Die Anerkennung der sezessionistischen Volksrepubliken Donezk und Luhansk verstößt gegen Völkerrecht. Cum-Ex-Konstrukteur Hanno Berger wird von der Schweiz nach Deutschland ausgeliefert. Kolumbien liberalisiert Schwangerschaftsabbrüche.
Thema des Tages
Russland – Ostukraine: Russlands Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine stellt einen Eingriff in die territoriale Souveränität der Ukraine dar und ist damit völkerrechtswidrig. Die Anerkennung nach einer derartigen einseitigen Loslösung aus einem bestehenden Staat, auch Sezession genannt, steht nur dann im Einklang mit dem Völkerrecht, wenn die Existenz der betroffenen Bevölkerung durch eine Attacke des Mutterstaates bedroht ist, schreibt die SZ (Ronen Steinke). Dreh- und Angelpunkt sei also "die Lüge", dass in diesen Regionen, die an Russland angrenzen, schreckliche Massenverbrechen drohen, wird Rechtsprofessor Stefan Oeter zitiert. Eine rechtliche Klärung des Aggressions-Vorwurfs vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wäre nur möglich, wenn sich beide Staaten dessen Gerichtsbarkeit unterworfen hätten. Dies hat die Russische Föderation bislang nicht getan.
Rechtsprofessor Hans-Joachim Heintze listet auf LTO alle Abkommen auf, die Russland mit der Anerkennung der Volksrepubliken und der Entsendung von "Friedenstruppen" verletzt hat und verletzten wird. Der Autor erläutert zudem das Prinzip Uti Possedetis, das auch nach Auflösung der Sowjetunion angewandt wurde, wonach der Nachfolgestaat in die Staatsgrenzen des Vorgängerstaates nachfolgt.
LTO berichtet außerdem über die von der EU angekündigten Sanktionen, die aber noch vom EU-Ministerrat beschlossen werden müssen.
Rechtspolitik
BVerfG: Soll es bei der Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden eine Begründungspflicht für das Bundesverfassungsgericht geben? Mit dieser Frage setzt sich auf dem JuWissBlog die Diplomjuristin Melina Reyher auseinander. Statt jedoch § 93d Abs. 1 S. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) zu ändern, so die Autorin, sei eine personelle und organisatorische Erweiterung des BVerfG vorzuziehen. So könne das Gericht seine Funktion, "jedermann" (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a Grundgesetz) Rechtsschutz bei Grundrechtsverstößen zu bieten, besser erfüllen als mit formalen Begründungspflichten, die auch zu formelhaften, nichtssagenden Begründungen führen könnten.
Lieferketten und Menschenrechte: Wie aus einem Richtlinienentwurf hervorgeht, den die EU-Kommission an diesem Mittwoch vorstellen wird, sollen künftig bereits für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden die erhöhten Umwelt- und Menschenrechtsstandards bei der Überwachung ihrer Lieferanten gelten. Bei Branchen mit größerem Risiko von Verstößen gilt die Grenze bereits ab 250 Arbeitskräften. Damit geht das Vorhaben der EU-Kommission über das in Deutschland ab 2023 geltende Lieferkettengesetz hinaus, das zunächst erst ab 3.000 Mitarbeitenden Anwendung findet. Es berichten FAZ (Mark Fehr/Manfred Schäfers), Hbl (Moritz Koch u.a.), taz (Hannes Koch) und spiegel.de.
Justiz
EuGH zu EU-Haftbefehlen aus Polen: Auch wenn das polnische Justizsystem systematische Mängel aufweise, dürfen europäische Haftbefehle aus Polen, mit denen mutmaßliche Straftäter aus anderen europäischen Ländern nach Polen zurückgeholt werden sollen, nicht pauschal abgelehnt werden. Bei der weiterhin erforderlichen Einzelfallprüfung sei es zudem erforderlich, dass die von dem Haftbefehl betroffene Person konkret darlegt, warum etwa die Zusammensetzung des polnischen Spruchkörpers ein faires Verfahren gefährde, konkretisierte der EuGH. Nicht ausreichend sei der Hinweis, dass ein polnischer Richter beteiligt war oder sein wird, der nach 2018 vom Landesjustizrat KSR ausgewählt wurde. FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath) und LTO berichten.
EuGH – Kontrolle von "Sea-Watch"-Schiffen: In seinen Schlussanträgen schreibt der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, dass die deutschen Rettungsschiffe "Sea-Watch 3" und "Sea-Watch 4" von italienischen Behörden zur Kontrolle festgehalten werden dürfen. Dabei müsse sichergestellt werden, dass internationale Sicherheitsregeln beachtet werden, gleichzeitig aber auch die Verpflichtung der Kapitäne zur Seenotrettung nicht beeinträchtigt werde. LTO berichtet.
EuGH zu EU-Rechtsstaatlichkeit und Finanzen: Die aktuelle Folge des SWR-RadioReportRechts (Klaus Hempel) befasst sich mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum EU-Rechtsstaatsmechanismus von voriger Woche und dessen praktischen Auswirkungen.
Die zu erwartende anhaltende Untätigkeit ("wait-and-see approach") der EU-Kommission, so die Politikwissenschaftlerin Sonja Priebus (in englischer Sprache) auf dem Verfassungsblog, könne durch Budgetkürzungen bei der Kommission durchbrochen werden.
OLG Dresden – Rüstungsexport nach Russland: Der Generalbundesanwalt hat laut zeit.de gegen einen Geschäftsmann aus Sachsen Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden u.a. wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz erhoben. Ihm wird vorgeworfen, Russland bei der Herstellung von Chemie- und Atomwaffen geholfen zu haben. Dazu seien Güter im Wert von rund einer Million Euro an ein vom russischen Geheimdienst gesteuertes Tarnunternehmen geliefert worden, um die wahren militärischen Endabnehmer zu verschleiern.
LG Stuttgart zu Kontokündigung wg. Gebührenrückforderung: Gegen das abweisende Urteil des Landgerichts Stuttgart hat die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg im Rechtsstreit mit der Volksbank Welzheim bereits vergangene Woche Berufung eingelegt, schreibt LTO. Die Volksbank hatte ihren Kund:innen mit einer Kündigung gedroht für den Fall, dass sie nicht auf eine Rückzahlung der laut BGH rechtswidrig erhöhten Kontoführungsgebühren verzichten.
LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Am Landgericht Itzehoe hat die Holocaustüberlebende Towa-Magda Rosenbaum ausgesagt und über ihre Erfahrungen im KZ Stutthof berichtet. Die Zeit dort habe ihr "ganzes Leben kaputt gemacht, seelisch kaputt gemacht", wird die 97-Jährige zitiert, die per Video aus Israel dem Prozess zugeschaltet war. Es berichten SZ (Peter Burghardt) und spiegel.de (Julia Jüttner).
LG Hamburg zu Schwesig vs. Ploß: Ein Unterlassungsantrag der Schweriner Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) blieb ohne Erfolg. Vor dem Landgericht Hamburg wollte sie dem Hamburger CDU-Vorsitzenden Christoph Ploß eine Aussage über ihre vermeintliche Haltung zu Nord Stream 2 verbieten lassen. Das Gericht sah Ploß' Äußerung in ihrem Kontext jedoch nicht als Wiedergabe eines Schwesig-Zitats, sondern als zugespitzte Meinungsäußerung an, schreibt LTO.
LG Berlin zu Preisänderungen bei Netflix: Der Streamingdienst Netflix muss seine Kund:innen besser über mögliche Preisänderungen für Abonnements informieren. Die bisherige Vertragsklausel zu einseitigen Preisanpassungen sei zu intransparent, entschied nun das Landgericht Berlin in einem Verfahren, das vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) angestrengt worden war. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky) und spiegel.de.
LG München I – Marke "Hofbräuhaus": Das Landgericht München I schlug folgenden Vergleich vor: Das Dresdner Hofbrauhaus solle wegen Verwechslungsgefahr auf seine Marke verzichten. Im Gegenzug solle das Münchner Hofbräuhaus keinen Anspruch auf Schadensersatz erheben. Das Münchener Hofbräuhaus hatte zivilrechtlich gegen das Dresdener Hofbrauhaus geklagt. spiegel.de berichtet.
VG Frankfurt/M. zu Genesenenstatus: Auch das Verwaltungsgericht Frankfurt/M. hat nun entschieden, dass die Verkürzung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate voraussichtlich verfassungswidrig ist, meldet die FAZ (Anna-Sophia Lang). Der dynamische Verweis auf die Homepage des Robert-Koch-Instituts sei nicht ausreichend.
AG München zu Drogen bei Münchener Polizei: In einem Prozess um den Koksskandal bei der Münchner Polizei hat das Amtsgericht München einen Polizisten zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen à 55 Euro (insgesamt 13.200 Euro) verurteilt. Der Schuldspruch erfolgte wegen des Erwerbs und Besitzes von Drogen und Dopingmitteln sowie der Weitergabe von Dopingmitteln u.a. auf dem Polizeirevier. Von dem Vorwurf, sichergestelltes Marihuana abgezweigt und konsumiert zu haben, wurde er hingegen freigesprochen. spiegel.de berichtet.
StA Würzburg – Leichen-Inszenierung: Die Würzburger Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der rechtsextremistischen Partei "Der III. Weg" eingestellt, meldet die SZ. Anlass der Ermittlungen war eine Inszenierung mit drei Strohpuppen und Kunstblut im September 2021, mit der die Partei gegen den tödlichen Messerangriff eines Flüchtlings und die deutsche Migrationspolitik protestierte. Der Darstellung könne nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit die rassistische Aussage entnommen werden, dass Migranten grundsätzlich zu Gewalttaten neigen, so die Staatsanwaltschaft.
Recht in der Welt
Schweiz – Auslieferung Hanno Berger: Das Schweizer Bundesamt für Justiz hat die Auslieferung des Steuerrechtsanwalts Hanno Berger bewilligt, erklärte eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Justizministeriums. Berger, der als einer der Architekten des rechtswidrigen Cum-Ex-Modells gilt, sitzt seit dem vergangenen Sommer in der Schweiz in Auslieferungshaft. Es berichten SZ (Klaus Ott u.a.), Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier), FAZ (Marcus Jung/Johannes Ritter), beck-aktuell (Joachim Jahn) und LTO.
Kolumbien – Schwangerschaftsabbrüche: In Kolumbien stellen Abtreibungen nicht länger eine Straftat dar, sondern dürfen sogar bis zur 24. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Das entschied das Verfassungsgericht in Bogota. Zuvor war ein Abbruch der Schwangerschaft nur in besonderen Fällen, z.B. bei akuter Lebensgefahr für die Mutter oder nach einer Vergewaltigung, möglich gewesen. Es berichten spiegel.de (Jan Petter), SZ (Christoph Gurk) und taz (Bernd Pickert).
EuGH/Rumänien – Vorlageverbot: Die rumänische Regelung, die es den Gerichten verbietet, sich mit Vorlagefragen zu nationalen Gesetzen an den Europäischen Gerichtshof zu wenden, verstößt unter anderem gegen den Vorrang von Europarecht vor nationalem Recht. Das entschied der EuGH. Betroffen von der Regelung waren solche Gesetze, die das rumänische Verfassungsgericht bereits für verfassungsgemäß erklärt hatte. Es berichten FAZ (Marlene Grunert) und zeit.de.
Juristische Ausbildung
Kosten des Jurastudiums: Auf LTO-Karriere (Sabine Olschner) erfährt man, welche Kosten im Laufe des Jurastudiums zu erwarten sind. Trotz steigender Lebenshaltungskosten in vielen Städten könne man z.B. viel Geld für kommerzielle Repetitorien einsparen, indem man eine Uni mit gutem universitärem Repetitorium wählt.
Sonstiges
Roland Rechtsreport 2022: Nun berichtet auch LTO (Hasso Suliak) über den "Rechtsreport 2022" der Roland-Rechtsschutzversicherung. Während 70 Prozent der Gesamtbevölkerung in einer Umfrage sehr viel bzw. ziemlich viel Vertrauen in deutsche Gerichte haben, lag dieser Wert unter Impfverweiger:innen nur bei 34 Prozent. Für Unmut sorgen zudem überlange Verfahren sowie die Überlastung der Justiz. Neben der öffentlichen Meinung zum deutschen Rechtssystem wurden auch die Themenkomplexe Fake News, Meinungsfreiheit und soziale Medien abgefragt.
Sitzblockaden: Aus Anlass der Autobahnblockaden durch Klimaaktivist:innen gehen SZ (Wolfgang Janisch) und FAZ (Marlene Grunert) sowohl auf die strafrechtliche als auch auf die verfassungsrechtliche Dimension derartiger Aktionen ein. Bei einer Sitzblockade handele es sich im Sinne der sogenannten "Zweite-Reihe"-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs immer dann um eine Nötigung im Sinne von § 240 Strafgesetzbuch (StGB), sobald ein Stau verursacht werde. Die erste Autoreihe blockiere die darauffolgenden, was sich die Demonstrierenden zurechnen lassen müssten. Der weite Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Grundgesetz (GG) schütze wiederum eine große Vielfalt an Formen gemeinsamer Meinungsäußerung, sodass Sitzblockaden mangels "Verwerflichkeit" nicht stets verwerflich seien. Eine Grenze sei etwa dann erreicht, wenn es nur um eine zwangsweise oder sonstwie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen gehe.
Versammlungsrecht und Politiker-Privatsphäre: tagesschau.de (Claudia Kornmeier) gibt einen Überblick über Fälle von Kundgebungen vor den Privathäusern von Politiker:innen und die Reaktion von Behörden und Gerichten. Verbote seien vor allem dann zu begründen, wenn es den Demonstrant:innen um Einschüchterung und Rache gehe.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/jpw
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 23. Februar 2022: . In: Legal Tribune Online, 23.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47617 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag