Die StA München I bittet Russland um Auslieferung von Jan Marsalek (Ex-Wirecard). Die Wiederaufnahme im Möhlmann-Fall ist umstritten. Einer der Angeklagten des Dresdener Juwelen-Diebstahls aus dem Grünen Gewölbe hat wohl ein Alibi.
Thema des Tages
StA München I – Ex-Wirecard-Vertriebschef Marsalek: Die Staatsanwaltschaft München I hat sich mit einem sogenannten "Inhaftnahmeersuchen" an die russische Regierung gewandt. Darin bitte die Ermittlungsbehörde um Festnahme und Auslieferung des aufgrund eines Berichts des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Russland vermuteten ehemaligen Wirecard-Vertriebschefs Jan Marsalek. Wie u.a. LTO berichtet, äußere sich die Behörde dazu aktuell nicht öffentlich. In der FAZ (Katja Gelinsky/Andreas Mihm) findet man rechtliche Einschätzungen zur Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten und Ermittlungsbehörden, die vom Trierer Rechtsprofessor Till Zimmermann als "rechtliche Grauzone" bezeichnet werden. In erster Linie sei der BND politische Informationsquelle der Regierung und nicht "Ermittlungsgehilfe der Staatsanwaltschaft", stellte der Augsburger Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel klar. Aufgrund der aktuellen politischen Spannungen sei eine Kooperation der russischen Behörden nicht zu erwarten.
Ukraine-Krieg und Recht
Straftaten wegen des Ukraine-Krieges: Das Bundeskriminalamt (BKA) registriert pro Woche in Deutschland etwa 200 Straftaten im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Dabei handelt es sich vorranging um Delikte wie Bedrohungen, Beleidigungen oder Sachbeschädigungen gegen russisch- bzw. ukrainischstämmige Menschen, erklärte BKA-Präsident Holger Münch laut einer SZ-Meldung.
Billigung des russischen Angriffskriegs: Nun berichtet auch LTO, dass seit dem 24. Februar bundesweit mindestens 140 Ermittlungsverfahren wegen Billigung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine eingeleitet wurden, insbesondere wegen Verwendung des "Z"-Symbols. Ob dies jedoch strafbar ist, müsse weiterhin in jedem Einzelfall geprüft werden, betont das nordrhein-westfälische Innenministerium.
Rechtspolitik
Greenwashing: Im FAZ-Einspruch erläutert die Rechtsanwältin Christina Kufer die Pläne der EU-Kommission zur Eindämmung von Greenwashing. Die Irreführung von Verbraucher:innen über Haltbar- und Reparierbarkeit oder die ökologischen und sozialen Auswirkungen von Produkten soll künftig bußgeldbewährt sein. So soll es eine "schwarze Liste" unlauterer Geschäftspraktiken geben, nach der z.B. das Werben mit hervorragender Umweltleistung eines Produktes unlauter sei, wenn diese nicht nachgewiesen werden könne.
Justiz
OLG Celle – Mord an Frederike von Möhlmann: Ob die neuen Vorschriften zur Wiederaufnahme zuungunsten von Angeklagten ausgerechnet auf den Fall anwendbar sind, der Anlass für die Reform war, ist laut spiegel.de (Dietmar Hipp) aktuell fraglich. So argumentiert Johann Schwenn, der Verteidiger des Tatverdächtigen Ismet H., dass im konkreten Fall der Tatbestand der Vergewaltigung in seiner 1981 gültigen Form nicht erfüllt gewesen sei. Dann aber fehle es für die Annahme eines Mordes schon an einer Verdeckungsabsicht und es bleibe lediglich ein Totschlag, der aber wiederum von der neuen Wiederaufnahme-Regelung nicht erfasst sei. Der ehemalige Bundesanwalt Wolfram Schädler, der den Vater der getöteten 17-jährigen Frederike von Möhlmann anwaltlich vertritt, hält dies für "aus der Luft gegriffen" und sieht jedenfalls das Mordmerkmal der Grausamkeit als verwirklicht an. Demnächst will das Oberlandesgericht Celle in zweiter Instanz über die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Ismet H. entscheiden.
LG Dresden – Einbruch ins Grüne Gewölbe: Im Prozess um den Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden hat die Verteidigerin Lara Wolf nun von der schriftlichen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zu dem behaupteten Alibi Ahmed Remmos berichtet, der zur mutmaßlichen Zeit der Fahrt nach Dresden in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Berlin gewesen sei. Auch die Anklagebehörde gehe nun jedenfalls nicht mehr davon aus, dass Ahmed Remmo gemeinsam mit den anderen Angeklagten nach Dresden gefahren sei. Beim jüngsten Verhandlungstag ist zudem der ehemalige Museumsdirektor als Zeuge vernommen worden. Er vermutet, dass es für die gestohlenen Juwelen keinen Markt geben dürfte, berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm). Die SZ (Verena Mayer/Antonie Rietzschel) widmet dem Verfahren ihre "Seite Drei"-Reportage. Und in der Welt erfährt man, dass das Verfahren am Freitag mit weiteren Zeugenaussagen fortgesetzt werden soll.
BGH zu EncroChat: Die Rechtsreferendare Aleksandar Zivanic und Lukas Zeyher beschäftigen sich in der FAZ mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Verwertbarkeit sogenannter EncroChat-Erkenntnisse und die dazu vertretenen Ansichten in der Rechtswissenschaft. Während der BGH im März die Nutzung erlaubte, wird in der Literatur bereits die Existenz einer Ermächtigungsgrundlage bestritten. Unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten sei das Aufspielen der Spionagesoftware auf die als abhörsicher geltenden Handys nach deutschem Recht nicht zu rechtfertigen. Wegen der bleibenden Brisanz der Verwertbarkeitsfrage in vielen laufenden Prozessen erwarten die Autoren weitere höchstrichterliche Entscheidungen.
OLG Schleswig zum TTDSG-Auskunftsanspruch: Das Oberlandesgericht Schleswig hat als erstes Gericht einen Auskunftsanspruch eines Opfers sogenannter Instagram-Hacks nach dem neuen "Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz" (TTDSG) bejaht. Dessen § 21 verpflichte den Anbieter von Telemedien, die Bestandsdaten (Name, E-Mailadresse, Telefonnummer), nicht hingegen die Nutzungsdaten (IP-Adressen), herauszugeben. Im konkreten Fall erfülle die Schaffung eines Fake-Accounts und das Einstellen von Fotos mit Kommentaren, die den Eindruck hervorriefen, die noch minderjährige Antragstellerin sei an sexuellen Kontakten interessiert, den Tatbestand der Beleidigung. Auf LTO analysiert Rechtsanwalt Martin Gerecke das Urteil und die Gesetzesreform von Dezember 2021, die den Rechtsschutz verbessern soll.
OLG Dresden zu Prämiensparverträgen: Im Streit um Prämiensparverträge hat das Oberlandesgericht Dresden als erstes Obergericht über die genaue Zinsberechnung entschieden. Es orientierte sich dabei an der Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere mit acht bis 15 Jahren Restlaufzeit und sprach sich gegen die von Verbraucherschützer:innen geforderte Nutzung sogenannter gleitender Durchschnitte bei der Zinsberechnung aus. Neben verschiedenen Musterfeststellungsklagen habe das OLG nun in einer Individualklage die genaue Berechnungsgrundlage der Zinsen für die für Verbraucher:innen aktuell sehr attraktiven Verträge festgesetzt, berichtet das Hbl (Elisabeth Atzler).
LAG München zu Braut in Quarantäne: Weil er seine Fürsorgepflicht verletzte, muss der Arbeitgeber die Kosten für die ausgefallene Hochzeit seiner klagenden Arbeitnehmerin übernehmen. Das entschied im Februar das Landesarbeitsgericht München. Dass der Arbeitgeber trotz eigener Erkältungssymptome (und späterer Corona-Erkrankung) mit der klagenden Arbeitnehmerin im August 2020 ohne Maske eine Autofahrt unternahm, stellt eine zum Schadenersatz berechtigende Pflichtverletzung dar. Weil die Braut deshalb in Quarantäne musste, fiel die Hochzeit aus. Der zu ersetzende Schaden wurde mit rund 5.000 EUR beziffert, berichtet beck-community (Martin Biebl).
LG München II – Ex-Audi-Chef Stadler/Kronzeuge: Klaus Ott (SZ) kritisiert die Entscheidung des Landgerichts München II von voriger Woche, das Verfahren gegen Henning L. nicht einzustellen, als "schwere[n] Justizirrtum mit weitreichenden Folgen". L. sei der wichtigste Belastungszeuge im Prozess um die Abgasaffäre bei Audi und damit ein Kronzeuge. Dies nicht zu belohnen, sende ein verhängnisvolles Signal: "Auspacken lohnt sich nicht!"
LG Berlin zu Zustimmung bei Mieterwechsel: Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass es einem Vermieter auch dann nicht zuzumuten ist, der Auswechslung einzelner Mieter zuzustimmen, wenn er bei Vertragsschluss wusste, dass in der Wohnung eine Wohngemeinschaft (WG) mit wechselnden Mitgliedern betrieben werden soll. Stattdessen verwies das LG die WG darauf, mit den neuen WG-Mitgliedern Untermietverträge abzuschließen. Die Rechtsanwälte Wolf-Rüdiger Bub und Nikolay Pramataroff kritisieren dies auf beck-aktuell als nicht interessengerecht und sehen eine Vielzahl an Stimmen aus der Literatur und Teile der Rechtsprechung hinter sich.
LG Hamburg – Drogenhandel durch StA-Mitarbeiterin: Eine ehemalige Servicekraft der Hamburger Staatsanwaltschaft muss sich seit Dienstag wegen Beihilfe zum Drogenhandel vor Gericht verantworten. Die 30-Jährige soll nicht nur Drogen und Gerätschaften zum Verkauf in ihrer Wohnung gelagert haben, sondern zudem ihre berufliche Stellung genutzt haben, um Daten aus dem System der Ermittlungsbehörde abzurufen und an die Mitangeklagten weiterzuleiten. Wie die Welt berichtet, führten auch Erkenntnisse aus entschlüsselten EncroChat-Dateien auf die Spur der Angeklagten.
LG Leipzig – Gil Ofarim: In der aktuellen Ausgabe des SWR-RadioReportRechts (Philipp Potthast) wird der Frage nachgegangen, was genau die Unschuldsvermutung bedeutet, welche Folgen sie in gerichtlichen Verfahren hat, aber auch für private Postings in sozialen Netzwerken.
AG Ravensburg zu protestierendem Professor: Weil er zusammen mit Klimaaktivist:innen einen Baum an seiner Hochschule Ravensburg-Weingarten besetzte, um sich für sparsameres Heizen einzusetzen, ist der Leiter des Instituts für Künstliche Intelligenz, Wolfgang Ertel, zu einer Geldstrafe von 4.000 Euro (40 Tagessätze zu je 100 Euro) verurteilt worden. Das Gericht sanktionierte so die fehlende Anmeldung der Versammlung nach § 26 Nr. 2 Versammlungsgesetz, berichtet LTO.
Recht in der Welt
Belgien – Bataclan-Prozess: In Brüssel hat ein Prozess gegen 14 mutmaßliche Komplizen der Pariser Attentäter begonnen, denen die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Sie sollen die Haupttäter vor den Anschlägen in der französischen Hauptstadt unterstützt haben, ihnen insbesondere Unterschlupf gewährt, Geld gegeben, als Chauffeur gedient oder ihnen Autos zur Verfügung gestellt haben. Der Prozess soll bis zum 20. Mai dauern, ein Urteil wird für Ende Juni erwartet, berichten FAZ (Werner Mussler) und spiegel.de.
Frankreich – Marine Le Pen: Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) wirft der französischen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen (Rassemblement National) vor, während ihrer Zeit als Europaabgeordnete zwischen 2004 und 2017 knapp 137.000 Euro an EU-Geldern veruntreut zu haben, indem sie sie für Parteizwecke ausgab. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Ihr Anwalt weist die Anschuldigungen laut LTO zurück.
Japan – Verspätung eines Lokführers: Von einem japanischen Gericht hat ein Lokführer der West Japan Railway Company umgerechnet 42 Cent zugesprochen bekommen. Diese hatte ihm sein Arbeitgeber zuvor vom Lohn abgezogen, weil er nach einem Irrtum über den Bahnsteig insgesamt eine Minute später als geplant die Abstellhalle erreichte und die Übergabe des Zuges zwei Minuten später stattfand. Auf die Versuche einer außergerichtlichen Einigung war der mittlerweile verstorbene Lokführer nicht eingegangen, sodass ein Gericht entscheiden musste. Der bizarre Rechtsstreit werfe ein Schlaglicht auf die legendäre Pünktlichkeit japanischer Bahnen, aber auch auf Japans nicht selten ausbeuterische Arbeitswelt, schreibt LTO.
Das Letzte zum Schluss
Tracking mit Osterhasen: Nachdem ihr in der Vergangenheit mehrfach die österliche Dekoration vom Grab ihres verstorbenen Ehemanns gestohlen wurde, präparierte eine Frau aus Herne dieses Jahr einen Hasen aus Ton mit einem GPS-Sender. Dieser führte die Polizei direkt zu einem 72-jährigen Kleingärtner aus Gelsenkirchen, gegen den die Frau aus Herne nun Strafanzeige erstattete. spiegel.de berichtet.
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LTO/jpw
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Die juristische Presseschau vom 20. April 2022: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48184 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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