Anwält:innen dürfen wegen neuer EU-Sanktionen keine russischen Unternehmen mehr beraten. Österreich will Atomenergie und Erdgas aus der Taxonomie klagen. Der GBA hat Ermittlungen zu den Explosionen an den Nord-Stream-Leitungen aufgenommen.
Thema des Tages
Sanktionen gegen Russland/Rechtsberatung: Im achten EU-Sanktionspaket gegen Russland ist ein Verbot der Rechtsberatung enthalten. Anwält:innen und Notar:innen dürfen der russischen Regierung, russischen Unternehmen und russischen Organisationen keine Rechtsberatung mehr erteilen. Die Regelung enthält aber viele Ausnahmen. So ist die Vertretung in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren weiterhin möglich. Auch russische Einzelpersonen dürfen weiterhin beraten werden. Die neuen Sanktionsregelungen wurden vorige Woche beschlossen und gelten seit Freitag. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat in einem Protestschreiben an Justizminister Marco Buschmann erklärt, das Beratungsverbot verstoße gegen rechtsstaatliche Grundsätze und dürfe in Deutschland schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht angewendet werden. Es berichten anwaltsblatt.de (Christian Rath) und LTO (Felix W. Zimmermann)
Rechtspolitik
Wahl der Bundesrichter:innen: Auf FAZ-Einspruch schlagen Katrin Helling-Plahr und Stephan Thomae, FDP-Bundestagsabgeordnete und Mitglieder des Richterwahlausschusses, vor, die Wahl der Richter:innen der obersten Bundesgerichte zu reformieren. So soll es verbindliche Kriterien für die Bewerber:innen und öffentliche Stellenausschreibungen geben. Teilzeitstellen sollen die Posten an Bundesgerichten familenfreundlicher machen.
Justiz
EuG – Taxonomie: Österreich hat am Gericht der Europäischen Union Klage gegen die umstrittene Taxonomie-Verordnung der Europäischen Kommission eingereicht, die Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke für nachhaltig erklärt. Es sei rechtswidrig, eine Technologie wie die Atomkraft, die große Umweltrisiken verursache, als nachhaltig einzustufen. Luxemburgs Regierung hat bereits angekündigt, die Nichtigkeits-Klage zu unterstützen. SZ (Björn Finke) und zeit.de berichten.
GBA – Pipeline-Anschlag: Der Generalbundesanwalt hat in Folge der Attacken auf drei Röhren der Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee wegen des Verdachts der vorsätzlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion sowie der verfassungsfeindlichen Sabotage ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eröffnet, wie spiegel.de berichtet. So können sich die Fahnder:innen der Bundespolizei und des Bundeskriminalamts nun unter anderem einer internationalen Ermittlungsgruppe anschließen.
OVG NRW – Polizei twittert Foto: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen verhandelt laut LTO am Donnerstag über einen Twitter-Tweet, den die Polizei vor einem Fußballspiel des MSV Duisburg gegen den 1. FC Magdeburg verbreitet hatte, um Fans vor einem Stau an der Einlasskontrolle zu warnen. Auf dem Foto, das Fans zeigte, die sich einer Durchsuchung verweigern, war unter anderem eine Frau aus Magdeburg zu erkennen. Diese klagte gegen die identifizierende Darstellung. In der Vorinstanz hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf zum einen das Feststellungsinteresse der Frau abgelehnt, hielt aber auch die Twitternutzung der Polizei für zulässig, da sie im Sinne der öffentlichen Sicherheit lag.
OLG Düsseldorf – IS-Rückkehrerin Emilie R.: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Anklage gegen die IS-Rückkehrerin Emilie R. zugelassen. Sie soll unter anderem dazu bereit gewesen sein, einen Selbstmordanschlag in Deutschland zu verüben, wie spiegel.de schreibt. Auch zwei weitere Frauen sind vor dem OLG angeklagt, eine davon ebenfalls IS-Rückkehrerin. Die zweite Frau hatte eine Person finanziell unterstützt, obwohl sie von deren IS-Mitgliedschaft wusste. Sie ist nun wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt.
LSG Niedersachsen-Bremen zu Wahlrecht bei Hilfsmitteln: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat das Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen im Rahmen der Hilfsmittelversorgung gestärkt, wie LTO berichtet. Ein querschnittsgelähmter Mann hatte für seinen Handbike-Rollstuhl eine elektrische Unterstützung beantragt, weil er nicht mehr genug Kraft in den Armen habe. Die Krankenkasse wollte dies jedoch nicht finanzieren und bot ihm einen billigeren Elektro-Rollstuhl an. Wie das LSG entschied, durfte der Mann im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts den rein passiven Elektro-Rollstuhl ablehnen.
LG München I zu Streichpreisen: Das Landgericht München I hat entschieden, dass die Werbung einer Vergleichs- und Verkaufsplattform mit sogenannten Streichpreisen für Markenparfums als Irreführung für Verbraucher:innen einzustufen war. Auf der Plattform wurden Markenparfums vertrieben, die ohne Ausnahme alle mit Preisersparnissen beworben wurden, wobei als durchgestrichener Preis jeweils das teuerste Angebot auf der Plattform dargestellt wurde. Dies sei jedoch keine zutreffende Bezugsgröße für die Darstellung einer angeblichen Preissenkung. LTO berichtet.
LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Im Prozess gegen Arafat Abou-Chaker hat der Zeuge Farhang Ganji Dastjerdeh – alias DJ Gan-G – ausgesagt, nachdem das Kammergericht entschieden hatte, dass ihm wegen eines gegen ihn laufenden Steuerstrafverfahrens im Prozess gegen Abou-Chaker kein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe. Dastjerdeh sagte nur einsilbig aus, offenbar wolle er nicht in den Streit zwischen Bushido und Abou-Chaker gezogen werden. Es berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).
LG Frankfurt/M. – CO2-Steuerbetrug: Hektor F., der letzte Angeklagte im CO2-Steuerbetrug-Verfahren gegen Mitarbeiter der Deutschen Bank, steht nun vor dem Landgericht Frankfurt/M, wie die SZ (Meike Schreiber/Jan Diesteldorf) schreibt. Er soll geholfen haben, 145 Millionen Euro zu hinterziehen und ist der achte Ex-Manager der Deutschen Bank, der in Frankfurt vor Gericht steht. Bis zu den Cum-Ex-Geschäften war die CO2-Affäre einer der größten Fälle von organisierter Steuerhinterziehung in Deutschland.
LG Chemnitz – Vorgetäuschte Brandstiftung: Die Staatsanwaltschaft hat laut spiegel.de vor dem Landgericht Chemnitz zehn Jahre Freiheitsstrafe für einen Wirt gefordert, der sein eigenes Lokal angezündet haben soll, um die Versicherungssumme zu kassieren, und dabei 15 Menschenleben gefährdet haben soll. Der türkische Wirt hatte behauptet, Rechtsradikale hätten sein Restaurant angezündet. Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt, nachdem zuvor tagelang Rechtsextremisten in Chemnitz randaliert hatten. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch.
Hessen – Haftentschädigung: Für das Jahr 2021 hat das Land Hessen die bislang höchste Entschädigungszahlung für zu Unrecht inhaftierte Menschen gezahlt. Für insgesamt 130 Fälle kamen 660 000 Euro zusammen, wie LTO schreibt. Ursache ist die bundesgesetzliche Verdreifachung der Entschädigung pro Hafttag von 25 Euro auf 75 Euro.
Recht in der Welt
Spanien – Richterwahl: Da seit Jahren wichtige Posten im spanischen Justizapparat unbesetzt bleiben, hat der Vorsitzende des obersten spanischen Gerichts Carlos Lesmes laut spiegel.de nun angekündigt, aus Protest zurückzutreten. Die fehlende Einigung zwischen der linksgerichteten Regierung und der konservativen Opposition führe dazu, dass etwa Richer:innen am obersten spanischen Gericht und auch am spanischen Verfassungsgericht nicht wie vorgesehen gewählt werden.
Großbritannien – Streik der Anwaltschaft: Nach gut einem Monat haben die Mitglieder der Criminal Bar Association in Großbritannien ihren Streik beendet, da die Regierung nun ein verbessertes Reformpaket vorlegte. Die Verteidiger:innen hatten vor allem höhere Honorare gefordert. Das Strafjustizsystem sei aber nach wie vor chronisch unterfinanziert. Es berichten FAZ (Philip Plickert) und LTO.
Frankreich – Flug AF 447: In Paris beginnt ein Gerichtsverfahren gegen Air France und Airbus, in dem geklärt werden soll, ob sich die Unternehmen wegen des 2009 abgestürzten Flugs AF 447 der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht haben. Der Jet war zwischen Rio de Janeiro und Paris abgestürzt, 228 Menschen starben. Airbus und Air France drohen in dem Verfahren jedoch nur Geldstrafen bis zu 225 000 Euro, um Entschädigungszahlungen gehe es nicht. FAZ (Michaela Wiegel) und LTO berichten.
USA – Datenschutz/Datentransfers: Svenja Bergt (taz) kommentiert das von US-Präsident Joe Biden erlassene Dekret zum Schutz von Daten aus der Europäischen Union und findet, es zeuge von einem gehörigen Maß an Lernresistenz bei den Beteiligten. Es sei nicht absehbar, dass sich durch diesen neuen Anlauf an den faktischen Überwachungsabläufen in den USA etwas ändern werde. Dabei seien die Rechte der Nutzer:innen weiterhin Nebensache.
USA – Supreme Court: Auf LTO erklärt der Jurastudent Benedikt Gremminger den Streit um die Legitimität des US-Supreme Courts. In den Vereinigten Staaten habe sich die öffentliche Einstellung zum Obersten Gericht vor allem seit dem Ende des letzten Gerichtsjahres stark verändert. Als Gründe für den Ansehensverlust nennt der Autor jüngste Urteile u.a. zum Abtreibungsrecht und das unausgewogene Ernennungsverfahren der Richter:innen.
Finnland – Mord auf der Fähre: In Finnland hat die Staatsanwaltschaft ihre Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Turku zurückgezogen, bei dem es um einen 35 Jahre zurückliegenden tödlichen Angriff auf ein deutsches Paar an Bord einer finnischen Ostseefähre ging, wie spiegel.de schreibt. Die Anklage beruhte auf einem späten Geständnis des Täters, das aber vom Gericht als unverwertbar angesehen wurde, da der Täter dabei nicht ausreichend über seine Rechte aufgeklärt worden sei.
Russland/Internationale Strafjustiz: deutschlandfunk.de (Annette Wilmes) bespricht das neu erschienene Buch des Juristen Gerd Hankel, das sich mit Fragen rund um internationale Strafjustiz in Bezug auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine beschäftigt.
Sonstiges
AfD und Grundgesetz: Auf dem Verfassungsblog setzt sich der Graduate Fellow Daniel Haefke mit dem paradoxen Glauben der AfD an das Grundgesetz und den Konstitutionalismus auseinander. Die Partei habe eine Initiative mit dem Titel "Gemeinsam für das Grundgesetz" ins Leben gerufen, wird aber von Verfassungsschutzbehörden als zumindest potenziell und zumindest teilweise verfassungsfeindlich eingestuft. Dabei sei nicht so sehr interessant, dass sich die Partei auf die Verfassung berufe, sondern wie sie es tue.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ls
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 11. Oktober 2022: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49845 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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