Kurzfristig verteilte Ermittlungs-Dokumente verzögern die geplante Aussage des Schützen von Idar-Oberstein. Polen diskutiert die Enteignung russischer Oligarchen. Der Justizminister plant eine strengere Überprüfung von Schöffen.
Thema des Tages
LG Bad Kreuznach – Tötung wegen Maskenpflicht: Vor dem Landgericht Bad Kreuznach hat der Prozess gegen den Tankstellen-Schützen von Idar-Oberstein begonnen. Nach Verlesung der Anklageschrift, in der dem 50-jährigen Mario N. Mord aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen sowie unerlaubter Waffenbesitz vorgeworfen worden ist, sollte es eigentlich zu einer Aussage des Angeklagten kommen. Sein Verteidiger ließ zudem bereits verlauten, dass N. die Tat bereue. Zunächst musste sich die Verteidigung jedoch mit rund 1.300 Seiten "Ermittlungen zum Tathintergrund" beschäftigen, die das Gericht den Beteiligten erst zu Prozessbeginn aushändigte. Darin enthalten war unter anderem ein 26-seitiges psychologisches Gutachten über den Angeklagten. Die Verhandlung soll nun entweder am kommenden Freitag oder, sollten sich aus den Dokumenten weitere Erkenntnisse für die Verteidigung ergeben, am 31. März fortgesetzt werden. Es berichten FAZ (Julian Staib), SZ (Max Ferstl), taz und zeit.de (Tilman Steffen).
Ukraine-Krieg und Recht
Polen – Oligarchen: Polens Parlament diskutiert aktuell eine Verfassungsänderung, die es ermöglichen soll, in Polen Eigentum russischer Oligarchen zu beschlagnahmen sowie eine Sondersteuer auf Firmen einzurichten, die weiter in Russland tätig sind. Die sichergestellten Mittel sollen den Opfern des russischen Krieges zugutekommen, berichtet die FAZ (Gerhard Gnauck).
IGH/Russland: Privatdozent Andreas Kulick analysiert für den FAZ-Einspruch die Eilentscheidung des Internationalen Gerichtshofs, der Russland vorige Woche dazu verpflichtet hat, die militärische Gewalt in der Ukraine einzustellen. Bemerkenswert sei nicht nur, dass mit 13 zu zwei Stimmen eine für den IGH ungewöhnliche hohe Einigkeit erzielt wurde. Vor allem die Tatsache, dass das Gericht seine Zuständigkeit nicht mit der Begründung ablehnte, die beantragte Interpretation der Völkermord-Konvention sei nur vorgeschoben, beeindruckt den Autor. An dieser Entscheidung werde sich der IGH fortan messen lassen müssen.
EU – Beitritt der Ukraine: Auf dem Verfassungsblog spricht sich Rechtsprofessor Dimitry Vladimirovich Kochenov (in englischer Sprache) für eine sofortige Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union aus und erklärt, wie dies mit Artikel 49 bzw. 2 EUV in Einklang zu bringen ist. Ziel der europäischen Integration und Selbstverständnis der Union sei der Frieden in Europa. Die wirtschaftliche Integration, die vier Freiheiten und der restliche acquis communautaire seien ohnehin nur Instrumente zur Erreichung dieses Ziels.
Russland – Enteignung von Unternehmen: Auf dem Verfassungsblog beschreibt Senior Lecturer Jure Zrilič (in englischer Sprache), mit welchen Sanktionen Russland ausländische Firmen belegt hat und wie diese versuchen könnten, frustrierte Investitionen einzuklagen.
Russland – Meta: In Moskau hat ein Gericht den US-amerikanischen Konzern Meta, zu dem Facebook, Instagram und Whatsapp gehören, zu einer "extremistischen Organisation" erklärt. Damit sind die Social-Media-Plattformen nun offziell verboten. Der Messengerdienst Whatsapp ist von dem Verbot nicht betroffen, berichtet LTO. Hintergrund war die Regel-Lockerung auf Facebook, der zufolge Aufrufe zur Gewalt gegen russische Truppen in der Ukraine ("Tod den russischen Eindringlingen") erlaubt wurden.
Rechtspolitik
Rechtsextreme Schöff:innen: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) plant eine strengere Überprüfung von Schöff:innen. Bislang findet lediglich eine Überprüfung auf eine mögliche frühere Stasi-Mitgliedschaft hin statt. Künftig "soll" auch von dem Amt ausgeschlossen sein, wer nicht "jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt". Der Verzicht auf eine zwingende Regel wird unter anderen von der hessischen CDU-Justizministerin Eva Kühne-Hörmann scharf kritisiert. Es berichtet die SZ (Ronen Steinke).
Corona – Impfpflicht: Im Gesundheitsausschuss des Bundestags hat eine Anhörung von Sachverständigen zur Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht stattgefunden. Dort warnte etwa Robert Seegmüller vom Bundesverband der Verwaltungsrichter:innen vor der Unsicherheit von Prognosen über den künftigen Verlauf der Pandemie. Rechtsprofessor Josef Franz Lindner lehnte eine Impfpflicht "ins Blaue hinein" ab. Zulässig wäre sie nur bei tatsächlich drohender Überlastung des Gesundheitswesens. Rechtsprofessor Franz Mayer wiederum hielt die verfassungsrechtlichen Bedenken für übertrieben und erinnerte an den jüngst vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Gestaltungsspielraum der Politik bei ungewisser Lage. Unterstützung für eine sofortige Impfpflicht kam vor allem von Mediziner:innen. Es berichten taz (Christian Rath), Welt (Luisa Hofmeier) und spiegel.de.
Corona-Regeln in Unternehmen: Die am 19. März ausgelaufene Homeoffice-Pflicht ist seit dem 20. März durch die Regeln der novellierten Arbeitsschutzverordnung ersetzt worden. Darin werden Arbeitgeber:innen angehalten, im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht angemessene Maßnahmen zu treffen, z.B. Plexiglas-Trennwände aufzustellen oder Masken anzubieten. Tests müssen nicht mehr kostenlos zur Verfügung gestellt werden und auch "3G am Arbeitsplatz" gilt nicht mehr, sodass auch Ungeimpfte nicht mehr zu täglichen Tests verpflichtet sind. tagesschau.de (Florian Roithmeier) stellt die wichtigsten Änderungen in Frage-und-Antwort-Form vor.
Missbrauch in der Kirche: In der FAZ fordert Heike Schmoll eine bessere Aufklärung sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Helfen könne eine Erweiterung des § 138 Strafgesetzbuch (StGB), der die Nichtanzeige geplanter Straftaten unter Strafe stellt. Sexueller Missbrauch an Minderjährigen ist darin bislang nicht enthalten. Zudem sollten Strafverfahren kindgerechter durchgeführt werden, Verjährungsfristen angepasst werden und zuletzt sollten staatliche Strafverfolgungsbehörden weniger Rücksicht auf das Kirchenprivileg nehmen, das diese nicht vor Strafverfolgung schütze.
Staatsleistungen an Kirche: Auf dem Verfassungsblog analysieren Christian Walter und Kathrin Tremml, Rechtsprofessor und Wissenschaftliche Mitarbeiterin, weshalb ihrer Ansicht nach rechtlich kein voller Ausgleichs für die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen mehr nötig sei. Der in Art. 138 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung formulierte Verfassungsauftrag sei der einer Ablösung und nicht einer Fortzahlung. Bereits erfolgte Zahlungen führten so nach über 100 Jahren bereits zu einer Übererfüllung der Entschädigung von Vermögensverlusten im Zuge der Säkularisierung. Zudem drohe eine Ungleichbehandlung von anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
EU-Datenrecht: Auf LTO geben die Rechtsanwälte Pascal Schumacher, Max von Schönfeld und Marvin Bartels einen Überblick über die neue Datenstrategie der EU, zu der auch der Ende Februar veröffentlichte Verordnungs-Entwurf der Kommission für einen "Data Act" gehört. Die unterschiedlichen Regelwerke seien darauf angelegt, den freien Datenzugang zu fördern, Persönlichkeitsrechte zu schützen, Datenaustausch und Datennutzung bzw. Plattformen und künstliche Intelligenz zu regulieren sowie IT-Sicherheit zu garantieren. Die Autoren erwarten erheblich steigende Compliance-Anforderungen in diesem Bereich, der sich so dynamisch entwickle wie kaum ein anderes Rechtsgebiet.
Justiz
EuGH – Urlaubsansprüche bei Langzeiterkrankten: Nun berichtet auch beck-community (Markus Stoffels) über dieses Vorabentscheidungsverfahren, das vom Bundesarbeitsgericht vorgelegt wurde. In seinen Schlussanträgen vertrat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs die Ansicht, dass bei Langzeiterkrankten nicht genommener Urlaub nur dann verfällt, wenn der Arbeitgeber zuvor auf die entsprechenden Fristen hingewiesen hat.
LAG SH zu Urlaub in Quarantäne: Wer während seines Urlaubs in Quarantäne muss, aber nicht krank ist, ist nicht automatisch arbeitsunfähig und kann sich die Urlaubstage ggf. nicht wieder gut schreiben lassen. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein bestätigte mit dieser Entscheidung die Vorinstanz und urteilte laut LTO wie schon zuvor das LAG Düsseldorf.
LAG RhPf zu heimlicher Tonaufnahme des Chefs: Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass eine heimliche Tonaufnahme eines Gesprächs zwischen Arbeitnehmer und Vorgesetzten nicht per se zur Kündigung führt. Das Gespräch im Anschluss an einen Streit mit einer Kollegin hatte der Beschäftigte seinen Angaben zufolge aufgenommen, weil sein Arbeitgeber zuvor bereits unsachgemäße und diskriminierende Äußerungen getätigt habe. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung sei dies Grund genug, sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung für nichtig zu erklären. LTO berichtet.
LSG Nds-Bremen zu Schulgeld: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die Kostenübernahme für das Schulgeld einer Waldorfschule durch das Jobcenter nur bei Vorliegen schwerwiegender persönlicher Gründe möglich ist. Die alleinerziehende Klägerin, die ihre selbstständige Tätigkeit als Kampfsportlehrerin während der Corona-Pandemie habe einstellen müssen, hatte vorgetragen, ein Schulwechsel des Sohnes sei aus psychischen Gründen unzumutbar. Zudem sei der Migranten- und Gewaltanteil auf einer Regelschule überdurchschnittlich hoch. Diese Argumente hielt das Gericht nicht für ausreichend, wie LTO berichtet.
OLG Düsseldorf zu Bankautomat: Die Bewohner:innen eines Mehrfamilienhauses in Ratingen haben erfolglos versucht, die im Erdgeschoss angesiedelte Bank dazu zu verpflichten, den dort aufgestellten Geldautomaten zu entfernen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verwies darauf, dass die abstrakte Gefahr eines möglichen Überfalls und damit verbunden einer Sprengung des Automaten allein nicht genüge. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und LTO.
VG Berlin zu "Junge Welt" im Verfassungsschutzbericht: Die linke Tageszeitung "Junge Welt" muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin laut LTO vorerst nicht aus dem Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums gestrichen werden. Der klagenden Herausgeberin sei es zuzumuten, das Hauptverfahren abzuwarten, da ihr angesichts der wiederholten Nennung in den vergangenen Jahren keine unzumutbaren Nachteile drohten.
VG Freiburg zu Online-Klausuren in der Fachanwaltsprüfung: Die Fachanwaltsordnung (FAO) sieht derzeit keine Möglichkeit vor, die Abschlussklausuren vor der Zulassung als Fachanwältin oder Fachanwalt online zu schreiben. Der derzeitige Wortlaut spreche von "Aufsichtsarbeiten", die von der physischen Anwesenheit einer Aufsichtsperson geprägt sei, entschied das Verwaltungsgericht Freiburg. Zugleich erinnerte es aber auch daran, dass der maßgebliche § 4a FAO durch die Satzungsversammlung der Anwaltschaft geändert werden könne. LTO (Martin W. Huff) berichtet.
LG München I – Wirecard: Am Landgericht München I sind mittlerweile rund 900 Klagen einzelner Wirecard-Anleger:innen gegen die Prüfungsgesellschaft EY anhängig. "Die Zahl steigt fast täglich weiter an", schreibt das Landgericht in einer Pressemitteilung. Die Anleger:innen klagen auf Schadenersatz von EY, denn die Wirtschaftsprüfer:innen hatten die Bilanzen von Wirecard Jahr für Jahr als zutreffend eingestuft und versagten erst für den Abschluss des Jahres 2019 das uneingeschränkte Testat. Es berichten FAZ (Mark Fehr/Tim Kanning) und LTO.
GBA – ICE-Messerstecher: Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen gegen einen Syrer übernommen, der im November 2021 in einem ICE vier Männer mit einem Messer z.T. schwer verletzte. Entgegen erster Annahmen ist der Mann wohl nicht psychisch gestört, sondern handelte aus islamistisch-terroristischer Motivation. Die FAZ (Marlene Grunert) berichtet.
Recht in der Welt
Klima-Prozesse weltweit: Im Rahmen der Debattenreihe "Comparative Climate Litigation in North-South Perspective" erscheinen auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) Beiträge zu Klima-Prozessen in Kenya und Südafrika sowie Indonesien.
England – Boris Becker: Vor einem Londoner Gericht beginnt der Prozess gegen den ehemaligen Tennisstar Boris Becker wegen Insolvenzverschleppung und Verschleierung von Vermögenswerten. Ihm drohen bis zu sieben Jahren Haft. Es berichten FAZ (Philip Plickert), SZ (Michael Neudecker) und spiegel.de (Matthias Fiedler/Marc Hujer).
Sonstiges
Katholische Kirche: Die Regierung der katholischen Weltkirche, die sogenannte römische Kurie, hat eine neue Verfassung. In dem Dokument, das die Institutionen der Kurie neu sortiert, das "Praedicate Evangelicum", sind 16 Zentralbehörden vorgesehen. Diese dürfen fortan bis ins höchste Amt erstmals auch von Laien sowie von Frauen besetzt werden, schreiben FAZ (Matthias Rüb) und taz (Michael Braun).
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lto/jpw
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Die juristische Presseschau vom 22. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47897 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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