Das LG Hamburg wies die Klage von Katrin Göring-Eckardt (Grüne) gegen ein Fake-Interview ab. Kanzler Olaf Scholz hielt EU-Grundsatzrede in Prag. Am AG Berlin-Tiergarten begann der Prozess wegen rechtsextremer Brandanschläge in Neukölln.
Thema des Tages
LG Hamburg zu Fake-Interview: Felix W. Zimmermann (LTO) analysiert und bewertet ein Urteil des Landgerichts Hamburg von Ende Juli, mit dem eine Unterlassungsklage der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) gegen das Online-Magazin "Tichys Einblick" mit der Erwägung abgewiesen wurde, durchschnittliche Lesende könnten den Charakter des fiktien Interviews mit ihr als Satire erkennen. Davon sei schon wegen des Hinweises in der Dachzeile ("Achtung Satire! Achtung Satire!") auszugehen. Zudem weise der Teaser den Text als "Glosse" aus; dieser Begriff stehe für einen oftmals satirischen Beitrag. Insoweit stimmt Zimmermann dem Urteil zu. Er kritisiert jedoch die Begründung, soweit das Gericht der Auffassung ist, dass das verständige Publikum auch am Inhalt des Beitrages habe erkennen können, dass es sich nicht um tatsächliche Äußerungen der Grünen-Politikerin habe handeln können. Dazu gehöre laut Gericht neben der starken Überspitzung politischer Forderungen die Verwendung von Gender-Formen wie "Grün:innen". Zimmermann sieht jedoch den Rückschluss vom Inhalt eines Beitrages auf das Vorliegen von Satire kritisch. Er könnte die Verbreitung von Fake News fördern. Das Gericht unterschätze die Bedeutung der grundsätzlichen Ausrichtung des Mediums (hier: rechtsgerichtet mit den Grünen als klarem Hauptfeind) und damit verbunden das Bild der Lesenden von den Grünen. Beides könne dazu führen, dass die Lesenden auch scheinbar absurde angebliche Äußerungen der Grünen für real halten. Dies habe sich auch an vielen Kommentaren unter dem Text gezeigt, die das Interview für echt hielten und sich entsprechend erregten.
Rechtspolitik
EU-Rechtsstaatlichkeit: In seiner Prager Grundsatzrede zur Reform der EU forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch eine Reform des Rechtsstaatlichkeitsverfahrens nach Art. 7 EU-Vertrag; bisherige Blockademöglichkeiten sollen beseitigt werden. Außerdem soll die EU-Kommission bei Verstößen der EU-Staaten gegen die EU-Grundwerte (Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte) künftig Vertragsverletzungsverfahren einleiten können. Bisher ist dies nur bei Verletzung konkreter EU-Verordnungen oder -Richtlinien möglich. Es berichtet u.a. LTO.
Ceta: Das deutsche Wirtschaftsministerium und die EU-Kommission haben sich auf klarstellende Definitionen der Begriffe "indirekte Enteignung" und "faire und billige Behandlung" im noch nicht angewandten Investitionsschutz-Kapitel des Ceta-Handelsvertrag zwischen Kanada und der EU geeinigt. Nun soll bei den anderen EU-Staaten und Kanada um Unterstützung geworben werden. Für die Grünen ist die Klarstellung, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht zu erfolgreichen Schadensersatzklagen von Investoren führen können, die Voraussetzung dafür, der Ratifikation des Abkommens zuzustimmen. Die SZ (Björn Fincke) berichtet.
DSGVO: Im Interview mit netzpolitik.org (Alexander Fanta) verteidigt die Österreicherin Andrea Jelinek, Vorsitzende des Europäischen Datenschutzausschusses, die Datenschutzgrundverordnung in ihrer aktuellen Ausgestaltung. Einen akuten Reformbedarf sieht sie nicht. Vielmehr seien viele Grundsatzfragen erst noch höchstrichterlich zu klären.
Cannabis: Auf dem Verfassungsblog beschäftigt sich Rechtsprofessor Daniel Thym mit dem deutschen Plan, das UN-Suchtstoffabkommen von 1988 zu kündigen und mit einem Vorbehalt neu zu ratifizieren, der die Legalisierung von Cannabis ermöglicht. Der Autor vertritt die These, dass dieses Vorgehen gegen EU-Recht verstoßen würde, weil auch die EU das Abkommen ratifiziert hat und im Bereich des Drogenstrafrechts inzwischen Kompetenzen habe. Ein deutscher Alleingang sei daher nicht möglich. Deutschland müsse vielmehr darauf hoffen, dass die EU gemeinschaftlich die Cannabis-Legalisierung beschließt oder ermöglicht oder dass der Europäische Gerichtshof das Cannabis-Verbot als Verletzung des Rechts auf Privatleben beanstandet.
Erneuerbare Energien: Rechtsprofessor Michael Stahlschmidt kritisiert im Hbl die bauplanungsrechtliche Einbettung des erneuerbare Energien-Ausbaus. Hätte man die Nutzung erneuerbarer Energien direkt als im Außenbereich privilegiertes Vorhaben eingestuft, wäre die Schutzgüterabwägung klarer gewesen. Stattdessen bleibe es dabei, dass in erster Linie die örtlichen Baubehörden die Schutzgüterabwägung zwischen Naturschutz und Energiewende vornehmen werden, ohne dass eine Vereinheitlichung oder Beschleunigung zu erwarten sei.
Klimaschutz: Im Interview mit spiegel.de (Arvid Kaiser) kritisiert Rechtsanwalt Remo Klinger das Sofortprogramm, mit dem Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Emissionsüberschreitungen im Verkehrssektor des Jahres 2021 ausgleichen will, als völlig unzureichend. Solange die FDP naheliegende Maßnahmen wie ein Tempolimit blockiere, werden die erforderlichen Einschnitte später umso drastischer ausfallen, warnt Klinger.
Justiz
AG Berlin-Tiergarten – rechtsextreme Anschläge Neukölln: Am Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat der Prozess zu einer jahrelangen Serie rechtsextremer Brandanschläge und Drohungen im Berliner Bezirk Neukölln begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Hauptangeklagten u.a. Bedrohung, Brandstiftung und Sachbeschädigung gegen Menschen vor, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Inzwischen wurde auch der Linken-Abgeordnete Ferat Kocak, dessen Auto angezündet worden war, als Nebenkläger zugelassen. Die Angeklagten bestreiten die Taten. SZ, taz (Erik Peter), zeit.de (Christian Vooren) und spiegel.de (Wiebke Ramm) berichten.
BVerfG zu Masernimpfpflicht: Auf dem Verfassungsblog widmet sich Rechtsprofessorin Frauke Rostalski der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Masern-Impfpflicht an Kitas. Sie kritisiert darin, dass das Bundesverfassungsgericht die in der Gesellschaft immer größer werdende Aversion gegenüber gesundheitsbezogenen Risiken unbeanstandet abbilde. In der Folge würden die Grenzen erlaubten Verhaltens zugunsten erweiterter staatlichen Schutzpflichten verschoben und der "Korridor der Eigenverantwortung hinsichtlich der in Rede stehenden Risiken" verenge sich.
OLG Frankfurt/M. zum Permanent Make-up: Lässt man seine Augenbrauen mit Permanent Make-up behandeln und gefällt einem das Ergebnis nicht, so begründet diese Geschmacksabweichung keinen Mangel. Dies gab das Oberlandesgericht Frankfurt/M. in einem Hinweisbeschluss bekannt. Der Kläger war einen Tag nach der Behandlung in einem Wiesbadener Kosmetikstudio nicht mehr mit dem Ergebnis zufrieden und verlangte mit der dann eingereichten Klage zunächst Erstattung der Kosten einer Korrekturbehandlung sowie Schmerzensgeld, er nahm die Berufung gegen ein für ihn ungünstiges Urteil des Landgerichts Wiesbaden laut LTO nach Erlass des Hinweisbeschlusses jedoch wieder zurück.
LSG Nds-Bremen zu Brustvergrößerung: Trotz psychischer Belastungen, nicht "der Ästhetik des weiblichen Körpers" entsprechende Brüste zu haben, besteht kein Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Brustvergrößerung durch die Krankenkasse. Das entschied laut LTO das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle. Dessen Sprecher stellte zudem fest, dass Prozesse um Lifestyle-OPs und ästhetische Medizin in den letzten ein bis zwei Jahren Teil des gerichtlichen Alltagsgeschäfts geworden seien.
LAG Sachsen zum Schutz sensibler Akten: Weil eine Kreditsachbearbeiterin entgegen einer betrieblichen Richtlinie Schreibtischfächer mit sensiblen Kundendaten beim Verlassen des Arbeitsplatzes wiederholt nicht abschloss, wurde ihr gekündigt. Anders als die Vorinstanz wertete das Landesarbeitsgericht Sachsen die Kündigung laut spiegel.de wegen des wiederholten Verstoßes gegen eine Hauptpflicht als verhältnismäßig.
LG Leipzig – MDR/Udo Foht: Am Donnerstag startet vor dem Landgericht Leipzig ein Prozess wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit gegen den ehemaligen MDR-Unterhaltungschef Udo Foht. Dieser soll sich u.a. von bekannten Schlagerstars große Summen geliehen haben und sie anschließend nicht zurückgezahlt haben. Die SZ (Anna Ernst) bringt einen Vorabbericht.
LG Hanau zu Brandstiftung durch Feuerwehrmann: Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Hanau hat das Gericht einen jungen Feuerwehrmann vom Vorwurf freigesprochen, für eine Brandserie mit bis zu sechsstelligen Schäden in Neuberg im Main-Kinzig-Kreis vor zwei Jahren verantwortlich zu sein. Dem Gericht reichten laut FAZ (Jan Schiefenhövel) die in der Anklage angeführten Indizien nicht für einen Schuldspruch. Die Ermittlungen hätten nicht einmal ein Gutachten zu den Brandursachen enthalten.
AG Bad Iburg zu Tierquälerei: In einem niedersächsischen Schlachthof sollen Mitarbeiter 2018 in über 70 Fällen Rinder angenommen und abgefertigt haben, die infolge von Verletzungen und/oder Erkrankungen nicht mehr transportfähig und deshalb bei Ankunft am Schlachthof nicht mehr in der Lage gewesen seien, das Transportfahrzeug selbstständig zu verlassen. Dabei sollen Mitarbeiter massive Gewalt angewandt und Schmerzen der Tiere mindestens billigend in Kauf genommen haben. Wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz hat das Amtsgericht Bad Iburg nun den Geschäftsführer zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe sowie einer Geldstrafe und zwei seiner Angestellten zu neun Monaten auf Bewährung plus Geldstrafe verurteilt. Tierschützer:innen kritisierten das Urteil als zu milde, berichten taz-nord (Harff-Peter Schönherr) und spiegel.de.
Telemedizin in der JVA: In Baden-Württemberg soll nach vierjähriger Pilotphase die telemedizinische Behandlung zu einem Standardangebot in den Gefängnissen werden. Wie LTO schreibt, versucht das Land so, den Mangel an Gefängnisärzt:innen auszugleichen.
Recht in der Welt
USA – Facebook/Cambridge Analytica: Im Prozess eines Facebook-Nutzers gegen den Social-Media-Konzern Meta wegen dessen Weitergabe von Nutzer:innendaten an Cambridge Analytica ohne Kenntnis der Nutzer:innen haben die Verfahrensbeteiligten am Wochenende darum gebeten, das Verfahren für 60 Tage auszusetzen, um die Details einer ausgearbeiteten Einigung fixieren zu können. Details sind laut LTO bislang nicht bekannt.
EuGH/Polen – Corona-Zuschüsse und Justizreform: Die FAZ (Thomas Gutschker) berichtet vertieft über die Klage von vier europäischen Richterverbänden vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Beschluss des EU-Ministerrats vom Juni, die Mittel des EU-Corona-Aufbau- und Resilienzfonds für Polen zu entsperren. Die von der EU-Kommission mit Polen ausgehandelten sogenannte Meilensteine für eine Rücknahme der Justizreform blieben hinter den Auflagen der bisherigen EuGH-Urteile zurück, kritisieren die Verbände.
Sonstiges
Öffentliche Rechtsauskunft Hamburg: In Hamburg kann man seit bald 100 Jahren kostenlosen Rechtsrat bei der Öffentlichen Rechtsauskunft und Vergleichsstelle Hamburg (ÖRA) erhalten. Anders als in den meisten anderen Bundesländern helfen hier ehrenamtlich tätige Rechtsanwält:innen und Richter:innen; Bedürftige sparen sich den umständlichen und für Rechtsanwält:innen wenig rentablen Weg zu einem gerichtlichen Beratungshilfeschein. LTO berichtet.
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LTO/jpw
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Die juristische Presseschau vom 30. August 2022: . In: Legal Tribune Online, 30.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49466 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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