Der BGH verhandelte über die Revisionen aller Beteiligten im Prozess über den Lübcke-Mord. Im Bundestag formiert sich überparteilicher Widerstand gegen Pränataldiagnostik. Der Kronzeuge Johannes D. sagte erstmals aus im Dresdener Antifa-Prozess gegen Lina E und andere.
Thema des Tages
BGH – Mord an Walter Lübcke: Der Bundesgerichtshof hat über die von allen Beteiligten im Mordfall Walter Lübcke eingelegten Revisionen verhandelt. Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat den Rechtsextremisten Stephan Ernst im Januar 2021 wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Den damaligen Freund von Ernst., Markus H. sprach es jedoch vom Vorwurf der Beihilfe frei. Diesen Freispruch von H. griffen die Bundesanwaltschaft und die Familie Lübcke mit ihren Revisionen an. Das OLG habe eine falsche Beweisregel angewandt. Eine gesetzliche Beweisregel, dass einmal der Lüge Überführten (etwa Ernst) ohne weitere Indizien nicht geglaubt werden könne, gebe es angesichts der freien Beweiswürdigung im Strafprozess nicht. Angeklagt war H. wegen Beihilfe zum Mord, weil er Ernst in seinem Tatentschlus psychisch bestärkt haben und bei gemeinsamen Schießübungen seine Fähigkeiten an der Waffe verbessert haben soll. Daneben ging es am BGH auch um den Freispruch Ernsts im Zusammenhang mit einer Messerattacke auf den irakischen Asyl-Antragsteller Ahmed I. Gegen diesen Freispruch haben die Bundesanwaltschaft sowie I. Revision eingelegt. Hier soll das OLG bei der Beweiswürdigung Denkgesetze verletzt haben. Wenig Chancen werden der Revision von Stephan Ernst eingeräumt, der eine Verurteilung wegen Totschlags statt wegen Mordes anstrebt. Der Ausgang des Verfahrens ist ansonsten noch völlig offen. Eine Entscheidung soll am 25. August ergehen. Über die Verhandlung berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath) und LTO (Felix W. Zimmermann). Einen Überblick vor Verhandlungsbeginn gab tagesschau.de (Frank Bräutigam).
Die Welt (Ute Cohen) hat mit dem Verteidiger von Stephan Ernst, Mustafa Kaplan, über seine unterschiedlichen Mandate sowie den Umgang mit "ideologischen Schützengräben" gesprochen. Kaplan vertrat in der Vergangenheit schon NSU-Opfer, aber auch islamistische Salafisten und schließlich den türkischen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan. focus.de veröffentlicht einen Auszug aus Kaplans eben erschienenen Buch "Anwalt des Bösen", in dem er schildert, wie es dazu kam, dass er den türkischen Präsidenten Erdogan im Prozess gegen Jan Böhmermann vertrat.
Rechtspolitik
Pränataldiagnostik: Eine interfraktionelle Gruppe von Bundestagsabgeordneten fordert, dass ethisch hochbrisante Fragen wie Untersuchungen während der Schwangerschaft vom Bundestag und nicht in der Gesundheitsverwaltung (vom Gemeinsamen Bundesausschuss) entschieden werden sollten. Dabei geht es laut sz.de vor allem um Regelungen zum Umgang mit Pränataltests, die anhand des Bluts der Mutter Auskunft über die Möglichkeit einer Trisomie beim ungeborenen Kind geben. Seit Juli übernehmen die Krankenkassen in begründeten Fällen die Kosten für den Test.
Wehrpflicht: In einem Gastbeitrag für die Welt spricht sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Moritz von Rochow für die Wiedereinführung einer Wehrpflicht aus. Er erinnert dabei an die Gefahren eines politisch und regional verengten "Staat im Staate" und weist auf die starke Integrationskraft für die Gesellschaft hin, die eine heterogen besetzte Armee mit sich bringe.
Medienfreiheit: In einem Gastbeitrag für die FAZ kritisisert Heike Raab (SPD), Innenstaatssekretärin in Rheinland-Pfalz, die Ankündigung der EU-Kommission, im dritten Quartal dieses Jahres eine Verordnung zum Schutz von Unabhängigkeit und Pluralismus der Medien in Europa vorzuschlagen. Statt einer direkt verbindlichen Verordnung sei eine Richtlinie geeigneter. Der berechtigte Wunsch nach Harmonisierung dürfe nicht dazu führen, die bestehende Pluralität teilweise gut funktionierender Medienordnungen zu gefährden.
Justiz
OLG Dresden – militante Antifa/Lina E.: Im Prozess wegen brutaler Überfälle von Linksextremist:innen auf Rechtsextreme vor dem Oberlandesgericht Dresden hat nun der Kronzeuge Johannes D. erstmals ausgesagt. Den zunächst gestellten Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit hat er zurückgezogen und sodann seine Beteiligung an einem Überfall im Dezember 2019 auf den Wirt eines rechten Szenelokals in Eisenach geschildert, bei dem auch Hammer eingesetzt werden sollten und an dem die Hauptangeklagte Lina E. beteiligt gewesen sein soll. Zur Rolle Lina E.s konnte der Kronzeuge wenig sagen. Als Führungsperson schilderte er eher Lina E.s untergetauchten Verlobten. Es berichten SZ (Antonie Rietzschel), taz (Konrad Litschko), FAZ (Stefan Locke), spiegel.de (Wiebke Ramm) und LTO.
BFH zu Zweitausbildung: Wenn eine ausgebildete und angestellte Finanzbeamtin neben ihrer Anstellung Jura studiert, hat deren Mutter keinen Anspruch auf Kindergeld. Das entschied der Bundesfinanzhof und verwies darauf, dass der Umfang der Erwerbstätigkeit der Finanzbeamtin mit 28 Wochenstunden zu hoch sei, um noch davon ausgehen zu können, dass das Studium die Haupttätigkeit darstellt. LTO berichtet.
BFH zu Erbschaftssteuerbefreiung: Der für eine Erbschaftsteuerbefreiung erforderliche "unverzügliche" Einzug der Kinder in ein geerbtes Familienheim kann ausnahmsweise auch erst anderthalb Jahre später erfolgen. Die übliche Frist von sechs Monaten für den Einzug kann überschritten werden, wenn etwa Räumungs- und Renovierungsarbeiten infolge eines Handwerkermangels länger dauern, entschied laut SZ und FAZ der Bundesfinanzhof.
OLG Karlsruhe – gefälschte Impfpässe: Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat dem Bundesgerichtshof (BGH) die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob das Vorzeigen eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke bereits vor einer Änderung des Strafgesetzbuchs (StGB) zum 24. November 2021 strafbar gewesen ist. LTO bringt einen Überblick, welche Oberlandesgerichte eine Strafbarkeit bislang angenommen haben und welche von einer Sperrwirkung des § 279 StGB a.F. ausgingen. Dieser bestrafte ausdrücklich nur die Vorlage gegenüber Behörden oder Versicherungen, nicht aber gegenüber Apotheken.
AG Hamburg zu Trunkenheitsfahrt von "About You"-Chef: Weil Tarek Müller, Chef des Modehändlers "About You", den gegen ihn erlassenen Strafbefehl wegen einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Roller in Höhe von 30 Tagessätzen à 50 Euro (insgesamt 1.500 Euro) nicht akzeptieren wollte, kam es zu einer mündlichen Verhandlung und einer Offenlegung seiner tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse. Das Amtsgericht Hamburg hat daraufhin den Einspruch verworfen und die Höhe der Tagessätze auf je 2.670 Euro (insgesamt 80.100 Euro) korrigiert. Welt und LTO berichten.
AG Köln zu Mietkaution: Nun berichtet auch die FAZ (Marcus Jung) über die Entscheidung des Amtsgerichts Köln, nach der eine Mietkaution, die vom Vermieter in Aktien angelegt wurde, auch in dieser Form herausgegeben werden muss. Im Zeitpunkt der Klageerhebung 2021 hatten die angelegten Wertpapiere der ursprünglichen Mietkaution in Höhe von 800 DM einen Wert von rund 115.000 Euro. Zwar hatte der ursprüngliche Mietvertrag vorgesehen, dass alternativ zur Herausgabe der Wertpapiere auch eine Auszahlung der ursprünglichen Kaution (umgerechnet ca. 408 Euro) möglich ist. Das AG Köln erklärte diesen Passus jedoch für unwirksam angesichts der Regelung in § 551 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), nach der Erträge aus der Mietsicherheit dem Mieter zustünden.
AG Karlsruhe – Kopfgeld auf Polizisten: Weil er bei einer Protestveranstaltung gegen die staatliche Corona-Politik ein Kopfgeld in Höhe von 50.000 Euro auf einen Polizisten ausgesetzt hat, um Informationen über konkretes, strafwürdiges Fehlverhalten des Beamten zu erlangen, muss sich Klaus Peter Schimmelpfennig nun vor dem Amtsgerichts Karlsruhe verantworten. Verbunden wurden insgesamt fünf Strafbefehlsverfahren, die die Vorwürfe der üblen Nachrede, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz sowie Beleidigung umfassen. focus.de (Göran Schattauer) beschreibt zudem, wie der bekannte Querdenker in der Vergangenheit bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.
Geschlechterdiskriminierung: Im Gespräch mit der taz (Uta Schleiermacher) äußert die Rechtsanwältin Leonie Thum den Wunsch nach mehr Beschwerden, Klagen und Urteilen auf Grundlage des Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetzes, insbesondere im Bereich der Geschlechterdiskriminierung. Nur so könne eine gute Beratung in einem emotional sehr sensiblen Bereich gewährleistet werden. Das diene letztlich auch der Rechtssicherheit. Anlass ist die Diskussion über weibliches oben ohne-Sonnenbaden in städtischen Parks und Wasserspielplätzen.
Schiedsverfahren: Mit der Präsidentin des Schiedsgerichtshofes der Internationalen Handelskammer (ICC) Claudia Salomon hat die FAZ (Marcus Jung) über die Entwicklungen von Schiedsinstitutionen gesprochen, die sich immer mehr auch den Anliegen kleiner und mittelständischer Unternehmen annehmen.
Recht in der Welt
Ukraine – Generalstaatsanwalt: taz (Barbara Oertel) und FAZ (Reinhard Veser) porträtieren Andrij Kostin, der auf Vorschlag von Präsident Wolodymyr Selenskyj vom Parlament mit großer Mehrheit zum neuen Generalstaatsanwalt der Ukraine gewählt worden ist. Der gelernte Jurist hatte zunächst als Anwalt gearbeitet und ist 2019 für Selenskyjs Partei "Diener des Volkes" ins Parlament gewählt worden. Ihn begleiten Vorwürfe unlauterer bis korrupter Praktiken.
Großbritannien – Biologische Geschlechter: In einem Verfahren vor einem englischen Gericht ist der britischen Rechtsanwältin Allisson Baileys eine Entschädigung in Höhe von 22.000 Pfund wegen einer Diskriminierung durch ihren Arbeitgeber zugesprochen worden. Dieser habe sie zu Unrecht für die u.a. in Tweets geäußerte Ansicht, dass das biologische Geschlecht unabänderlich sei, kritisiert. Die Klage gegen die Organisation Stonewall, die die Inklusion in ihrer Kanzlei fördern sollte, sowie die Behauptung eines Einkommensverlustes wurden hingegen abgewiesen. Die FAZ (Gina Thomas) berichtet.
Großbritannien – Live-Übertragung von Urteilsverkündung: Erstmals ist eine Urteilsverkündung an einem englischen Strafgericht live im Fernsehen übertragen worden. Um die Privatsphäre von Opfern, Zeug:innen und Jury-Mitgliedern zu schützen, ist laut LTO aber nur die verkündende Richterin Sarah Munro gezeigt worden.
USA – Mord an George Floyd: Wegen der Verletzung der Bürgerrechte des Afroamerikaners George Floyd, der vor zwei Jahren unter dem Knie eines weißen Polizisten starb, sind zwei ehemalige Kollegen des Beamten zu dreieinhalb bzw. drei Jahren verurteilt worden. Sie wurden laut FAZ (Christiane Heil) verurteilt, bei dem Einsatz Floyd verfassungswidrig nicht geholfen und seine medizinische Versorgung nicht veranlasst zu haben.
USA – Britney Spears: Bei der Untersuchung der Vorwürfe, wonach sich der Vater von Britney Spears als langjähriger Vormund am Millionenvermögen seiner Tochter bereichert haben soll, muss sich Spears keiner Befragung durch ihren Vater und dessen Anwält:innen stellen. Das entschied eine US-Richterin auf Antrag der Sängerin, melden SZ und FAZ.
Frankreich – Mohammed bin Salman: Eine Menschenrechtsgruppe hat nach eigenen Angaben im Zusammenhang mit der Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi 2018 vor einem Pariser Gericht Klage gegen den saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman eingereicht. Die Gruppe Democracy for the Arab World Now (Dawn) mit Sitz in Washington rief die französischen Behörden anlässlich des zeitgleich stattfindenden Besuchs des Kronprinzen in Frankreich auf, strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten. Es berichten das Hbl und spiegel.de (Britta Sandberg/Susanne Koelbl).
Israel - Völkerstrafrecht und Apartheid: Nachdem sich in den vergangenen Monaten die Vorwürfe häuften, Israels Behörden würden Methoden der Apartheid praktizieren, setzt sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin Lisa Wiese auf LTO mit der Frage auseinander, ob tatsächlich Völkerrechtsverstöße vorliegen könnten. Auch wenn es ein explizites völkerstrafrechtliches Verbot der Apartheid gebe, sei dies bislang gerichtlich noch nicht zur Anwendung gekommen. Die Autorin warnt zudem vor einem pauschalen Framing kritikwürdiger Praktiken, das letztlich schädlich für den Friedensprozess sei.
Sonstiges
Anwaltstag 2023: Der vom Deutschen Anwaltsverein (DAV) ausgerichtete Anwaltstag wird 2023 vom 14. bis 16. Juni in Wiesbaden stattfinden und unter dem Motto "Mit Recht nachhaltig" stehen. Der DAV wolle mit der Wahl des Themas Nachhaltigkeit auch ein Signal in Richtung der jüngeren Jurist:innen-Generation setzen. LTO berichtet.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/jpw
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Die juristische Presseschau vom 29. Juli 2022: . In: Legal Tribune Online, 29.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49181 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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