EuGH wertet Software zur Begrenzung der Abgasreinigung als weitgehend unzulässig. BGH sieht Pressefreiheit durch das kommunale Portal "dortmund.de" nicht gefährdet. Die Berufsgenossenschaft muss einem schwerbehinderten Mann die Kosten für Sexualassistenz bezahlen.
Thema des Tages
EuGH zum VW-Thermofenster: Eine Software, die bei Diesel-PKW die Abgasreinigung bei Temperaturen unter 15 und über 33 Grad Celsius verringert bzw. abschaltet, stellt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Ausnahmsweise zulässig ist ein Thermofenster laut der einschlägigen EU-Verordnung von 2007 nur, wenn es dem Schutz des Motors vor Beschädigungen und so der Betriebssicherheit dient. Der Schutz des Motors vor Verschleiß oder Verschmutzung fällt laut EuGH dagegen nicht unter die Ausnahme. Zudem dürfe es keine bessere technische Alternative geben und das Thermofenster dürfe nicht so eng sein, dass die Abgasreduktion im überwiegenden Teil des Jahres nicht funktioniert. Das Urteil bezieht sich auf eine Software von VW, wobei Thermofenster aber von fast allen Dieselherstellern verwendet werden. Der EuGH klärte Vorlagefragen eines österreichischen Gerichts. Die Frage der Rechtswidrigkeit wird entlang seiner engen Vorgaben nun durch nationale Gerichte entschieden. Käufer:innen hätten im Fall einer unzulässigen Abschaltvorrichtung einen Anspruch auf Nachbesserung oder auf Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs. Ob die Käufer wegen der Thermofenster auch Schadenersatz verlangen können, wird der EuGH in einem anderen Verfahren entscheiden. Der Bundesgerichtshof hat das bisher verneint. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky/Tobias Piller), SZ, taz (Christian Rath), LTO (Felix W. Zimmermann), tagesschau.de (Claudia Kornmeier), spiegel.de und zeit.de.
Tobias Piller (FAZ) kommentiert, dass die Abschaltung bei extremer Kälte oder Hitze verständlich ist. Unverständlich sei jedoch, warum für Volkswagen die extreme Kälte bis 15 Grad reichte.
Rechtspolitik
Abgeordnetenbestechung: Dietmar Hipp (spiegel.de) hält die Gesetzeslage zur Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit, die durch die BGH-Entscheidung zu den Maskendeals zweier CSU-Abgeordneter deutlich wurde, für einen "Skandal". Dass das in internationalen Verträgen vorgesehene Korruptionsdelikt der missbräuchlichen Einflussnahme bis heute nicht in deutsches Recht überführt wurde, sei "mehr als eine versehentliche Nachlässigkeit" und müsse dringend nachgeholt werden.
Kartellrecht: In einem FAZ-Gastbeitrag begrüßen Rechtsprofessor Jens-Uwe Franck und VWL-Professor Martin Peitz die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagene Verschärfung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen durch ein Entflechtungsinstrument. Danach sollen Unternehmen bei schlecht funktionierendem Wettbewerb gezwungen werden können, einzelne Teile auszugliedern und zu verkaufen. Zudem soll das Bundeskartellamt bei der Sektoruntersuchung, sprich bei der Analyse der wettbewerblichen Lage einer Branche, eigene Handlungsbefugnisse bekommen. Wenn diese Form der Sektoruntersuchung mit adäquaten Kontrollmechanismen umgesetzt werde, könnten die "Lücken im Arsenal der Wettbewerbspolitik" geschlossen werden, so die Autoren.
DJT – Besetzung von Richterämtern: Der 73. Deutsche Juristentag will sich im September mit der Unabhängigkeit der Justiz beschäftigen und dabei insbesondere diskutieren, durch wen und auf welche Weise Rechtsprechungsämter zu besetzen sind. beck-aktuell (Tobias Freudenberg) erinnert dabei an den Wechsel des CDU/CSU-Fraktions-Vize Stephan Harbarth ans BVerfG, an die Auseinandersetzung der damaligen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) mit den Bundesgerichten über die Absenkung der Anforderungen an die Senatsvorsitze und an die aktuell in Frage stehende Ernennung einer Abteilungsleiterin des baden-württembergischen Justizministeriums zur Präsidentin des OLG Stuttgart.
Justiz
BGH zu dortmund.de: Der Bundesgerichtshof hat in einer Grundsatzentscheidung zur kommunalen Öffentlichkeitsarbeit im Internet ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm bestätigt, wonach das kommunale Internetportal der Stadt Dortmund ("dortmund.de") nicht gegen das Institut der Pressefreiheit verstößt. Der BGH übertrug seine Rechtsprechung zum Stadtblatt Crailsheim, dass sich kommunale Medien auf die Erläuterung der Verwaltungstätigkeit beschränken müssen, auf Webauftritte von Kommunen. Zwar waren einige Berichte von dortmund.de, etwa zu kulturellen Veranstaltungen oder zu Borussia Dortmund, presseähnlich. Entscheidend sei jedoch die Gesamtbetrachtung und diese lasse im konkreten Fall keine Substituierung der privaten Presse erkennen. Geklagt hatte das lokale Medienhaus Lensing, das unter anderem die Tageszeitung "Ruhr-Nachrichten" herausgibt. Im November verhandelt der BGH einen ähnlichen Fall aus München ("muenchen.de"), bei dem er seine Linie konkretisieren könnte. Dort gibt es deutlich mehr nicht-amtliche Berichte und auch Werbeanzeigen. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), FAZ, LTO und spiegel.de.
SG Hannover zu Sexualassistenz: Nach einem Urteil des Sozialgerichts Hannover muss eine Berufsgenossenschaft die Kosten für eine "Sexualassistenz" für einen Mann übernehmen, der nach einem Arbeitsunfall schwerbehindert ist. Die Berufsgenossenschaft hatte dies mit der Begründung abgelehnt, dass die Befriedigung sexueller Bedürfnisse durch Sexarbeiter:innen keine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 39 Sozialgesetzbuch VII sei. Nach Ansicht des Sozialgerichts Hannover zählen sexuelle Bedürfnisse jedoch zu den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen. Selbstbestimmte Sexualität sei daher die Voraussetzung für eine wirksame und gleichberechtigte Teilhabe. LTO berichtet.
EuGH zu Vertretung von Unis vor EU-Gerichten: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs dürfen Rechtsprofessor:innen ihre eigene Hochschule vor den Gerichten der Europäischen Union vertreten. Geklagt hatte die Universität Bremen, die sich bei einem Verfahren vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) zur Zuteilung von Fördergeldern für ein Forschungsprojekt von einem eigenen Hochschullehrer vertreten lassen wollte, der zudem selbst am betreffenden Forschungsprojekt beteiligt war. Die Bedenken des EuG hinsichtlich der anwaltlichen Unabhängigkeit teilte der EuGH nicht, weil die Vertretung vor Gericht nicht zu den typischen universitären Aufgaben des Professors gehöre und er damit nicht weisungsgebunden sei. Anhaltspunkte dafür, dass die gemeinsamen Interessen hinsichtlich des Forschungsprojektes einer ordnungsgemäßen Vertretung entgegenstehen, seien nicht ersichtlich. LTO berichtet.
EuGH – Super League: In der FAZ gibt Rechtsanwalt Mark-E. Orth nach der Verhandlung des Europäischen Gerichtshof zur Zulässigkeit einer Super League eine persönliche Einschätzung ab. Der Fußballverband UEFA missbrauche seine marktbeherrschende Stellung, wenn er einerseits den Wettbewerb Champions League organisiere und gleichzeitig darüber entscheide, ob auch konkurrierende Wettbewerbe wie eine Super League zugelassen werden. Wolle man an dem Genehmigungserfordernis festhalten, dann müsse ein unabhängiger Dritter über die Einhaltung gewisser Kriterien bei allen Wettbewerbern entscheiden, also auch bei der Champions League der UEFA. Der Generalanwalt wird seine Schlussanträge am 15. Dezember vorlegen.
BGH zu Dieselskandal/VW: Nach einem Urteil des Bundesgerichtshof können Dieselkläger:innen, die zu spät vor Gericht gezogen sind, grundsätzlich nur dann auf Schadensersatz von Volkswagen hoffen, wenn es um einen neu gekauften VW geht. Bei Autos anderer Konzernmarken mit verbauten VW-Motoren (wie Audi) lägen die Voraussetzungen auf einen Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht vor, weil VW allenfalls mit der Herstellung und der Veräußerung des Motors an Audi einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt habe, nicht aber durch den späteren Verkauf des Fahrzeugs. LTO berichtet.
BVerwG zu Klima-Camp: Auf dem Verfassungsblog besprechen die wissenschaftlichen Mitarbeiter Jan-Henrik Herchenröder und Maximilian Schneider die nun veröffentlichten Entscheidungsgründe des Bundesverwaltungsgerichts zum Urteil von Ende Mai über das Klimacamp im rheinischen Braunkohlerevier. Das BVerwG etabliere einen weitreichenden akzessorischen Schutz logistisch notwendiger Protestinfrastruktureinrichtungen und bringe damit in begrüßenswerter Weise dogmatische Schärfe in eine bislang offene Rechtsfrage. Problematisch seien die BVerwG-Ausführungen allerdings, soweit sie über den Streitgegenstand hinaus monate- oder gar jahrelangen Protestcamps tendenziell die Versammlungseigenschaft absprechen.
BFH zur Pflege von Angehörigen: Nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs können nahe Angehörige auch dann eine Steuerermäßigung verlangen, wenn die zu pflegende Person in deren Haushalt 100 Kilometer weit entfernt versorgt wird. Die FAZ berichtet.
LG Koblenz zu Betrug bei Onlinebanking: Nach einem Urteil des Landgerichts Koblenz handeln Bankkund:innen grob fahrlässig, wenn sie beim Online-Banking TAN-Nummern in Folge eines "Pharming" Betrugs an Dritte herausgeben. Eine Kundin wurde während einer Überweisung von einem Schadprogramm dazu aufgefordert, eine "Demoüberweisung" in Höhe von mehreren 10.000 Euro an einen Herrn Mustermann vorzunehmen. Die Kundin kam der Aufforderung nach, gab die TAN ein und das Schadprogramm buchte ihr 9.847,78 Euro ab. LTO berichtet.
LG Kaiserslautern – Polizistenmorde von Kusel: Im Mordprozess zu den zwei getöteten Polizisten in Rheinland-Pfalz hat ein Zeuge berichtet, dass er und andere Jäger Andreas S. nach Bekanntwerden der Tat sofort verdächtigt hätten und den Verdacht der Polizei meldeten. Zudem hätten viele Jäger Angst vor S. gehabt, nachdem er im Herbst 2021 im Hinblick auf seine Wilderei gesagt habe, dass er sich den Weg freischießen würde, wenn sich ihm jemand in den Weg stellt. Es berichten FAZ (Julia Anton) und spiegel.de.
Justiznachwuchs in Hessen: Das hessische Justizministerium hat angekündigt, zwischen dem zweiten Staatsexamen und dem Jobeinstieg eine "AssessorBrücke" bauen zu wollen. Danach sollen Assessor:innen bis zu ihrer Einstellung in den richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Dienst durch einen befristeten Arbeitsvertrag als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen beim Land Hessen gehalten und zugleich finanziell abgesichert werden. Damit soll einer Abwanderung in die freie Wirtschaft wegen zu langer Übergangszeiten entgegengewirkt werden. LTO-Karriere (Pauline Dietrich) berichtet.
Recht in der Welt
Ukraine – russische Kriegsverbrechen: Auf einer Konferenz in Den Haag vereinbarten Vertreter des Internationalen Strafgerichtshofs, des UN-Menschenrechtsrats, der EU-Kommission und zahlreicher Regierungen die Einrichtung eines ständigen Dialogforums zum Austausch mit den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden. Die "Dialogue Group on Accountability for Ukraine" soll die ukrainische Staatsanwaltschaft unterstützen, Beweismittel sowie Aussagen von Zeugen und Überlebenden nach gemeinsamen Standards zu sichern und den nationalen und internationalen Strafverfolgungsbehörden zugänglich zu machen. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch/Josef Kelnberger) und taz (Dominic Johnson).
EuGH/Dänemark zu Feta: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs muss Dänemark den Export von dänischem "Feta"-Käse unterbinden und zwar auch dann, wenn der Käse in Drittländer außerhalb der EU exportiert wird. Grund dafür ist eine EU-Verordnung, die den Namen zahlreicher Agrarprodukte und Lebensmittel als geschützte Ursprungsbezeichnung (g. U.) oder geschützte geografische Angabe (g. g. A.) schützt. Danach darf die Bezeichnung "Feta" nur für Feta aus Griechenland benutzt werden. LTO und spiegel.de berichten.
USA – Uber/sexuelle Übergriffe: In den USA haben schon im Februar mehr als 500 Frauen eine Sammelklage gegen den Mitfahrdienstleister Uber wegen sexueller Übergriffe durch Fahrer eingereicht. Sie werfen dem Unternehmen vor, jahrelang nichts gegen das bekannte Problem unternommen zu haben. Es berichten die FAZ (Roland Lindner), SZ und spiegel.de.
USA – WikiLeaks/Vault 7: Joshua Adam Schulte, früherer Mitarbeiter des US-Geheimdienstes CIA, ist wegen der Weitergabe geheimer Dokumente an die Enthüllungsplattform WikiLeaks von einem Bundesgericht in New York verurteilt worden. Die Weitergabe war als "Vault 7" bekannt geworden und hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Nun drohen ihm bis zu 80 Jahre Haft. spiegel.de berichtet.
USA – Johnny Depp und Amber Heard: Die US-Schauspielerin Amber Heard ist mit dem Versuch gescheitert, nach dem weitgehend verlorenen Verleumdungsprozess gegen ihren Ex-Mann Johnny Depp das Urteil aufheben zu lassen. Die monierte Verwechslung von zwei Namensvettern bei der Besetzung der Jury habe zu keinem Nachteil geführt, ließ das Gericht verlauten. zeit.de berichtet.
Das Letzte zum Schluss
E-Scooter-Tuning: So mancher wünscht sich auf dem E-Scooter ein bisschen mehr Tempo als die zugelassenen 20 km/h. In der Schweiz hat die Polizei einen 23-Jährigen aus dem Verkehr gezogen, der diesen Wunsch wohl in besonderem Maße verspürte: Bis zu 120 km/h brachte sein frisierter E-Scooter auf die Straße. Aufgefallen war er aber wegen einer mangelhaften Beleuchtung. spiegel.de berichtet.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/tr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 15. Juli 2022: . In: Legal Tribune Online, 15.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49060 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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