Die juristische Presseschau vom 5. bis 7. November 2022: Straf­bar­keit von Kli­maak­ti­vist:innen / Hohen­zol­lern klagen erneut / Jura-Bachelor auf der Jumiko

07.11.2022

Die Frage der Strafbarkeit von und die Forderung nach Strafen für Klimaaktivist:innen ist das beherrschende Thema. Die Hohenzollern klagen nun auch Mobiliar ein und der Jura-Bachelor wird Thema auf der Justizministerkonferenz.

Thema des Tages

Strafbarkeit von Klimaaktivist:innen: Die Frage, ob Klimaaktivist:innen, die sich auf Autobahnen festkleben oder Gemälde mit Essbarem bewerfen, für ihre Aktionen und den damit im Zusammenhang stehenden Folgen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wird breit diskutiert. Im Zusammenhang mit dem Tod einer Radfahrerin in Berlin in der vergangenen Woche, die von einem Betonmischer überrollt wurde, wird den Protestierenden vorgeworfen, den schnellen Einsatz des Bergungsfahrzeugs durch die Autobahnblockade mit nachfolgendem Stau behindert zu haben. Dadurch hätten diese zum späteren Tod der Radfahrerin beigetragen. Neben der insoweit relevanten Frage der Mitursächlichkeit wird nun diskutiert, ob die Protestierenden einen solchen Vorfall hätten vorhersehen können und in Kauf genommen haben bzw. alles zu dessen Verhinderung getan hätten. Als im Raum stehende Straftatbestände werden u.a. Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Hausfriedensbruch sowie fährlässige Tötung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und Körperverletzung genannt. In diesem Zusammenhang bereitet die Oppositionsfraktion CDU/CSU einen Antrag vor, den sie in dieser Woche in den Bundestag einbringen will. Darin vorgesehen: Mindestfreiheitsstrafen, wenn bei Blockaden die Durchfahrt von Polizei und Rettungsdiensten behindert wird; Unterbindungsgewahrsam für Blockierer:innen bei Wiederholungsgefahr u.a. Es berichten u.a. FAZ (Johannes Leithäuser), Welt (Hannelore Crolly), tagesschau.de (Michael Nordhardt/Frank Bräutigam), bild.de und spiegel.de.

Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer nimmt auf LTO dogmatisch detailreich die bislang bekannten Tatsachen des jüngsten Vorfalls und die diskutierten Straftatbestände einzeln in den Blick. Er hält die Annahme, dass die Protestierenden Schäden billigend in Kauf genommen hätten, nicht für ausgeschlossen: Es gebe "eine Grenze der Plausibilität, an welcher das bloße Wollen nicht mehr ausreicht, um das objektiv Offenkundige zu verdrängen" und zieht eine Parallele zu den Raser-Fällen. Abschließend betont er: "Alle rechtlichen Konsequenzen gelten nicht meinungs- oder zielspezifisch." Patrick Bahners (FAZ-Einspruch) hinterfragt im Zusammenhang mit der Strafbarkeitsdiskussion die Art und Weise, in welcher Kabinettsmitglieder auf den Vorfall reagierten und warnt vor einer "rhetorische[n] Produktion von Staatsfeinden durch Politisierung des Strafrechts". Auch die Nennung konkreter Straftatbestände durch Bundesjustizminister Buschmann sieht er kritisch. Stephan Klenner (Sa-FAZ) stellt fest: dass bei den Aktionen der Aktivist:innen, die sich selbst auf "zivilen Ungehorsam" berufen, "Regeln verletzt werden, gehört zum Konzept." Ob und in welcher Weise dies strafrechtlich relevant sei, hänge "vom genauen Ablauf der jeweiligen Aktion ab". Reinhard Müller (FAZ) meint: "das gezielte Ausnutzen von Freiheiten, um anderen zu schaden, ist gerade nicht mehr freiheitlich".

Angesichts des von der Bayerischen Polizei bereits praktizierten Gewahrsams von Straßenblockierer:innen meint Ronen Steinke (Mo-SZ): "Die Radikalisierung der harten Durchgreifer angesichts des bisher friedlichen Protests der 'Letzten Generation' ist für die freie Gesellschaft aktuell gefährlicher als eine mögliche Radikalisierung einiger Klimademonstranten." Er hält die Anordnung von Unterbindungsgewahrsam hier für rechtswidrig, weil es nicht um den Schutz eines "bedeutenden Rechtsguts" gehe. In der (Sa-SZ) stellte er fest, die Behauptung der Verantwortlichkeit der Protestierenden für den Unfalltod der Radfahrerin, sei gewagt. Man müsse bereits an der Fahrlässigkeit im Rahmen einer fahrlässigen Tötung zweifeln. Schließlich weist er darauf hin, dass sich der Vorwurf der fahrlässigen Tötung zunächst gegen den Fahrer des Betonmischers richte. Christian Rath (Mo-taz) macht darauf aufmerksam, dass der von CDU/CSU geforderte Unterbindungsgewahrsam für Wiederholungstäter auf Bundesebene nicht beschlossen werden könne, da die Länder die Kompetenz für das Polizeirecht hätten. Außerdem vermutet er, dass es der Fraktion vor allem um die Verhinderung von in ihren Augen zu milden Geldstrafen für die Protestierenden gehe.

AG Berlin-Tiergarten zu Straßenblockade von Klima-Aktivistin: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat die 56-jährige Aktivistin Helga H. wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Sie hatte im Januar an einer Sitzblockade der Gruppe "Letzte Generation" auf der Berliner Stadtautobahn teilgenommen, indem sie sich mit Sekundenkleber am Boden festgeklebt hatte. Die Angeklagte habe auf den weltweiten Klimanotstand und ihren friedlichen Protest hingewiesen. Ihr Verteidiger hatte Freispruch gefordert und darauf hingewiesen, dass die anhaltende öffentliche Diskussion die Unabhängigkeit des Gerichts gefährden könne. Schließlich ging die Richterin über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. Es ist der siebte Prozess dieser Art, über den in Berlin verhandelt wird. Laut Gerichtspressestelle seien es insgesamt 174 Verfahren, die in Einzelfällen bereits mit einem Strafbefehl abgeschlossen worden seien. Über den Prozess berichtet die Sa-FAZ (Julia Schaaf).

Rechtspolitik

Elternschaft und Reproduktionsmedizin: Die Bundesregierung will bis Jahresende eine Kommission zur Erarbeitung von Regelungen "zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin", konkret Eizellenspenden und Leihmutterschaft, einsetzen. Beides ist in Deutschland bislang strafrechtlich sanktioniert, die Möglichkeit zur Eizellenspende sei nach Ansicht von Fachleuten aber wohl verfassungsrechtlich geboten. Es berichtet die SZ (Wolfgang Janisch).

Hasskriminalität im Internet: Die Mo-SZ (Ronen Steinke) berichtet über den Vorschlag der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) für ein digitales Gewaltschutzgesetz. Wenn ein Account bei Twitter, Facebook und Co. beleidigt oder droht, dann sollten Betroffene oder auch Opferschützer eine Beschwerde bei dem Netzwerk einlegen. Anschließend sollte der Fall "automatisch in kürzester Zeit ans Landgericht gehen, wo ein Richter oder eine Richterin entscheidet, ob der angezeigte Account gesperrt wird. Das derzeitige Vorgehen von Ermittlungsbehörden und Justiz gegen Mitglieder von verschwörungsideologischen Telegram-Gruppen, die hetzen und zu Gewalt aufrufen, sei zu langsam. Bis zu einer Anklage dauere es cirka ein Jahr.

Strompreisbremse: Laut Branchenverband der erneuerbaren Energien drohen der Bundesregierung Klagen der Energiekonzerne aufgrund der geplanten Rückwirkung der Strompreisbremse. Es berichtet ausführlich die Sa-FAZ (Helmut Bünder/Jan Hauser).

Rechte der Natur ins GG: Auf beck-aktuell spricht der Rechtsprofessor Jens Kersten im Interview von der Notwendigkeit einer "umfassenden ökologischen Transformation des Grundgesetzes", dies beinhalte  auch die Aufnahme von Rechten der Natur in die Verfassung.

Buschmann in Kiew: Bundesjustizminister Marco Buschmann hat auf seiner Reise nach Kiew mit seinem ukrainischen Amtskollegen Denys Maljuska ein Arbeitsprogramm zur Zusammenarbeit beider Länder im Justizbereich für die kommenden zwei Jahre unterzeichnet. Dabei ginge es insbesondere um den Aufbau rechtsstaatlicher Standards im Rahmen des EU-Aufnahmeverfahrens und die Verfolgung von Kriegsverbrechen. Es berichten Sa-FAZ (Othmara Glas) und LTO.

Justiz

VerfGH Berlin – Wahlen in Berlin: Die Berliner Innenverwaltung drängt auf eine Vorlage des Verfahrens zur Prüfung der Abgeordnetenhaus-Wahl zum Bundesverfassungsgericht. Jost Müller-Neuhof (Tsp) lehnt eine solche Richtervorlage ab und hält es für "wünschenswert, dass aus dem Prüfverfahren keine Hängepartie wird". Der Berliner Verfassungsgerichtshof solle seine rechtlichen Maßstäbe in dem am 16. November geplanten Urteil so darlegen, dass sie alle überzeugen. 

BGH zu mangelhaften Hüftprothesen: Der Spiegel (Katrin Langhans) berichtet über ein Schadensersatzverfahren wegen mangelhafter Hüftprothesen, das nun durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs gegen den Implantathersteller Zimmer Biomet zu einem Ende gekommen ist. Die Prothesen hatten Schwermetalle im Körper des Klägers sowie vieler anderer Patienten freigesetzt. Der BGH bestätigte ein Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe, dass die fragliche Prothese fehlerhaft war und gesundheitsschädliche Auswirkungen hatte. Zimmer Biomet muss dem Kläger 25.000 Euro Schmerzensgeld plus Zinsen zahlen.

OLG Celle zu Schadensersatz bei verspätetem Gepäck: Die für das Reiserecht zuständige Kammer des Oberlandesgerichts Celle hat entschieden, dass Fluggäste bei "erheblicher Verzögerung" der Ankunft ihres Reisegepäcks einen Schadenersatzanspruch gegen die Fluggesellschaft geltend machen können, sofern nicht in der Buchung zuvor auf die Verzögerung hingewiesen wird. Grund sei die dadurch entstehende erhebliche Beeinträchtigung des Reisezwecks. Es berichtet LTO.

LG Frankfurt a.M. zu gestohlenen Koffern: Nach Entscheidung des Landgerichts Frankfurt a.M. steht Fluggästen kein Schadenersatzanspruch gegen den Flughafenbetreiber zu, wenn die Reisekoffer während des Ausladens durch vermeintliche Flughafenbeschäftigte den echten Beschäftigten unter Vorwand entwendet wurden. Laut Gericht habe im konkreten Fall weder die Videoüberwachung noch eine bessere Auswahl oder Überwachung der Mitarbeiter den Diebstahl verhindern können. Es berichten Sa-FAZ (Anna-Sophia Lang) und LTO.

LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Die 3. Große Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe verhandelt weiter im Fall der 97-jährigen Irmgard Furchner, ehemalige Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof, die wegen Beihilfe zum Mord in 11.412 Fällen angeklagt ist. Am 4. November sind zwei Richter, darunter der Vorsitzende Richter Groß, eine Staatsanwältin sowie mehrere Anwälte an den Ort des ehemaligen Lagers in der Nähe von Danzig gereist, um im Rahmen einer Inaugenscheinnahme zu klären, was die Angeklagte von ihrem Bürofenster in der Kommandatur aus wahrnehmen konnte. Es berichtet die WamS (Per Hinrichs).

VG Potsdam – Hohenzollern: Die Familie Hohenzollern hat ein neues Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Potsdam um die Rückgabe- und Entschädigungsforderungen für ihre nach 1945 enteigneten Besitztümer angestrengt, nachdem Kulturstaatsministerin Claudia Roth im April erklärt hatte, Vergleichs-Verhandlungen nicht fortsetzen zu wollen. In dem aktuellen Verfahren geht es um Kunstobjekte aus brandenburgischen Villen und Schlössern sowie um Wertpapiere und Bankguthaben. Die mündliche Verhandlung ist für April oder Mai 2023 geplant. Zuvor wird das VG Potsdam jedoch bereits im März über das erste Herausgabeverfahren entscheiden. Es berichten Sa-FAZ (Andreas Kilb) und Spiegel (Klaus Wiegrefe).

VG Köln – BSI-Präsident Schönbohm: Der Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, hat vor dem Verwaltungsgericht Köln Eilantrag gegen das durch Bundesinnenministerin Nancy Faeser ausgesprochene Verbot zur Ausübung seiner Dienstgeschäfte eingelegt. Die Dienstgeschäfte waren ihm Mitte Oktober mit der Begründung eines gestörten Vertrauensverhältnisses untersagt worden, nachdem die Sendung ZDF Magazin Royale ihm Kontakte zum Verein "Cyber-Sicherheitsrat Deutschland" nachgesagt hatte, der wiederum Verbindungen zu russischen Geheimdiensten haben soll. Es berichtet LTO.

VG Berlin – Auskunft über Laufzeitverlängerung: Das Magazin "Cicero" hat vor dem Verwaltungsgericht Berlin eine Untätigkeitsklage gegen das Bundeswirtschaftsministerium eingereicht und verlangt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Herausgabe der Akten zur Laufzeitverlängerung oder Wiederinbetriebnahme deutscher Atomkraftwerke. Der entsprechende Prüfvermerk des Ministeriums soll im Widerspruch zur Einschätzung der Reaktorsicherheitskommission (RSK) stehen. Es berichtet die WamS (Daniel Wetzel).

Recht in der Welt

Namibia – Abkommen mit Deutschland: Juristen in Namibia erwägen, gegen das geplante sogenannte Aussöhnungsabkommen zwischen Namibia und Deutschland mit einer Klage vor einem namibischen Gericht vorzugehen. Sie agieren im Auftrag eines namibischen Abgeordneten und von Organisationen der Herero und Nama. Das Abkommen sei unvereinbar mit Verfassungs- und internationalem Recht, insbesondere weil die Organisationen der Volksgruppen nicht beteiligt wurden. Das Abkommen sieht unter anderem Zahlungen Deutschlands in Höhe von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre vor. Die Organisationen fordern echte Reparationen und deutlich höhere Summen. Die Sa-FAZ (Claudia Bröll) berichtet. 

Juristische Ausbildung

Jumiko – Integrierter Jura-Bachelor: LTO-Karriere (Pauline Dietrich) interviewt Hessens Justizminister Roman Poseck, der für die kommende Justizministerkonferenz am 10. November einen Beschlussvorschlag zum integrierten Bachelor in der juristischen Ausbildung eingereicht hat. Dieser hofft, dass ein solcher Bachelor u.a. Perspektiven für diejenigen schaffe, die andere Schwerpunkte im Studium setzen wollen. Damit dem Druck vor den Examina zu nehmen, sei "kein Hauptmotiv für die Einführung des Bachelors", dieser sei eine Ergänzung.

Sonstiges

Chinesische Beteiligungen: Rechtsanwalt Jan Nehring-Köppl beleuchtet auf LTO mögliche ausländische Beteiligungen an Infrastrukturprojekten aus außenwirtschaftsrechtlicher Perspektive. Die Teiluntersagung der Beteiligung des chinesischen Konzerns Cosco am Hamburger Hafen zeige, "wie das Instrument der Investitionskontrolle mit der politischen Agenda stehen und fallen kann." Dabei verweist er u.a. darauf, dass als rechtliches Argument im Rahmen der Cosco-Transaktion angeführt wurde, dass aus der Minderheitsbeteiligung von weniger als 25 Prozent an der Betreibergesellschaft keine gesellschaftsrechtliche Kontrolle und entsprechende Einflussnahme resultiere, sofern, wie vom Bundeswirtschaftsministerium vorgesehen, keine Vetorechte bei strategischen Entscheidungen zugebilligt würden.

Solidarität mit iranischen Frauen: Acht juristischen Organisationen, darunter DAV, RAK Berlin und NRV, haben für den heutigen Montag in Berlin eine Solidaritätskundgebung mit iranischen Protestierenden geplant. Sie fordern das iranische Regime zur Freilassung politischer Gefangener und zur Abschaffung der Todesstrafe auf. LTO (Hasso Suliak) berichtet.

Galeerenstrafe: LTO (Martin Rath) betrachtet im wöchentlichen Feuilleton ein Kapitel aus der Strafrechtsgeschichte, die Galeerenstrafe. Diese wurde zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in deutschen Fürstentümern über Straftäter verhängt, die dann als sogenannte Ruderknechte auf etwa französischen Galeeren dienen mussten.

 

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LTO/cc

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. bis 7. November 2022: . In: Legal Tribune Online, 07.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50086 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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