Bundesverfassungsgericht stellt klar, wann abgeordnete Richter:innen das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzen. Justizrat in Spanien einigt sich auf neue Verfassungsrichter. Ex-KZ-Sekretärin legt Rechtsmittel gegen Verurteilung ein.
Thema des Tages
BVerfG zu abgeordneten Richter:innen: Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, wann die Tätigkeit von abgeordneten Richter:innen zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führt. Zulässig ist es, wenn Richter:innen zur Eignungserprobung abgeordnet werden oder wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter:innen durch die im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertreter:innen nicht hinreichend ersetzt werden könnten. Auch ein "zeitweilig außergewöhnlicher Arbeitsanfall" sei als zwingender Grund anzuerkennen. Dagegen sei der Einsatz abgeordneter Richter:innen nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast eines Gerichts nicht bewältigt werden könne, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet sei. Letzteres nahm das BVerfG im zu entscheidenden Fall an. Dort war eine Frau gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein sozialgerichtliches Berufungsverfahren vorgegangen, an der ein mehrjährig an das Landessozialgericht abgeordneter Richter am Sozialgericht, also ein Richter der ersten Instanz, mitgewirkt hatte. Die Verfassungsbeschwerde der Frau wurde zwar mangels (zwischenzeitlich entfallenem) Rechtsschutzbedürfnis nicht zur Entscheidung angenommen, das Bundesverfassungsgericht billigte der Beschwerdeführerin dennoch die Erstattung ihrer notwendigen Auslagen zu. LTO (Hasso Suliak) berichtet.
Rechtspolitik
Erbschaftssteuer: Wie spiegel.de schreibt, fordert die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer eine grundlegende Reform der Erbschaftssteuer. So müsse unter anderem die Steuer für Firmenerben erhöht werden. Der häufig vorgebrachte Einwand, ein Großteil des Vermögens sei in den Betrieben gebunden und könne daher nicht entnommen werden, ohne die Existenz der Unternehmen zu gefährden, sei nicht überzeugend; schließlich seien Stundungen möglich, bei denen die anfallende Erbschaftsteuer über mehrere Jahre aufgeteilt und abgezahlt werden könne.
Corona-Maßnahmen: Wie taz und LTO berichten, hat sich nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dafür ausgesprochen, die Corona-Beschränkungen, etwa die Maskenpflicht im öffentlichen Nah- und Fernverkehr, weiterhin aufrechtzuerhalten. Damit stellt er sich an die Seite von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) fordert dagegen weiterhin, die noch geltenden Corona-Beschränkungen sofort – und nicht erst ab April kommenden Jahres, wie es das Infektionsschutzgesetz derzeit vorsieht – ersatzlos zu streichen.
Justiz
LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Die Verteidiger der 97-Jährigen Irmgard Furchner haben Revision gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 20. Dezember eingelegt, in dem die ehemalige KZ-Sekretärin wegen Beihilfe zum tausendfachen Mord im KZ Stutthof zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Furchner sei als Schreibkraft nicht in eine "Befehlskette" eingebunden gewesen. Auch ein Nebenklagevertreter legte Revision ein. Das Urteil wird nun vom Bundesgerichtshof überprüft. LTO und spiegel.de berichten.
BGH in 2022: LTO (Katharina Uharek) erinnert an sechs wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus den vergangenen zwölf Monaten. So habe der BGH beispielsweise eine neue Abgrenzung zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und strafloser Beihilfe zum Suizid vorgenommen und eine Frau freigesprochen, die ihrem Ehemann auf seinen Wunsch eine tödliche Überdosis Insulin gespritzt hatte. Zentrales Thema waren auch die Auswirkungen der pandemiebedingten Einschränkungen auf das Vertragsrecht.
OVG Bremen zu Hells Angels: Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat eine erneute Klage gegen das bereits im April 2013 verfügte Verbot des nicht eingetragenen Vereins "Hells Angels MC Charter Bremen" abgelehnt. Die Klage sei bereits unzulässig, weil sie zu spät eingereicht worden sei. Darüber hinaus fehle es an der Klagebefugnis. Denn der Kläger, ein ehemaliges Mitglied der Rockergruppierung, berief sich darauf, der Verein habe sich bereits vor Erlass der Verbotsverfügung aufgelöst, ohne dass eine weitere Betätigung geplant gewesen sei. Eine von dem früheren Verein erhobene Anfechtungsklage hatte das Gericht bereits im Jahr 2020 abgewiesen. LTO berichtet.
LG Verden zu Doppelmord in Künstlerdorf: Nach dem Doppelmord im niedersächsischen Künstlerdorf Fischerhude vor einem Jahr hat das Landgericht Verden einen 65-Jährigen zu lebenslanger Haft verurteilt, so spiegel.de. Das Gericht stellte darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld fest. Der Verurteilte hatte die Mutter und den Sohn eines früheren Geschäftspartners und Freundes getötet. Bei der Tat hatte er zudem eine zufällig am Tatort anwesende Frau durch einen Kopfdurchschuss schwer verletzt.
VG Mainz zu Ausschluss von Professor: Das Verwaltungsgericht Mainz hat den Eilantrag eines Professors, der wegen herablassender und respektloser Äußerungen gegenüber Vorgesetzten und Kollegen vom Hochschulbetrieb ausgeschlossen worden war, abgelehnt. Das Verbot sei durch zwingende dienstliche Gründe zur dienstrechtlichen Gefahrenabwehr gerechtfertigt. Zwar bestehe die Möglichkeit, dass das Verhalten des Professors auf einer Erkrankung beruhe. Bis diese Frage geklärt sei, müssten die Betroffenen jedoch vor weiteren Angriffen geschützt werden. Ein milderes, aber ebenso wirksames Mittel sei nicht ersichtlich. LTO berichtet.
VG Ansbach zu Wahlvorschlag "simply the Best": Rechtsprofessor Arnd Diringer erinnert im Expertenforum Arbeitsrecht an einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach aus dem Jahr 2016. Das Gericht entschied, dass ein Wahlvorschlag zur Personalratswahl unter dem Kennwort "simply the best" eingereicht werden darf. Dies sei keine Herabwürdigung der konkurrierenden Listen. Zulässig sei auch die englische Formulierung, da sich die Worte "simply the best" als Titel des gleichnamigen Songs von Tina Turner als eigenständiger Begriff etabliert hatten.
StA Mannheim – Abstellen von Sauerstoffgerät: Die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelt gegen eine 72-Jährige, die als Patientin eines Mannheimer Krankenhauses zweimal das Sauerstoffgerät ihrer 79-jährigen Zimmernachbarin abgestellt hatte, weil sie sich von den Geräuschen gestört gefühlt habe. Wochen später ist die betroffene Mitpatientin nun verstorben. Wenn ihr Tod eine Folge der Vorfälle ist, was noch ermittelt wird, würde sich der Tatvorwurf von versuchtem Totschlag auf Totschlag ändern. Die Verdächtige befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. spiegel.de berichtet.
StA Neuruppin – Letzte Generation: Nun berichtet auch LTO über die bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin eingegangen Selbstanzeigen von Unterstützer:innen der Letzten Generation. Aktuell liegen laut des Sprechers der Ermittlungsbehörde 426 Selbstbezichtigungen vor. Über Twitter hatte die Letzte Generation mitgeteilt, über die Feiertage hätten rund 1.330 Menschen die Staatsanwaltschaft Neuruppin darüber informiert, sich als Teil der Letzten Generation zu betrachteten. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt gegen Mitglieder der Gruppe wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Ex-Strafrichter Klaus Przybilla: zeit.de (Thomas Melzer) schreibt über den heutigen Pensionär und ehemaligen Vorsitzenden des Jugendgerichts am Landgericht Potsdam Klaus Przybilla, der jahrelang die Brandenburger Justiz geprägt hatte und schließlich Opfer einer Intrige wurde.
Recht in der Welt
Spanien – Verfassungsgericht: Wie die taz (Rainer Wandler) berichtet, ist die monatelange Blockade bei der Neubesetzung des spanischen Verfassungsgerichts beendet, nachdem es zu einer überraschenden Einigung der progressiven und konservativen Kräfte im spanischen obersten Justizrat (CGPJ) kam. Damit ist der Weg frei für die Entsendung von zwei neuen Richter:innen durch die Regierung, wodurch im spanischen Verfassungsgericht in Zukunft mehr progressive als konservative Richter:innen sitzen werden. Die spanische Regierung hatte versucht, per Gesetz die Blockade aufzubrechen, was aber vom Verfassungsgericht (mit alter Mehrheit) verhindert worden war.
Belgien/EU - Korruption durch Marokko: Im Korruptionsskandal um das Europaparlament steht nun auch Marokko immer mehr im Mittelpunkt der Ermittlungen, so SZ (Josef Kelnberger/Oliver Meiler) und spiegel.de (Markus Becker/Rafael Buschmann). Es bestehe der Verdacht, dass Marokko die legale und illegale Einflussnahme in Brüssel noch intensiver und länger betrieben habe als Katar. So sollen etwa einige der Hauptverdächtigen in der Katar-Affäre, wie die ehemalige Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili, ihr Lebensgefährte Francesco Giorgi sowie der italienische Ex-Europaabgeordnete Pier Antonio Panzeri (alle S&D), schon mit Marokko verstrickt gewesen sein, bevor sie Geld von Katar angenommen hatten.
Griechenland – Abhöraffäre: Wie die SZ (Tobias Zick) schreibt, wurden auch griechische Journalisten, die sich – aufgrund der Nichteinhaltung seines Wahlversprechens, die Bevölkerung vor Bränden zu schützen – gegen den heutigen Premier Griechenlands Kyriakos Mitsotakis stellen, Opfer des "griechischen Watergate". So nennen Oppositionspolitiker die Abhöraffäre, zu der seit Monaten immer mehr Details bekannt werden. Einer der Betroffenen, der Journalist Tasos Telloglou, hat bei der zuständigen Behörde Informationen darüber beantragt, ob und inwieweit er vom Geheimdienst überwacht wurde. Er hat bereits angekündigt, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen, falls er die beantragte Auskunft nicht erhalten sollte.
USA – Title 42-Zurückweisungen: Der US-Supreme Court hat mit 5 zu 4 Stimmen entschieden, dass die in "Title 42" des US-Rechts enthaltene Befugnis, Ausländer aus gesundheitspolitischen Gründen an der Grenze zurückzuweisen, auch weiterhin gegen Flüchtlinge angewandt werden kann, die in den USA Asyl beantragen wollen. Der damalige US-Präsident Donald Trump hatte die Praxis während der Corona-Pandemie eingeführt. Sie soll aufrecht erhalten bleiben, bis über eine Klage gegen Pläne der US-Regierung unter Präsident Joe Biden zur Abschaffung der umstrittenen Praxis entschieden ist. Die Verhandlung hierzu soll im Februar beginnen. FAZ und spiegel.de berichten.
Sonstiges
Cum-Ex/Olaf Scholz: Die Unionsfraktion im Bundestag will, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Skandal um den Umgang der Hamburger Finanzverwaltung mit Steuerforderungen gegen die Cum-Ex-belastete Warburg Bank erneut im Finanzausschuss befragt wird. Grund dafür seien widersprüchliche Aussagen des SPD-Politikers. Scholz hatte früher von einem Gespräch mit dem Bankier Christian Olearius berichtet, später jedoch angegeben, sich daran nicht erinnern zu können. Fragen habe die Union zudem zu Kontakten von Scholz zu dem damaligen SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs, in dessen Schließfach mehr als 200.000 Euro in bar gefunden wurden. FAZ (Manfred Schäfers) und LTO berichten.
Kunstauktionen: Rechtsprofessor Matthias Weller setzt sich auf LTO mit dem Vorwurf Polens auseinander, ein von dem Auktionshaus Grisebach für 310.000 Euro versteigertes Werk Kandinskys sei 1984 aus dem Nationalmuseum in Warschau gestohlen worden. Sollte das Auktionshaus seine Ankündigung, eine "gerichtliche Klärung" herbeiführen zu wollen, wahr machen, sei dies nach Auffassung des Autors eine gute Möglichkeit, um endlich "Licht ins Dunkel des deutschen Auktionsrechts" zu bringen.
Literaturverweise in Strafurteilen: Der Doktorand Max Klarmann setzt sich auf dem Verfassungsblog – vor dem Hintergrund eines Urteils des Amtsgerichts Flensburg, das eine Baumbesetzung wegen rechtfertigenden (Klima-)Notstands gemäß § 34 StGB als gerechtfertigt ansah – mit Literaturverweisen in Strafurteilen auseinander. Die zuständige Richterin am Amtsgericht Flensburg hatte in der Urteilsbegründung Bezug genommen auf eine nach Urteilsverkündigung veröffentlichte Kommentierung der Gerichtsentscheidung. Der Autor kritisiert diese Praxis, da dadurch unter anderem die Erstellung eines wesentlichen Elements des Urteils quasi an Dritte ausgelagert werde, die nicht unmittelbar an der Entscheidungsfindung beteiligt sind.
Arbeitsrecht in 2022: spiegel.de (Florian Gontek) erinnert – zusammen mit Rechtsanwältin Nicole Mutschke – an zentrale arbeitsrechtliche Entscheidungen und Gesetze aus den vergangenen zwölf Monaten und schildert deren Auswirkungen auf Arbeitnehmer:innen. Es geht um Arbeitszeiterfassung, die Verjährung von Urlaubsansprüchen, den Nachweis von Arbeitsbedingungen, Verdienstgrenzen bei Minijobs, digitale Krankschreibung und das Hinweisgeberschutzgesetz.
Zeitschrift "Kritische Justiz": Der Jurist Rainer Erd schreibt in der FAZ über die linke Fachzeitschrift "Kritische Justiz", die sich seit 1968 regelmäßig mit der Verstrickung deutscher Juristen in den Nationalsozialismus auseinandersetzt. Der Autor selbst war geschäftsführender Redakteur der Zeitschrift und einer der Herausgeber der ersten Ausgaben. Dass selbst unter den Gründern der Zeitschrift Juristen waren, die in das nationalsozialistische Herrschaftssystem verstrickt waren, sei lange Zeit nicht bekannt gewesen; zumindest sei etwaigen Zweifeln nicht nachgegangen worden. Der Autor konstatiert, dass das Bewusstsein, einen Beitrag zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus geleistet zu haben, vermutlich verhindert habe, sich unbefangen mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Kardinal Woelki – Kölner Hochschule: Wie die FAZ (Daniel Deckers/Thomas Jansen) berichtet, hat die nordrhein-westfälische Landesregierung, die zunächst darauf gepocht hatte, dass die von Kardinal Rainer Maria Woelki geförderte Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) keine Priester des Erzbistums Köln ausbildet, nun einen Rückzieher gemacht – obwohl davon auszugehen ist, dass ihre Bedingungen, etwa allen nach dem Wintersemester 2019/2020 eingeschriebenen angehenden Priestern einen Wechsel an die Universität Bonn nahezulegen, nicht eingehalten worden sind. Das plötzliche Vertrauen gegenüber Woelki verwundere insbesondere, weil die Landesregierung ursprünglich für den Fall eines Verstoßes sogar die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens beim Heiligen Stuhl wegen Verletzung von Art. 12 des Preußenkonkordats in Aussicht gestellt hatte.
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LTO/bo/chr
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Die juristische Presseschau vom 29. Dezember 2022: . In: Legal Tribune Online, 29.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50607 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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