Die juristische Presseschau vom 18. August 2022: OLG Frank­furt zur Befan­gen­heit eines Rich­ters / BGH ver­schiebt Falk-Ver­kün­dung / OVG Berlin-BB zu Aus­künften über Schröder

18.08.2022

OLG Frankfurt/M. lehnt Wiederaufnahme eines Falles trotz EGMR-Rüge ab. BGH hat die Verkündung des Urteils im Fall Alexander Falk verschoben. Journalisten erhalten vom Kanzleramt keine Auskunft über Kontakte von Ex-Kanzler Gerhard Schröder.

Thema des Tages

OLG Frankfurt/M. zur Befangenheit eines Richters: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat die Wiederaufnahme eines Verfahrens abgelehnt, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  den Umgang der deutschen Justiz mit der möglichen Befangenheit eines Richters gerügt hatte. Konkret geht es um einen Mord aus Habgier. Eine Ehefrau und ihr Geliebter hatten den Ehemann umgebracht. Das Landgericht Darmstadt verurteilte 2011 zuerst den Mann, in einem separaten Prozess drei Jahre später auch die Frau. Der Vorsitzende Richter im zweiten Prozess war schon am ersten Prozess beteiligt. Dies rügte der Anwalt der verurteilten Frau vor dem Euroäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Richter sei im zweiten Strafprozess nicht mehr unvoreingenommen gewesen. Der EGMR teilte diese Auffassung, weil die Angeklagte "berechtigterweise die Befürchtung haben konnte, dass Richter M. hinsichtlich ihrer Schuld eine vorgefasste Meinung habe". Doch die hessischen Strafgerichte lehnten eine Wiederaufnahme des Verfahrens ab. Es sei nicht ausreichend dargelegt worden, dass die Befangenheit Einfluss auf den Ausgang des zweiten Strafprozesses hatte, entschied zuletzt das Oberlandesgericht Frankfurt/M. Der Anwalt bereitet jetzt eine Verfassungsbeschwerde vor. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet. 

Rechtspolitik

Sicherheitsgesetze Hessen: Rechtsprofessor Markus Ogorek kritisiert auf LTO die geplante Verschärfung des hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes. Dort soll der Polizei generell die Videoüberwachung aller Bahnhöfe, Flughäfen, Sportstätten, Einkaufszentren und Packstationen erlaubt werden. Zur Durchsetzung von Wohnungsverweisen soll zudem die elektronische Fußfessel eingesetzt werden können. Es bestehe die Gefahr, dass diese in einigen Jahren auch für viele andere Zwecke eingesetzt werden soll. Außerdem sollen im Hessischen Verfassungsschutzgesetz Regelungen aus dem jüngst für verfassungswidrig erklärten bayerischen Verfassungsschutzgesetz übernommen werden. Der Autor nimmt die geplanten Verschärfungen zum Anlass für grundsätzliche Kritik an der Sicherheits-Gesetzgebung.

Verkehrsgerichtstag: LTO (Chiara Prestin) gibt einen Überblick über die Themen des bis Freitag andauernden Verkehrsgerichtstages. In sieben Arbeitskreisen diskutieren und referieren Experten unter anderem über Cannabis im Straßenverkehr, die Gefährdungshaftung für geschwindigkeitsreduzierte Fahrzeuge wie E-Scooter und die Sicherheit von Radfahrer:innen.

Einreiseverbot für russische Tourist:innen: Auf dem Verfassungsblog bejaht Rechtsprofessor Merjin Chamon (in englischer Sprache) die Frage, ob ein Einreiseverbot für russische Tourist:innen in den Schengen-Raum rechtmäßig sein kann. Chamon erläutert, dass ein Mechanismus eingeführt werden könnte, der die Verhängung vorübergehender und gezielter Verbote ermögliche, wenn eine Bedrohung für die internationalen Beziehungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten bestehe. Ebenfalls auf dem Verfassungsblog erläutert Doktorand Jonas Bornemann (in englischer Sprache) verschiedene politische Gründe, die gegen die Verhängung eines pauschalen Reiseverbots sprechen und weist darauf hin, dass es schwierig bleibe, eine klare Unterscheidung zwischen touristischen und nichttouristischen Reisen zu treffen.

Justiz

BGH – Alexander Falk: Die für den gestrigen Mittwoch angesetzte Verkündung der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes im Fall des erstinstanzlich wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung verurteilten Unternehmers Alexander Falk wurde aufgehoben. Die Gründe hierfür seien "dienstlich" und stammten "aus dem Geschäftsbereich des Bundesgerichtshofes selbst", so der BGH. Einen neuen Verkündungstermin gebe es bisher nicht. Dies berichtet LTO (Tanja Podolski).

OVG Berlin-BB zu Auskunftsanspruch wegen Schröder-Büro: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass das Bundeskanzleramt keine Auskunft über Gesprächstermine geben muss, die das Büro des Ex-Bundeskanzlers Gerhard Schröder in den Jahren 2019 bis 2022 vereinbart hat. Das Büro sei eine eigenständige Behörde im presserechtlichen Sinn. Geklagt hatte der Journalist Arne Semsrott, der insbesondere wissen wollte, ob Termine im Zusammenhang mit den Unternehmen Gazprom, Nord Stream 2 oder Rosneft standen. LTO berichtet.

OLG Frankfurt/M. zu Schriftsätzen per Fax: Dass anwaltliche Anträge und Erklärungen nur noch in elektronischer Form und nicht mehr per Fax einzureichen sind, gilt unabhängig davon, ob für das Verfahren ein Anwaltszwang besteht oder nicht. Dies hat laut LTO das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden.

OLG München - Schadensersatz wegen Datenleck: Die FAZ (Marcus Jung) berichtet, dass der digitale Vermögensverwalter Scalable Capital seine Berufung gegen eine Entscheidung des Landgerichts München I zurückgenommen hat. In der Entscheidung wurde Scalable nach der DSGVO wegen eines Datenlecks zum Ersatz von immateriellem Schaden verurteilt. Ein Kunde erhielt 2.500 Euro. Unbefugte hatten sich Zugang zu persönlichen Daten wie Adressen, Steuer- und Depotinformationen von mehr als 33 000 Kunden verschafft.

Marcus Jung (FAZ) findet, dass in vielen alltäglichen Rechtsgeschäften beim Umgang mit persönlichen Daten "geschludert" wird. Sollten sich enttäuschte Kunden zu Massenklagen zusammenschließen, könnte dies für deutsche Unternehmen "existenzbedrohend" sein. Geringe Schadensersatzsummen in Höhe von 2.500 Euro, wie in diesem Fall, werden dann nicht mehr ausreichen.

VG Düsseldorf zu Corona-Soforthilfen: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat in drei Pilotverfahren die Rückforderungsbescheide der Bezirksregierung Düsseldorf für Corona-Soforthilfen aufgehoben. Die Kriterien bei der Rückforderung der Hilfen (Nachweis von Verlusten) seien andere gewesen als bei der Bewilligung der Hilfen  (Nachweis von Umsatzeinbußen). Unklarheiten gingen stets zu Lasten der Behörde. Es berichtet LTO.

VG Koblenz zu Fahrerlaubnis und unbewusstem Drogenkonsum: Das Verwaltungsgericht Koblenz hat entschieden, dass die Behauptung eines Autofahrers, er habe unbewusst Drogen zu sich genommen, von der ersten Einlassung an schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt werden muss, um den Entzug der Fahrerlaubnis zu verhindern. Es sei nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht wahrscheinlich, dass Dritte einer Person Betäubungsmittel verabreichen. Es müsse dargelegt werden, dass es vorher Personen im Umfeld gab, die einen Beweggrund hatten, dem Fahrer heimlich Drogen beizubringen. LTO berichtet.

LG Essen – Mord an Tochter: Vor dem Landgericht Essen hat der Prozess gegen eine 46-jährige Mutter wegen Mordes an ihrer 6-jährigen Tochter begonnen. Der Frau wird vorgeworfen, die Tochter im Januar getötet zu haben, indem sie ihr zunächst Beruhigungs- und Schlafmittel verabreichte, dann sie zu ertränken versuchte und als dies misslang, sie mit einem Messer erstach. Das Motiv sei laut Anklage ein Sorgerechtsstreit beider Eltern gewesen. Dies berichtet spiegel.de.

LG Köln - Kardinal Woelki vs. Thomas Schüller und Bild: Wie spiegel.de berichtet, hat der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki gegen den Kirchenrechtler Thomas Schüller und die "Bild"-Zeitung im Eilverfahren einstweilige Verfügungen beantragt. Hintergrund sind die Missbrauchsvorwürfe gegen den im Jahr 2019 verstorbenen, ehemaligen Präsidenten der katholischen Sternsinger, Winfried Pilz. Laut Woelki, sei er bis Juni 2022 nie mit dem Fall Pilz befasst gewesen. Der Vorwurf, er habe das Bistum Dresden-Meißen über den Fall Pilz informieren müssen, sei daher ungerechtfertigt.

LG München I zum "Badewannenmord": Die SZ (Hans Holzhaider) berichtet in ihrer Seite-3-Reportage über den wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Manfred Genditzki, der nach 13 Jahren Haft frei gekommen ist, nachdem das Landgericht München I seinem Wiederaufnahmeantrag stattgegeben hatte und eine neue Hauptverhandlung anordnete. Seine Anwältin kämpfte zehn Jahren für die Wiederaufnahme des Verfahrens. Genditzki wurde vorgeworfen, eine 87-jährige Rentnerin in der Badewanne ermordet zu haben. Der Einwand, es habe sich bei dem Tod der Frau um einen Haushaltsunfall gehandelt, schloss das Tatgericht damals aus. Ein Gutachten ergab hingegen, dass ein Sturz die Ursache war und grenzte den Todeszeitpunkt so ein, dass Geditzki als Täter ausschied. Ihm fehlte zudem ein Motiv.

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Vor dem Landgericht Berlin hat Anis Ferchichi alias Bushido seine Zweifel an der Echtheit der zuvor im Rahmen der Beweisaufnahme eingebrachten Audiodatei begründet. Es handele sich um einen Zusammenschnitt verschiedener Gespräche von verschiedenen Tagen, so Ferchichi. Mehrere Gesprächspassagen ergäben in der zeitlichen Abfolge "keinen Sinn" und bestimmte Themen, über die gesprochen wurden, passen nicht zu dem Gespräch am 18. Januar 2018. Ein Gutachten soll nun Klarheit schaffen. Dies berichten SZ (Verena Mayer), FAZ (Anna Vollmer) und spiegel.de (Wiebke Ramm).

StA Köln - Cum-Ex/Olaf Scholz: Wie die FAZ (Marcus Jung), focus.de und spiegel.de (Oliver Hollenstein/Oliver Schröm) berichten, sind Ermittler im Auftrag der Staatsanwaltschaft Köln bei der Beschlagnahme und Durchsuchung des Postfachs von Jeanette Schwamberger, einer langjährigen Mitarbeiterin von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), auf für ihn belastende Hinweise im Cum-Ex-Skandal gestoßen. Man habe eine E-Mail von April 2021 gefunden, die im Zusammenhang mit der Befragung von Scholz durch den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft stehe. Es gehe inhaltlich um Treffen von Scholz mit Warburg-Bankiers im Herbst 2016.

Recht in der Welt

USA – Julian Assange/CIA-Überwachung: Wie die taz (Bernd Pickert) schreibt, haben vier Kläger:innen - zwei Anwältinnen und zwei Journalisten - bei einem Gericht in New York Klage gegen die CIA und den ehemaligen CIA-Direktor Mike Pompeo mit dem Vorwurf eingereicht, die CIA habe illegal zwischen Januar 2017 und April 2018 Personen ausspioniert, die Julian Assange in seinem früheren Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London besucht haben. Die Überwachung könnte Einfluss auf die britische Entscheidung über Assanges Auslieferung haben.

Österreich – Abschiebung eines Mädchens: Der Verwaltungsgerichtshof in Wien hat entschieden, dass die Abschiebung des 12-jährigen georgischen Mädchens Tina rechtswidrig war. Das Kindeswohl sei vorrangig zu berücksichtigen und es verletze Kinderrechte, wenn ein Kind aus seinem sozialen und schulischen Umfeld herausgerissen werde. Das Mädchen war Anfang 2021 nach Georgien abgeschoben worden. Erst Monate später konnte ihr Anwalt Wilfried Embacher ein Schülervisum erwirken, mit dem sie legal zurückkehren konnte. Dies berichtet die taz (Ralf Leonhard).

Saudi Arabien – Tweets zu Frauenrechten: Wie spiegel.de (Sven Scharf) schreibt, hat ein Gericht in Saudi-Arabien die Studentin Salma al-Shehab zu 34 Jahren Haft verurteilt. Ihr wird vorgeworfen, öffentliche Unruhe zu stiften und die zivile und nationale Sicherheit zu destabilisieren. Sie hatte sich auf Twitter für Frauenrechte ausgesprochen und Beiträge von im Exil lebenden saudi-arabischen Dissidenten retweetet. Mit 3000 Followern hat ihr Twitteraccount jedoch eine geringe Reichweite.

Juristische Ausbildung

Teilzeit-Referendariat: Nach der Änderung des Deutschen Richtergesetzes müssen ab Januar 2023 alle Bundesländer ein Referendariat in Teilzeit anbieten, um insbesondere Referendar:innen, die Kleinkinder oder Familienangehörige betreuen, zu ermöglichen, die Ausbildungszeit flexibel einzuteilen und auf zweieinhalb Jahre zu verlängern. LTO-Karriere (Katharina Uharek) stellt die wichtigsten Fakten und Pläne zur Umsetzung in den einzelnen Bundesländern zusammen.

Sonstiges

Hass im Netz: Nachdem sich die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr als Reaktion auf rechte Hetze im Internet das Leben nahm, schaltete jetzt ihre Berufskollegin Natalie Grams-Nobmann, die ebenfalls fürs Impfen wirbt, ihren Twitter-Account ab. Nina Bovensiepen (SZ) nimmt dies zum Anlass für einen Kommentar, in dem sie fordert, dass Opfer von Hass und Hetze ernst genommen werden müssen. Polizei und Staatsanwaltschaft sollten auf Twitter und Co. eine genauso starke Präsenz haben, wie "auf der Straße und unter der 110". Schließlich habe der Fall Kellermeyr gezeigt, dass es um "Leben und Tod" gehe.

Brandstiftung: Die Zeit (Anna Hähnig/Martin Nejezchleba) befasst sich mit der Frage, wie es zu Brandstiftungen kommt, was Täter hierzu bewegt und wie man dem entgegenwirken könnte. Laut Michael Müller, Forstwissenschaftler an der TU Dresden, seien an 95 Prozent aller Waldbrände Menschen oder Technologien schuld.

Das Letzte zum Schluss

"Queen of Christmas": Mariah Carey möchte sich die Rechte am Titel "Queen of Christmas" markenrechtlich sichern. Blöd nur, dass ihre ebenfalls im Weihnachts-Business vertretenen Kolleginnen Darlene Love und Elizabeth Chan das anders sehen. Love betonte, der US-Moderator David Letterman habe sie bereits vor 29 Jahren zur Königin der Weihnacht erklärt. Wer ein Problem damit habe, solle ihren Anwalt oder Lettermann kontaktieren. Chan legte hingegen Einspruch ein, schließlich könne niemand das Weihnachtsfest monopolisieren. Dies schreibt spiegel.de.

 

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LTO/ok

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. August 2022: . In: Legal Tribune Online, 18.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49353 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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