Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe verlangt die Neufassung des § 64 StGB zu Entziehungsanstalten. Rechtsextremer AfD-Politiker Maier kehrt in Sachsens Justiz zurück. AfD-Fraktion erhebt Organklage, weil Ausschuss-Vorsitze verweigert wurden.
Thema des Tages
Maßregelvollzug/Entziehung: § 64 Strafgesetzbuch soll neu formuliert werden, um die Voraussetzungen zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt enger zu fassen. Künftig soll die Unterbringung im Maßregelvollzug zur Absolvierung einer Drogentherapie nur noch bei einer "Substanzkonsumstörung" möglich sein – nicht mehr ausreichend wäre der "Hang" zum übermäßigen Konsum alkoholischer oder berauschender Mittel. Dies sieht der jetzt vorgelegte Abschlussbericht einer im Oktober 2020 eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe vor, die unter anderem tätig wurde, weil der ungenau formulierte § 64 StGB zu einer starken Überlastung des Maßregelvollzugs führte. Die FAZ (Rüdiger Soldt) berichtet.
Rechtspolitik
Corona – 2G plus/Gastronomie: Am heutigen Freitag findet eine Bund-Länder-Schaltkonferenz zur Corona-Pandemie statt. Dabei soll unter anderem die Einführung einer bundesweiten und inzidenzunabhängigen 2G-Plus-Regel für die Gastronomie besprochen werden. Dies geht laut SZ (Daniel Brössler) und Hbl (Jürgen Kläckner) aus dem internen Beschlussentwurf hervor. So könnte bereits ab dem 15. Januar der Zugang zu Restaurants und Cafés für Geimpfte und Genese nur noch mit einem tagesaktuellen negativen Testergebnis oder mit Nachweis der Booster-Impfung möglich sein.
Corona – Quarantäne: Die Bund-Länder-Runde wird auch über eine Verkürzung der Quarantäne für bestimmte (Berufs-)Gruppen beraten. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Helge Limburg betont auf FAZ-Einspruch, dass generell Verkürzungen verfassungsrechtlich geboten sein könnten. Sollten wissenschaftliche Erkenntnisse ausreichend Anhaltspunkte dafür geben, dass eine kürzere Absonderungszeit ausreicht, müssen entsprechende Beschlüsse für alle Betroffenen gefasst werden.
Nachtragshaushalt und Schuldenbremse: Der Bundesrechnungshof äußert verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Entwurf des zweiten Nachtragshaushalts, mit dem die Bundesregierung 60 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds umlenknen will. Die Bewältigung der Klimakrise stelle keine hierfür notwendige außergewöhnliche Notsituation im Sinne des Grundgesetzes dar, weil sie nicht unerwartet eingetreten sei. Laut FAZ (Manfred Schäfers) hört der Finanzausschuss am kommende Montag Sachverständige zu den Plänen an.
Plattformarbeit: Die EU-Kommission hat Anfang Dezember vergangenen Jahres einen Richtlinienvorschlag zur Plattformarbeit vorgelegt, mit dem die Arbeitsbedingungen von Personen, die über digitale Plattformen wie Uber beschäftigt sind, verbessert werden sollen. Kern des Vorschlags ist ein Kriterienkatalog, anhand dessen leichter festgestellt werden soll, ob eine abhängige oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Liegen zwei der Kriterien vor, wird ein widerlegbarer Arbeitnehmer:innenstatus vermutet. Bisher ist der Status von Plattformarbeitenden weithin unklar. Nach Schätzungen der Kommission könnten derzeit 5,5 Millionen Plattformbeschäftigte in der EU fälschlicherweise als Selbstständige eingestuft sein. Das führe dazu, dass den Betroffenen keine Arbeitnehmer:innenrechte zugestanden werden und diese sozial nicht ausreichend abgesichert seien, erörtert Rechtsanwältin Tatjana Ellerbrock auf LTO die Hintergründe und Details des Vorschlags.
Justiz
Rechtsextremer Richter Jens Maier: Der AfD-Politiker Jens Maier wird wieder als Richter in Sachsen tätig sein. Der dem extremistischen Höcke-Flügel der AfD zugerechnete Maier hat einen Antrag auf Wiedereinstellung in die sächsische Justiz gestellt, nachdem seine Wiederwahl in den Bundestag gescheitert war. Ein Verweis aus einem früheren Disziplinarverfahren sei nach Ablauf von zwei Jahren aus Maiers Personalakte gelöscht worden, das sächsische Justizministerium erkenne den Rückkehranspruch an. taz (Gareth Joswig), LTO (Joachim Wagner), zeit.de (Christine Xuân Müller/Tilman Steffen) und spiegel.de berichten.
BVerfG – Bundestagsausschüsse/AfD: Die AfD-Fraktion hat beim Bundesverfassungsgericht eine Organklage eingereicht. Sie moniert, dass die von der AfD aufgestellten Kandidaten für drei Ausschussvorsitze, die ihr nach der Geschäftsordnung des Bundestags grundsätzlich zustehen, in den jeweiligen Ausschüssen sämtlich nicht gewählt wurden. Auf LTO analysiert Sebastian Roßner, Rechtsanwalt, die Rechtsfragen. Das BVerfG müsse insbesondere prüfen, ob das Recht auf gleiche parlamentarische Teilhabe auch solche Posten umfasst, die lediglich der Organisation der Parlamentsarbeit dienen. Falls dies bejaht wird, bestehe aber ein Spannungsverhältnis zum freien Mandat der Abgeordneten, das auch das Recht umfasst, einen Personalvorschlag der AfD-Fraktion nicht zu wählen.
OLG Koblenz – Folter in Syrien: Im Prozess gegen den früheren syrischen Oberst Anwar R. wegen Mordes in mindestens 30 Fällen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Oberlandesgerichts Koblenz hat die Verteidigung nun Freispruch beantragt. Der Angeklagte habe weder selbst gefoltert noch Anweisungen dazu gegeben, auch hätte er sich dem "Verbrecherregime" nicht einfach entziehen können, ohne sich selbst und seine Familie in Lebensgefahr zu bringen. Die Bundesanwaltschaft, so spiegel.de und zeit.de, hatten im Dezember lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert. Das Urteil wird für den 13. Januar erwartet.
OLG Düsseldorf – Patentstreit unter Waffenherstellern: Im Patentstreit zwischen den Waffenherstellern Haenel und Heckler & Koch (HK), haben erstere Berufung gegen das Urteil des Düsseldorfer Landgerichts eingelegt. Das Landgericht hatte im November entschieden, dass Haenel bei einem Halbautomatik-Sturmgewehr-Modell ein Patent von HK verletzte. Das Verfahren ist ein Nebenschauplatz der Dauerstreitigkeit zwischen den Firmen um einen Großauftrag des Bundes über 120.000 Vollautomatik-Sturmgewehre. LTO berichtet.
Letzte NS-Prozesse: In einer Reportage berichtet deutschlandfunk.de (Christoph Richter) über die letzten NS-Prozesse in Deutschland. Darunter ist auch das vor dem Landgericht Neuruppin anhängige Verfahren gegen den früheren Wachmann im KZ Sachsenhausen, Josef S., dem Beihilfe zum Mord in mindestens 3.518 Fällen vorgeworfen wird. Angehörige von KZ-Opfern und Nebenklagevertreter:innen kritisieren die verspätete juristische Aufarbeitung und mahnen wegen des hohen Alters aller Beteiligten zur Eile. Es gehe um die Aufarbeitung deutscher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und nicht um Rache, so Nebenkläger-Anwalt Thomas Walther.
Recht in der Welt
EGMR/Nordirland – Queer-Rechte: Der britische Aktivist Gareth Lee, der sich für die lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Gemeinschaft in Nordirland einsetzt, scheiterte mit seiner Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Eine nordirische Bäckerei hatte sich 2014 geweigert, den von Lee bestellten Kuchen mit dem Spruch "Unterstützt die Homo-Ehe" zu liefern, da dies nicht mit dem christlichen Glauben des Bäckereiinhabers vereinbar sei. Wie LTO und spiegel.de schreiben, entschied der EGMR nun nicht in der Sache, sondern wies die Beschwerde als unzulässig zurück, da Lee in keinem der nationalen Gerichtsverfahren die Verletzung von Rechten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention geltend gemacht und damit nicht alle nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft habe.
Australien – Einreise Djokovic: Im Streit um die Einreise des Tennisstars Novak Djokovic zu den Australian Open entscheidet nach einer ersten Online-Anhörung wohl am Montag ein Gericht in Melbourne. Der vermutlich ungeimpfte Djokovic war am Mittwoch mit einer höchst umstrittenen medizinischen Ausnahmegenehmigung am Flughafen Melbourne gelandet, so taz und LTO. Die australische Grenzschutzbehörde stornierte dann aber sein Visum, weil der Weltranglistenerste die Einreisebestimmungen nicht erfülle – wogegen Djokovic Widerspruch einlegte.
Frankreich – Strafen für Google und Facebook: Die französische Datenschutzbehörde CNIL hat insgesamt 210 Millionen Euro Strafe gegen Google und Facebook angekündigt, da es die Unternehmen Nutzer:innen leichter machen, Cookies anzunehmen als abzulehnen. Sollten die Konzerne nicht binnen drei Monaten das Problem beseitigen, kämen täglich 100.000 Euro Zwangsgeld hinzu, berichtet netzpolitik.org (Anna Biselli) weiter. Zwar ist laut Datenschutzgrundverordnung grundsätzlich die Aufsichtsbehörde des Landes mit der Hauptniederlassung eines Unternehmens zuständig – in diesem Falle Irland –, da jedoch die Nutzung von Cookies unter die ePrivacy-Richtlinie falle und die Cookies im "Rahmen der Aktivitäten" der französischen Niederlassung Google France verwendet werden, hielt sich die französische Datenschutzbehörde für zuständig.
Spanien – Tierrechte: Tiere sind in Spanien nach einer Reform des Zivilrechts und des Hypothekengesetzes nun keine Dinge mehr, sondern haben den Status eines "fühlenden Wesens". Wie taz (Reiner Wandler) und FAZ schreiben, haben Tiere damit eine Würde und gehören zur Familie. Haustiere dürfen deshalb nicht mehr verpfändet, verlassen, misshandelt oder von ihren Eigentümer:innen getrennt werden.
USA – Ghislaine Maxwell: Die Anwälte der Ende 2021 verurteilten Epstein-Partnerin Ghislaine Maxwell wollen das Verfahren gegen ihre Mandantin neu auflegen, nachdem zwei Jury-Mitglied jüngst in Interviews über eigene Missbrauchserfahrungen sprachen. Laut SZ und FAZ (Christiane Heil) könnten die Enthüllungen problematisch sein, sollten sie dem Gericht nicht vor dem Prozess bekannt gewesen sein. Maxwell war zu mehreren Jahrzehnten Haft verurteilt worden, unter anderem wegen Menschenhandels mit Minderjährigen zu Missbrauchszwecken.
Sonstiges
Kartellrecht – Google: Nun berichtet auch die SZ (Michael Bauchmüller) über die Entscheidung des Bundeskartellamts, die "überragende marktübergreifende Bedeutung" von Google für den Wettbewerb festzustellen. In einem gesonderten Kommentar begrüßt Michael Bauchmüller (SZ) die Entscheidung und hofft, dass Behörden nun schneller gegen einzelne wettbewerbsverzerrende Geschäftsmodelle der Internetgiganten vorgehen können. Allerdings bleibe abzuwarten, wie gut die Behörden die neuen Regeln durchsetzen können, dieses "Rennen ist noch nicht gelaufen".
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lto/ali
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Die juristische Presseschau vom 7. Januar 2022: . In: Legal Tribune Online, 07.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47139 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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