LG Koblenz lehnt Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Geschäftsführer der North Channel Bank ab. BaWü-Justizministerin Gentges fordert höhere Streitwertgrenzen am Amtsgericht. BGH entscheidet heute zu Schadensersatz nach Schlecker-Insolvenz.
Thema des Tages
LG Koblenz – CumEx/North Channel Bank: Das Landgericht Koblenz hat die Eröffnung der Hauptverhandlung gegen zwei ehemalige Geschäftsführer der North Channel Bank aus Mainz per Beschluss abgelehnt. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete auf banden- und gewerbsmäßige Geldwäsche in 27 Fällen. Die Bank habe im Auftrag amerikanischer Hintermänner hunderte Millionen Euro gewaschen, die aus illegalen Cum-Ex-Aktiengeschäften insbesondere in Dänemark stammten. Das Gericht sah sich nun aber aus rechtlichen Gründen an der Eröffnung des Hauptverfahrens gehindert, weil durch die Machenschaften vor allem der dänische Fiskus geschädigt wurde. Steuervergehen zulasten ausländischer Staaten seien in Deutschland nicht strafbar, sodass sie als für die Geldwäsche erforderliche Vortat ausschieden. Die beiden Ex-Geschätsführer müssen für zeitweise Untersuchungshaft entschädigt werden. Die Staatsanwaltschaft hat aber bereits Beschwerde eingelegt, über die nun das Oberlandesgericht Koblenz entscheidet. Die SZ (Jan Diesteldorf) berichtet.
Rechtspolitik
Streitwertgrenze am AG: Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) hat sich für eine Anhebung der Streitwertgrenze am Amtsgericht ausgesprochen. Aufgrund der fortschreitenden Inflation gingen die Verfahrenszahlen deutlich zurück. Allein um die Inflationsentwicklung seit der letzten Anhebung 1993 zu berücksichtigen, müsste die Streitwertgrenze von derzeit 5.000 Euro auf rund 8.400 Euro angehoben werden, schreibt LTO.
EUStA/Sanktionen gegen Russland: In einem gemeinsamen Beitrag für LTO fordern Éric Dupond-Moretti und Marco Buschmann, Justizminister von Frankreich bzw. Deutschland, die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft auch auf Ermittlungen im Zusammenhang mit Verstößen gegen die EU-Sanktionen gegen Russland auszuweiten. Auf Vorschlag der EU-Kommission haben bereits die Mitgliedstaaten ihren politischen Willen bekräftigt, die Liste der EU-Straftatbestände um Verstöße gegen restriktive Maßnahmen dieser Art zu erweitern.
Straßenverkehrsrecht: Die Ampelkoalition drängt auf eine Reform der Straßenverkehrsgesetze und will u.a. weitere Ziele wie den Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung gleichrangig mit der "Leichtigkeit des Verkehrs" in die Straßenverkehrsordnung (StVO) aufnehmen. Am heutigen Dienstag will sich die Verkehrsministerkonferenz der Länder mit dem Vorschlag beschäftigen. spiegel.de (Arvid Haitsch) berichtet und schildert Gerichtsurteile, die unter Berufung auf "Uraltnormen" der StVO Maßnahmen der Verkehrswende verhindert haben.
Einbürgerung: Nun berichten auch taz (Sabine am Orde u.a.) und LTO über die Pläne des Bundesinnenministeriums, Einbürgerungen zu erleichtern. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterstütze den Vorstoß. Eine Demokratie lebe von der Möglichkeit, mitzubestimmen. Deshalb sei es wichtig, dass Einwohnerschaft und Wahlvolk nicht zu weit auseinanderklaffen, wird er auf spiegel.de zitiert. Widerspruch kommt aber nicht nur von der CDU/CSU, die eine "Verramschung" der deutschen Staatsbürgerschaft kritisiert, sondern auch vom Koalitionspartner FDP. Dort herrscht noch Unmut darüber, dass deren Pläne zur Arbeitsmigration und zu effizienteren Abschiebungen nicht Teil des Vorstoßes sind. Bundesinnenministerin Faeser (SPD) betonte, dass der aktuelle Vorstoßes den Vorgaben des Koalitionsvertrages entpreche.
Die SZ (Jan Bielicki u.a.) stellt die Einbürgerungsregeln verschiedener (westlicher) Staaten vor. Fünf Jahre rechtmäßiger Aufenthalt ist dabei weltweit die häufigste Voraussetzung für eine Einbürgerung und der Trend gehe zudem zur Akzeptanz mehrfacher Staatsbürgerschaft.
Hartz IV und Inflation: Ronen Steinke (SZ) kritisiert im Feuilleton die Diskussion um die Anpassung des Hartz IV-Satzes, bei der er teilweise das Gefühl habe, es handele sich dabei um eine "freiwillige Geste der Großzügigkeit" und nicht bloß um einen "lange überfällige[n] Ausgleich für einen massiven Verlust an Kaufkraft". Er erinnert dabei an das Urteil des Bundesverfassungsgericht aus 2010, in dem das Recht auf ein "menschenwürdiges Existenzminimum" etabliert worden ist.
Justiz
BGH – Schlecker-Insolvenz: Am heutigen Dienstag wird der Bundesgerichtshof sein Urteil zum Kartellschadensersatz nach der Schlecker-Insolvenz verkünden. Der Insolvenzverwalter macht in dem Verfahren geltend, dass ein Informationsaustausch der beklagten Drogerieartikel-Hersteller dazu geführt habe, dass Schlecker überhöhte Preise zahlen musste. Auf LTO schreiben die Rechtsanwält:innen Fabian Stancke und Dominika Wojewska vorab über das Urteil. Insbesondere erwarten sie grundlegende Ausführungen des BGH zur Frage, ob und in welchen Fällen Gerichte in Kartellschadensersatzprozessen Ökonom:innen als Sachverständige hinzuzuziehen müssen. Im konkreten Fall hatten die Vorinstanzen ein klägerisches Privatgutachten als mangelhaft abgelehnt, es aber gleichzeitig für nicht erforderlich gehalten, ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu beauftragen.
BVerfG - Strafgefangenen-Entlohnung: deutschlandfunkkultur.de (Timo Stukenberg) befasst sich mit der Entlohnung von Häftlingen im Justizvollzug und stellt die Verfassungsbeschwerde von Peter Roth vor, der gegen die niedrigen Löhne geklagt hat. Der gesetzliche Mindestlohn gilt für Häftlinge nicht. Eine Entscheidung wird in den kommenden Wochen erwartet. Die mündliche Verhandlung fand bereits im April statt.
VerfGH Berlin - Berliner Abgeordnetenhaus: Am kommenden Mittwoch entscheidet der Berliner Verfassungsgerichtshof über die Klage eines Ex-Abgeordneten, der das Berliner Abgeordnetenhaus in aktueller Zusammensetzung wegen der Mängel bei der Wahl für nicht mehr handlungsfähig hält und daher eine Fortführung der Arbeit mit den Abgeordneten der vorigen Wahlperiode fordert. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Abgeordnetenhaus ergab nun jedoch, dass das Abgeordnetenhaus trotz der vom Verfassungsgerichtshof angeordneten Wahlwiederholung auch in den kommenden Monaten weitgehend handlungsfähig ist. Beim Beschluss von Gesetzen oder der Bereitstellung von finanziellen Mitteln sei jedoch Zurückhaltung geboten. LTO berichtet.
OVG NRW zu Polizei-Tweet mit Foto: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat laut LTO entschieden, dass ein Tweet der Duisburger Polizei vor einem Heimspiel des MSV Duisburg rechtswidrig war. Darin hatte die Polizei, ohne dies belegen zu können, einen Stau am Stadioneingang damit begründet, dass sich Fans Regencapes angezogen hätten, um die Durchsuchung zu verhindern. Dagegen klagte eine Fußball-Anhängerin, die im beigefügten Foto zu erkennen war. Nachdem das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Klage zunächst ablehnte, erkannte das OVG einen Verstoß gegen die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an Äußerungen von Behörden auf sozialen Medien. Vor allem müssen darin enthaltene Tatsachen zutreffend und zweckmäßig sein. Reine Vermutungen hätten als solche gekennzeichnet werden müssen.
OLG Koblenz – Anschlag auf Asylheim Saarlouis: Am zweiten Verhandlungstag im Strafprozess wegen der Beteiligung des Angeklagten Peter S. am Anschlag auf das Asylheim Saarlouis im Jahr 1991, bei dem der 27-jährige Samuel Yeboah starb, ging es um das Leben des Angeklagten bis zum Zeitpunkt der Tat. Ausführlich berichtet er über Probleme in der Schule, Erfahrungen mit häuslicher Gewalt durch den Stiefvater sowie den Einstieg in die Neonaziszene. spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet.
LG Mönchengladbach zu Mord durch 71-Jährige: Das Landgericht Mönchengladbach hat eine 71-Jährige wegen Totschlags an ihrer 70-jährigen Lebensgefährtin zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Die Angeklagte hatte im Prozess gestanden, ihre Lebensgefährtin nach einem heftigen Streit in der Küche mit 26 Messerstichen getötet zu haben, weil jene sich über ihre Eifersucht lustig gemacht habe. Es berichten FAZ (Reiner Burger) und spiegel.de.
StA Frankfurt/M. – Datenweitergabe durch Richter: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/M. ermittelt gegen einen Richter des Landgerichts Frankfurt/M., der Daten aus einem Drogen-Ermittlungsverfahren an einen Betroffenen weitergegeben haben soll. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Rechtsbeugung und die Verletzung von Privatgeheimnissen vor. Empfänger der Daten war ein Rechtsanwalt, der in die Drogendelikte persönlich verwickelt sein soll. LTO berichtet.
Recht in der Welt
Australien – Kohleförderung und Klimaschutz: Im australischen Queensland hat ein Gericht einem Großprojekt zum Kohleabbau die Schürflizenz entzogen. Richterin Fleur Kingham verwies in der 372 Seiten umfassenden Urteilsbegründung einerseits auf die Folgen für den globalen Klimaschutz, aber auch auf die Verletzung von Grundrechten der Ureinwohner:innen der Region. Die FAZ (Christopher Hein) berichtet.
Irland - Strafzahlung für Meta: Die irische Datenschutzbehörde hat dem US-Konzern Meta (ehemals Facebook) eine Strafzahlung in Höhe von 265 Millionen Euro wegen eines Datenlecks auferlegt, das 2021 entdeckt worden war. In einem Hackerforum wurden damals persönliche Daten von rund einer halben Milliarde Facebook-Nutzer:innen angeboten, darunter 533 Millionen Telefonnummern, E-Mail-Adressen und teilweise auch der Wohnort der Nutzerinnen und Nutzer. spiegel.de berichtet.
Sonstiges
Microsoft Office und Datenschutz: Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern haben schwerwiegende Bedenken gegen die Nutzung von Microsoft-365-Produkten geäußert. Kritisiert wird in dem Beschluss vor allem die Intransparenz. Microsoft lege an vielen Stellen nicht offen, welche Datenverarbeitung im Einzelnen stattfinde, obwohl in Art. 5 DSGVO eine Rechenschaftspflicht festgeschrieben sei. Die FAZ (Corinna Budras) berichtet, dass Behörden und Unternehmen nun einen erhöhten Begründungsaufwand treiben müssen, um die Produkte weiter nutzen zu können.
In ihrem Kommentar dazu sieht Corinna Budras (FAZ) den Grund für die Einschätzung der Datenschutzbeauftragten in den strengen europarechtlichen Vorgaben und der noch strengeren Auslegung des Europäischen Gerichtshofs. Einen solchen Datenschutz verstehe niemand mehr.
Arbeitszeiterfassung: Rechtsanwalt Christian Kaiser gibt im Expertenforum Arbeitsrecht einen Überblick darüber, welche Auskunftspflichten Arbeitgebende künftig gegenüber dem Betriebsrat in Bezug auf die Arbeitszeiten der Mitarbeitenden haben. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung sei der "Paukenschlag" des Bundesarbeitsgerichts mit seinem Urteil vom September gar nicht so laut.
Klimaproteste/Präventivhaft in Hessen: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hat angekündigt, dass auch in Hessen radikale Klimaaktivist:innen, vor allem der "Letzten Generation", in Präventivhaft genommen werden sollen, um Straftaten zu verhindern. Wie die FAZ (Katharina Iskandar) berichtet, ist es in Hessen möglich, Personen mit richterlichem Beschluss bis zu sechs Tage in Vorbeugehaft zu nehmen.
Abschiebungen in den Iran: Kurz vor der am morgigen Mittwoch beginnenden Herbsttagung der Innenministerinnen und Innenminister der Länder haben diese sich darauf geeinigt, einen Abschiebestopp in den Iran zu beschließen. Grund dafür sind die anhaltenden Proteste und die Gewalt des Sicherheitsapparates als Reaktion darauf. spiegel.de berichtet.
BKartA zum Kraftstoffmarkt: Aus einem nun veröffentlichten Zwischenbericht geht hervor, dass das Bundeskartellamt derzeit keine Anzeichen für verbotene Preisabsprachen der Mineralölgesellschaften sieht. Anlass für die Untersuchung war laut LTO die "nachhaltige Entkoppelung" der Tankstellenpreise von der Entwicklung des Rohölpreises kurz nach Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine.
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LTO/jpw
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Die juristische Presseschau vom 29. November 2022: . In: Legal Tribune Online, 29.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50298 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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