Die Union beantragt Änderungen im StGB, damit Klimaaktivist:innen härter bestraft werden. Gegen drei frühere Manager der Maple-Bank wurden Freiheitsstrafen verhängt. Am LG Berlin begann Prozessserie wegen Händlergebühren für Kartenzahlung.
Thema des Tages
Strafbarkeit von Klimaaktivist:innen: Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag beantragt Verschärfungen im Strafgesetzbuch (StGB) und in der Strafprozessordnung (StPO), damit "Straßenblockierer und Museumsrandalierer" künftig härter bestraft werden. Es handele sich um Straftaten, auf die es eine "konsequente Antwort des Rechtsstaates" geben müsse. Explizit soll im Nötigungstatbestand der besonders schwere Fall (§ 240 Absatz 4 StGB) um weitere Regelbeispiele ergänzt werden, bei denen eine Mindestfreiheitstrafe von drei Monaten verhängt werden muss. Zum einen geht es dabei um Blockaden, bei denen "eine große Zahl von Menschen" betroffen ist, etwa im Berufsverkehr. Zum anderen sollen Aktionen erfasst werden, bei denen die Behinderung von Rettungsfahrzeugen billigend in Kauf genommen wird. Weiterhin soll das Strafmaß für gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) und die Behinderung von hilfeleistenden Personen (§ 323c Absatz 2 StGB) erhöht werden. Auch bei der gemeinschädlichen Sachbeschädigung (§ 304 StGB) soll ein schwerer Fall mit einer Mindeststrafe von drei Monaten eingeführt werden. Es geht dabei um die Beschädigung von Kunstgegenständen von "bedeutendem finanziellen und/oder kunsthistorischem Wert". Zusätzlich sollen Kettenbewährungsstrafen in § 56 StGB ausgeschlossen werden. Der Katalog des § 112a StPO soll um die "Nötigung" erweitert werden, so dass eine Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr auch gegen Straßenblockierer verhängt werden kann. Rechtsprofessor Michael Kubiciel zweifelt an der Verhältnismäßigkeit der Vorschläge. Vertreter:innen von Grünen, FDP und SPD halten die zur Verfügung stehenden rechtlichen Instrumente ausreichend. Sogar die Union ist geteilter Meinung. So findet Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU), dass der "aktuelle Strafrahmen genüge". Man müsse die vorhandenen Gesetze nur "konsequent" anwenden. Über den Antrag der CDU/CSU soll bereits am Donnerstag im Bundestag beraten werden. Es berichten taz (Konrad Litschko), SWP (Christian Rath), LTO (Hasso Suliak) und spiegel.de.
Reinhard Müller (FAZ) betont, dass "hehre politische Ziele" keine Rolle spielen können, wenn es darum geht, dass Regeln zu beachten sind. Verfassungsfeinde dürften nicht "geadelt" werden, nur weil sie für "vermeintlich Besseres" eintreten. Maximilian Bauer (tagesschau.de) kritisiert hingegen, dass die Union mit ihrem Vorhaben über "ein langes Kapitel deutscher Rechtsgeschichte" einfach hinweggehe. So habe das Bundesverfassungsgericht bei Sitzblockaden erklärt, wer sich allein auf eine Straße setze, wende keine Gewalt an. Politische Spannung könne die Union nicht "einfach mit dem Strafrecht vom Tisch wischen".
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Auf dem Verfassungsblog zweifelt Sofiane Benamor, Student der Rechtswissenschaften und Regierungsinspektor, an der These von Rechtsprofessor Mattias G. Fischer, dass staatliche Schutzpflichten gebieten, die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen einzuführen. Die Vorratsdatenspeicherung habe keinen "zweifellos starken Nutzen", wie oft suggeriert werde. Er kritisiert zudem, dass die EuGH-Rechtsprechung den rechtlichen Rahmen für Vorratsdatenspeicherung derart "nuancenreich auskonturiert" hat, dass eine rechtspolitische Diskussion über die Angemessenheit und Notwendigkeit derartiger Maßnahmen für die Gesellschaft kaum mehr möglich sei.
Die SZ (Constanze von Bullion) berichtet über einen Kompromissvorschlag von Patrick Breyer (Piratenpartei) zu Quick Freeze, der im Justizministerium für "diskutabel" gehalten wird. Danach könne die erste richterliche Genehmigung zum Einfrieren von Verkehrsdaten entfallen. Nur der zweite Schritt, das Auftauen der Informationen, wodurch Polizei oder Staatsanwaltschaft Zugriff auf Verbindungs- und Standortdaten erhalten, müsse unter richterlichem Vorbehalt stehen. Der Deutsche Richterbund hatte zwei richterliche Entscheidungen als zu schwerfällig kritisiert.
Kinderpornografie: Auch Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) spricht sich dafür aus, die Heraufstufung des Besitzes von Kinderpornografie zum Verbrechen rückgängig zu machen. 40 Prozent der Verfahren richteten sich gegen Kinder und Jugendliche, die sich gegenseitig Nacktbilder zuschicken. Er kritisiert, dass die damalige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) nach anfänglichem Widerstand gegen die Heraufstufungs-Forderung in der letzten Wahlperiode "umgefallen" sei. Es gebe auch einen "Populismus des Guten".
Justiz
LG Frankfurt/M. – Cum-Ex/Maple-Bank: Wie SZ (Jan Diesteldorf), FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten, hat das Landgericht Frankfurt/M. im Cum-Ex-Steuerskandal drei ehemalige Manager der Maple-Bank wegen Steuerhinterziehung zu Freiheitsstrafen verurteilt und zusätzlich Geldstrafen verhängt. Außerdem wurden Tatbeträge in Millionenhöhe aus den Privatvermögen der Manager eingezogen. Am härtesten wurde der frühere Deutschland-Chef der Maple-Bank, Wolfgang Schuck, bestraft, der zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt wurde. Ein vierter Manager wurde aufgrund eines umfassenden Geständnisses und Unterstützung bei der Aufarbeitung des Falls nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
LG Berlin – Händlergebühren bei Kartenzahlungen: Das Landgericht Berlin hat eine Serie von Verhandlungen darüber begonnen, ob Unternehmen zu hohe Händlergebühren für Zahlungen mit Giro- oder EC-Karten in Rechnung gestellt wurden. Die Drogeriekette Rossmann forderte Schadensersatz in Höhe von 8,5 Millionen Euro von vier Spitzenverbänden deutscher Banken, die das Girocard-System betreiben. Den Unternehmen der Kette wurde im Zeitraum von 2004 bis 2014 bei Kartenzahlungen ein einheitliches Entgelt in Höhe von 0,3 Prozent des jeweiligen Umsatzes auferlegt. Dies könnte eine unerlaubte Kartellabsprache der Bankenverbände darstellen. Dem Gericht liegen zu dieser Thematik zudem elf weitere Kartellschadensklagen vor, die jeweils in mündlichen Verhandlungen bis 1. Dezember geprüft werden sollen. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und LTO.
LG Gießen zu "Chemical Revolution": Das Landgericht Gießen hat im Prozess gegen die Betreiber des Online-Drogenhandels "Chemical Revolution" vier Männer wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Haftstrafen zwischen eineinhalb und sieben Jahren verurteilt. Ihnen wurde vorgeworfen, zwischen April 2018 und Februar 2019 illegale Drogen aus den Niederlanden nach Deutschland gebracht und im Darknet angeboten zu haben. Man gehe von mehr als 300 Abverkäufen aus. Dies sei aber lediglich die "Spitze des Eisbergs", so das Gericht. Es schreibt spiegel.de.
LG Kaiserslautern – Polizistenmorde von Kusel: Vor dem Landgericht Kaiserslautern hat ein Psychiater im Prozess um die Polizistenmorde von Kusel sein Gutachten über den Angeklagten Andreas S. vorgestellt. Danach habe S. "bestimmte Eigenschaften, die man manchmal bei Psychopathen" erkennen könne. Hierzu gehören neben einer gewissen "Gemütskälte" und "Selbstüberschätzung" auch die "Externalisierung von Problemen". Die Schuldfähigkeit sei gegeben. Grund für eine Sicherungsverwahrung sehe er hingegen nicht. Den Mitangeklagten Florian V. hielt der Gutachter trotz Drogeneinflusses ebenfalls für schuldfähig. Die FAZ (Julia Anton) berichtet.
LG Neuruppin – Raser: Vor dem Landgericht Neuruppin wird der Prozess gegen einen 24-Jährigen unter anderem wegen Mordes und verbotenen Kraftfahrzeugrennens fortgesetzt. Die SZ (Wolfgang Janisch) stellt in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Rechtsprechung dar, nach der Raser inzwischen wegen Mordes verurteilt werden können.
LG Oldenburg – Vergewaltigung im Maßregelvollzug: Vor dem Landgericht Oldenburg muss sich ein 29-Jähriger wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verantworten. Ihm wird vorgeworfen, in einer psychiatrischen Einrichtung eine Mitpatientin vergewaltigt und sexuell genötigt zu haben. Der Angeklagte wurde bereits 2012 durch das Landgericht Aurich wegen der Ermordung eines elfjährigen Mädchens und versuchtem sexuellen Missbrauch verurteilt. Aufgrund einer schweren Persönlichkeitsstörung hielt das Gericht ihn damals für eingeschränkt schuldfähig, woraufhin er in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung kam, so spiegel.de.
VG Berlin zu Friedrichstraße: LTO meldet, dass die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt und Mobilität beim Oberverwaltungsgericht Berlin keine Beschwerde gegen den zuvor ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin im Zusammenhang mit der Sperrung der zentralen Einkaufsmeile Friedrichstraße für den Autoverkehr einlegen wird. Das Verwaltungsgericht hatte die Straßensperrung am 24. Oktober für rechtswidrig erklärt und dem Land zwei Wochen Zeit gegeben, die Sperrung der 500 Meter langen Strecke der Friedrichstraße nahe dem Gendarmenmarkt aufzuheben. Man folge diesem Beschluss und werde die Friedrichstraße in gut zwei Wochen vorläufig wieder freigeben. Senatorin Bettina Jarrasch (Grüne) hofft, dass das Verfahren zur dauerhaften Umwidmung der Straße bis Ende des Jahres abgeschlossen ist.
AG Berlin-Tiergarten zu übler Nachrede gegen Jens Spahn: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat den 42-jährigen Anselm L. wegen übler Nachrede gegen Personen des politischen Lebens zu einer Geldstrafe von 4500 Euro verurteilt, weil er den Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als "kokainsüchtig" bezeichnet hatte. Dem Gericht zufolge gebe es keinen Nachweis für eine Kokainsucht. Die Aussage sei nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Anselm L. hatte die Behauptung auf das Titelblatt der Zeitschrift "Demokratischer Widerstand" drucken lassen, um Kritik an den Coronamaßnahmen, für die Spahn mitverantworlich war, zu äußern. Es berichtet spiegel.de.
StA Koblenz – Hasskriminalität im Internet: Wie spiegel.de berichtet, ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen mehr als 50 Beschuldigte wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Unter den Beschuldigten sollen auch mehrere Polizeibeamte sein. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, rassistische Mitteilungen und Hakenkreuze über Messenger-Dienste verbreitet zu haben.
Generalstaatsanwalt Fröhlich: spiegel.de (Ansgar Siemens) berichtet, dass der Hamburger Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich verdächtigt wird, im Frühjahr 2019 den Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer und den Innensenator Andy Grote (SPD) vor Korruptionsermittlungen geschützt zu haben, indem er keine Ermittlungen gegen sie einleitete. Sie sollen kostenlose VIP-Karten des Fußballclubs 1. FC St. Pauli angenommen haben. Gegen Fröhlich wurde auf eigenen Antrag ein Disziplinarverfahren der Justizbehörde eingeleitet, um die Vorwürfe aufzuklären. Das Verfahren leitet der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof, Nikolaus Berger.
Recht in der Welt
USA – Massenentlassungen bei Twitter: In einem Interview mit LTO (Felix W. Zimmermann) erläutert Rechtsprofessor und Anwalt Michael Fuhlrott, inwieweit das Vorhaben Elon Musks, rund 50 Prozent der 7.500 Angestellten der Online-Plattform Twitter zu entlassen, aus rechtlicher Perspektive möglich ist und in welchen Punkten sich das amerikanische Arbeitsrecht vom deutschen unterscheidet. Für Twitter-Mitarbeiter:innen in Deutschland gelte jedenfalls das deutsche Arbeitsrecht, das anders als das US-amerikanische, den Bestand des Arbeitsverhältnisses sichert. Eine Kündigung setze zudem einen Kündigungsgrund voraus und Kündigungsfristen müssten beachtet werden. Bei einer Kündigung per Twitter durch Elon Musk seien deutsche Beschäftigte daher auf der "sicheren Seite", so Fuhlrott.
Italien – Cosa Nostra: Die FAZ (Christian Schubert) nimmt das in der vergangenen Woche verkündete Urteil gegen 91 Personen wegen Missbrauch von EU-Agrarhilfen und anderer Delikte zum Anlass, den Stand der Mafia-Verfolgung in Italien zu beschreiben. Die Gesetzeslage erlaube eine wirksamere Kontrolle als in Deutschland, weil Daten länger gespeichert und leichter mit Mafia-Listen abgeglichen werden dürfen. Die neue Regierungschefin Giogia Meloni habe versprochen, im Kampf gegen die Mafia keine Kompromisse zu machen, was in Italien üblich sei, aber nicht garantiere, dass entsprechende Taten folgen.
Philippinen – Mord an Journalist: Die philippinische Polizei hat eine Anklage gegen den Leiter der Strafvollzugsbehörde Gerald Batang und seinen Vize Ricardo Zulueta beantragt. Ihnen wird vorgeworfen, die Tötung des 63-jährigen Radiojournalisten Percival Mabasa am 3. Oktober in Auftrag gegeben zu haben. Bantang sei "wahrscheinlich der höchste Beamte dieses Landes, der jemals in einem so schweren Fall angeklagt wird", sagte Justizminister Crispin Remulla laut taz.
Juristische Ausbildung
OVG Sachsen zu rechtsextremem Referendarausbilder: Das Oberverwaltungsgericht Sachsen hat entschieden, dass ein rechtsextremer Referendar keinen Anspruch hat, bei einem rechtsextremen Chemnitzer Rechtsanwalt ausgebildet zu werden. Das OVG hat damit die Beschwerde des Referendars gegen die vorige Woche ergangene Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Chemnitz abgelehnt. Der Präsident des Oberlandesgerichts habe einen weiten Spielraum bei der Zuweisung eines Rechtsreferendars an einen Ausbilder, da es sich um eine Organisationsentscheidung handele. Ein Anspruch auf eine Zuweisung an einen "Wunschausbilder" könne sich nicht aus Art. 29 Abs. 1 der sächsischen Verfassung (freie Wahl der Ausbildungsstätte) ergeben. Auch der Rechtsanwalt habe keinen Anspruch nach § 59 BRAO auf Zuteilung eines bestimmten Referendars. Gegen die Entscheidung bleibt nun nur noch der Weg der Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof Sachsen. Es schreibt LTO (Markus Sehl).
Sonstiges
Kommunale Friedenspolitik: Rechtsanwalt Patrick Heinemann erläutert auf LTO wie Vertreter handwerklicher Selbstverwaltung versuchen, Druck auf die Kommunen auszuüben, damit diese sich gegen die Ukrainepolitik der Regierung wenden. Hierbei werde die Ukraine als korruptes Land dargestellt und russische Propaganda in den "Diskurs eingespeist". Man könne es als einen Erfolg russischer Desinformationskampagnen ansehen, wenn Russland es schaffe, seine Positionen durch Beschlüssen in Kommunalorganen den "Schein von Legitimität" in Deutschland zu geben, um die "Autorität des Bundes zu untergraben". Zwar sei unwahrscheinlich, dass kommunale Initiativen durch Russland gesteuert werden, wohl aber vorstellbar, dass sich der föderale Aufbau Deutschland zu Nutze gemacht werde.
Wolf-Rüdiger Bub: Der Wirtschaftsanwalt Wolf-Rüdiger Bub ist im Alter von 75 Jahren gestorben. Er sei ein "Paradiesvogel im Dauereinsatz" gewesen. Ein "Mann der Gegensätze", der zwar "freundlich" und geradezu "sanft im Ton" war, aber "knallhart in der Aussage", so beschreibt ihn die FAZ (Corinna Budras).
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LTO/ok
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Die juristische Presseschau vom 8. November 2022: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50097 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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