Russland bleibt dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof fern. In Köln beginnt Prozess um Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall. Bischofskonferenz will Diskriminierungen in der Arbeitsverfassung ausräumen.
Thema des Tages
IGH/Russland: Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat am Montag das von der Ukraine eingeleitete Verfahren gegen Russland begonnen — allerdings ohne Russland. Ein Grund für das Fehlen einer russischen Delegation wurde nicht genannt. Die Ukraine möchte mit einer Dringlichkeitsklage die Feststellung erreichen, dass der von Russland angeführte Grund für den Krieg (ein vermeintlicher Völkermord der Ukraine an der Bevölkerung der Gebiete Luhansk und Donezk) unzutreffend ist. Damit verbunden soll der IGH Russland verpflichten, die militärische Gewalt unverzüglich einzustellen. Der IGH sei zuständig, weil es im Kern um die Auslegung, Anwendung und Erfüllung der Völkermord-Konvention von 1948 gehe. Urteile des IGHs sind zwischen den Parteien bindend, können aber vom IGH nicht durchgesetzt werden. Im Fall der Nicht-Befolgung kann der IGH zwar den UN-Sicherheitsrat anrufen, allerdings besitzt Russland dort ein Vetorecht. Es berichten SZ (Thomas Kirchner), LTO (Franziska Kring) und spiegel.de. Vorberichte brachten tagesschau.de (Claudia Kornmeier) und zeit.de.
Ukraine-Krieg und Recht
Informationskrieg und Völkerrecht: Im Interview mit LTO (Annelie Kaufmann) weist Rechtsprofessor Tobias Keber unter anderem darauf hin, dass russische Journalist:innen angesichts der russischen Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) klagen könnten und "sicher Recht" bekämen. Ferner spricht er über das im UN-Zivilpakt enthaltene Verbot von Kriegspropaganda, über die EU-Sanktionen gegen russische Sender (die er medienpolitisch kritisch, aber völkerrechtlich für richtig hält) und darüber, wann es rechtmäßig ist, Bilder russischer Kriegsgefangener zu veröffentlichen.
Russland - Pressefreiheit: spiegel.de erläutert die drei neuen russischen Straftatbestände zur Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit. "Fake News" über den Einsatz der Streitkräfte werden jetzt mit hohen Geldstrafen, "Besserungsarbeiten" oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren geahndet. Für "öffentliche Handlungen", die den Einsatz der russischen Streitkräfte "diskreditieren", gibt es fortan Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren. Und der Aufruf zu Sanktionen gegen Russland oder gegen russische Bürger und juristische Personen kann mit Geldstrafen oder Haftstrafen bis zu drei Jahren bestraft werden. Die drei Tatbestande seien schwammig formuliert, sodass die Sicherheitsbehörden viel Spielraum hätten, um gegen Kritiker:innen vorzugehen.
GBA - Putin: Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (beide FDP) haben angekündigt, wegen des russischen Angriffskriegs und der damit einhergehenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Strafanzeige gegen Wladimir Putin beim Generalbundesanwalt (GBA) zu stellen. Das Weltrechtsprinzip ermöglicht es, Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch unabhängig vom Tatort und der Nationalität von Tätern und Opfern auch in Deutschland anzuklagen. LTO berichtet.
Sanktionen gegen Oligarchen: Die SZ (Klaus Ott u.a.) weist hinsichtlich der einzufrierenden Vermögenswerte von sanktionierten russischen Oligarchen darauf hin, dass die Vermögenswerte mitunter schwierig zuzuordnen seien. Bei Immobilien erhielten die Grundbuchämter etwa Listen mit den Namen der sanktionierten Personen, allerdings agierten diese häufig nicht mit ihrem Namen, sondern über Unternehmen und Strohmänner.
Kündigung von Valery Gergiev: Das Hbl (Frank Specht) untersucht die Rechtmäßigkeit der Kündigung des russischen Dirigenten der Münchener Philharmoniker, Valery Gergiev, durch die Stadt München. Rechtsanwalt Daniel Hammes sieht allenfalls die Möglichkeit einer sogenannten Druckkündigung, "wenn die politische Betätigung oder Einstellung dazu führt, dass der Druck von anderen Mitarbeitern oder Kunden zu groß wird und dem Unternehmen sogar ein wirtschaftlicher Schaden droht." Rechtsanwalt Uwe Schlegel vermutet, dass die Stadt München sich auf die §§ 9 und 10 Kündigungsschutzgesetz beruft, wonach eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Gerichtsurteil und gegen Zahlung einer Abfindung erfolgt, sofern eine Fortsetzung beiden Seiten nicht zumutbar ist.
Kanzleien und russische Mandate: LTO (Stefan Schmidbauer) berichtet über den Umgang von Wirtschaftskanzleien mit der Ukraine-Krise. Es bestehe ein Defizit bei der Definition von roten Linien bei Bestandsmandaten mit Russlandbezug. Dabei tanzten die Kanzleien auch auf der "PR-Klinge". Angeführt werden die Positionen von White & Case, Baker McKenzie, Freshfields, CMS, Hengeler Mueller, Allen & Overy, Tigges, Norton Rose, Gleiss Lutz, Rödl & Partner und von RA Viktor Winkler.
Rechtspolitik
Wehrverfassung: Auf dem Verfassungblog spricht sich der Assessor Daniel Hinze für eine Präzisierung der Wehrverfassung durch eine Anknüpfung an das Völkerrecht aus. So solle etwa das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN-Charta ausdrücklich ins Grundgesetz aufgenommen werden. Und in Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz solle eine ausdrückliche klarstellende Ermächtigung zum Einsatz der Streitkräfte im Rahmen internationaler Militärmissionen eingefügt werden.
Justiz
VG Köln – Verdachtsfall AfD: An diesem Dienstag und Mittwoch verhandelt das Verwaltungsgericht Köln über die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die SZ (Ronen Steinke) und spiegel.de (Ann-Katrin Müller/Severin Weiland u.a.) erläutern die zentralen Rechtsfragen und liefern weitere Hintergrundinformationen. So habe das Bundesverfassungsgericht 2017 in seiner NPD-Entscheidung als Faustregel aufgestellt: Eine Parteiführung muss sich nur für solche Äußerungen verantworten, die sie erstens beeinflussen kann und zweitens (direkt oder indirekt) billigt. Rechtsprofessor Christoph Möllers hält die Voraussetzungen einer bundesweiten Beobachtung der AfD für gegeben und merkt an, dass "das Fraternisieren mit Putin […] im jetzigen Konfliktfall ein weiterer Grund für eine Beobachtung" sei. AfD-Chef Timo Chrupalla hofft, dass ein Erfolg der Klage zu einem "Befreiungsschlag" für die AfD wird.
LSG Nds-Bremen zu Nebenkosten: Nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen haben Vermieter:innen gegen das Jobcenter keinen Anspruch auf die Zahlung der Nebenkosten von Mieter:innen, auch wenn die Miete direkt vom Jobcenter überwiesen wurde. Durch die Direktzahlung entstehe keine Rechtsbeziehung. LTO berichtet.
OLG Celle zu IS-Unterstützung: Das Oberlandesgericht Celle hat einen Mann wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten sowie zu einer Geldauflage in Höhe von 4.500 Euro verurteilt. Der 33-Jährige hatte gestanden, seinen Bruder, der für den Islamischen Staat (IS) in Syrien kämpfte, 2015 durch eine Zahlung von insgesamt 6.000 Euro unterstützt zu haben. LTO berichtet.
LG München I — Vergewaltigung von 12-Jähriger: Vor dem Landgericht München I hat ein 35-Jähriger gestanden, eine Zwölfjährige in einem Wald südlich von München vergewaltigt und Videoaufnahmen von der Tat verbreitet zu haben. Das Urteil wird nächsten Montag erwartet. Das Mädchen war ihm von einem anderen Mann, der in Flensburg vor Gericht steht, zum Missbrauch angeboten worden. Insgesamt werden neun Männer beschuldigt, das Mädchen missbraucht zu haben. Einer von ihnen wurde bereits im Februar zu einer Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. spiegel.de berichtet.
LG Hamburg zu Schwesig/Ploß: Im FAZ-Einspruch kritisiert Rechtsprofessor Herbert Bethge das Landgericht Hamburg, das einen Antrag der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung gegen den Hamburger CDU-Vorsitzenden Christoph Ploß abgelehnt hatte. Bethge geht – anders als das LG – davon aus, dass Schwesig von Ploß ein Falschzitat zur Nord Stream 2-Pipeline untergeschoben wurde. Ploß‘ Aussage sei "eine handfeste falsche Tatsachenbehauptung", die Schwesigs Persönlichkeitsrecht verletze.
LG Wiesbaden – Cum-Ex/Hanno Berger: Das Landgericht Wiesbaden hat den Prozessbeginn für die Schlüsselfigur im Cum-Ex-Skandal, Hanno Berger, auf den 12. April festgelegt. Der Steuerrechtsanwalt war Ende Februar aus der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert worden und muss sich nun voraussichtlich bis Ende Juli wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung verantworten. LTO berichtet.
Recht in der Welt
Großbritannien — Geldwäschegesetz: In Großbritannien könnte die Queen schon nächste Woche das jahrelang nur zögerlich vorbereitete Geldwäschegesetz in Kraft setzen, das die Regierung angesichts der Ukraine-Krise gerade stark beschleunigt und verschärft durch das Parlament bringt. Laut Premierminister Boris Johnson wird es "die Schlinge um Putins Regime weiter zuziehen." Kritiker bemängeln weiterhin Schlupflöcher. Die FAZ (Jochen Buchsteiner) berichtet.
Sonstiges
Kirchliches Arbeitsrecht: Die katholischen Bischöfe planen, in der kirchlichen "Grundordnung" die Benachteiligung Homosexueller zurückzunehmen. "Hier braucht es Bewegung, hier ist Druck entstanden", sagte Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Die kirchliche Arbeitsverfassung gilt für rund 750.000 Arbeitnehmer:innen in der katholischen Kirche und in der Caritas. Im Mai soll in einer bischöflichen Gruppe über einen Entwurf beraten werden. spiegel.de berichtet.
Das Bistum Limburg wird nach einem Schreiben des Generalvikars Wolfgang Rösch an die Mitarbeitenden des Bistums bereits jetzt auf arbeitsrechtliche Konsequenzen für homosexuelle oder zivil wiederverheiratete Mitarbeitende verzichten. Die Grundordnung finde diesbezüglich keine Anwendung mehr. Die SZ berichtet.
Spähsoftware Pegasus: Nachdem bekannt wurde, dass Ungarn und Polen die israelische Spähsoftware Pegasus eingesetzt haben, setzt das EU-Parlament jetzt einen Untersuchungsausschuss zur Verwendung der Software in allen EU-Mitgliedstaaten ein. Es soll untersucht werden, ob Verstöße gegen EU-Regeln vorliegen und ob die EU-Kommission über die Vorgänge Bescheid wusste. Auch das Bundeskriminalamt hatte im vergangenen Jahr noch eingeräumt, Pegasus beschafft zu haben. netzpolitik.org (Chris Köver) berichtet.
Equal Pay Day: Anlässlich des Equal Pay Days berichtet LTO-Karriere (Pauline Dietrich) über eine große Lohnlücke bei Rechtsanwaltsfachangestellten: Frauen bekämen durchschnittlich ganze 28,29 Prozent weniger Bruttogehalt (2.591 Euro) als ihre männlichen Kollegen (3.613 Euro). Der berufsübergreifende (unbereinigte) Gender Pay Gap liegt in Deutschland bei 18 Prozent. Der Equal Pay Day ist rechnerisch der Kalendertag, bis zu dem Frauen im Vergleich zu Männern aufs Jahr gesehen unentgeltlich arbeiten (2022: 7. März).
Das Letzte zum Schluss
Affentheater: Die obersten Richter:innen am Indischen Supreme Court werden offenbar durch Affen gestört. Das Gericht hat nämlich eine Annonce aufgegeben, mit der es nach Firmen sucht, die 35 bis 40 Häuser in einem Radius von vier Kilometern um das Gericht vor den Primaten schützen sollen. spiegel.de berichtet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/tr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 8. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47749 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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