Der Verfassungsgerichtshof Berlin kündigt Entscheidung zu Berliner Pannenwahlen an. Der Europäische Gerichtshof definiert "direkte Anschlussflüge". Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte untersagt Auslieferung nach China.
Thema des Tages
VerfGH – Wahlen in Berlin: Der Verfassungsgerichtshof Berlin will am 16. November 2022 seine Entscheidung über die Wiederholung der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen verkünden. Bereits in der mündlichen Verhandlung am 28. September deuteten die Richter:innen an, eine vollständige Wiederholung der Wahlen für erforderlich zu halten. Laut VerfGH hat die Senatsverwaltung für Inneres die Möglichkeit, bis zum 21. Oktober nochmals schriftlich vorzutragen. Die Wahl in Berlin war von massiven organisatorischen Pannen überschattet gewesen, beim Verfassungsgericht waren zahlreiche Beschwerden eingegangen. Es berichten taz-berlin (Stefan Alberti), LTO und spiegel.de.
Markus Wehner (FAZ) bezeichnet das Berliner Wahlchaos als einen "Grund zum Schämen". Dass die Ampelkoalition bei der Bundestagswahl (im Gegensatz zum VerfGH bei der Abgeordnetenhauswahl) nur "minimale Neuwahlen" durchführen wolle, sei allein politisch motiviert und schade der Demokratie.
Rechtspolitik
Transparenzgesetz: Ronen Steinke (SZ) begrüßt den Gesetzentwurf für ein Transparenzgesetz, den mehrere NGOs vorgelegt haben. "Transparenz nervt die Regierenden, natürlich. Was da an Kritik kommen könnte! Das ist ein fantastischer Grund, weshalb genau das sein muss."
Bürgergeld: Die Rechtsanwältin Lara Heitmann kommentiert auf beck-aktuell den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bürgergeld. Positiv bewertet sie unter anderem die Abschaffung der Pflicht zur ständigen Erreichbarkeit sowie die Einführung eines Schonzeitraums von zwei Jahren für zu hohe Wohnungskosten. Kritisch merkt sie jedoch an, dass einige offene Problemstellungen, etwa im Hinblick auf die Erstattung von Fahrtkosten, nicht gelöst worden seien.
Energiepreis-Abwehrschirm: Nun geht auch tagesschau.de (Max Bauer) der Frage nach, ob der geplante schuldenfinanzierte 200 Milliarden Euro schwere Abwehrschirm zur Begrenzung der hohen Gas- und Strompreise mit der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse sowie mit Europarecht vereinbar ist. Laut Rechtsprofessor Alexander Thiele sei die aktuelle Energiekrise eine Notsituation, die eine Ausnahme vom Grundsatz der Schuldenbremse darstelle. Rechtsprofessor Matthias Goldmann geht davon aus, dass die EU-Kommission das 200 Milliarden Euro-Programm – wie jede andere staatliche Beihilfe auch – noch überprüfen werde. Der Ausgang sei offen.
Justiz
EuGH zu Fluggastentschädigung: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass es sich selbst dann um "direkte Anschlussflüge" im Sinne der Fluggastrechte-Verordnung handelt, wenn die Luftfahrtunternehmen rechtlich nichts miteinander zu tun haben. Enthält eine Flugreise mehrere Flüge, die von verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden, ist daher bei großer Verspätung von nur einem der Flüge grundsätzlich ein Anspruch auf Entschädigung gegeben. Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist aber, dass die Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren, also von einem Reiseunternehmen zusammengefasst wurden, das dafür einen Gesamtpreis in Rechnung stellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat. Über den konkreten Fall hat nun der BGH, der die Frage dem EuGH vorgelegt hatte, zu entscheiden. FAZ und LTO berichten.
EGMR zu Auslieferung nach China: Die Lage in chinesischen Gefängnissen ist mit einer "allgemeinen Gewaltsituation" gleichzusetzen. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden und Polen im Zusammenhang mit der geplanten Auslieferung eines Häftlings nach China zu Entschädigungszahlungen in Höhe von 18.000 Euro verurteilt. Der gebürtige Taiwanese, der 2017 in Polen verhaftet wurde, befinde sich zudem unangemessen lang in Auslieferungshaft und sei durch das drohende Strafverfahren in China Folter und anderen Formen von Misshandlung ausgesetzt. LTO berichtet.
BVerfG – Data-Mining: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat Verfassungsbeschwerde gegen eine Regelung zur automatisierten Datenanalyse im NRW-Polizeigesetz eingelegt. Das so genannte Data-Mining mit der Gotham-Software der US-Firma Palantir stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. beck-aktuell berichtet.
BVerfG – Illegalen-Meldepflicht von Sozialbehörden: Nun berichtet auch tagesschau.de (Claudia Kornmeier) über die Verfassungsbeschwerde eines Kosovaren ohne Aufenthaltsrecht gegen die gesetzliche Pflicht von Sozialbehörden, illegale Ausländer:innen den Ausländerbehörden zu melden – auch im Falle einer erforderlichen medizinischen Behandlung. Sarah Lincoln von der GFF, die die Klage unterstützt, hält die im Aufenthaltsgesetz geregelte Meldepflicht für "verfassungswidrig, weil sie Menschen davon abhält, ihr Recht auf Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen." Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung verspricht zwar eine Änderung der Rechtslage, "damit Kranke nicht davon abgehalten werden, sich behandeln zu lassen", wie eine solche Überarbeitung der Meldepflichten aussehen könnte, ist jedoch noch unklar. Das Bundesinnenministerium hat angekündigt, das Thema "in einem Gesetzesvorhaben zur Migration voraussichtlich Ende des Jahres/Anfang nächsten Jahres" aufzugreifen.
OLG Zweibrücken zu Dauer der Untersuchungshaft: Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat der Haftbeschwerde eines Mannes stattgegeben, der sich seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft befindet. Er wurde bereits erstinstanzlich, aber noch nicht rechtskräftig wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Das Gericht begründete die Aufhebung des Haftbefehls und die Anordnung der Freilassung des Angeklagten mit der unverhältnismäßigen Fortdauer der Untersuchungshaft. Diese sei infolge der vermeidbaren und dem Angeklagten nicht zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht mehr mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Anspruch des Mannes auf eine beschleunigte Entscheidung vereinbar. LTO berichtet.
GenStA Berlin – rbb/Untreue: Nun berichtet auch die FAZ (Michael Hanfeld) über die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Berlin gegen zwei weitere Mitglieder der Geschäftsleitung des Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb) wegen des Verdachts der Untreue und Beihilfe zur Untreue bei der Einführung eines Boni-Systems und Gehaltszahlungen an Mitarbeiter, die für den rbb gar nicht mehr tätig sind.
Recht in der Welt
EGMR/Frankreich – Corona-Impfpflicht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Beschwerde eines französischen Feuerwehrmanns gegen die französische Corona-Impfpflicht für unzulässig erklärt, weil der Beschwerdeführer den französischen Rechtsweg nicht ausgeschöpft hatte. Der Feuerwehrmann war der Auffassung, die in Frankreich für bestimmte Berufsgruppen geltende Corona-Impfpflicht verletze ihn in seinen Rechten. Über diese Frage hatten die Straßburger Richter:innen jedoch aufgrund der Unzulässigkeit der Beschwerde nicht entschieden. LTO berichtet.
Polen – Reparationsforderungen: Rechtsanwalt Patrick Heinemann setzt sich auf LTO mit den von Polen gegen Deutschland erhobenen Reparationsforderungen für Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg auseinander und konstatiert, dass hierfür keine Anspruchslage ersichtlich sei. Selbst wenn sich nationale Staatshaftungsansprüche konstruieren ließen, seien diese längst verjährt. Polen habe außerdem wirksam auf deutsche Kriegsreparationen verzichtet. Deutschland dagegen habe zahlreiche individuelle Entschädigungsleistungen erbracht, die zwar nicht als zwischenstaatliche Reparationsleistungen gelten könnten, allerdings gleichwohl als Beitrag zur Aufarbeitung des historischen Unrechts gedacht seien. Letztlich handele es sich also eher um eine politische als um eine rechtliche Frage.
Ungarn – Rechtsstaat und EU-Gelder: Die Soziologieprofessorin Kim Lane Scheppele und der Rechtswissenschaftler Gábor Mészáros befassen sich auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) mit dem ungarischen Gesetzespaket, das den Missbrauch von EU-Geldern verhindern und so die Forderung der EU nach rechtsstaatlichen Strukturen erfüllen soll, insbesondere mit dem Aufbau der sogenannten Integritätsbehörde.
Niederlande – Unterbringung Asylsuchender: Ein Gericht in Den Haag hat entschieden, dass die niederländischen Notunterkünfte für Asylsuchende nicht menschenwürdig sind und damit der Klage eines Flüchtlingshilfswerks stattgegeben. Sowohl die Versorgung als auch die Unterbringung der Geflüchteten entsprächen nicht den europäischen Vorgaben. Die Behörden müssen nun umgehend Zugang zu Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung gewährleisten und sicherstellen, dass Kinder, Kranke oder Hochschwangere nicht mehr in Notunterkünften untergebracht werden. LTO berichtet.
USA – Twitter/Musk: Nachdem Elon Musk am Dienstag angekündigt hatte, Twitter nun doch zum vereinbarten Preis von 44 Milliarden Dollar kaufen zu wollen, einigten sich die Parteien darauf, die für den gestrigen Donnerstag vorgesehene eidesstattliche Aussage Elon Musks vor dem Chancery Court in Delaware zu verschieben. Der für den 17. Oktober angesetzte Gerichtsprozess soll nach Aussage der zuständigen Richterin jedoch wie geplant stattfinden, da bislang keine der beiden Parteien eine Aussetzung des Verfahrens beantragt habe. FAZ (Roland Lindner) und spiegel.de berichten.
USA – Anna Sorokin: Die nicht zuletzt durch eine Netflix-Serie bekannt gewordene verurteilte Hochstaplerin Anna Sorokin, die seit über einem Jahr in den USA in Haft sitzt, soll vorerst gegen Zahlung einer Strafkaution in Höhe von 10.000 Dollar aus dem Gefängnis freikommen. Sie werde allerdings nach ihrer Entlassung rund um die Uhr elektronisch überwacht und dürfe keine sozialen Medien benutzen. FAZ, Welt und spiegel.de (Lisa Duhm) berichten.
USA – Eric Weinberg: Laut FAZ und spiegel.de ist der Hollywood-Produzent Eric Weinberg wegen Vergewaltigung und anderen sexuellen Übergriffen angeklagt worden. Der 62-Jährige soll zwischen 2014 und 2019 fünf Frauen sexuell genötigt haben. Am 25. Oktober muss er vor dem Haftrichter erscheinen. Gegen Zahlung einer Kaution von fünf Millionen Dollar kam er zunächst frei. Bereits 2014 war der Produzent festgenommen worden, aus Mangel an Beweisen kam es damals jedoch nicht zu einer Anklage. Mehr als zwei Dutzend Frauen hatten Weinberg sexualisierte Gewalt vorgeworfen.
USA – Datenangriff bei Uber: Ein Bundesgericht in San Francisco hat den ehemaligen Sicherheitschef von Uber Joseph Sullivan wegen Behinderung der Justiz und der Verheimlichung des Wissens über ein Verbrechen verurteilt, weil er versucht hatte, einen massiven Datendiebstahl bei Uber zu vertuschen. Ihm drohen nun bis zu acht Jahre Haft. spiegel.de berichtet.
USA – Marihuana: US-Präsident Joe Biden will die Entkriminalisierung von Marihuana vorantreiben, wie spiegel.de berichtet. Per Präsidentenerlass sollen das Justiz- und das Gesundheitsministerium aufgefordert werden, die Bewertung von Cannabis beschleunigt zu prüfen. Biden erinnerte an sein Wahlkampfversprechen, wonach niemand für Besitz und Gebrauch von Marihuana ins Gefängnis kommen solle. Der Präsidentenerlass sieht auch eine Amnestie für alle vor, die in den USA auf Bundesebene wegen des Besitzes von Marihuana verurteilt worden seien.
Großbritannien – Daily Mail: Laut spiegel.de haben mehrere britische Prominente, darunter etwa Prinz Harry, Liz Hurley und Elton John, eine gemeinsame Klage gegen den Verlag der "Daily Mail" und der "Mail on Sunday" wegen des Vorwurfs der Verletzung ihrer Privatsphäre eingereicht. So sollen beispielsweise Privatdetektive im Auftrag der Journalisten Abhörgeräte in Autos und Wohnungen installiert haben. Darüber hinaus sollen auf unrechtmäßige Wege gesundheitliche und finanzielle Informationen der Kläger erlangt worden sein. Auch Polizisten sollen bestochen worden sein.
Sonstiges
Klimaschutz und ziviler Ungehorsam: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Daria Bayer geht auf dem Verfassungsblog der Frage nach, ob der Klimaschutz in Prozessen gegen die "Klima-Kleber" der "Letzten Generation" einen Rechtfertigungsgrund darstellen kann und bejaht dies.
Abschiebungen in den Iran: Wie zeit.de (Leon Holly) und spiegel.de (Wolf Wiedmann-Schmidt) berichten, fordert Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angesichts der Repression des iranischen Regimes gegen Demonstrant:innen einen bundesweiten Abschiebestopp in den Iran. Neben Faeser befürworten auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sowie die Landesflüchtlingsräte ein derartiges Abschiebeverbot.
RAF-Verhandlungssaal: Die FAZ (Rüdiger Soldt) nimmt den geplanten Abriss des Gebäudes, in dem zwischen 1975 und 1977 die erste RAF-Generation auf der Anklagebank saß, zum Anlass für eine große Seite 3-Reportage.
Fluggastrechte: tagesschau.de (Christoph Kehlbach) legt dar, welche Ansprüche Flugreisende angesichts des aktuellen Streiks haben.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/bo
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 7. Oktober 2022: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49818 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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