Die juristische Presseschau vom 17. März 2023: Vor­läu­figes Aus für Mal­sack-Win­ke­mann / BGH zu Hal­ter­haf­tung / Macron erzwingt Ren­ten­re­form

17.03.2023

AfD-Richterin wurde vorläufig ihres Richteramtes enthoben. Halterhaftung greift auch, wenn ein Kfz-Anhänger von Dritten in Bewegung gesetzt wird. Macron umgeht Parlament bei Abstimmung zur Rentenreform und riskiert so Misstrauensvotum.

Thema des Tages

RDG Berlin zu AfD-Richterin Malsack-Winkemann: In einem Eilverfahren hat das Richterdienstgericht am Verwaltungsgericht Berlin die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann vorläufig des Richterdienstes enthoben und die Einbehaltung der Hälfte ihrer monatlichen Bezüge angeordnet. Sie war im Zuge der bundesweiten Razzia gegen die Patriotische Union im Dezember vergangenen Jahres verhaftet worden. Der Generalbundesanwalt wirft ihr in dem Zusammenhang vor, einer terroristischen Gruppe angehört zu haben, die die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen wolle. Nach dem Umsturz hätte Malsack-Winkemann Justizministerin werden sollen. Es sei nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand überwiegend wahrscheinlich, dass das gegen die Richterin eingeleitete Disziplinarverfahren zur disziplinarischen Höchstmaßnahme einer Entfernung aus dem Richterverhältnis führen werde. Es berichten FAZ (Friederike Haupt) und LTO.

Rechtspolitik

Bundestags-Wahlrecht: Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) spricht sich im Interview mit spiegel.de (Melanie Amann) erstmals für eine Verfassungsklage der CDU/CSU-Fraktion gegen das neue Wahlrecht aus. Er schlägt vor, dass es in den Wahlkreisen eine Stichwahl der bestplatzierten Kandidat:innen geben soll, damit alle Wahlkreis-Abgeordneten mindestens 50 Prozent Wähler-Legitimation haben. Am heutigen Freitag soll über den Gesetzentwurf der Ampel-Fraktionen im Bundestag abgestimmt werden. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat laut faz.net (Eckart Lohse) angekündigt, dass Bayern "auf jeden Fall" gegen die Pläne der Ampel, insbesondere die geplante Abschaffung der Grundmandatsklausel, vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werde. Ein entsprechendes Gesetz sei "natürlich" verfassungswidrig.

Die FAZ (Helene Bubrowski/Eckart Lohse) stellt fest, dass eine Listenverbindung von CDU und CSU nach einer BVerfG-Entscheidung von 1990 nicht möglich wäre, wenn sie nur der CSU das Überspringen der 5-Prozent-Hürde garantieren soll. Die Parteien müssten also fusionieren, was für die CSU allerdings ausgeschlossen ist. Die taz (Tobias Schulze/Anna Lehmann) analysiert die Sachverständigen-Anhörung zum Wahlrecht aus dem Februar und hat auch die Sachverständigen zum aktuellen Gesetzentwurf befragt. Ergebnis: Neun von zehn Expert:innen sind gegen den Entwurf der Ampel-Koalition. 

Strafmündigkeit: Nach der AfD fordert laut zeit.de nun auch die CDU/CSU eine Debatte über eine mögliche Senkung des Strafmündigkeitsalters, das derzeit bei 14 Jahren liegt. Dazu erklärte der rechtspolitische Sprecher der Union, Günter Krings, dass es sich bei "schwersten Straftaten" wie Tötungsdelikten um keine "jugendlichen Verfehlungen" handele und auch Kinder wüssten, dass sie nicht töten dürfen. zdf.de (Christoph Schneider) bringt nun auch einen Überblick über die rechtliche Handhabe im Fall der vermutlich von einer 12- und einer 13-Jährigen getöteten Luise aus Freudenberg und vergleicht das Strafmündigkeitsalter verschiedener Staaten. Die FAZ (Reiner Burger) diskutiert das Für und Wider einer Absenkung des Strafmündigkeitsalters und weist darauf hin, dass selbst nach aktueller Rechtslage schwerwiegende Konsequenzen wie die Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung auf Anordnung des Familiengerichts möglich sind.

Gesetzgebung/Bundesrat: Im FAZ-Einspruch wirft Lucia Puttrich (CDU), hessische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, der Ampelkoalition vor, die Rechte des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren nicht ausreichend zu beachten und etwa im laufenden Jahr bei 76 Prozent der Gesetzesvorlagen den Bundesrat gebeten zu haben, die im Grundgesetz vorgesehene sechswöchige Stellungnahmefrist zu verringern und den Bundesrat somit in einen dauerhaften "Notfallmodus" versetzt zu haben.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben sich auf einen Entwurf für einen Vierten Medienstaatsvertrag geeinigt, der für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland künftig strengere und einheitliche Regeln in Sachen Transparenz, Gremienkontrolle und regelgerechtem Verhalten bringen soll. Eine Begrenzung von Gehältern habe keinen Konsens gefunden. Es berichten FAZ und zeit.de.

Cannabis: Nachdem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Dienstag angekündigt hat, bald einen Gesetzesvorschlag zur Cannabis-Legalisierung vorzulegen und das ursprüngliche Eckpunktepapier "etwas verändert" zu haben, hat LTO (Hasso Suliak) Reaktionen hierzu eingeholt und Überlegungen angestellt, ob es möglicherweise zunächst nur zu sogenannten "Modelprojekten" in ausgewählten Städten und Regionen kommen könnte.

Blutspende: Der Bundestag hat eine Änderung des Transfusionsgesetzes beschlossen, wonach fortan die sexuelle Orientierung bei der Entscheidung über einen möglichen Ausschluss von der Blutspende nicht berücksichtigt werden darf. Homosexuellen Männern war eine Blutspende laut spiegel.de zuvor nur erlaubt, wenn sie vier Monate keinen Sex hatten.

Justiz

BGH zu Halterhaftung bei Kfz-Anhänger: Die verschuldensunabhängige Halterhaftung aus § 19 Straßenverkehrsgesetz (StVG) greift auch dann, wenn der Kfz-Anhänger von einem Dritten in Bewegung gesetzt wurde. Dies entschied der Bundesgerichtshof und bejahte den Anspruch gegenüber der Haftpflichtversicherung des Halters eines Kfz-Anhängers in einem Fall, in dem laut LTO ein Autofahrer in einer Linkskurze von der Straße abgekommen und in den geparkten Anhänger gefahren war, der daraufhin losrollte und ein Gebäude beschädigte.

EuGH – Schufa: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Priit Pikamäe hat in zwei Vorlageverfahren das Vorgehen der Auskunftei Schufa in seinen Schlussanträgen für rechtswidrig befunden. Zum einen sei die Erstellung sogenannter Score-Werte für die Kreditwürdigkeit ein nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) rechtswidriges Scoring, unabhängig davon, ob die endgültige Entscheidung etwa bei einer Bank liege. Im zweiten Fall ging es um die Praxis der Schufa, Einträge über Restschuldbefreiungen bei einer Privatinsolvenz deutlich länger als die Insolvenzgerichte zu speichern, was der Generalanwalt laut FAZ und LTO ebenfalls für rechtswidrig hält.

BVerwG zu Treuhandverwaltung Rosneft: Auf dem Verfassungsblog analysieren Till Patrik Holterhus und Sven Siebrecht, Rechtsprofessor und wissenschaftlicher Mitarbeiter, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das die Anordnung einer Treuhandverwaltung zweier deutscher Tochterfirmen des russischen Ölkonzerns Rosneft für rechtmäßig erklärte. Auch wenn durch das Urteil aus verwaltungsgerichtlicher Perspektive "alles gesagt" sei, blieben im Bereich des Verfassungs-, Unions- und Völkerrechts "viele Fragen offen".

OVG NRW – Corona-Soforthilfen: Am heutigen Freitag verhandelt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen über drei Musterverfahren im Zusammenhang mit den Corona-Soforthilfen aus dem Frühjahr 2020. Diese wurden in Nordrhein-Westfalen zunächst pauschal ausgezahlt; eine finale Abrechnung mit etwaigen Rückforderungen wurden erst im Anschluss an die Mitteilung des tatsächlichen Bedarfs durch die Betroffenen als Schlussbescheide erstellt. In diesen Bescheiden wurde dann jedoch neben den Umsatzeinbußen wegen der Kontaktbeschränkungen auch die gesparten Ausgaben einbezogen. Weil die Förderung ursprünglich jedoch nur von den Umsatzeinbußen abhängig gemacht wurde, klagten Tausende gegen die Bescheide und bekamen vom Verwaltungsgericht Köln auch Recht. Nachträglich könnten die Förderbedingungen nicht einfach geändert werden. wdr.de (Philip Raillon) berichtet.

OLG Jena zu rechtsextremer Schöffin: Eine Schöffin des Landgericht Erfurts ist laut LTO vom Thüringer Oberlandesgericht ihres Schöffenamtes enthoben worden, weil sie sich in rechtsextremen Kreisen und gegen die Corona-Politik öffentlich engagierte. Dadurch habe sie gegen das beamtenrechtliche Mäßigungsgebot aus § 39 Deutsches Richtergesetz (DRiG) verstoßen, das auch für ehrenamtliche Richter:innen gilt.

OLG Köln zu Woelki-Berichterstattung: Das Oberlandesgericht Köln hat der Bild-Zeitung mehrere Äußerungen im Zusammenhang mit dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki untersagt und dabei Entscheidungen des Landgerichts Köln bestätigt. LTO berichtet über die Einzelheiten des Berufungsverfahrens, dessen Ergebnis beide Seiten begrüßten.   

AG Starnberg – sexueller Missbrauch in Segelclub: Auf ihrer Seite Drei berichtet die SZ (Nina Bovensiepen/Lea Weinmann) über ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs am Amtsgericht Starnberg, bei dem ein volljähriger Segler wegen mehrerer sexueller Übergriffe auf 14- und 15-jährige Seglerinnen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Im Fokus des Artikels steht der Umgang des Segelvereins, in dem Täter und Opfer Mitglied waren, mit den Vorwürfen. Der Club erließ nur ein Hausverbot gegenüber dem Angeklagten und ergriff sonst keine Maßnahmen zum Schutz oder zur Unterstützung seiner Mitglieder.

DFB-Sportgericht – Doping/Vušković: Am heutigen Freitag ist am DFB-Sportgericht im Fall des Profi-Fußballers Mario Vušković (HSV) der (verschobene) dritte Verhandlungstag angesetzt, möglicherweise fällt bereits ein Urteil. Vušković, der vergangenen Herbst positiv auf das Blutdopingmittel Erythropoetin (Epo) getestet wurde, droht bei einer Verurteilung eine Sperre bis zu vier Jahren. Die SZ (Thomas Kistner) teil die Kritik der HSV-Gutachter am Wada-Dopingkontrollsystem, während zeit.de (Nico Horn) feststellt, dass von den Argumenten der HSV-Gutachter nicht viel übrig geblieben sei.

Wirecard-Schadensersatzklagen: Noch bis zum Jahresende 2023 haben geschädigte Wirecard-Anleger:innen Zeit für eine Klage gegen den insolventen Wirecard-Konzern, dessen ehemaliges Spitzenmanagement, Aufsichtsräte oder die Abschlussprüfer von EY. Die FAZ (Marcus Jung) erläutert die Klagemöglichkeiten: Das sogenannte Kapitalanleger-Musterverfahren am Bayerischen Obersten Landesgericht, das Klagevehikel einer gemeinnützigen niederländischen Stiftung, die Teilnahme an einer Massenklage der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger in Deutschland sowie die Möglichkeit, allein zu klagen.

Recht in der Welt

Frankreich – Rentenreform: Weil die Zustimmung in der französischen Nationalversammlung zu der stark umstrittenen Heraufsetzung des Rentenalters unsicher war, entschied sich die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron dazu, die Reform unter Berufung auf Artikel 49.3 der Verfassung ohne eine Abstimmung durchzubringen. Im Gegenzug hat die Opposition die Möglichkeit, die Regierung mit einer absoluten Mehrheit in einem Misstrauensvotum zu stürzen. Trotz Ankündigung verschiedener Parteien gilt dies laut SZ (Kathrin Müller-Lancé) jedoch als unwahrscheinlich. FAZ (Michaela Wiegel), Hbl (Gregor Waschinski) und spiegel.de (Britta Sandberg) berichten ebenfalls.

Israel – Justizreform: Laut SZ (Daniel Brössler) hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hinter die Änderungsvorschläge des israelischen Staatspräsidenten Izchak Herzog für die umstrittene Justizreform in Israel gestellt und den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu bei dessen Besuch in Deutschland vor einem Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewarnt. U.a. FAZ (Othmara Glas/Alexander Haneke) und zeit.de berichten.

Sonstiges

Waffenrecht/Mord an Ehefrau: Die SZ (Iris Mayer/Ronen Steinke) berichtet über einen Femizid, bei dem der 61-jährige Falk S. zunächst seine 59-jährige Ehefrau Kerstin S. und dann sich selbst erschoss. S. stellte der Frau, die sich von ihm getrennt hatte, in der Vergangenheit wiederholt nach, worauf sie sich auch kurz vor der Tat mit einer Anzeige an die Polizei wandte und dabei auf den legalen Waffenbesitz ihres Mannes hinwies. Doch es kam weder zu einer Rücknahme seiner Waffenbesitzkarte noch blieb die Polizei hartnäckig, als eine Gefährderansprache bei S. wegen dessen Abwesenheit scheiterte.

RA Lukas Theune: LTO-Karriere (Franziska Kling) hat mit dem Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune über dessen Arbeit als Strafverteidiger im Bereich politischer Strafverfahren, insbesondere über dessen Mandate im Bereich Klimaproteste gesprochen. Daneben vertritt er u.a. auch die Nebenklage in Fällen, in denen Rechtsextremist:innen angeklagt sind und geht gegen das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK vor.

Haftung bei Greenwashing: Für LTO haben Theresa Hößl und Marc-Philippe Weller, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Rechtsprofessor, haftungsrechtliche Anknüpfungspunkte für Fälle herausgearbeitet, in denen Unternehmen mit geschönten oder praktisch wertlosen CO2-Zertifikaten die Klimaneutralität ihrer Produkte bewerben. Wird etwa vorenthalten, dass die Klimaneutralität eines Produkts ganz oder überwiegend durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird, können Ansprüche von Mitbewerber:innen und Verbraucher:innen nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ausgelöst werden.

Faesers Twitter-Account: Die Bundestagsverwaltung wird laut Tsp (Jost Müller-Neuhof) kein Verfahren gegen die SPD wegen einer unzulässigen staatlichen Parteispende im Zusammenhang mit dem privaten Twitter-Account von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) einleiten. Sie hatte den Account zeitweise zur amtlichen Kommunikation genutzt und vom Bundesinnenministerium betreuen lassen, worauf dessen Followerschaft stark gewachsen war. 

Das Letzte zum Schluss

Achtsam an der Tankstelle: Über Risiken und Nebenwirkungen von Achtsamkeitsübungen spricht Hartmut Engler, Frontmann von Pur, mit der Apotheken-Umschau (Nadja Katzenberger). Die Übungen würden ihm zwar helfen, hin und wieder einfach nur im "Hier und Jetzt" zu leben. Aus lauter Achtsamkeit habe er jedoch einmal die Tankstelle verlassen, ohne zu bezahlen: "Ganz achtsam habe ich den Stutzen wieder an die Tanksäule gehängt, mich ins Auto gesetzt und bin losgefahren. Und habe vor lauter Achtsamkeit vergessen zu bezahlen. Zum Glück kennt man mich an der Tankstelle gut und ich habe die Rechnung kurz darauf beglichen."


Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/jpw/chr

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. März 2023: . In: Legal Tribune Online, 17.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51336 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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