Das BVerfG veröffentlicht heute Beschlüsse zur Bundesnotbremse. Das OLG München regte eine Reform von § 108e StGB (Abgeordnetenbestechung) an. Helmut Kohls Witwe hat laut BGH keinen Anspruch auf die ihm einst zugesprochene Entschädigung.
Thema des Tages
BVerfG – Bundesnotbremse: Am heutigen Dienstag wird das Bundesverfassungsgericht zwei Entscheidungen zur Bundesnotbremse veröffentlichen. Die Corona-Notbremse war im April 2021 mit dem vierten Bevölkerungsschutzgesetz als (damaliger) § 28b Infektionsschutzgesetz in Kraft getreten und ordnete automatische Beschränkungen bei bestimmten Inzidenzwerten an. Im Eilverfahren hatte das BVerfG im Mai die Bundesnotbremse aufrechterhalten. Jetzt entscheidet das Gericht in der Hauptsache über einen Teil der Beschränkungen: Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen sowie Schulschließungen. Die Erwartung aus dem Mai, dass die Entscheidung zu einem Zeitpunkt komme, an dem die Pandemie vorbei sei, erwies sich als Trugschluss. Vielmehr stelle sich bei den hohen Inzidenzwerten in Deutschland die Frage, inwieweit die Entscheidungen des BVerfG einen Kompass für die aktuelle Corona-Politik darstellen können. Zwar sei eine "nächtliche Ausgangssperre etwas anderes als 3G am Arbeitsplatz", dennoch werde das oberste Gericht zukunftsweisende Abwägungen dazu treffen, welche Einschränkungen der Grundrechte zum Schutz der Menschen und des Gesundheitssystems verhältnismäßig sind, so die Analyse von SZ (Wolfgang Janisch) und FAZ (Reinhard Müller).
Dass das Bundesverfassungsgericht einen allgemeinen Lockdown als grundsätzlich unzulässig einstufen wird und der Bundesregierung damit "in den Arm fällt", hält Ulrich Reitz (focus.de) am Ende einer umfangreichen Lagebetrachtung für unwahrscheinlich.
Corona – Beschränkungen: Über die Schlussfolgerungen aus den BVerfG-Entscheidungen und mögliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie werden die Ministerpräsident:innen der Länder mit der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel und Nachfolger Olaf Scholz am heutigen Dienstag um 13 Uhr beraten. Ein bundesweiter Lockdown solle laut Wunsch der FDP jedoch weiterhin ausbleiben. Es berichten SZ (Constanze von Bullion/Paul-Anton Krüger/Mike Szymanski), FAZ (Peter Carstens/Eckart Lohse/Markus Wehner) und Hbl (Jürgen Klöckner/Jan Hildebrand).
Di Fabios "Coronabilanz": Anlässlich der bevorstehenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nimmt Christian Rath auf LTO das von Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio Ende September veröffentlichte Buch "Coronabilanz" unter die Lupe. Di Fabio hat keine Einwände gegen die Maßnahmen der Politik. Vielmehr kritisiert er Bestrebungen, alle Lagen des Notstands "mit dem Instrument des Gesetzes vorweg" regeln zu wollen. Der freiheitliche Rechtsstaat habe allerdings den Härtetest bestanden, wobei Di Fabio auf einen Vergleich mit der Coronapolitik der chinesischen Diktatur verzichtet. Di Fabio argumentiert meist nicht juristisch, sondern systemtheoretisch.
Rechtspolitik
Corona – Impfpflicht: Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Veronika Mayer und Marje Mülder untersuchen auf dem Verfassungsblog, ob eine Impfpflicht auf landesrechtlicher Grundlage möglich wäre. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Länder eine landesweite Impfpflicht einführen dürften, solange der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz noch keinen Gebrauch gemacht hat. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) könne seine an den Bund gerichtete Forderung damit in Bayern bereits umsetzen. Schwieriger sei die Antwort, wenn der Bund eine partielle Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen einführen würde. Dann komme es darauf an, ob der Bund hier bewusst auf eine Impfpflicht für den Rest der Bevölkerung verzichtet oder ob nur die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist.
Kartellrecht/Ministererlaubnis: Rechtsanwalt Maximilian Konrad erläutert auf dem Verfassungsblog, warum sich die Parteien des Ampel-Bündnisses im Koalitionsvertrag auf eine Abschaffung der kartellrechtlichen Ministererlaubnis hätten einigen sollen. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Erlaubnis seien zu unbestimmt und sie habe in den letzten fünfzig Jahren zu einem "Potpourri aus Korruptionsvorwürfen, Skandalen und weitreichenden Fehlentscheidungen" geführt.
Abgeordnetenbestechung: Die SZ (Klaus Ott) beleuchtet den rechtspolitischen Teil der Beschlüsse des Oberlandesgerichts München von letzter Woche zu den Masken-Deals der damaligen CSU-Abgeordneten Georg Nüßlein und Alfred Sauter. Das OLG regte an, den Paragrafen § 108e StGB (Abgeordnetenbestechung) auf Vorgänge auszuweiten, in denen Parlamentarier als Gegenleistung für eine Zuwendung Einfluss auf Entscheidungen außerhalb des Parlaments nehmen. Bisher ist § 108e (nach Auslegung des OLG) auf Handlungen in den Parlamenten beschränkt, weshalb die Ermittlungsverfahren gegen Nüßlein und Sauter, die sich gegen Geld bei Ministerien für bestimmte Masken-Händler eingesetzt hatten, vom OLG als unzulässig eingestuft wurden.
Justiz
BGH zu Kohl-Entschädigung: Laut Entscheidung des Bundesgerichtshofs steht Maike Kohl-Richter, der Witwe von Helmut Kohl, kein Anspruch auf Geldentschädigung im juristischen Streit gegen Kohls Ghostwriter Heribert Schwan zu. Kohl war vom Landgericht Köln ein Entschädigungsanspruch gegen Schwan in Höhe von einer Million Euro zugesprochen worden, Kohl starb jedoch während des Berufungsverfahrens. Wie der BGH nun entschied, ist ein Anspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vererblich. In einer zweiten Entscheidung urteilte der BGH, dass Schwans Verlag nur die Verwendung von falschen Kohl-Zitaten unterlassen muss. Was Kohl tatsächlich gesagt habe, dürfe der Verlag auch drucken – auch wenn Kohl das ursprünglich nicht gewollt habe. Das Oberlandesgericht Köln muss nun abschließend klären, wie weit der Unterlassungsanspruch geht. Es berichten LTO, tagesschau.de (Gigi Deppe) und zeit.de (Claudia Thaler).
Jost Müller-Neuhof (Tsp) kritisiert, dass aus den ursprünglich ideellen Bestrebungen von Kohls Witwe "Anmaßung" geworden sei und ihr "posthumer Fürsorgeexzess den Altkanzler zur Karikatur" mache.
OLG Celle zu coronabedingtem Fortbildungsausfall: Wenn ein Arbeitnehmer nicht mehr an einer berufsbezogenen Fortbildung teilnehmen kann, weil diese coronabedingt verschoben wurde, müssen die Veranstalter die Teilnahmegebühr zurückzahlen. So entschied das Oberlandesgericht Celle und argumentierte, dass es für die Veranstalterin erkennbar war, dass die Einhaltung vereinbarter Termine für Arbeitnehmer wesentlich ist und es ihnen nicht zuzumuten ist, auf Ersatztermine auszuweichen. Es berichtet LTO.
LG Hamburg – versuchte Frauenmorde: In Hamburg begann der Prozess gegen Thomas P., der versucht hatte, seine Frau mit Kabelbindern zu erwürgen, weil sie sich scheiden lassen wollte. Im Prozess geht es vor allem um die Frage, ob ein Notruf P.s bei der Polizei als Rücktritt zu werten ist, berichtet bild.de (Anja Wieberneit). Die taz (Katharina Schipkowski) weist darauf hin, dass in diesen Tagen in Hamburg ein weiterer Prozess gegen einen Mann beginnen wird, der seine Partnerin mit Kabelbindern töten wollte. Die Ähnlichkeit der Taten stelle keinen Zufall dar, schließlich "sterbe statistisch gesehen an jedem dritten Tag in Deutschland eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners".
LG Nürnberg – Doppelmord: Vor dem Landgericht Nürnberg legte ein 67-jähriger Angeklagter das Geständnis ab, seine ehemalige Frau und deren Bekannten auf einer Straße in Nürnberg erschossen zu haben. Er widersprach jedoch dem von der Staatsanwaltschaft vermuteten Motiv, dass er aus Eifersucht wegen einer zwischen den beiden Getöteten vermuteten Liebesbeziehung gehandelt habe, wie spiegel.de berichtet.
LG Koblenz zu Schenkung und Erbe: Wenn eine Mutter ein Grundstück, das im Testament dem Sohn als Schlusserben zugedacht war, zu Lebzeiten noch an ihre Tochter verschenkt, ist dies grundsätzlich wirksam. Laut Landgericht Koblenz bestehe "ein Anspruch auf Herausgabe der Schenkung nur, wenn die Mutter als Erblasserin die Schenkung ausschließlich zur Beeinträchtigung des Erbes des klagenden Sohnes vorgenommen hätte". Vorliegend hatte die Mutter die Schenkung aber getätigt, weil die Tochter sie gepflegt hatte, so LTO.
AG München – Wirecard: Beim Amtsgericht München wurde von Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé ein Sachstandsbericht vorgelegt, der "viel juristische Sprengkraft" habe. Aus dem Bericht gehe hervor, dass bilanzierte Drittpartnergeschäfte in Milliardenhöhe durch Wirecard fingiert wurden. Jaffé will nun die Jahresabschlüsse 2017 und 2018 vor dem Landgericht München für nichtig erklären lassen. Juristische Konsequenzen erwarte auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die als Abschlussprüferin die Wirecard-Bilanzen jahrelang bestätigte und bei der Jaffé Informationen nur durch Auskunftsklage erlangen konnte, wie die FAZ schreibt.
AG Gera zu Unfall beim SUV-Driften: Das Amtsgericht Gera hat einen 26-jährigen Mann wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Der Mann hatte beim "Herumdriften" auf einem Schneefeld die Kontrolle über seinen SUV verloren und war gegen einen Transporter geprallt, hinter dem das vierjährige Kind einer befreundeten Familie auf seinem Schlitten saß und dadurch tödlich zerquetscht wurde, so spiegel.de.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht zu EGMR: Die Rechtsprofessorin Ewa Łętowska erläutert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, wonach Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (fair trial) nicht auf das Verfassungsgericht anwendbar sei. Sie arbeitet die durch das Urteil aufgezeigten Widersprüche und Konstanten der Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichts in sieben Stichpunkten heraus.
EGMR/Kroatien – Illegale Abschiebungen: Die Rechtsanwältin Hanaa Hakiki setzt sich auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Kroatien auseinander. Die sechsjährige Madina Hussiny war nach einer Anweisung der kroatischen Grenzpolizei auf Zuggleisen Richtung Serbien gelaufen und dabei von einem Zug erfasst und getötet worden. U.a. seien die Gründe für ihr Asylgesuch nicht geprüft worden, was vom EGMR als Menschenrechtsverletzung eingestuft wurde. Das Urteil sei zwar ein Lichtblick, so die Autorin, jedoch zögere der EGMR zu stark, das ganze Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen im Zuge von Abschiebungen anzuerkennen.
Italien – House of Gucci: Die Erben des Gründers des Modehauses Gucci drohen mit rechtlichen Schritten gegen den neuen Film "House of Gucci" des britischen Regisseurs Ridley Scott, der sich um den Mord an Maurizio Gucci dreht. Die Familie sehe sich in ihrem Namen und Image verletzt, weil Gucci-Familienmitglieder zu Unrecht negativ dargestellt worden seien, so spiegel.de.
Israel – Kindesentziehung: Das höchste Gericht Israels hat als letzte Instanz entschieden, dass der sechsjährige Junge Eitan, dessen Eltern bei einem Seilbahnunglück im Mai verunglückt waren, nach Italien zu seiner Tante zurückgebracht werden muss. Damit war der Antrag des israelischen Großvaters, der den Jungen nach Israel entführt hatte, erfolglos, er kündigte aber vor dem Jugendgericht Mailand an, weiter für die Vormundschaft des Kindes zu streiten, so SZ und spiegel.de.
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Die juristische Presseschau vom 30. November 2021: . In: Legal Tribune Online, 30.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46785 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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