Die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP haben sich auf Koalitionsvertrag verständigt. Das BVerfG stärkt das Gebot der Belastungsklarheit. Polens Verfassungsgericht will eigene Urteile vor EGMR-Kontrolle schützen.
Thema des Tages
Bundesjustizministeriums: Der promovierte Volljurist Marco Buschmann soll nach Vorschlag des Bundesvorstands der FDP der neue Bundesjustizminister werden. Das von ihm zu leitende Ministerium wird nicht mehr Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, sondern nur noch Justizministerium heißen, weil das Ressort "Verbraucherschutz" ins Innenministerium verlegt werde, wie LTO (Tanja Podolski/Markus Sehl) schreibt.
Koalitionsvertrag: SPD, Grüne und FDP haben sich zwei Monate nach der Bundestagswahl auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Der Vorschlag umfasst das Arbeitsprogramm des Ampelbündnisses bis zum Jahr 2025 auf 177 Seiten. LTO (Hasso Suliak) schildert die rechtspolitischen Projekte: Schaffung einer unabhängigen Polizeibeauftragten, Überprüfung der Sicherheitsarchitektur, Verlängerung des Pakts für den Rechtsstaat, gesetzliche Regelung von V-Personen, Reform der Richterwahl zu den obersten Bundesgerichten, Ermöglichung von Online-Verhandlungen, Bild- und Tonaufzeichnungen von Vernehmungen und Hauptverhandlungen, Ersatz des Transsexuellengesetzes durch ein Selbstbestimmungsgesetz, Kinderrechte ins Grundgesetz, Streichung der "Rasse" im Grundgesetz, Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie über EU-Recht hinaus, Rechtsrahmen für Legal Tech und die Legalisierung von Cannabis für Erwachsene.
Die Rechtswissenschaftler Peter Bert und Benedikt Windau beschäftigen sich auf zpoblog.de mit den im Koalitionsvertrag enthaltenen Reformvorhaben im Zivilprozessrecht. Spannend sei u.a. der geplante Ausbau des kollektiven Rechtsschutzes. Wie das Thema Datenschutz im Koalitionsvertrag Berücksichtigung findet, wird auf beck-community (Axel Spies) stichpunktartig aufgelistet. In Bezug auf die Ambitionen der Ampel-Parteien, Cannabis zu legalisieren merkt Simon Langemann (Zeit) kritisch an, dass es schwierig werde, eine bessere Situation als in den Niederlanden zu schaffen, wo die Legalisierung auch das Wachstum krimineller Drogennetzwerke stärkte.
Rechtspolitik
Corona – Impfpflicht: Innerhalb der Bundeswehr wird eine de-facto Impfpflicht eingeführt, berichtet zeit.de (Jakob von Lindern). Auch in Bundespolizei und Landespolizeien wird über eine berufsspezifische Impfpflicht diskutiert, stellt taz (Konrad Litschko) dar.
Im Interview mit der Zeit (Heinrich Wefing) setzt sich Rechtsprofessor Christoph Möllers mit der Verfassungsmäßigkeit einer Impfpflicht auseinander. Eine solche sei einfacher zu rechtfertigen als eine Impfpflicht für einzelne Personengruppen. Reinhard Müller (FAZ) erläutert, dass "die Mehrheit das Ausleben von Egotrips Ungeimpfter" auf Kosten des Gemeinwesen nicht mehr aushalten solle und fordert die neue Koalition zu raschem Handeln auf.
Verbraucherverträge/Internet: spiegel.de (Wolf von Dewitz) berichtet, dass sich Menschen bald nicht mehr über zu langsames Internet ärgern müssen, da im Dezember eine Regelung im Telekommunikationsgesetz zur Stärkung von Verbraucherrechten gegenüber Internetanbietern in Kraft tritt. Diese sehe u.a. ein Minderungsrecht für Kunden vor, die eine geringere Leistung als vertraglich vereinbart erhalten.
Cell-Broadcast-Warnsystem: Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Mobilfunk-Warn-Verordnung veröffentlicht. Sie soll Rechtsgrundlage für die Einführung eines Cell-Broadcast-Systems sein, durch das die Bevölkerung in einem Katastrophenfall über Mobilfunk gewarnt werden kann. Die Notwendigkeit eines solchen Systems sei bei der Flutkatastrophe im Ahrtal deutlich geworden, so LTO.
Whistleblowing: Die EU-Mitgliedsstaaten sind bis zum 17. Dezember verpflichtet, die EU-Richtlinie zum besseren Schutz von Whistleblowern umzusetzen. Auch wenn Deutschland dies nicht mehr gelingen werde, sollten sich Unternehmen auf bevorstehende Änderungen, etwa die Pflicht zur Einführung eines elektronischen Hinweisgebersystems, einstellen, rät die SZ (Katharina Kutsche). Denn früher oder später komme ein deutsches Hinweisgeberschutzgesetz.
Politische Werbung: Die EU-Kommission hat einen Verordnungsvorschlag zur einheitlichen Regelung von politischer Werbung erarbeitet, der am heutigen Donnerstag offiziell vorgestellt werden soll. Der Entwurf beinhalte, dass "jede politische Werbung klar als solche gekennzeichnet und die Identität des Werbenden angegeben werden" müsse. Daneben solle es auch strengere Auflagen für die Nutzung von sensiblen Nutzerdaten durch Online-Plattformen geben, so netzpolitik.org (Alexander Fanta). Ziel sei es, Transparenz zu schaffen und illegaler Wahlbeeinflussung vorgzubeugen.
Justiz
BVerfG zu Erschließungsbeiträgen: Laut Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dürfen Grundstückseigentümer nicht erst unbestimmte Zeit nach tatsächlicher Fertigstellung einer Straße mit Erschließungsbeiträgen belastet werden, so LTO. Landesvorschriften, wie § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Kommunalabgabengesetzes Rheinland-Pfalz, die an rechtliche und nicht an rein tatsächliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld anknüpfen, verstoßen gegen das Gebot der Belastungsklarheit. Betroffene dürfen "nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen", hieß es in der Entscheidung.
BGH zu Prämiensparverträgen: Der Bundesgerichtshof erklärte Zinsklauseln in Prämiensparverträgen der Sparkassen Zwickau und Erzgebirge für ungültig und gab damit zwei Musterfeststellungsklagen statt, an denen sich rund 3000 Sparer:innen beteiligt hatten. In den Klauseln fehlte ein einheitlicher Zinssatz für langfristige Anlagen. Auch wenn die Höhe eines solchen Zinssatzes nun von den Vorinstanzen bestimmt werden muss, stelle das Urteil eine Stärkung der Verbraucher:innen dar und verhindere, dass Ansprüche von klagenden Kund:innen verfielen, wie die SZ (Andreas Jalsovec) schildert.
OVG RhPf zu Süßigkeitenpackungen: Sind in einer Süßigkeitenpackung mehrere Einzelpackungen enthalten, muss die Anzahl der Tütchen laut Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz auf der Außenpackung für Kund:innen kenntlich gemacht werden, wie LTO berichtet. Diese gesetzliche Vorgabe sei nicht unverhältnismäßig.
OLG Celle zu Klingel im Kreißsaal: Laut Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle stellt das Fehlen einer Klingel im Kreißsaal einen groben Behandlungsfehler dar, der Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz begründet, so die FAZ. Zugrunde lag der Fall einer Mutter, die in einem Krankenhaus Hannovers mangels Klingel keine Hilfe für ihr Neugeborenes, das unter einer Atemdepression litt, erreichen konnte. Das Kind erlitt in Folge der verspäteten Hilfe eine schwere Hinschädigung.
Familiengerichte und Gewalt gegen Mütter: Im Interview mit der taz (Katja Musafiri) kritisiert Stefanie Ponikau von der Mütterinitiative für Alleinerziehende, dass Familiengerichte nach einer Trennung oft Umgangsrechte der Kindsväter durchsetzen, obwohl diese Gewalt gegen die Mütter ausüben. Auch psychische Gewalt sei Gewalt. Gewalt gegen die Mütter sei immer auch Gewalt gegen das Kind, so Ponikau.
Immunität von Björn Höcke: Die Immunität des Thüringer AfD-Fraktionschefs Björn Höcke wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft Halle durch den Justizausschuss des Thüringer Landtags abermals aufgehoben. Höcke hatte eine Wahlkampfrede am 29. Mai in Merseburg mit dem Wahlspruch der nationalsozialistischen Sturm-Abteilung SA: "Alles für Deutschland" abgeschlossen, worauf der Vorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt Sebastian Striegel Strafanzeige wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gestellt hatte. Es berichten FAZ (Stefan Locke), spiegel.de und focus.de.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht zur EMRK: Das polnische Verfassungsgericht hat auf Antrag des Justizministers Zbigniew Ziobro entschieden, dass Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der jedem Menschen ein faires Verfahren vor einem unabhängigen Gericht garantiert, nicht auf das polnische Verfassungsgericht anwendbar ist. Hierfür sei die polnische Verfassung maßgeblich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe daher keine Möglichkeit, Urteile und Zusammensetzung des polnischen Verfassungsgserichts zu prüfen. zeit.de berichtet.
Reinhard Veser (FAZ) führt aus, dass polnischen Bürgern der Weg zum EGMR weiter freistehe, dass sich Polen durch die Entscheidung jedoch vorbehalte, Urteile des EGMR nicht mehr zu akzeptieren. Das sei "eine düstere Symbolik genau zwei Tage vor dem 30. Jahrestag des Beitritts Polens zum Europarat".
Österreich – Ischgl-Ermittlungen: Nach der massiven Verbreitung des Corona-Virus im Skiort Ischgl im Frühjahr 2020 gebe es keine Beweise, dass jemand schuldhaft zu einer Erhöhung der Ansteckungsgefahr beigetragen habe. Dies gab die österreichische Staatsanwaltschaft bekannt und stellte deshalb alle strafrechtlichen Ermittlungen ein. Die zuständigen Behörden standen unter dem Verdacht, nicht ausreichend schnell und umfassend Maßnahmen gegen die Verschleppung des Virus im und aus dem Skigebiet getroffen zu haben. Es berichten FAZ, SZ (Cathrin Kahlweit) und LTO.
USA – Opioid-Krise: Die Jury eines Bundesgerichts im US-Bundesstaat Ohio hat die drei Apothekerketten Walmart, CVS und Walgreens schuldig gesprochen, durch den "laxen" Vertrieb von süchtig machenden Arzneimitteln für die Opioid-Krise mitverantwortlich zu sein. Damit gab es den Klagen von zwei Landkreisen in Ohio statt, die Entschädigungszahlungen für anfallende Kosten bei der Bekämpfung der Opioid-Krise verlangt hatten, die in de USA zu rund einer halben Million Toten geführt hat. Es berichtet LTO.
USA – Apple gegen Pegasus: Das Technologieunternehmen Apple klagt gegen die NSO Group, den israelischen Hersteller des Staatstrojaners Pegasus, mit dem eine Sicherheitslücke auf iPhones ausgenutzt worden war, um Nutzer:innen darunter Oppositionelle, Journalist:innen und Aktivist:innen, zu überwachen. NSO habe damit gegen US-amerikanisches Bundes- und Landesrecht verstoßen. Gegen die Vorwürfe wehrt sich die NSO Group mit dem Argument, dass die Spionagesoftware allein das Ziel der Verbrechensbekämpfung durch staatliche Stellen gehabt habe, wie zeit.de (Johann Stephanowitz) und netzpolitik.org (Anna Biselli) ausführlich schildern.
USA – Unschuldig in Haft: Der 62-jährige zu Unrecht wegen Mordes verurteilte Schwarze Amerikaner Kevin Strickland wurde nach mehr als 40 Jahren Haft freigelassen. Beweise für seine Unschuld waren durch die Organisation "Midwest Innocence Projekt" gesammelt worden. Eine Entschädigung erhalte der jahrzehntelang Inhaftierte voraussichtlich nicht, da das Urteil nicht aufgrund einer DNA-Analyse aufgehoben wurde, so FAZ (Christiane Heil).
Indien – Verbot von Kryptowährung: Wegen staatlicher Befürchtungen, dass Kryptowährungen die Finanzmarktstabilität gefährden und "die Jugend verderben" könnten, kündigte Indiens Premierminister Narendra Modi die Einführung eines Gesetzes an, das alle privaten Kryptowährungen verbieten soll. Vorgesehen sei aber, dass die Kryptobranche für staatliche Zwecke offen bleibe und zudem eine offiziellen Digitalwährung durch die indische Zentralbank eingeführt werde, so Hbl (Mathias Peer).
Frankreich – Freiheitsstrafe für Orange-Chef: Ein Pariser Berufungsgerichts hat Stéphane Richard, den Chef des führenden französischen Telekomkonzerns Orange zu einer Bewährungsstrafe und einem Bußgeld in Höhe von 50.000 Euro verurteilt, wie das Hbl meldet. Dem engen Mitarbeiten der früheren Wirtschaftsministerin Christine Lagarde, wird vorgeworfen, im Rahmen der Affäre um den Verkauf von Adidas-Anteilen von Bernard Tapie an die Bank Credit Lyonnais, öffentliche Gelder veruntreut zu haben.
Schweiz – Wahl von Richter:innen: Am kommenden Sonntag werden Schweizer Stimmberechtigte in einem Volksbegehren über die sog. "Justiz-Initiative" abstimmen. Diese Initiative hat zum Ziel, dass Richterposten in Zukunft nicht mehr nach Parteimitgliedschaft der Richter:innen, sondern durch ein Losverfahren vergeben werden sollen. Die SZ (Isabel Pfaff) gibt einen Überblick über die Diskussion zur Unabhängigkeit der Schweizer Justiz und prognostiziert das Scheitern der Initiative.
Sonstiges
Anwältin Roda Verheyen: Die Elektrizitätswerke Schönau haben die Hamburger Anwältin Roda Verheyen als "Stromrebellin 2021" ausgezeichnet, weil sie den im April ergangenen Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts erstritten hat. Im Gespräch mit der BadZ (Christian Rath) erklärt Verheyen, sie sei keine "Rebelin", denn sie arbeite "mit dem Recht und nicht gegen das Recht". Außerdem geht es im Gespräch um zivilen Ungehorsam der Klimabewegung, ihren Weg zum Umweltrecht, nationale CO2-Budgets und zivilrechtliche Klimaklagen.
Gerhart Baum: In der Zeit (Robert Leicht) wird das Leben und Wirken von Gehart Rudolf Baum, FDP-Politiker und Rechtsanwalt porträtiert. Dabei werden, neben seiner Stellung als Parlamentarischer Staatssekretär von 1972 bis 1978 und später als Bundesinnenminister, seine verfassungsrechtlichen Bestrebungen und Erfolge hervorgehoben. Es gelang ihm mit anderen, das Luftsicherheitsgesetz und den Großen Lauschangriff vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mr
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
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Die juristische Presseschau vom 25. November 2021: . In: Legal Tribune Online, 25.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46750 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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