Die juristische Presseschau vom 13. Mai 2022: BGH ver­han­delt Wär­m­e­däm­mung / LNG-Besch­leu­ni­gungs­ge­setz nicht kli­ma­fest? / FDP schlägt Wolff vor

13.05.2022

Der BGH prüft ein Berliner Gesetz, das dem Klimaschutz Vorrang vor dem Schutz des Eigentums gibt. Deutsche Umwelthilfe hält LNG-Gesetz für verfassungswidrig. Heinrich Amadeus Wolff wird wohl neuer Richter am Bundesverfassungsgericht.

Thema des Tages

BGH – Gebäudedämmung: Der Bundesgerichtshof verhandelt an diesem Freitag über einen Berliner Nachbarschaftsstreit zum Thema Wärmedämmung. Ein Berliner Wohnungsbauunternehmen will den Giebel eines Altbaus mit einer Dämmung versehen, die 16 Zentimeter weit in das Nachbargrundstück hineinragen würde. Laut Berliner Nachbarschaftsgesetz hat der Nachbar dies zu dulden und gibt damit dem Klimaschutz eindeutig Vorrang vor dem Grundrecht auf Eigentum. Der BGH wird nun prüfen, ob das Berliner Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die SZ (Wolfgang Janisch) sieht in diesem Verfahren eine Neuauslotung des altgedienten Grundrechts auf Eigentum mit dem ebenfalls im Grundgesetz verankerten Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, der seit dem Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 starkes Gewicht erhalten habe.

Ukraine-Krieg und Recht

Kriegsverbrechen in der Ukraine: Laut taz (Dominic Johnson) hat die Ukraine einen ersten Kriegsverbrecherprozess gegen einen russischen Soldaten angekündigt. Der Soldat soll aus einem gestohlenen Auto heraus einen Zivilisten erschossen haben. Der russische Soldat ist Kriegsgefangener in der Ukraine, ihm droht nun eine lebenslange Haftstrafe wegen Kriegsverbrechen und Mord.

Sanktionen gegen Russland: Der Bundestag hat über einen Antrag der Unionsfraktion zu Sanktionen gegen Russland debattiert, den LTO vorab vorstellte. Der Antrag enthält 15 Forderungen, um Sanktionen effektiver zu machen. So soll der Staat Auskunft über die Quelle von Vermögen erhalten können und wer die faktische Kontrolle ausübt. Wenn nicht festgestellt werden kann, wer wirtschaftlicher Berechtigter an einem Unternehmen ist, soll es ein zivilrechtliches Geschäftsverbot geben. Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU Fraktion, sagte, die Sanktionen hätten sich bisher als zahnloser Tiger erwiesen, über die manche Oligarch:innen nur müde lächeln.

Rechtspolitik

LNG-Terminals: Das Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases (LNGG) wurde in erster Lesung im Bundestag debattiert. Nach einem Rechtsgutachten der Deutschen Umwelthilfe, das auch weitere Umweltverbände stützen, verstoße der Vorschlag gegen das Pariser Klimaabkommen, das deutsche Klimaschutzgesetz, den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts sowie Art. 20a Grundgesetz. Der Entwurf schreibe pauschal Planrechtfertigung und Eilbedarf für bis zu elf LNG-Terminals fest, obwohl bisher laut Bundeswirtschaftsministerium ursprünglich nur Eilbedarf für zwei Vorhaben bestehe. Eine derart hohe Anzahl an neuen LNG-Terminals führe zu einem Lock-in in der fossilen Gasnutzung, der die Erreichung der Ziele des Klimaschutzgesetzes unmöglich mache. Auch der Verzicht auf die sonst übliche Umweltverträglichkeitsprüfung wird scharf kritisiert. Es berichtet LTO (Hasso Suliak).

Neuer Verfassungsrichter: Der Bayreuther Rechtsprofessor Heinrich Amadeus Wolff soll Richter am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts werden, wie LTO (Markus Sehl) berichtet. Wolff wurde von der FDP als Nachfolger von Richter Andreas Paulus vorgeschlagen. Nun muss er vom Wahlausschuss des Bundestags offiziell vorgeschlagen und dann mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag gewählt werden.

In einem ausführlichen Portrait beschreibt LTO (Christian Rath) Wolff als rechtsliberalen Juristen, der sich bisher vor allem einen Namen im Sicherheitsrecht gemacht hat. Er habe dabei sowohl die Massenüberwachung des BND gerechtfertigt als auch die Verfassungsbeschwerde von FDP-Politikern gegen die Vorratsdatenspeicherung geschrieben. Wolff sei "ein gewitzter, jovialer Typ, der keiner Frage aus dem Weg geht, gerne diskutiert und gerne lacht". Er ist seit 2016 Herausgeber des Grundgesetzkommentars Hömig/Wolff. Seine Wahl im Bundestag werde wohl Anfang Juni stattfinden.

Recht auf schnelles Internet: Der Digitalausschuss im Bundestag hat eine Verordnung der Bundesregierung gebilligt, die den Rechtsanspruch der Verbraucher:innen auf eine Breitband-Grundversorgung konkretisiert, wie LTO schreibt. Allerdings sind die Mindestwerte zum Upload und Download in dem Entwurf sehr niedrig, sodass der Rechtsanspruch bundesweit wohl nur in einigen 100.000 Fällen greifen wird. Die Mindestvorgaben sollen aber Jahr für Jahr steigen.

Corona-Staatshilfen: Die EU-Kommission hat den Wegfall von staatlicher Unterstützung für Unternehmen im Rahmen der Corona-Pandemie angekündigt, wie SZ, FAZ (Werner Mussler) und LTO berichten. Die wirtschaftliche und gesundheitliche Ausgangslage habe sich aufgehellt, daher werden entsprechende Regelungen nicht weiter verlängert. So solle eine Wettbewerbsverzerrung durch staatliche Subventionen verhindert werden.

Justiz

BGH zu Untersuchungshaft von IS-Rückkehrerinnen: Der Bundesgerichtshof hat laut LTO in zwei Entscheidungen festgestellt, dass sich Frauen, die mit Mann und Kindern zum Islamischen Staat gereist sind, nicht zwangsläufig als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung strafbar gemacht haben. Insbesondere sei es für die Verwirklichung des Straftatbestands nicht ausreichend, wenn die betroffene Person lediglich den Haushalt führe und die Kinder großziehe, sonst aber keine weiteren Verrichtungen mit Organisationsbezug ausführe.

BGH – Dortmunder Stadtportal: Der Bundesgerichtshof hat darüber verhandelt, ob der kommunale Internetauftritt "dortmund.de" auch journalistische Inhalte veröffentlichen darf. Dagegen hatte eine Regionalzeitung geklagt. Laut dem Vorsitzenden Richter Jörn Feddersen setze die Pressefreiheit zwar einer ausufernden staatlichen Öffentlichkeitsarbeit Grenzen, es komme dabei aber auf das Gewicht der Beiträge und den Gesamteindruck an. LTO berichtet.

BFH zu Steuerprivileg von Sportvereinen: Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass in Zukunft auch die Mitgliedsbeiträge an Sportvereine umsatzsteuerpflichtig sind. Der BFH beendet damit ein traditionelles Steuerprivileg der Sportvereine, das aber nicht vom Umsatzsteuergesetz gedeckt war. Fitnessstudios und Kletterhallen etwa hatten ihre steuerliche Schlechterstellung gegenüber traditionellen Vereinen kritisiert, obwohl die angebotenen Leistungen vergleichbar seien. SZ (Stephan Radomsky) und LTO berichten.

LG München I – Wirecard/Vermögensarrest: Der frühere Wirecard-Vorstand Markus Braun kämpft laut LTO vor dem Landgericht München I um den Zugriff auf insgesamt 175 Millionen Euro. Nun hat das Landgericht aber Brauns Anwälten in Aussicht gestellt, dass die zwei angegriffenen Arrestbeschlüsse Bestand haben dürften.

LG Berlin zu getötetem Zwilling: Das Landgericht Berlin hat erneut über zwei Ärzt:innen entschieden, die einen Zwilling per Kaiserschnitt zur Welt holten und den anderen, der eine schwere Hirnschädigung aufwies, aber lebensfähig war, mit Kaliumchlorid im Mutterleib töteten. Bereits in einem ersten Prozess hatte das Landgericht festgestellt, dass es sich bei dem Fall nicht um einen Schwangerschaftsabbruch handelte, weil dieser nur bis zum Beginn der Geburt möglich ist, sondern um einen gemeinschaftlichen Totschlag in einem minder schweren Fall. Daraufhin htte der BGH jedoch das Strafmaß beanstandet. Man könne Ärzten, die einen medizinischen Eingriff vornehmen, nicht vorwerfen, dabei planvoll gehandelt zu haben. Das Landgericht hat nun die Bewährungsstrafen leicht nach unten korrigiert. Es berichten SZ (Verena Meyer) und LTO.

LG Osnabrück zu erfundenen Windparks: Das Landgericht Osnabrück hat laut spiegel.de den früheren Unternehmer Hendrik Holt wegen banden- und gewerbsmäßigem Betrugs in Millionenhöhe zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, da Holt mit anderen Geschäftspartnern mit Hilfe von gefälschten Dokumenten die Existenz von Windparks in Niedersachsen vorgegaukelt hatte, um diese an ausländische Energieunternehmen zu verkaufen.

AG Plön – Bhakdi/Volksverhetzung: Die Generalstaatsanwaltschaft hat den Mikrobiologen und Autor Sucharit Bhakdi wegen Volksverhetzung vor dem Amtgericht Plön angeklagt, da Bhakdi im Zusammenhang mit kritischen Äußerungen über die Impfpolitik Israels mit generalisierenden Aussagen auch gegenüber in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden zum Hass aufgestachelt und diese als religiöse Gruppe böswillig verächtlich gemacht habe, wie LTO schreibt.

StA Stuttgart – Innenminister Strobl: Die taz (Christian Rath) macht auf der Medienseite darauf aufmerksam, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart in der Affäre um den baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl auch gegen den Journalisten Franz Feyder ermittelt und somit auch die Pressefreiheit betroffen sei. Die Staatsanwaltschaft hatte Ermittlungen gegen Feyder als Haupttäter von "verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen" gem. § 353d StGB eingeleitet, um auch gegen Strobl als Anstifter ermitteln zu können. Ermittlungen gegen Strobl wegen "Verletzung von Dienstgeheimnissen" gem. § 353b StGB scheiterten, weil Strobl hierzu die Ermächtigung verweigerte. Der Journalist hatte einen Artikel über einen Anwaltsbrief geschrieben, den ihm der Stuttgarter Innenminister zukommen ließ.

Ersatzfreiheitsstrafe: Die SZ (Ronen Steinke) berichtet, dass sich vor allem Mitarbeiter:innen von Strafanstalten an die Initiative Freiheitsfonds wenden, die mittlerweile bereits 300 Straftäter:innen aus der Ersatzfreiheitsstrafe "freigekauft" habe. Dies sei ein Ausdruck dafür, wie reformbedürftig das Strafsystem insgesamt sei, wenn Justizbeamt:innen sich an eine private Initiative zur "Bearbeitung der Anträge" auf Zahlung der Geldstrafen richteten.

Recht in der Welt

Kosovo – Europarat: Der Kosovo hat einen Antrag auf Mitgliedschaft im Europarat gestellt, wie FAZ (Michael Martens) und LTO schreiben. Aufgabe des Europarates ist es, in den 46 Mitgliedstaaten über die Einhaltung der Menschenrechte zu wachen. Ob das Land tatsächlich Aussicht auf die Aufnahme in den Europarat hat, ist ungewiss, da es von einigen Mitgliedern des Europarats, insbesondere Serbien, nicht als eigenständiger Staat anerkannt wird.

Großbritannien – Brexit-Kontrollen: Die britische Außenministerin Liz Truss will am kommenden Dienstag ein Gesetz vorstellen, mit dem Regelungen des Brexit-Vertrags außer Kraft gesetzt werden sollen, wie die FAZ (Jochen Buchsteiner) berichtet. Dabei ziele das Gesetz nicht auf die "Abschaffung" des sogenannten Nordirlandprotokolls, sondern auf "technische Veränderungen". Dabei solle es an den nordirischen Grenzpunkten nur eine Kontrolle von denjenigen Waren geben, die danach weiter in den EU-Mitgliedsstaat Irland transportiert werden.

USA – Recht auf Abtreibung: Nachdem der Gesetzesentwurf der Demokraten für ein liberales Abtreibungsrecht im Senat am vergangenen Mittwoch gescheitert war, hat US-Präsident Joe Biden betont, dass die Republikaner im Kongress sich dazu entschlossen hätten, dem Recht der Amerikanerinnen im Wege zu stehen, "die persönlichsten Entscheidungen über ihren Körper, ihre Familie und ihr Leben zu treffen". Zwei Senator:innen, deren Stimmabgabe vorher nicht klar war, rechtfertigten ihre ablehnende Entscheidung. Es berichtet die FAZ (Sofia Dreisbach).

USA – Trump: Ein US-amerikanisches Gericht hat in einem Rechtsstreit über die Herausgabe von Akten eine Geldstrafe in Höhe von 110.000 Dollar gegen den früheren amerikanischen Präsidenten Donald Trump verhängt und ihn dazu verurteilt, weitergehende Auskünfte über den generellen Umgang der "Trump Organization" mit Akten zu geben, wie die FAZ (Majid Sattar) schreibt. Zuvor hatten Trumps Anwälte angegeben, sie könnten die in einem zivilrechtlichen Ermittlungsverfahren von der Justizministerin angeforderte Dokumente des Unternehmens nicht finden.

Vanuatu – IGH/Klimawandel: Der Inselstaat Vanuatu drängt in der Generalversammlung der Vereinten Nationen darauf, vom Internationalen Gerichtshof ein Gutachten einzufordern, das bewertet, ob die menschengemachte Erderhitzung als Verstoß gegen die Menschenrechte betrachtet werden könne, wie die FAZ (Christoph Hein) schreibt. Ein solches Gutachten wäre nicht rechtlich bindend, hätte aber großen Einfluss auf weitere politische Entscheidungen.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/ls

(Hinweis für Journalist:innen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. Mai 2022: . In: Legal Tribune Online, 13.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48434 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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