Laut BGH steht auch Adoptivkindern ein Anspruch auf Auskunft zum leiblichen Vater zu. Das BAG entschied gegen Mindestlohn-Ansprüche bei Pflichtpraktika. Das LG Frankfurt M. lehnte Ansprüche von Wirecard-Aktionären gegen die BaFin ab.
Thema des Tages
BGH zu Kenntnis der Abstammung: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Adoptivkind auch Jahre nach der Adoption von der leiblichen Mutter Informationen zur Identität des leiblichen Vaters verlangen kann. Diesen Auskunftsanspruch stützten die Richter auf § 1618a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig seien. Die Norm sei im Lichte des allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes auszulegen, aus dem auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung folgt. Dass die leibliche Mutter nach der Adoption nicht mehr rechtliche Mutter ist, stehe dem Anspruch nicht entgegen, da Adoptivkinder sonst gegenüber anderen Kindern benachteiligt wären. Der Anspruch entfalle nur, wenn sich die Mutter auf ihre Privat- und Intimsphäre berufe, was sie im konkreten Fall aber nicht getan hatte. Dass die Mutter angibt, sie könne sich nicht an den leiblichen Vater erinnern, lasse den Anspruch dagegen bestehen. Die Mutter sei dann verpflichtet, Erkundigungen bei in Frage kommenden Männern einzuholen. Es berichten LTO und spiegel.de.
Simone Schmollack (taz) begrüßt die Entscheidung und findet sie so "nötig, wie richtig". Andere Kinder, z.B. aus Samenspenden, hätten das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung bereits seit Jahren und das Wissen über die eigene Herkunft sei "zwingend für die eigene Identität", damit man nicht ein Leben lang damit beschäftigt sein müsse, "sich selbst zu finden".
Rechtspolitik
Corona – Impfpflicht: Die SZ (Wolfgang Janisch) analysiert die heterogenen Motive der Impfgegner:innen und stellt in Frage, ob eine Impfpflicht die bestehenden Ängste beseitigen könne. Vielmehr könne eine Impfpflicht laut der sogenannten Cosmo-Studie starke Gefühle von Ärger hervorrufen – und den großen Wunsch nach Vermeidung.
Der Beamtenbund (dbb) zweifelt laut LTO an der Umsetzbarkeit einer Impfpflicht. Mit ihrer derzeitigen Ausstattung seien die Behörden kaum in der Lage, die Einhaltung sinnvoll zu kontrollieren. Der Beamtenbund warnte vor einem weiteren Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in ihren Staat. taz.de (Tanja Tricarico/Frederik Erikmanns), und spiegel.de geben einen Überblick über die politische Diskussion zu einer möglichen allgemeinen Corona-Impfpflicht.
Laut LTO will Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) über eine Impfpflicht für Beschäftigte im Justizvollzug diskutieren. Sie vergleicht hierzu den Justizvollzug mit der Pflege, wo ab März eine einrichtungsbezogene Impfpflicht besteht. Im Justizvollzug sei die Ansteckungsgefahr ähnlich groß wie in Alten- und Pflegeeinrichtungen.
Triage: In einem Kommentar fordert Elisabeth von Thadden (Zeit) mehr Zeit bei der Entscheidung über ein Triage-Gesetz. "Ein paar Sachverständigenanhörungen reichen in dieser Gemengelage nicht aus, und die Gesellschaft ist längst so pandemieerfahren im Alltag der ethischen Dilemmata, dass sie für den Ernst der Debatte auch offen ist."
Verbraucherschutz: LTO (Hasso Suliak) berichtet über die Unstimmigkeiten hinsichtlich der künftigen Zuständigkeit für Verbraucherschutz zwischen Justiz- und Umweltministerium.
Mindestlohn: Die SZ (Benedikt Peters) stellt die Erfolgsaussichten möglicher Verfassungsklagen gegen die von der Bundesregierung geplante Erhöhung des Mindestlohns dar. Eine Verfassungsbeschwerde der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wäre nicht zulässig, da die BDA keine Tarifverhandlungen führe. Eine inhaltliche Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht wäre jedoch denkbar, wenn ein Arbeitgeberverband selbst klagt.
Justiz
BAG zu Mindestlohn für Pflichtpraktikum: Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass Praktikanten keinen Mindestlohn für ein Praktikum verlangen können, das nach den Universitätsbestimmungen eine Zulassungsvoraussetzung für das angestrebte Studium darstellt. Laut Gericht sei das Mindestlohngesetz nicht anwendbar aufgrund einer Ausnahmeklausel für Praktika, die auf schulrechtliche oder hochschulrechtliche Bestimmungen zurückgehen. Nur bei freiwilligen Praktika gelte der gesetzliche Mindestlohn. Geklagt hatte ein Medizinstudent, der für ein verpflichtendes Vorpraktikum bezahlt werden wollte. Es schreiben LTO und spiegel.de. tagesschau.de (Florian Roithmeier) fasst die Entscheidung in einem FAQ zusammen.
LG Frankfurt/M. zu Bafin und Wirecard: Das Landgericht Frankfurt/M. hat entschieden, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nicht zur Entschädigung von Aktionären verpflichtet ist, die Verluste mit Wirecard-Aktien erlitten haben. Laut Gericht nehme die Bafin ihre Befugnisse und Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahr. Ein Handeln im Interesse der Anleger sei zu verneinen. Es bestehe kein Drittschutz. Es berichten LTO und spiegel.de (Anton Rainer).
BVerwG – BDS-Kampagne: Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet an diesem Donnerstag über die Rechtmäßigkeit des Münchner Stadtratsbeschlusses, keinen städtischen Raum für Diskussionen zur BDS-Kampagne zu vergeben. Ziel der BDS-Kampagne ist es, den Staat Israel wirtschaftlich, politisch und kulturell zu isolieren, was die Stadt für antisemitisch hält. Geklagt hatte ein Münchner, der im Stadtmuseum eine Diskussion hinsichtlich des Stadtratsbeschlusses durchführen wollte. Er obsiegte vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH), woraufhin die Stadt München Revision einlegte. Es berichtet LTO (Tanja Podolski).
BGH – Corona/Betriebsschließungsversicherung: Am Mittwoch kommender Woche will der Bundesgerichtshof darüber verhandeln, ob Gastronomen von ihrer Betriebsschließungsversicherung Leistungen verlangen können, wenn ihnen während des Lockdowns in der Coronazeit Schäden entstanden sind. Geklagt hatte ein Gastronom aus Schleswig-Holstein, der im Frühjahr 2020 sein Restaurant pandemiebedingt schließen musste. Er fordert Ersatz für 30 Tage entgangene Einnahmen von seinem Versicherer. Es schreibt die Zeit (Lena Luisa Leisten).
OLG Frankfurt/M. – Folter in Syrien: Wie die SZ (Anette Ramelsberger), faz.net (Anna-Sophia Lang) und spiegel.de (Julia Jüttner/Wolf Wiedmann-Schmidt) berichten, begann vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main der Prozess gegen den syrischen Arzt Alaa M., dem vorgeworfen wird, zwischen April 2011 und Ende 2012 in Syrien im Militärkrankenhaus und Gefängnis in Homs, Gegner des Assad-Regimes gefoltert, sowie ihnen schwere körperliche und seelische Schäden zugefügt zu haben. Es geht um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Am ersten Sitzungstag schilderte der Arzt sein eher privilegiertes Leben als ehrgeiziger Arzt in Syrien, der früh vom Wunsch geprägt war, einmal im Ausland zu arbeiten.
In einem Interview mit spiegel.de (Wolf Wiedemann-Schmidt) äußert sich der Nebenklageanwalt Manuel Reiger zum zweiten großen Prozess zur Folter in Syrien. Nach Reiger ist der Prozess "eine Chance, den Opfern ihre Würde wiederzugeben".
VGH Bayern zu 2G im Einzelhandel: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die 2G- Zugangsbeschränkung im Einzelhandel gekippt, da die bayerische Verordnung nicht den Anforderungen des Infektionsschutzgesetzes gerecht werde und nicht genau regele, wann Ausnahmen für Geschäfte des täglichen Bedarfs gelten. Vor allem für Geschäfte mit "Mischsortiment" bestehe Unsicherheit. Es berichtet spiegel.de (Anton Rainer).
VG Dresden zu Racial Profiling: Das Verwaltungsgericht Dresden entschied nach einem Bericht der taz (Michael Bartsch), dass eine gewaltsame Polizeikontrolle des Guineers Elhadji B. in Chemnitz im März 2018 rechtwidrig war. Der Mann hatte dagegen protestiert, dass er immer wieder von der Polizei kontrolliert wurde, was zu einer Eskalation der Situation führte. Eine Urteilsbegründung lag zunächst nicht vor.
LG Lübeck zu gelöschtem Twitterpost: Das Landgericht Lübeck entschied laut LTO, dass Twitter einen gelöschten Post wiederherstellen muss, in dem ein Nutzer ein Bild mit einer Szene der "Addams Family" hochgeladen hatte. Das Bild zeigte zwar eine "Halsabschneider-Geste" und stand in einem Kontext zu Corona-Maßnahmen, dennoch handele es sich nicht um einen Aufruf zur Tötung, so das Gericht. Der Post sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Twitter wird ebenfalls zur Freischaltung des zuvor suspendierten Nutzeraccounts verpflichtet.
LG Landshut – Mord in L.A.: Am Landgericht Landshut hat der Prozess gegen einen 25-Jährigen begonnen, der wegen tödlicher Schüsse in Los Angeles wegen Mordes angeklagt ist. Laut der SZ (Florian Tempel) und spiegel.de (Jens Witte) war der Gesuchte 2020 in München am Flughafen festgenommen worden, weshalb der Fall nun in Landshut verhandelt wird.
LG Bonn – Cum-Ex/Warburg-Bank: Marc Widmann (Zeit) begrüßt die Aussage des früheren Geschäftsführers der Fondsgesellschaft Warburg vor dem Landgericht Bonn, er habe ein "Unbehagen" bei seinen Cum-Ex-Geschäften verspürt. Hiermit zeige er Reue, die im Prozess zu einer Wendung führen kann, indem andere angeklagte Kollegen mit Blick auf eine Strafmilderung ebenfalls gestehen könnten.
StA Berlin – Grüner Bundesvorstand: zeit.de und spiegel.de (Sven Röbel/Wolf Wiedemann-Schmidt) berichten, dass die Berliner Staatsanwaltschaft gegen den gesamten Bundesvorstand der Grünen, unter anderem Annalena Baerbock und Robert Habeck, Ermittlungen eingeleitet hat wegen des Verdachts der Untreue zulasten der Partei. Es geht um einen "Corona Bonus", den sich die Mitglieder des Grünenvorstands im Jahr 2020 selbst genehmigt hatten.
Recht in der Welt
Schweiz – Hanno Berger: Laut beck-aktuell (Joachim Jahn) muss der Steueranwalt Hanno Berger mit einer Auslieferung rechnen und sich bald vor einem deutschen Strafgericht verantworten. Bergers Rechtmittel beim helvetischen Bundesgericht hätten kaum Aussicht auf Erfolg.
Belgien – Haftstrafe für Schleuser: Wie die taz (Tobias Müller) und spiegel.de (Bastian Midasch) berichten, hat ein belgisches Gericht einen 45-jährigen vietnamesischen Schleuser zu 15 Jahren Haft verurteilt, nachdem 2019 in einem Lastwagen nahe London 39 Migranten wegen Sauerstoffmangel und Überhitzung qualvoll sterben mussten. Neben ihm wurden 18 weitere Angeklagte wegen Beteiligung an Menschenschmuggel verurteilt.
Rom – Haftstrafe für Fußballer Robinho: Die Verurteilung des brasilianischen Fußballstars Robinho zu einer neunjährigen Haftstrafe wegen Beteiligung an einer Vergewaltigung im Jahr 2013 bleibt bestehen. Das Oberste Kassationsgericht in Rom lehnte den Einspruch Robinhos gegen den zweitinstanzlichen Urteilsspruch ab. Für den Antritt der Haftstrafe ist jedoch eine Auslieferung aus Brasilien notwendig. Es berichtet spiegel.de.
Juristische Ausbildung
AG Hamburg zu verkauften Examensklausuren: Laut LTO hat das Amtsgericht Hamburg den Prozess gegen einen Anwalt, dem der Verkauf von Examensklausuren vorgeworfen wurde, gegen eine Geldauflage in Höhe von 12 000 Euro eingestellt. Der 52-Jährige war wegen Bestechung in besonders schwerem Fall und Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses angeklagt.
Sonstiges
Steuerrecht und Corona: Auf LTO-Karriere erläutert Rechtsanwalt Michael Hils, welche steuerrechtlichen Vorteile im Jahr 2022 für Arbeitnehmer bestehen bleiben und welche entfallen.
Das Letzte zum Schluss
Widersprüchlicher Covid-Status: Wie die SZ (Martin Bernstein) berichtet, präsentierte eine Ärztin am Münchner Flughafen den Bundespolizisten mehrere sich widersprechende Ausweisdokumente, in denen sie "getestet, genesen, geimpft und eigentlich auch gegen alles allergisch" sei. Leider führten diese vielen Optionen dazu, dass sie am Boden bleiben musste und ihr ein Flug verwehrt wurde – manchmal ist weniger mehr.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ok
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Die juristische Presseschau vom 20. Januar 2022: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47261 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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