Ein Gesetzentwurf zu § 217 StGB sieht straffreie Suizidhilfe nur noch unter strengen Voraussetzungen vor. Ab Januar 2024 sind in NRW Staatsexamina am Laptop möglich. Vor 50 Jahren wurde die Einstellung in den öffentlichen Dienst verschärft.
Thema des Tages
Suizidhilfe: Eine Abgeordnetengruppe um Ansgar Heveling (CDU), Lars Castelluci (SPD) und Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) hat einen Gesetzentwurf für die Neuregelung der Suizidhilfe erarbeitet und sammelt hierfür nun Unterschriften unter den Parlamentarier:innen. Lars Castellucci betonte dabei, man wolle "den assistierten Suizid ermöglichen", aber "nicht fördern". Der Vorschlag sieht in einem neuen § 217 StGB vor, dass die geschäftsmäßige Förderung zur Selbsttötung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden soll, allerdings soll eine straffreie Hilfe beim Suizid unter engen Voraussetzungen für volljährige und einsichtsfähige Personen möglich sein. Die suizidwillige Person muss zuvor mindestens zwei Mal im Abstand von mindestens drei Monaten psychiatrisch untersucht worden sein. Die Untersuchungen müssen ergeben haben, dass eine "autonome Entscheidungsfindung" sichergestellt ist und der Suizidwunsch "frei von inneren und äußeren Drucksituationen" sei. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 den alten § 217 StGB mit seinem Verbot geschäftsmäßiger Förderung der Sterbehilfe gekippt. Seitdem gelang keine gesetzliche Neuregelung, obwohl es bereits in der letzten Wahlperiode erste Gesetzentwürfe gab. Es berichten FAZ (Heike Schmoll), taz (Barbara Dribbusch) und spiegel.de.
In einem separaten Kommentar kritisiert Barbara Dribbusch (taz), dass sich die Suizidwilligen vor Psychiater:innen rechtfertigen müssten, die sie nicht selbst ausgewählt haben. Den Psychiater:innen werde damit "zu viel Macht" gegeben. Ein Suizidberatungsgespräch sollte immer freiwillig sein, sonst werde die Autonomie der Sterbewilligen nicht geschützt, sondern eingeschränkt. Nach Ansicht von Daniel Deckers (FAZ) bewegt sich der Gesetzentwurf an der Grenze dessen, was nach "Leseart des Bundesverfassungsgerichts" gerade noch mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Er rechnet mit neuen Klagen der Sterbehilfevereine, die "so lange keine Ruhe geben, bis das Bundesverfassungsgericht ihnen Einhalt gebietet".
Rechtspolitik
Corona – StPO: Das Bundesjustizministerium prüft, ob eine Verlängerung der Corona-Ausnahmeregelung möglich ist, nach der Strafprozesse länger unterbrochen werden können als nach der Strafprozessordnung eigentlich erlaubt wäre. Die Sonderregelung vom 28. März 2020, die am 26. März 2022 auslaufen würde, sieht vor, dass ein Strafprozess für bis zu drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden kann. Wie LTO berichtet, soll auf diese Weise verhindert werden, dass Hauptverhandlungen verschoben werden oder neu starten müssen.
Justiz
BVerwG zu PKK-Verbot: Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte das Verbot von zwei kurdischen Firmen, dem Mezopotamien-Verlag und der Musikfirma MIR, die als Teilorganisationen der kurdischen Arbeiterpartei PKK eingestuft wurden. Laut LTO hatte das Bundesinnenministerium im Februar 2019 ein vereinsrechtliches Verbot gegen beide Firmen ausgesprochen, wogegen diese vor dem Bundesverwaltungsgericht geklagt hatten. Dem Gericht zufolge sei eine personelle, finanzielle und organisatorische Verflechtung mit der als Terrorvereinigung eingestuften PKK zu bejahen. Sie hätten unter anderem PKK-Propagandamaterial verbreitet und die PKK durch den Verkauf unterstützt.
BGH zu Facebook-Klarnamenpflicht: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Facebook-AGB von Februar 2018 unwirksam sind, soweit sie die Nutzer:innen verpflichten, unter ihrem Klarnamen aufzutreten. Facebook muss nun hinnehmen, dass seit langem angemeldete Kontoinhaber:innen Pseudonyme verwenden. Laut BGH weichen die AGB unzumutbar von der bis Jahresende geltenden Regelung des Telemediengesetzes (TMG) ab. Geklagt hatten zwei Nutzer:innen, die sich mit einem falschen Namen angemeldet hatten und deren Accounts daraufhin gesperrt wurden. Wegen einer Änderung des TMG und der seit Mai 2018 geltenden und weiter gefassten Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt die Entscheidung jedoch nur für Altverträge. Für neue Verträge ist die Rechtslage umstritten. Es berichten SZ (Helmut Martin-Jung), FAZ (Corinna Budras), tagesschau.de (Klaus Hempel), LTO, beck-aktuell (Joachim Jahn) und spiegel.de.
BFH zu Steuerabzug für Kita-Kosten: Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass Kita-Kosten, die bereits vom Arbeitgeber ersetzt wurden, nicht als Sonderausgaben steuermindernd geltend gemacht werden können. Es sei keine wirtschaftliche Belastung auf Seiten der Eltern gegeben. Geklagt hatten Eltern, die 2018 Kita-Kosten in Höhe von 4265 € gezahlt und diese steuermindernd bei der Einkommensteuererklärung geltend machen wollten, obwohl sie diese vom Arbeitgeber des Vaters steuerfrei ersetzt bekommen hatten. Es berichtet spiegel.de.
OVG SH zu Fehmarnbelttunnel: Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein wies in einem Eilverfahren den Antrag der Stadt Fehmarn ab, den Bau des Fehmarnbelttunnels wegen Kritik am Brandschutzkonzept zu stoppen. Das von den Behörden geprüfte und genehmigte Notfallkonzept diene dem Schutz von Allgemeininteressen und gebe der Gemeinde keinen Anspruch, die Planfeststellungsbehörde zu einer Anordnung gegenüber dem Tunnelbauträger zu zwingen. Es berichtet spiegel.de.
OLG Dresden – militante Antifa/Lina E.: Vor dem Oberlandesgericht Dresden hat der 21-Jährige Zeuge Maximilian A. im Prozess gegen die 26-Jährige Studentin Lina E. und drei Mitangeklagte ausgesagt. Lina E. wird vorgeworfen, eine kriminelle linksextreme Gruppe angeführt zu haben, die Neonazis gejagt habe. Die Gruppe soll 2019 die "Bully Eyes"-Bar in Eisenach gestürmt haben und danach Maximilian A. und Leon R., den Inhaber der Bar, körperlich angegriffen haben. Maximilian A. räumte ein, er und Leon R. seien Mitglieder der Neonazi-Gruppe "Nationaler Aufbau Eisenach" gewesen. Eine Frau habe die Angreifer kommandiert, so A. Es berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).
VG Wiesbaden – Biometrische Personalausweise: Der Europäische Gerichtshof muss sich nach Vorlage durch das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit der Frage beschäftigen, ob die Pflicht zur Aufnahme von Fingerabdrücken in neuen Personalausweisen bzw. die zugrundeliegende EU-Verordnung rechtmäßig sind. Geklagt hatte der Verein “Digitalcourage“; der Fingerabdruck gebe keine Information darüber, ob der Personalausweis echt oder gefälscht sei, so die SZ.
VG Minden – Corona-Entschädigungen und Fleischindustrie: Laut spiegel.de hat das Verwaltungsgericht Minden das Land Nordrhein-Westfalen in zwei Fällen zur Zahlung von Entschädigungen für Mitarbeiter der Fleischindustrie verpflichtet, die wegen behördlich angeordneter Quarantäne nicht arbeiten konnten. Das Land hatte die Zahlung verweigert, weil die Unternehmen ihre Mitarbeiter hätten besser schützen müssen. Eine Begründung des VG lag noch nicht vor.
VG Schwerin – Spitzel Mark Kennedy: Das Verwaltungsgericht Schwerin soll heute über die Klage des Umweltaktivisten Jason Kirkpatrick gegen das Land-Mecklenburg-Vorpommern entscheiden, in der es um die Rechtmäßigkeit seiner Bespitzelung durch den englischen V-Mann Mark Kennedy im Vorfeld der Großproteste zum G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm geht. Kirkpatricks Anwältin sieht gute Chancen. Ihrer Meinung nach fehle es an der Rechtsgrundlage. Mecklenburg-Vorpommern habe nicht zur allgemeinen Gefahrenabwehr ausländische Polizeikräfte einsetzen dürfen. Es berichtet die taz (Konrad Litschko).
VG Karlsruhe zu Corona-Spaziergängen: Wie welt.de berichtet, hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe einem Eilantrag stattgegeben und das Verbot von unangemeldeten Corona-Spaziergängen für rechtswidrig erklärt. Laut Gericht sei davon auszugehen, dass montags planmäßig unangemeldete Corona-Spaziergänge stattfinden, worauf sich die Polizei ausreichend vorbereiten könne. Außerdem hätten die meisten Teilnehmer:innen der Ansage der Versammlungsleitung Folge geleistet und Maske getragen und auf den Mindestabstand geachtet, weshalb mildere Mittel als ein Verbot in Betracht kämen.
LG Frankenthal zu Catering-Vertrag und Corona: Das Landgericht Frankenthal hat entschieden, dass ein Brautpaar, dessen Hochzeit aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann, von dem zuvor geschlossenen Catering-Vertrag zurücktreten und vom Caterer die schon gezahlte Anzahlung zurückerhalten kann. Es sei unausgesprochene Geschäftsgrundlage des Vertrages, dass die Feier rechtskonform und ohne Gesundheitsrisiko durchgeführt werde. Die Pandemie und Folgen seien zum Vertragsschluss nicht absehbar gewesen, sodass dem Brautpaar nicht zugemutet werden könne, draußen zu feiern oder zu warten. Es schreibt LTO.
LG Düsseldorf – Negativzinsen für Girokonten: Die Volksbank Rhein-Lippe hat gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf zu Negativzinsen für Girokonten Berufung eingelegt. Die Verbraucherzentrale hatte mit Erfolg gegen die von der Volksbank Rhein-Lippe berechneten Negativzinsen für Girokonten in Höhe von 0,5 % pro Jahr auf Einlagen über 10 000 Euro geklagt. Laut Landgericht Düsseldorf benachteiligen solche Strafklauseln Kunden unangemessen und seien demnach unzulässig. Die Volksbank Rhein-Lippe hält Verwahrentgelte und Minuszinsen hingegen für zulassig. Es berichtet spiegel.de.
AG Hamburg zu Videoaufnahme einer Polizeikontrolle: Wie spiegel.de berichtet, hat das Amtsgericht Hamburg einen 30-jährigen Mann, der online unter dem Namen "Freddy-Independant" auftritt, zu einer Geldstrafe von 6400 Euro verurteilt, weil er Videoaufnahmen einer Polizeikontrolle erstellte und sie im Internet veröffentlichte. Die Polizisten hatten ihn während des Einsatzes mehrfach aufgefordert, sie nicht zu filmen. Damit verstieß der Angeklagte laut Gericht gegen das Kunsturhebergesetz, nach dem Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten veröffentlicht werden dürfen.
BAW – Spionage: Laut spiegel.de hat die Bundesanwaltschaft gegen den russischen Wissenschaftler Ilnur N. wegen des Vorwurfs der Spionage für Moskau Anklage erhoben. Ihm wird vorgeworfen, Informationen zur Entwicklung der europäischen Trägerrakete "Ariane" an einen russischen Nachrichtendienst weitergegeben und dafür 2500 Euro erhalten zu haben.
Elke Büdenbender am VG Berlin: Elke Büdenbender, die Ehefrau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, will im Frühjahr als Richterin in Teilzeit ans Verwaltungsgericht Berlin zurückkehren, berichten SZ (Nico Fried) und spiegel.de. In den letzten fünf Jahren war sie beurlaubt.
Recht in der Welt
USA – Breyer-Nachfolge: US-Präsident Biden hat die Möglichkeit, am Supreme Court als Nachfolgerin für Richter Stephen Breyer erstmals eine schwarze Frau als Richterin zu nominieren. Im Raum stehen beispielsweise die Namen der Bundesberufungsrichterin Kentanji Brown Jackson und der kalifornischen Verfassungsrichterin Leondra Kruger. Es berichten spiegel.de (Marc Pitzke) und LTO.
USA – Prinz Andrew: Nun berichten auch SZ (Alexander Mühlauer) und FAZ (Jochen Buchsteiner) darüber, dass sich Prinz Andrew einem Geschworenenprozess wegen Missbrauchsvorwürfen stellen möchte. Seine Anwälte haben eine Liste mit elf Gründen erstellt, in der sie die Vorwürfe der Klägerin Virginia Giuffre minutiös entkräften wollen.
Polen – Abtreibungen: Der Tod einer 37-Jährigen Schwangeren löste in Polen eine Debatte über das dort geltende strenge Abtreibungsgesetz aus. Ihre behandelnden Ärzte hatten eine Operation mit Berufung auf das Abtreibungsgesetz abgelehnt, obwohl einer der Zwillinge in ihrem Leib verstorben war. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. In Polen ist eine Abtreibung nur noch möglich, wenn die Schwangerschaft das Ergebnis einer Vergewaltigung ist oder das Leben der Mutter in Gefahr ist. Es berichten taz (Barbara Oertel) und spiegel.de.
Juristische Ausbildung
E-Examen: Wie LTO-Karriere (Pauline Dietrich) schreibt, können ab Januar 2024 jetzt auch in Nordrhein-Westfalen beide Staatsexamina am Laptop geschrieben werden. Mit dem Inkrafttreten der Änderung des Juristenausbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen am 17. Februar 2022 wird damit das E-Examen auch in diesem Bundesland eingeführt.
Sonstiges
Radikalenerlass: Wie die FAZ (Stephan Klenner) und BadZ (Christian Rath) berichten, jährt sich am heutigen Freitag zum fünfzigsten Mal der “Radikalenbeschluss“, den die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzler Willy Brandt am 28. Januar 1972 fassten. Danach sollte nur noch Personen Beamte werden dürfen, an deren Verfassungstreue kein Zweifel besteht. In der Folge wurde vor jeder Einstellung der Verfassungsschutz befragt. 1256 Personen wurden nicht eingestellt, 265 Beamt:innen wurden entlassen. Die Regelfabfrage wurde je nach Bundesland zwischen 1977 und 1991 wieder beendet. Während sich die "Berufsverbote" damals vor allem gegen Kommunisten richteten, wird heute vor allem über die Entfernung von Rechtsextremisten aus dem öffentlichen Dienst diskutiert.
Ronen Steinke (SZ) kommentiert im Leitartikel, der Staat müsse verhindern, dass er Personen beschäftige, die "seinen Abriss" wollen. Nachsicht mit "Demokratieverächtern" wie Björn Höcke und Jens Maier hält er für "fahrlässig".
Raser: spiegel.de (Dietmar Hipp) interviewt den ADAC-Rechtsexperten Markus Schäpe zum Fall des tschechischen Bauunternehmers Radim Passer, der für seinen selbst benannten Rekordversuch mit 417 km/h auf der Autobahn A2 unterwegs war. Schäpe gibt einen Überblick über die rechtlichen Konsequenzen für Raser Radim Passer und erläutert, was grundsätzlich für Autofahrer gilt.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ok
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 28. Januar 2022: . In: Legal Tribune Online, 28.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47354 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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