Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler wird erster Antiziganismus-Beauftragter Deutschlands. Die EU-Kommission schlägt eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vor. Das Bundeskabinett einigt sich auf neue Ermächtigungen im IfSG.
Thema des Tages
Antiziganismus: Die Bundesregierung hat den Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler als ersten Antiziganismus-Beauftragten berufen, berichten spiegel.de, FAZ, zeit.de und tagesschau.de. Laut Kabinettsbeschluss ist der Beauftragte im Familienministerium von Anne Spiegel (Grüne) angesiedelt und soll die Maßnahmen der Regierung gegen Antiziganismus koordinieren. Sinti und Roma seien in Deutschland immer noch mit Vorurteilen konfrontiert. Daimagüler selbst ist als Nebenklage-Vertreter im NSU-Prozess bekannt geworden.
Im Interview mit sueddeutsche.de (Verena Mayer) erklärt Daimagüler, der Mord an den Sinti und Roma durch das NS-Regime sei erst 1982 als Völkermord anerkannt und bis heute nur rudimentär aufgearbeitet worden. Entschädigungen seien nach dem Krieg mit der Begründung verweigert worden, dass die Menschen nicht aus rassischen Gründen, sondern als Kriminelle verfolgt worden seien. Noch in den 1950er-Jahren habe der Bundesgerichtshof Sinti und Roma als "Landplage" bezeichnet. Aufgabe des Antiziganismus-Beauftragten sei deshalb auch, nachholende Gerechtigkeit zu schaffen und zu gewährleisten, dass der Kinder- und Enkelgeneration solche Diskriminierungserfahrungen erspart bleiben.
Rechtspolitik
Gewalt gegen Frauen: Am Internationalen Frauentag, am Dienstag dieser Woche, stellte die EU-Kommission den Entwurf einer Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt vor. Die geplante Richtlinie soll unter anderem die Kriminalisierung von Vergewaltigungen in den EU-Mitgliedstaaten vereinheitlichen. Außerdem enthalte der Entwurf laut netzpolitik.org (Chris Klöver/Sebastian Meineck) klare Vorgaben für die Kriminalisierung von Taten, die unter dem Begriff der "digitalen Gewalt" zusammengefasst werden, etwa Cyberstalking und das nicht-einvernehmliche Verbreiten von intimen Aufnahmen.
Corona - Maßnahmen: Das Bundeskabinett hat sich auf den Entwurf für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) geeinigt, der kommende Woche im Bundestag beschlossen werden soll. Danach sollen die Landesregierungen auch nach dem Auslaufen bestehender Ermächtigungen am 20. März noch flächendeckende Basismaßnahmen für bestimmte Bereiche anordnen können, etwa eine Maskenpflicht für den ÖPNV, Krankenhäuser und Pflege-Einrichtungen. Daneben sollen die Landtage in Corona-Hotspots mit gefährdeter Gesundheitsversorgung auch Maskenpflicht und Abstandsregelungen für ganze Regionen beschließen können. Strengere Maßnahmen wie Lockdowns dürfen sie nicht anordnen und auch konkrete Hospitalisierungswerte sieht der Entwurf nicht vor. Es berichten FAZ (Christian Geinitz/Stephan Löwenstein), SZ (Angelika Slavik), taz (David Muschenich), Hbl (Jürgen Klöckner) und LTO.
Die Entscheidung für die Lockerungen sei aus "rein politischen Motiven getroffen" worden, losgelöst von der pandemischen Realität und den Folgen, die dies für vulnerable Gruppen schaffen wird, meint Christina Berndt (SZ). Es sei geboten, wenigstens an der bundesweiten Maskenpflicht im ÖPNV, Supermärkten und Drogerien festzuhalten, damit vulnerable Personen diese ohne Sorgen nutzen können. Reinhard Müller (FAZ) hält die Lockerungen hingegen für "folgerichtig", denn es sei immer klar gewesen, dass Eingriffe nur so lange aufrechterhalten werden können, wie sie nötig sind. Die Lage könne sich aber auch wieder wandeln, weshalb die Lockerungen nicht "zu sehr bejubelt werden" sollten.
§ 219a StGB: Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Aufhebung von § 219a Strafgesetzbuch beschlossen, der die "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" verbietet. Der Entwurf sieht neben der Streichung der Strafnorm begleitende Änderungen im Heilmittelwerbegesetz (HWG) vor. Diese sollen gewährleisten, dass die Werbung für medizinisch nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche zukünftig nur unter den strengen Vorschriften des HWG erlaubt ist. Im Einführungsgesetz zum StGB soll zudem geregelt werden, dass alle strafgerichtlichen Urteile wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch, die nach dem 3. Oktober 1990 ergangen sind, aufgehoben und die Verfahren eingestellt werden. FAZ (Heike Schmoll), SZ, taz (Sophie Fichtner), spiegel.de und LTO berichten.
Justiz
VG Köln zu Verdachtsfall AfD: Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, das die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für rechtens erklärte, stellen SZ (Ronen Steinke) und LTO (Markus Sehl) rechtlichen Folgen dar, insbesondere welche Überwachungsmaßnahmen der Verfassungsschutz bald ergreifen kann. FAZ (Helene Bubrowski/Johannes Leithäuser) und taz (Christian Rath/Konrad Litschko) beschreiben vor allem die Reaktionen auf das Urteil, sowohl aus der AfD als auch von ihren Gegner:innen.
Jasper von Altenbockum (FAZ) begrüßt die Entscheidung des VG Köln. Allerdings sei nicht zu erwarten, dass die AfD aus dieser Niederlage vor Gericht etwas lernen werde, schließlich sehe sich die AfD als "Opfer eines staatlichen Komplotts". Ronen Steinke (SZ) bezweifelt, dass die Beobachtung der AfD eine Veränderung bringen werde. Die Beobachtung der AfD in Thüringen seit 2020 habe beispielweise zu keinem Rückgang der Wähler:innenstimmen geführt. Christian Rath (taz) äußert sich skeptisch zum Konzept der "wehrhaften Demokratie". In deren Logik sei die Ausgrenzung der AfD aber "konsequent" und treffe nicht die Falschen.
BVerfG zu IT-Sicherheitslücken: Das Bundesverfassungsgericht lehnte erneut eine Verfassungsbeschwerde ab, die ein Regelungsdefizit für den behördlichen Umgang mit noch unbekannten IT-Sicherheitslücken rügte. Konkret ging es diesmal um § 15b und § 15c des Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (HSOG), in denen Online-Durchsuchungen und Quellen-Telekommunikationsüberwachung geregelt sind. Die Klage sei jedoch unzulässig, so das BVerfG, da der Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt und eine mögliche Rechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt worden sei. LTO berichtet.
BAG zur betrieblichen Altersversorgung: Tarifverträge können die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung eines Zuschusses für die betriebliche Altersversorgung (bAV) wirksam ausschließen, entschied das Bundesarbeitsgericht. Der zwischen den klagenden Arbeitnehmer:innen und dem Arbeitgeber bestehende Verbandstarifvertrag sei als kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarung zu qualifizieren und vor dem 1. Januar 2019 abgeschlossen worden, weshalb der Zuschuss aufgrund der Übergangsregelung des § 26a BetrAVG ausgeschlossen sei. Auf LTO erläutern die Anwält:innen Tobias Neufeld und Anja Markworth die Entscheidung und ihre Hintergründe. Seit 2022 sind Arbeitgeber:innen verpflichtet, zu allen Entgeltumwandlungen in der bAV einen verpflichtenden Zuschuss zu zahlen.
OLG Köln zu Strompreisen: Unterschiedliche Stromtarife für Neu- und Bestandskund:innen in der Grundversorgung können zulässig sein. Damit beendete das Oberlandesgericht Köln letztinstanzlich einen Streit zwischen Verbraucherschützer:innen und dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Ein Zwang zur Gleichbehandlung von Neu- und Altkund:innen beschränke die Entscheidungsfreiheit der Grundversorger unverhältnismäßig, so die Kölner Richter:innen. Wie die FAZ (Katja Gelinsky) schreibt, ist jedoch das Landgericht Hannover in einem ähnlich gelagerten Fall anderer Ansicht und hält eine Aufspaltung der Tarife für nicht gerechtfertigt.
OLG Frankfurt/M. zu Apotheken-Pröbchen: Außendienstmitarbeiter:innen von Arzneimittelherstellern dürfen eine einzelne Verkaufsverpackung eines nichtverschreibungspflichtigen Schmerzgels mit dem Aufdruck "Zu Demonstrationszwecken" kostenlos an Apotheken verteilen. Das entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. anhand von Vorgaben des Bundesgerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Die klagende Apotheke habe nicht widerlegen können, dass es bei der Ausgabe des Pröbchens allein um die – erlaubte – Vorführung von Konsistenz und Geruch des Produkts ging, berichtet LTO.
LG Berlin – Mord an Pastor: Die Zeit (Miguel Helm) zeichnet in der Rubrik "Verbrechen" das schillernde und verworrene Leben des 2020 ermordeten Berliner Pastors Reinhold Zuber mit seinen Verbindungen in die Kunst- und Stricherszene nach. Der mutmaßliche Mörder Vasile B. sitzt in Untersuchungshaft. Zwei Komplizen verurteilte das Landgericht Berlin bereits: Vandam G. wegen Raubes zu dreieinhalb Jahren Haft und Cristian-Cosmin C. wegen gemeinschaftlichen Mordes zu einer Jugendstrafe von acht Jahren.
BVerfG: Im Interview mit der FAZ (Reinhard Müller) spricht Aurore Gaillet, französische Rechtsprofessorin und Autorin eines Buches über die Anfänge des Bundesverfassungsgerichts, über das Buch, die Ursprünge des BVerfG, dessen Legitimation und Funktionen sowie die Unterschiede zur französischen Verfassungsgerichtsbarkeit.
Bombendrohungen gegen Gerichte: Wie LTO schreibt, vermuten Ermittler:innen einen rechtsextremen Hintergrund der Bombendrohungen, die im Februar per E-Mail an Gerichte in verschiedenen Städten in NRW gesandt worden waren. Laut einem Bericht an den Innenausschuss des Landtags nutzte der Absender eine Wegwerf-Mailadresse mit dem Namen des im Jahr 1936 getöteten Nationalsozialisten Wilhelm Gustloff. Die echte Mailadresse, die die Ermittler:innen trotz mehrfacher Verschlüsselung fanden, weise auf ein NPD-Mitglied hin.
Recht in der Welt
Österreich – Impfpflicht: Österreich setzt die seit Anfang Februar geltende allgemeine Impfpflicht wieder aus, so FAZ (Stephan Löwenstein) und LTO. Laut der österreichischen Verfassungsministerin sei die Impfpflicht bei der derzeitigen Omikron-Variante nicht verhältnismäßig, da der Impfschutz gegen Omikron wesentlich geringer ist und Omikron als weniger gefährlich gilt. In drei Monaten werde aber neu entschieden und die Pflicht ggf. wieder aktiviert.
Frankreich – Priestermord: Ein Sonderschwurgericht in Paris verurteilte drei Hintermänner des islamistischen Terroranschlags auf den 85-jährigen Priester Jacques Hamel zu Haftstrafen zwischen acht und 13 Jahren. Hamel war 2016 während einer Messe in einer Kirche in der Normandie von zwei 19-Jährigen erstochen worden. Warum die Tat nicht verhindert wurde, obwohl die Täter, ihre Radikalisierung und ihre Pläne bei Behörden und Freunden bekannt waren, war die zentrale Frage des Prozesses, wie die FAZ (Michaela Wiegel) schreibt.
Serbien – Mafia/Korruption: Vor einem Gericht in der serbischen Hauptstadt Belgrad hat der Strafprozess gegen den mutmaßlichen Anführer der sogenannten Janjicari, einer Gruppierung mit Verbindungen zu Serbiens Regierung, sowie 21 Mitangeklagte begonnen. In einer Voranhörung soll der angeklagte Veljko Belivuk dem Gericht angeboten haben, als Zeuge gegen höhere Regierungspersonen auszusagen, für die er in den vergangenen Jahren immer wieder die "Schmutzarbeit" erledigt habe. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić spielte diese Anschuldigungen herunter, wie spiegel.de berichtet.
Russland - Verfassung: Im "Staat und Recht"-Teil der FAZ schreibt Angelika Nußberger, Rechtsprofessorin und Ex-Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, über die Entwicklung der russischen Verfassung seit dem Ende der Sowjetunion bis in die Gegenwart und wie diese von den politischen Eliten zur Legitimation des eigenen Machtausbaus und -erhalts immer wieder geändert wurde und wird.
Sonstiges
Polizei: LTO (Hasso Suliak) rezensiert das Buch des Bochumer Kriminologen Tobias Singelnstein und dessen früheren Mitarbeiters Benjamin Derin. In dem Werk mit dem Titel "Die Polizei – Helfer, Gegner, Staatsgewalt" beleuchten die Autoren die bei der Polizei bestehenden Missstände wie Rassismus, Sexismus und Rechtsextremismus. "Polizei-Bashing" betrieben die Autoren dabei jedoch nicht, so LTO, vielmehr seien die Missstände gesellschaftlich und juristisch eingeordnet und mögliche Lösungsansätze erörtert worden.
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lto/ali
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Die juristische Presseschau vom 10. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47782 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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