde. Die Mo-FAZ (Daniel Deckers) berichtet. 

Hasskriminalität im Internet: Wie die Mo-FAZ (Marlene Grunert) schreibt, hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte einen Gesetzentwurf vorgelegt, durch den es leichter werden soll, auch außerhalb des Strafrechts gegen Hasskriminalität im Internet vorzugehen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Betroffene digitaler Gewalt schon bei erstmaligen Rechtsverletzungen einen Anspruch auf die "gerichtliche Anordnung" von Account-Sperren haben, sofern diese verhältnismäßig sind. Für die gerichtliche Entscheidung sollen alle Aktivitäten des Accounts entscheidend sein. Neben Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sollen Beleidigungen, Bedrohungen, Volksverhetzungen oder die Verbreitung von Kinderpornographie relevant sein. 

Anschlusstätigkeiten: Bislang müssen ehemalige Politiker oder hohe Beamte ihren Dienstherren nach dem Bundesbeamtengesetz nur maximal fünf Jahre nach ihrem Ausscheiden darüber informieren, wo sie arbeiten. Im Falle des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, der mittlerweile als Unternehmensberater tätig ist, ist diese Zeit bald abgelaufen. Geheimdienst-Kontrolleure fordern daher eine Änderung des Beamtengesetzes – etwa in der Form, dass künftig bis zum Lebensende alle Jobs an den ehemaligen Dienstherrn gemeldet werden müssen. Dieser wiederum müsse etwa die Möglichkeit haben, Tätigkeiten zu untersagen. In besonders sensiblen Fällen brauche es eine vorherige Zustimmung des Dienstherrn. Die Mo-SZ (Christoph Koopmann/Ronen Steinke) berichtet. 

Justiz

OVG Thüringen zu Haltungsbedingungen für Hunde: Das Oberverwaltungsgericht Thüringen hat entschieden, dass die Beschlagnahme von 55 Rassehunden bei einer Erfurter Züchterin durch die Stadtverwaltung Erfurt rechtmäßig war, so spiegel.de. Bei der Kontrolle seien mangelhafte Haltungsbedingungen für die Hunde festgestellt und dokumentiert worden. Die Halterin hatte sich daraufhin an das Verwaltungsgericht Weimar gewendet. Dieses gab der Klage mit der Begründung statt, es fehle ein für die Wegnahme gesetzlich vorgeschriebenes schriftliches Gutachten. Das OVG stellte nun klar, dass die dokumentierte fachliche Bewertung der bei der Kontrolle anwesenden Amtstierärztin genüge. 

OLG Frankfurt/Main zu Bedrohung per E-Mail: Ein Facharzt für forensische Psychiatrie, der einer Mitarbeiterin der Kassenärztlichen Vereinigung nach einem vorangegangenen Streit über Videosprechstunden eine Mail mit Auszügen aus dem Märchen "Die Gänsemagd" geschickt hat, in denen diese in einem mit Nägeln beschlagenen Fass zu Tode geschleift wird, machte sich wegen Bedrohung mit einem Verbrechen schuldig. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. und bestätigte damit eine Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt. spiegel.de berichtet. 

LG München II – Ex-Audi-Chef Stadler: Nachdem der frühere Audi-Chef Rupert Stadler und zwei Mitangeklagte im Prozess um die Manipulation von Abgaswerten bei Dieselfahrzeugen die Betrugsvorwürfe gestanden haben, soll nun am 27. Juni das Urteil verkündet werden.  Das Gericht hatte Stadler bei einem umfassenden Geständnis und einer Zahlung von 1,1 Millionen Euro eine Bewährungsstrafe von eineinhalb bis zwei Jahre in Aussicht gestellt. Auch die beiden Mitangeklagten können nach Zusagen des Gerichts mit Bewährungsstrafen rechnen. Das Verfahren gegen einen vierten Anklagten, einen Ingenieur, wurde bereits gegen eine Geldauflage eingestellt. LTO berichtet. 

Klaus Ott (Sa-SZ) konstatiert, dass das späte Geständnis Stadlers zur Linie des Autokonzerns passe. Dieser gebe immer nur das zu, was sich aufgrund erdrückender Beweise nicht mehr leugnen lasse. Die betrogene Kundschaft werde so "für dumm verkauft". 

LG Berlin – Suizidhilfe: Ein Berliner Hausarzt, der einer schwer depressiven Studentin Medikamente zur Selbsttötung überließ, die schließlich zu deren Tod führten, ist unter anderem wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft angeklagt. Diese Anklage nimmt die Sa-taz (Barbara Dribbusch) zum Anlass, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine psychische Erkrankung die Freiverantwortlichkeit ausschließt. Dies dürfte auch die entscheidende Frage im Prozess gegen den angeklagten Hausarzt sein. Insofern könnte die Anklage auch die parlamentarische Diskussion um die Gesetzentwürfe zur Suizidbeihilfe beeinflussen. 

LG München I – Herkunft von Bier: Wie die Sa-SZ (Benjamin Emonts) schreibt, hat das Landgericht München I aktuell über eine Unterlassungsklage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs zu entscheiden. Diese wirft der Benediktiner Weissbräu GmBH eine "irreführend gestaltete Produktausstattung" vor, durch die der Verbraucher getäuscht werde. Konkret geht es um das Bier "Benediktiner Hell", das mit den Alpen und einer Silhouette des Benediktinerklosters im bayrischen Ettal beworben wird, obwohl es in Hessen gebraut wird. Die beklagte Brauerei meint, der Hinweis auf Ettal erfolge "in zulässiger Weise", weil sich dort der Geschäftssitz des Unternehmens befinde und das Bier aufgrund eines Vertrags mit dem Benediktiner-Kloster "nach dessen Rezept und unter dessen Kontrolle" gebraut werde. Eine Entscheidung soll am 14. Juli verkündet werden. 

LG Stuttgart – Polizeiinspekteur Renner: spiegel.de (Christine Keck) berichtet ausführlich über den Strafprozess gegen den baden-württembergischen Polizeiinspekteur Andreas Renner, dem die Staatsanwaltschaft die sexuelle Nötigung einer Kriminalhauptkommissarin vorwirft. Er habe von ihr unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses sexuelle Handlungen verlangt. Die Kriminalhauptkommissarin, zugleich Nebenklägerin im Verfahren, hat mittlerweile unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt. 

LG Berlin zur Berichterstattung über Rapper Marteria: Das Landgericht Berlin hat der Bild-Zeitung verboten, über angebliche Gewalttaten des Rappers Marteria gegenüber seiner Freundin zu berichten, weil sich der anfängliche Verdacht als nicht haltbar erwiesen hatte. Die Zeitung könne sich nicht auf die in den USA veröffentlichten Polizeiakten berufen, sondern müsse sich an die in Deutschland geltenden Gesetze für die Berichterstattung halten. In einem Artikel sollen sogar Fotos der Akten samt Wohnanschrift und Handynummer des Rappers veröffentlicht worden sein. Die Mo-SZ (Anna Ernst) berichtet.

Verständigung im Strafprozess: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer setzt sich auf spiegel.de in seiner Kolumne mit Verständigungen in Strafprozessen auseinander. Ein Gutachten zur praktischen Anwendung aus dem Jahr 2021 habe etwa ergeben, dass die gesetzlichen Regelungen von Gerichten und anderen Beteiligten in erheblichem Umfang missachtet werden. Laut Fischer liege dies daran, dass ein Prozess mit Absprachen deutlich schneller durchzuführen sei und zudem keine Beweisanträge gestellt würden. Darüber hinaus entfalle dadurch die Begründungspflicht des Gerichts. Fischer regt eine Debatte über Absprachen im Strafprozess, ihre Grundlage und ihre bewiesenermaßen verfassungswidrige Praxis an.

"Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung: Die neue Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) hat ihre Verwaltung mit der Prüfung beauftragt, ob die "Letzte Generation" als "kriminelle Vereinigung" einzustufen ist; die Berliner Staatsanwaltschaft lehnt dies noch ab. Bisher stuft nur die Staatsanwaltschaft Neuruppin die "Letzte Generation" mit Blick auf Aktionen gegen Raffinerien entsprechend ein. Sollte die Gruppe generell als "kriminelle Vereinigung" eingestuft werden, könnte gegen alle Mitglieder der Gruppe – und deren Unterstützer – vorgegangen werden, auch bevor es überhaupt zur Begehung von konkreten Straftaten kommt. Für eine Einstufung als "kriminelle Vereinigung" müsse es sich laut BGH allerdings um eine Gruppierung handeln, deren Zweck oder Tätigkeit nicht nur "auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist", sondern auch eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit verursacht. Es analysieren Sa-SZ (Wolfgang Janisch) und Mo-taz-berlin (Erik Peter).

Politisch motivierte Straftaten: Die WamS (Ibrahim Naber/Lennart Pfahler) berichtet ausführlich über die Zunahme politisch motivierter Straftaten und über Revierkämpfe zwischen rechts- und linksextremer Szene etwa in Eisenach. Dabei wird auch Bezug genommen auf den Prozess gegen die militante Antifaschistin Lina E. und den rechtsterroristischen NSU. 

Ermittlungen gegen Clankriminalität: Reiner Burger (FAS) fordert ein zielgerichteteres Vorgehen gegen die sogenannte Clankriminalität. Ermittler müssten etwa Straftaten systematisch bestimmten Namen weit verzweigter Clans zuordnen. Schließlich sei die Familie bei Clans das zentrale Identitätskriterium. Nur wer diese familiären Bande aufbreche, könne Integrations- und Aussteigerangebote machen. Die unfreie Frau zähle zu den konstituierenden Elementen der Clanstrukturen. Das Vorgehen gegen kriminelle Clans sei daher auch eine "emanzipationspolitische Pflicht".

OLG Frankfurt und Informationsanspruch: Jochen Zenthöfer (Sa-FAZ) schreibt über die Praxis des Oberlandesgericht Frankfurt, Journalisten die Herausgabe von Aktenzeichen zu verweigern. So habe das Gericht bei mindestens 147 Entscheidungen der letzten Jahre zwar das eigene Aktenzeichen mitgeteilt, nicht aber das der Vorinstanz. Bei mindestens 60 Entscheidungen wurde sogar der Ort des erst¬instanzlichen Gerichts verschwiegen. Begründet werde dies damit, die gebotene Anonymität der Beteiligten wahren zu wollen. Zenthöfer konstatiert, dass die Frankfurter Praxis mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Publikationsgebot nicht vereinbar sei. 

Recht in der Welt

USA – TikTok-Verbot in Montana: Fünf TikTok-Nutzer:innen haben nur wenige Stunden, nachdem der Gouverneur des Bundesstaats Montana das Gesetz zum Verbot der Kurzvideo-App unterzeichnet hat, Klagen gegen die Entscheidung eingereicht. Das geplante Gesetz soll am 1. Januar in Kraft treten. Die App darf dann weder heruntergeladen noch angeboten werden. Nutzer:innen der App sehen dadurch ihr Recht auf Meinungsfreiheit gefährdet. Die chinesische App steht im Verdacht, der Kommunistischen Partei Chinas den Zugriff auf Nutzerdaten zu ermöglichen. Zuletzt hatten mehrere westliche Staaten Angestellten im öffentlichen Dienst die Nutzung von TikTok auf Diensthandys untersagt. Die Sa-FAZ (Gregor Brunner) und LTO berichten.

Gregor Brunner (Sa-FAZ) findet es verständlich, dass sich Unternehmen, die die App zunehmend für ihre Werbung nutzen, durch ein Verbot in ihrer unternehmerischen Tätigkeit bedroht fühlen. Die Abwägung sei schwierig. Womöglich sei es besser, "ein Skalpell anzusetzen als den Vorschlaghammer". Svenja Bergt (Mo-taz) konstatiert, dass zwar nicht klar sei, wie genau der chinesische Staat TikTok für seine Zwecke nutze; das Interesse, die öffentliche Meinung auch außerhalb Chinas zu beeinflussen, sei aber offenkundig. Nötig seien daher in erster Linie umfassende Vorgaben für Transparenz. 

USA – Urheberrecht/Andy Warhol: Der Supreme Court hat entschieden, dass der 1987 verstorbene Künstler Andy Warhol mit einem seiner Bilder, das auf einer Fotografie des Sängers Prince basiert, das Urheberrecht der Fotografin Lynn Goldsmith verletzt hat. Zwar besage die "Fair-Use"-Doktrin, dass ein urheberrechtlich geschütztes Werk auch ohne Zustimmung des Urhebers verwendet werden darf, solange infolge der Verwendung ein eigenständiges neues Kunstwerk entsteht. Dies sie bei dem Bild von Andy Warhol aber gerade nicht der Fall. Kritische Stimmen befürchten, das Urteil könne negative Folgen für Kunst und Kreativität haben. Die Sa-FAZ (Ursula Scheer) und LTO berichten. 

Dubai/Dänemark – Cum-Ex-Manager Sanjay Shah: Nachdem er vor dem Obersten Gerichtshof in Dubai mit seiner Berufung gescheitert ist, muss der britische Hedgefonds-Manager Sanjay Shah umgerechnet 1,2 Milliarden Dollar an unrechtmäßigen Steuererstattungen aus Cum-Ex-Geschäften an Dänemark zurückzahlen. Auch das Landgericht Hamburg hat eine Anklage gegen Shah und sechs weitere Angeklagte wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche zugelassen. Ob und wann es zum Prozess kommen wird, steht noch nicht fest. Die Sa-FAZ (Marcus Jung) berichtet. 

Ukraine – Korruption in der Justiz: Nun berichtet auch die Sa-SZ (Florian Hassel) über den Korruptionsskandal am Obersten Gericht der Ukraine, der zur Festnahme des Chefrichters führte und zur Festnahme weiterer involvierter Richter führen könnte. Anlass der Ermittlungen war ein Berufungsverfahren gegen ein Urteil eines untergeordneten Gerichts, mit welchem der Verkauf von 40 Prozent des Unternehmens Ferrexpo für illegal erklärt wurden. Dadurch wurden die Interessen eines ukrainischen Oligarchen berührt. Dieser soll sich daraufhin an den Chefrichter gewandt und gefragt haben, was es koste, das zu seinen Ungunsten ausgefallene Urteil aufzuheben. Die Antworte des Chefrichters lautete: 1,8 Millionen Dollar - für ihn und andere Richter am Obersten Gericht. Dieser Korruptionsskandal zeige, dass die Korruption in der Ukraine trotz des Krieges fortbestehe. 

Juristische Ausbildung

Jurastudium: Laut LTO haben Studierendenverbände anlässlich der bevorstehenden Justizministerkonferenz zu Protesten aufgerufen. Sie fordern eine Reform des Jurastudiums und kritisieren die jüngsten Entscheidungen der Landesjustizprüfungsämter in Bezug auf den Ablauf des juristischen Staatsexamens. Dazu zählen etwa die Streichung von Ruhetagen während der schriftlichen Examensklausuren, ein Markierungsverbot der Gesetzesmaterialien sowie die Verlegung von Prüfungen an Orte abseits der Universitätsstädte.

Sonstiges

Plagiate in Fachzeitschriften: Der Jurist und Journalist Jochen Zenthöfer befasst sich auf LTO mit der Frage, wie in Fachzeitschriften mit Plagiaten umgegangen werden sollte. Dabei hält er – wie auch Plagiatsexperten – eine sogenannte "Retraction Notice", wie sie etwa auf einem zunächst zurückgezogenen Artikel der Professorin Ulrike Müßig in der JuristenZeitung, zu lesen war ("This article has been retracted because of plagiarism") für sinnvoll. Diese Notiz habe eine abschreckende Wirkung und sei außerdem transparenter als die bislang übliche vertrauliche Behandlung zwischen Verlagen und betroffenen Autor:innen. 

Rechtsanwalt im Datenschutzrecht: zeit.de (Vincent Suppé) stellt in der Reihe "Kontoauszug" einen 40-jährigen Rechtsanwalt vor, der Unternehmen im Datenschutzrecht berät und dabei 11.000 Euro brutto im Monat verdient. Er habe nie jemanden vertreten wollen, "der ins Gefängnis gehört". 

Multitalent: Im Rahmen der "Small Talk"-Reihe spricht LTO-Karriere (Franziska Kring) mit dem Datenschutzrechtler, Nachhilfelehrer und Gründer der Wahlumfrage-Plattform DAWUM, Philipp Guttmann, über seine Arbeit, an der er vor allem die Abwechslung schätzt. Sich voll und ganz auf einen Job zu konzentrieren, komme für ihn nicht infrage. 

Rechtsgeschichte – Wehrpflicht: LTO (Martin Rath) schreibt über die Geschichte der Wehrpflicht in Deutschland, insbesondere über die Ungleichbehandlung unehelicher Söhne, die im 2. Weltkrieg ihren Vater verloren hatten. Für diese war – im Gegensatz zu ehelichen Söhne, die mindestens ein Elternteil im Krieg verloren hatten – keine Ausnahme von der Wehrpflicht vorgesehen. 
 

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LTO/bo/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. Mai 2023: . In: Legal Tribune Online, 22.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51819 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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