BVerfG verkündet an diesem Dienstag Urteil zu Verfassungsschutz-Befugnissen. Der türkische Kulturmäzen Osman Kavala wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Donald Trump muss wegen verweigerter Unterlagen 10.000 Dollar pro Tag zahlen.
Thema des Tages
BVerfG — BayVSG: An diesem Dienstag wird der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts sein Urteil zum 2016 in Kraft getretenen Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) verkünden. Das Gericht prüfte unter anderem die Befugnisse zu Wohnraumüberwachung, Onlinedurchsuchung, Abruf von Vorratsdaten und Einsatz von verdeckten Mitarbeitern bzw. V-Leuten. Entschieden wird dabei auch über die rechtlichen Maßstäbe für den Verfassungsschutz in den anderen Bundesländern und im Bund. Beschwerdeführer:innen sind drei linke Aktivisten, die von der GFF (Gesellschaft für Freiheitsrechte) unterstützt werden. Das BVerfG hat den Sicherheitsbehörden bereits auch tiefgreifende Befugnisse zugestanden, aber immer unter bestimmten Voraussetzungen. Ob das BayVSG der Prüfung standhielt, wird mit Spannung erwartet. Selbst der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte einst gesagt, dass das Gesetz "bis an die Grenzen dessen geht, was vom Rechtsstaat erlaubt ist." LTO (Markus Sehl) bringt einen Vorbericht.
Ukraine-Krieg und Recht
Kriegsverbrechen in der Ukraine: Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, der EU-Justizbehörde Eurojust neue Befugnisse zur Verfolgung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine zu geben. Die Behörde solle künftig Beweismittel zentral sammeln und sichern dürfen und auch direkt mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zusammenarbeiten. Nach den aktuellen Regeln sei das noch nicht möglich. LTO berichtet.
Sanktionen gegen Russland: Zur besseren Durchsetzung der Sanktionen gegen russische Firmen und Oligarchen will die Bundesregierung laut spiegel.de (nicht näher benannte) gesetzliche Änderungen vornehmen. In einem ersten Teil sollen sofort umsetzbare Anderungen bis spätestens Juni geregelt werden. Ein zweiter Teil, mit schwierigeren Änderungen, folge dann später.
Energiesicherung: Das Bundeskabinett hat im schriftlichen Umlaufverfahren einen Gesetzentwurf zur Änderung des seit den 1970er-Jahren bestehenden Energiesicherungsgesetzes beschlossen. Im Krisenfall sollen Unternehmen der kritischen Energie-Infrastruktur unter treuhänderische Verwaltung des Staates gestellt werden können und im Extremfall sollen sogar Enteignungen möglich sein. Daneben soll auch das Energiewirtschaftsgesetz geändert werden, damit eine Stilllegung von Gasspeicheranlagen künftig angezeigt und von der Bundesnetzagentur genehmigt werden muss. Es berichten FAZ, SZ, LTO und spiegel.de.
Rechtspolitik
Nachhaltigkeits-Berichterstattung: Die von der EU-Kommission geplante EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeits-Berichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz CSRD) ist nach einem Gutachten des Rechtsprofessors Martin Nettesheim (verfasst im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen) europarechtswidrig. Nach der CSRD sollen künftig rund 50.000 EU-Unternehmen detaillierte Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung einhalten. Nettesheim mahnt an, dass Teile der CSRD nicht von der EU-Kommission, sondern nur vom EU-Gesetzgeber erlassen werden dürften. Zudem werde originäre EU-Hoheitsgewalt auf Private ausgelagert, indem die Entwicklung der Nachhaltigkeitsstandards weitestgehend der privaten "European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG)" überlassen werde und die EU-Kommission verpflichtet sei, deren Vorschläge zu berücksichtigen. Das berühre die deutsche Verfassungsidentität. Die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet.
Digitale Dienste: Nun stellt auch LTO die geplante EU-Verordnung "Digital Services Act" (DSA) vor, auf die sich vergangene Woche EU-Rat, EU-Parlament und EU-Kommission im Trilog geeinigt haben. Die DSA-Verordnung mache das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wohl hinfällig, auch wenn sie etwa bei den Löschfristen dahinter zurückbleibe. Sie habe jedoch einen deutlich größeren Geltungsbereich. Das Bundesverkehrsministerium will die bestehenden nationalen Gesetze umfänglich überarbeiten und ein Digitale-Dienste-Gesetz erarbeiten.
Andrian Kreye (SZ) kommentiert, dass der DSA noch kein Grundgesetz des Internets sei, wie er häufig bezeichnet werde, eher sei er noch eine Magna Charta, also ein Vorstadium. Als erster Schritt sei der DSA aber begrüßenswert.
Virtuelle Hauptversammlung: Wie die FAZ (Corinna Budras) berichtet, wird sich das Bundeskabinett am Mittwoch mit dem Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zur virtuellen Hauptversammlung beschäftigen. Buschmann habe einen früheren Entwurf nachgebessert und dabei die Rechte der Aktionär:innen stärker berücksichtigt, etwa durch eine Ausweitung des Rede- und Fragerechts. Insgesamt orientierten sich die Pläne zur virtuellen HV damit stärker am Format der Präsenzveranstaltung, was bei Unternehmensjurist:innen jedoch für heftige Kritik sorge.
Wohnungsunternehmen: Auf dem Verfassungblog stellt Rechtsprofessor Stefan Klinski die Marktzugangsbeschränkung als Konzept zur Bekämpfung des überhitzten Wohnungsmarktes vor. Danach sollen Unternehmen, deren Geschäftsmodelle die Mieten und die Bodenpreise nach oben treiben und die dadurch die sozialen Strukturen gefährden, vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen werden. Ein großer Vorteil sei, dass Unternehmen dann nicht entschädigt werden müssten. Verfassungsrechtliche oder europarechtliche Bedenken gebe es nicht.
Justiz
BVerfG – Strafgefangenen-Entlohnung: An diesem Mittwoch und Donnerstag wird das Bundesverfassungsgericht über drei Verfassungsbeschwerden gegen die niedrige Entlohnung der Arbeit im Gefängnis verhandeln. Für ihre Arbeit erhalten die Inhaftierten bislang nur zwischen einem und drei Euro pro Stunde. deutschlandfunkkultur.de (Timo Stukenberg) führt in die Problematik ein und stellt einen der Kläger vor.
BVerfG — Wiederaufnahme: In einem Gastbeitrag auf LTO analysiert Rechtsprofessor Michael Kubiciel die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle zur umstrittenen neuen StPO-Wiederaufnahme-Regelung im Fall schwerster Straftaten und prognostiziert, dass das Bundesverfassungsgericht ebenfalls von einer Verfassungskonformität ausgehen wird. Das BVerfG, das sich bald mit der Regelung befassen müsse, könne die Verfassungsgeschichte weder "in eine Art Veränderungssperre des § 362 StPO umdeuten" noch könne es die "rechtspolitische Abwägung des Gesetzgebers durch eine eigene ersetzen."
BSG — Kosten für Behandlung durch falschen Arzt: Das Bundessozialgericht verhandelt an diesem Dienstag die Klage einer Krankenkasse, die von einem Krankenhaus in Düren eine Rückzahlung in Höhe von 30.000 Euro für zehn Behandlungen verlangt. Der behandelnde vermeintliche Facharzt für Viszeralchirurgie hatte keinen Studienabschluss und war sechs Jahre lang nicht aufgefallen, bevor er dann aber doch wegen Körperverletzung in 336 Fällen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Nun geht es um die Kosten für konkrete Behandlungen. Während die erste Instanz den Anspruch der Kasse aufgrund der einwandfreien medizinischen Eingriffe ablehnte, stellte das Landessozialgericht NRW auf die fehlende Einwilligung der Patient:innen in eine Behandlung durch einen Nichtarzt ab. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet.
OLG Hamburg — Sampling: LTO (Pauline Dietrich) berichtet ausführlich über den seit zwanzig Jahren andauernden Rechtsstreit zwischen der Band Kraftwerk und dem Produzenten Moses Pelham, mit dem sich auch schon viermal der Bundesgerichtshof, einmal das Bundesverfassungsgericht und einmal der Europäische Gerichtshof beschäftigt haben. Pelham hatte eine zwei Sekunden lange Tonfolge aus dem Stück "Metall auf Metall" von Kraftwerk entnommen und in einem eigenen Track verwendet (Sampling). Nun muss das Oberlandesgericht Hamburg am 28. April unter anderem darüber entscheiden, ob nach dem Stichtag des 22. Dezember 2002 eine Wiederholungsgefahr der Samplenutzung vorlag, sodass Kraftwerk einen Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch hatte. Der BGH hatte schon angedeutet, dass er dafür keine Anhaltspunkte sieht. Am 22. Dezember 2002 trat die sogenannte EU-InfoSoc-Richtlinie in Kraft, wonach Samplings zustimmungsfreie zulässig sind, wenn die Sequenz erkennbar ist. Vorher war die Nutzung nach deutschem Recht zulässig.
LAG Berlin-BB zur Pfändung von Corona-Prämien: Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg gehören tariflich vorgesehene Corona-Prämien, die unabhängig von tatsächlichen Mehrbelastungen ausgezahlt wurden, zum pfändbaren Arbeitseinkommen. Geklagt hatte ein Busfahrer, der wegen der Pfändung nur einen Teil der Prämien erhalten hat. Sofern Prämien in Abhängigkeit von Mehrbelastungen ausgezahlt wurden bzw. werden, wie etwa im Pflegebereich, sei eine Pfändung jedoch ausgeschlossen. LTO berichtet.
VG Trier zur Nebentätigkeit von Beamten: Das Verwaltungsgericht Trier hat nach einer Disziplinarklage einen Beamten aus dem Dienstverhältnis entfernt, der "nebenbei" als Fahrlehrer tätig war. Er verfügte zwar über eine Nebentätigkeitsgenehmigung für bis zu acht Stunden in der Woche, allerdings war er als Fahrlehrer auch während der Dienstzeit und während krankheitsbedingter Fehlzeiten aktiv. Es berichten LTO und spiegel.de.
LG Düsseldorf mit M&A-Spezialkammer: Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard bewerten die Rechtsanwälte Franz-Josef Schöne und Kim Lars Mehrbrey die neue Spezialkammer am Landgericht Düsseldorf für Streitigkeiten aus Unternehmenstransaktionen als echte Alternative zur von Unternehmen meist bevorzugten Schiedsgerichtsbarkeit — zumindest auf dem Papier. Der Erfolg werde von der Umsetzung des Versprechens abhängen, "die häufig internationalen M&A-Verfahren zügig, effizient, kompetent, mit modernen Mitteln und wenn erforderlich englischsprachig durchzuführen."
VG Schleswig mit Digitalisierung: LTO berichtet über den Digitalisierungsprozess am Verwaltungsgericht Schleswig, wo unter anderem Säle so umgebaut werden, dass der Inhalt der E-Akte in mündlichen Verhandlungen präsentiert werden kann.
Strafvollzug mit Hundetherapie: In Baden-Württemberg wird im Rahmen eines Justizprojekts der Therapie-Hund "Al Capone" eingesetzt, um Straftäter:innen die Rückkehr in das Leben zu erleichtern. Der Fokus liegt auf Täter:innen mit Bindungsschwierigkeiten. In Therapie-Einheiten führen sie den Hund etwa durch Hindernisparcours. LTO berichtet.
Recht in der Welt
Türkei — Osman Kavala: Der seit viereinhalb Jahren inhaftierte türkische Kulturmäzen Osman Kavala ist wegen "des Versuchs, die Regierung zu stürzen" zu "lebenslanger erschwerter Haft" verurteilt worden. Diese Form der Haft gilt in der Türkei als Ersatz für die Todesstrafe. Dem 64-Jährigen wurde ursprünglich vorgeworfen, 2013 die Gezi-Proteste finanziert zu haben. Nachdem ihn 2020 ein Gericht von diesem Vorwurf freisprach, kam er für wenige Stunden frei. Dann wurde er aber erneut festgenommen, dieses Mal wegen des Putschversuches gegen Erdoğan im Jahr 2016 und wegen Spionagevorwürfen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte bereits im Dezember 2019 die Freilassung Kavalas verlangt, doch die türkische Regierung ignoriert die Entscheidung. Der Europarat hatte zudem im Dezember ein Verfahren gegen die Türkei eingeleitet. Es berichten SZ (Tomas Avenarius/Christiane Schlötzer), FAZ, spiegel.de, LTO und zeit.de.
Christiane Schlötzer (SZ) kommentiert, dass der Türkei nun der Ausschluss aus dem Europarat drohe und dass das Land durch das Urteil noch ein "ganzes Stück tiefer in die politische Finsternis gerückt" sei. Die Justiz sei zu einem "politischen Racheinstrument" geworden und Erdoğan habe die Rolle des Chefanklägers übernommen.
USA — Donald Trump: Der frühere US-Präsident Donald Trump hat gerichtlich eingeforderte Unterlagen nicht eingereicht und wurde wegen Missachtung des Gerichts verurteilt. Trump muss nun ein Zwangsgeld von 10.000 Dollar (rund 9330 Euro) für jeden weiteren säumigen Tag zahlen. Es geht um einen Zivilrechtsstreit seines Firmenimperiums, bei dem ihm betrügerische Geschäftspraktiken vorgeworfen werden. spiegel.de, zeit.de und bild.de (Robert Becker) berichten.
Sonstiges
Menschenrechte: In der FAZ rezensiert Geschichtsprofessor Guido Thiemeyer das Buch "Konkurrenz um Menschenrechte. Der Kalte Krieg und die Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes von 1965 –1993" des Historikers Peter Ridder. Es zeige auf, dass der Menschenrechtsschutz in dieser Zeit vor allem machtpolitisch motiviert war. Gleichwohl hätten diese Interessen Positives bewirkt.
Das Letzte zum Schluss
Leichenblasse Puppe: Bei einer Wohnungsräumung in Darmstadt wurden am 9. Februar sämtliche Gegenstände gepfändet. Als ein Gerichtsvollzieher die eingelagerten Gegenstände am 14. April sichten und den Wert taxieren wollte, stieß ihm Verwesungsgeruch entgegen und er entdeckte die Leiche des Wohnungsbesitzers. Das für die Räumung zuständige Speditionsunternehmen hatte die Leiche offenbar für eine Schaufenster- oder Reanimationspuppe gehalten und eingepackt. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft kommentierte:"Das ist zwar schwer vorstellbar, aber es scheint tatsächlich so gewesen zu sein." spiegel.de berichtet.
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LTO/tr
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Die juristische Presseschau vom 26. April 2022: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48246 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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