Vermieter:innen müssen Kosten wegen Renovierung darlegen. Lehrerin mit Verbindung zu Reichsbürger:innen bekommt 20% weniger Lohn. Polizei darf auf Standortdaten von Mercedes zugreifen.
Thema des Tages
BGH zu modernisierten Mietwohnungen: Der Bundesgerichtshof hat laut LTO entschieden, dass Vermietende, die eine Mietwohnung modernisieren und dafür mehr Geld von der Mietpartei haben möchte, ihre Kosten für die Renovierung auch nachweisen müssen. Die Mietpartei muss die Mieterhöhung auf Plausibilität überprüfen können. Die Anforderungen an die bereitgestellten Informationen seien jedoch nicht zu hoch anzusetzen, da dies sonst dazu führen könnte, dass Vermietende von Modernisierungen abgehalten werden.
Rechtspolitik
Neue Verfassungsrichter:innen: Am Bundesverfassungsgericht wird an diesem Freitag der ausscheidende Verfassungsrichter Andreas Paulus mit einem Festakt verabschiedet und sein Nachfolger Heinrich Amadeus Wolff eingeführt. Die SZ (Wolfgang Janisch) nutzt dies für ein Portrait Wolffs, der den Sicherheitsbehörden wieder mehr Freiraum verschaffen könnte. Außerdem müssen bis Anfang nächsten Jahres am Bundesverfassungsgericht insgesamt fünf Posten neu besetzt werden. Es scheiden aus: Gabriele Britz und Susanne Baer (Erster Senat) sowie Peter M. Huber, Monika Hermanns und Peter Müller (Zweiter Senat). Das Gericht könnte nach der teilweisen Neubesetzung weniger europaskeptisch entscheiden.
Genehmigungs- und Vergabeverfahren: Rechtsprofessor Martin Burgi erklärt auf LTO, wie Genehmigungs- und Vergabeverfahren etwa mit Blick auf neue LNG-Anlagen zur Zeit ablaufen und welche Regelungen kürzlich durch das LNG-Beschleunigungsgesetz geändert wurden. Er macht Vorschläge, worauf in Zukunft das Augenmerk liegen sollte. Neben seinen rechtlichen Ausführungen hält er fest, dass eine Beschleunigung auch leistungsfähiges Personal in den Behörden erfordere, also auch mehr Personalausgaben der öffentlichen Hand nötig seien.
Familien: In einem Gastbeitrag für FAZ-Einspruch fordert der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof, dass der Staat die Normalfamilie wieder stärker in den Blick nehmen solle. Der Rechtsstaat müsse Nachhaltigkeitspolitik "mit Schutz und Förderung der Familie beginnen, die Demokratie ihre Existenz im Staatsvolk durch Anerkennung und Förderung der Familienleistung gewährleisten".
Justiz
VGH Bayern zu Lehrerin als Reichsbürgerin: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass eine bayerische Lehrerin, der eine Nähe zum Gedankengut der sogenannten "Reichsbürger" nachgesagt wird, für die Dauer von fünf Jahren das Gehalt um 20 Prozent gekürzt werden darf. Die Frau werde jedoch nicht aus dem Beamtenstand entfernt. Die Lehrerin war aufgefallen, da sie einen sogenannten Staatsangehörigkeitsausweis beantragt hatte, der immer wieder von Reichsbürger:innen offiziell beantragt wird, die Personalausweis und Reisepass als Identitätsnachweis ablehnen. Die Gehaltskürzung ist im Wege einer Disziplinarmaßnahme gegen die Lehrerin erfolgt. Es berichtet LTO.
OLG Frankfurt/M. zu Auto-Standortdaten: Auf LTO analysiert Rechtsanwalt Felix Ruppert einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. aus dem Sommer 2021, der Ermittler:innen erlaubte, nicht nur darauf zuzugreifen, wo ein Auto sich befindet, sondern durch die Navigations-Auswertung auch zu erfahren, wohin das Auto gefahren ist. Im Ausgangsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsrichter beantragt, die Mercedes Benz AG zu verpflichten, über die in Echtzeit aufgezeichneten Standortdaten eines Fahrzeugs Auskunft zu erteilen, mit denen ein Verdächtiger an einen unbekannten Ort geflohen war. Dagegen legte Mercedes Beschwerde ein, die vor dem OLG Frankfurt/M. erfolglos blieb.
BVerfG zu Triage: Im Verfassungsblog thematisiert der Ethiker Tim Reiß, dass durch den Triage-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2021 der Gesetzgeber zwar verpflichtet wurde, Vorkehrungen gegen eine mögliche Benachteiligung behinderter Menschen bei der Zuteilung von Behandlungsressourcen zu treffen, dabei jedoch das Problem einer möglichen mittelbaren Diskriminierung ausgeblendet worden sei. Diese mittelbare Benachteiligung könne sich bei einer Priorisierung nach dem Kriterium der Erfolgsaussichten ergeben, auch wenn sich diese nur auf einen kurzen Zeitraum beziehen.
BGH zu Berichterstattung bei Strafverfahren: LTO (Martin Huff) analysiert ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Mai, wonach die Medienberichterstattung über ein Strafverfahren nicht grundsätzlich anonym sein muss, sondern die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind. Außerdem wurde entschieden, dass vor einer Berichterstattung aus dem Gerichtssaal der Angeklagte nicht über die dort verhandelten Tatsachen angehört werden muss. Gegenstand des Verfahrens war ein Artikel auf bild.de vom 28. Februar 2018, in dem über den ersten Prozesstag gegen einen Kölner Zahnarzt berichtet wurde, wobei der vollständige Vorname, der mit erstem Buchstaben abgekürzte Nachname, das Alter und die Lage der Zahnarztpraxis in der "Kölner Innenstadt" mitgeteilt wurde. Das Urteil stelle die dritte Leitsatzentscheidung zugunsten der Medien in kurzer Zeit dar.
BVerwG zu Rückkehrförderung: Immer häufiger werden Rückkehrprämien in asylgerichtlichen Entscheidungen zur Begründung für oder gegen die Feststellung der Gefahr einer humanitären Notlage angeführt, so kürzlich auch in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Dies nimmt der wissenschaftliche Mitarbeiter Valentin Feneberg im Verfassungsblog zum Anlass, die jüngsten Gerichtsentscheidungen hierzu zu analysieren und die dahinterstehende rechtliche Argumentation zu durchleuchten.
BAG zu OP-Maske: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Reinigungskräfte, die bei der Arbeit eine OP-Maske tragen müssen, keinen Erschwerniszuschlag erhalten. Den Zuschlag gäbe es grundsätzlich für das Tragen einer medizinischen Schutzausrüstung – etwa einer Atemschutzmaske. Das Gericht entschied, dass die OP-Maske am Arbeitsplatz lediglich dem Fremd-, aber nicht dem Eigenschutz diene und daher keine Schutzausrüstung darstelle. Der Kläger hatte erklärt, die Maske auch zum eigenen Schutz vor Ansteckung zu tragen. Es berichtet LTO.
BAG – Kirchenaustritt: Das Bundesarbeitsgericht hat den Fall einer Hebamme dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Die Hebamme war von einem katholischen Krankenhaus in der Probezeit gekündigt worden, weil sie vor ihrer Einstellung aus Protest gegen die Missbrauchsskandale aus der katholischen Kirche ausgetreten war. Das Hospital, das durchaus konfessionslose Hebammen beschäftigt, sieht den Kirchenaustritt dagegen als bewusste Abwendung von der Kirche und befürchtet kirchenfeindliche Agitation. Der EuGH soll nun entscheiden, ob eine Kirche Personen, die vor der Einstellung aus der Kirche ausgetreten sind, generell als ungeeignet ablehnen darf. taz.de (Christian Rath) und LTO berichten.
BayObLG zu Richterbeleidigung: Ein Mann ist laut LTO (Katharina Uharek) vom Bayerischen Obersten Landesgericht wegen Beleidigung eines Amtsrichters zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro verurteilt worden, da er den Richter in einer Dienstaufsichtsbeschwerde an den Präsidenten des Landgerichts der Untreue bezichtigt und einen "ekelig parteiischen Amtsrichter" genannt hatte. Der Verurteilte hatte sich zu diesen Äußerungen hinreißen lassen, nachdem der Richter eine – übliche – Gerichtskostenentscheidung erlassen hatte, wonach das Gericht den Mann als Zweitschuldner für die Gerichtskosten der unterlegenen Gegenseite in Anspruch nahm.
LGs Köln/Düsseldorf/München – Datenweitergabe Mobilfunkanbieter: Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat an den Landgerichten in Köln, Düsseldorf und München Klage gegen die Mobilfunkanbieter Telefónica, Deutsche Telekom und Vodafone eingereicht, weil diese in den vergangenen Jahren Vertragsdaten von Kund:innen an Auskunfteien wie die Schufa weitergegeben haben. Die Vertragsdatenübermittlung erfolgte auf einer rechtlich strittigen Grundlage. Es berichtet die SZ (Nils Wischmeyer).
AG Halle zu Identitären: Das Amtsgericht Halle hat vier Männer aus der rechtsextremen Identitären Bewegung freigesprochen, die wegen Schlägen gegen einen Mann und zwei Frauen angeklagt worden waren. Die Angeklagten hatten sich auf Notwehr gegen den Mann berufen, außerdem konnte nicht mehr klar zugeordnet werden, wer die Frauen geschlagen hatte. Es berichtet die taz (Konrad Litschko).
AG Aschaffenburg zu Urlaubsmängeln: efarbeitsrecht.net (Arnd Diringer) bespricht ein Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg aus dem Jahr 1996, welches die Klage eines Mannes abwies, der verschiedene Mängel an einer Fernreise geltend machte, etwa, dass sich am Strand noch andere Menschen als seine Reisebegleitung aufgehalten hatten oder dass bei einem Buffet im Freien Fliegen am Essen waren.
VG Berlin zu Pressefreiheit von Onlinemedien: Das Verwaltungsgericht Berlin hat im Juni entschieden, dass die Pressefreiheit die "Publikation eines Druckerzeugnisses" voraussetze. Außerdem könne die Frage, ob journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien von der Rundfunkfreiheit geschützt sind, nicht im Eilverfahren geklärt werden. Der Anwalt David Werdermann analysiert auf dem Verfassungsblog die Entscheidung und ihre möglicherweise weitreichenden Konsequenzen für den Journalismus in einer sich wandelnden Medienlandschaft.
VG Göttingen zu Namensänderung: Das Verwaltungsgericht Göttingen hat laut LTO entschieden, dass ein Mädchen nun einen zweiten Vornamen bekommen darf, da es denselben Namen wie ein bekannter Sprachassistent habe. Namen wie Alexa oder Siri seien Schlüsselworte zur Nutzung von entsprechenden Geräten und deshalb in besonders herausragendem Maße missbrauchsgeeignet. Ein solcher Name lade dazu ein, beleidigende oder erniedrigende Befehle an Personen mit dem gleichen Namen zu erteilen.
AG Frankfurt/M. – Cum-Ex/Fortis Bank: Aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt/M. wurde ein ehemaliger deutscher Geschäftsführer der belgischen Fortis-Bank wegen seiner möglichen Verwicklung in den Cum-Ex-Komplex von der spanischen Kriminalpolizei auf Mallorca festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, zusammen mit anderen Mitbeschuldigten das Cum-Ex-Modell initiiert und mehrfach umgesetzt zu haben. Gegen ihn wird wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen ermittelt. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. betreibe die Auslieferung des Mannes nach Deutschland. Es berichten FAZ (Hanno Mußler) und LTO.
Recht in der Welt
Österreich – Ibiza-Affäre: Das Bezirksgericht Leopoldstadt hat in Wien das Verfahren gegen einen der Hintermänner des sogenannten Ibiza-Videos gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt, wie die FAZ (Stephan Löwenstein) berichtet. Die Anklage hatte auf Missbrauch von Tonaufnahme- und Abhörgeräten sowie auf Datenschutzverstoß gelautet. Der Angeklagte war an der Verbreitung der heimlich angefertigten Aufnahmen auf Ibiza beteiligt, die wegen skandalöser Aussagen des damaligen österreichischen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache (FPÖ) zu dessen Rücktritt führten.
Niederlande – begnadigter Drogenhändler: In den Niederlanden wurde ein ehemaliger niederländischer Fernsehmoderator und verurteilter Drogenschmuggler begnadigt und anderthalb Jahre früher aus der Haft entlassen, wie die FAZ (Thomas Gutschker) schreibt. Eine Begründung wurde nicht veröffentlich, weshalb nun spekuliert wird, dass der Mann wegen seiner früheren Prominenz bevorzugt behandelt werde. Die Entscheidung fällt in eine Zeit, in der das Land unter dem Eindruck von Rachemorden und mehreren Prozessen gegen Mitglieder der sogenannten Mocro-Mafia steht.
USA – Empfängisverhütung: Das US-Repräsentantenhaus hat laut spiegel.de einen Gesetzentwurf für das Recht auf Empfängnisverhütung mit 228 zu 195 Stimmen verabschiedet. Damit soll einer möglichen Änderung der Rechtsprechung des US-Supreme Courts vorgebeugt werden. Aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse im Senat hat das Gesetz jedoch keine großen Chancen, genauso wie ein am vergangenen Dienstag verabschiedetes Gesetz zur Ehe für alle.
USA – Floyd-Prozess: Der Ex-Polizist Thomas Lane wurde vor einem Bundesgericht in Minnesota zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er George Floyd keine Hilfe geleistet hatte, als dieser von dem Polizisten-Kollegen Derek Chauvin ermordet wurde, indem er ihm das Knie neun Minuten lang auf den Hals drückte. spiegel.de berichtet.
Sonstiges
Massenverfahren: Ein neues Forschungsprojekt in Niedersachsen und Bayern widmet sich laut LTO der Frage, ob eine Software die Belastung durch Massenverfahren von Gerichten bundesweit abmildern kann. Ein besonderes Problem seien dabei unstrukturierte, nicht auf den Einzelfall abgepasste Parteivorträge. Konkret soll der Parteivortrag durch die Software strukturiert werden, die Vorteile für das Verfahren als auch für die Prozessbeteiligten werden untersucht.
Rechtsgeschichte - kolonialistischer Justizmord: In Ulm und Aalen wird über die Rehabilitierung des Duala-Königs Rudolf Duala Manga Bell diskutiert, der am 8. August 1914 in Kamerun ermordet wurde, wie die FAZ (Rüdiger Soldt) berichtet. Als Kind und Jugendlicher hatte er mehrere Jahre in Ulm und Aalen verbracht und war dort zur Schule gegangen. Der Fall gelte als einzigartiger Justizmord in der Geschichte des deutschen Kolonialismus. So wurden etwa die Strafverteidiger Hugo Haase und Paul Levi davon abgehalten, an dem in Kamerun stattfindenden Prozess teilzunehmen, die Grundsätze eines unabhängigen und fairen Prozesses wurden missachtet. Nun sollen im Rahmen der Aufarbeitung des Mordes Plätze in Ulm und Aalen nach Manga Bell benannt werden.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ls
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 22. Juli 2022: . In: Legal Tribune Online, 22.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49129 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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