BVerfG-Präsident sieht sich nicht durch das Dinner mit dem Bundeskabinett beeinflusst. Die Debatte über Masken in Schulen intensiviert sich. Der katalanische Ex-Präsident Carles Puigdemont wird zunächst nicht an Spanien ausgeliefert.
Thema des Tages
BVerfG – Bundesnotbremse/Befangenheit: Wie die Welt (Tim Röhn) berichtet, wehrt sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth gegen den Vorwurf der Befangenheit bei Verfahren zur sogenannten Bundesnotbremse. Bei einem gemeinsamen Dinner mit dem Bundeskabinett am 30. Juni hatte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) über Corona-Entscheidungen "unter Unsicherheiten" referiert. Dies hatte zu einem Befangenheitsantrag des Anwalts Niko Härting geführt. Harbarth schrieb in einer Stellungnahme, dass bei dem Dinner auch über "Rechtssetzung in Europa" gesprochen worden sei. Beide Themen beträfen "abstrakte und zeitlose Fragestellungen". Die Themen ließen sich auch "ohne konkreten Bezug zu anhängigen Verfahren" erörtern. Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch wird in den nächsten Tagen erwartet.
Rechtspolitik
Corona – Maskenpflicht in Schulen: Nachdem die Maskenpflicht für Schüler:innen im Saarland, in Brandenburg und nun auch in Bayern und in Berlin (dort nur für Schüler:innen bis zur sechsten Klasse) aufgehoben wurde, gewinnt die Debatte bundesweit an Fahrt. Dabei wird die geringe Impfquote von 40 Prozent bei den 12- bis 17-Jährigen gegen die teils auftretenden Kopfschmerzen und Atemprobleme der Schüler:innen abgewogen. Es berichten FAZ (Heike Schmoll), Hbl (Jürgen Klöckner) und spiegel.de.
Jürgen Klöckner (Hbl) spricht sich in einem separaten Kommentar für eine Aufrechterhaltung der Maskenpflicht aus, weil sie neben den regelmäßigen Tests der beste Schutz im Klassenzimmer sei. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, sieht das im Interview mit der taz (Dominik Baur) ähnlich. Da es im Präsenzunterricht kaum Raumluftfilteranlagen und Abstand gebe, bleibe nur die Maske. Heike Schmoll (FAZ) will hingegen differenzieren und die Maskenpflicht nur für Grundschulen aufheben. In den ersten Jahren komme es auf Sprachbildung, Mimik und Optik an.
Sozialisierung von Wohnungsunternehmen: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) spricht sich gegen eine Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen aus. Man solle lieber in öffentliche Verkehrsmittel investieren, um die in Deutschland leerstehenden 1,5 Millionen Wohnungen an städtische Regionen anzubinden. Die Berliner Bevölkerung stimmte Ende September für eine Vergesellschaftung, wobei das Votum die Politik rechtlich nicht bindet. spiegel.de berichtet.
Justiz
VerfGH Bayern – Polizeiaufgabengesetz: Die Grünen in Bayern ziehen wegen der im bayrischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) geregelten Zuverlässigkeitsüberprüfung vor den bayrischen Verfassungsgerichtshof. Die im Juli verabschiedete Neufassung des PAG gestattet es der Polizei unter anderem, "bei Anlässen, die mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden sind", Personen vorab genauer zu überprüfen. Die Grünen halten die Vorschrift für zu unbestimmt. Wegen anderer Regelungen im PAG sind auch vor dem Bundesverfassungsgericht bereits Klagen anhängig. LTO berichtet.
VGH Hessen zu Sputnik V-Impfung: Der Linken-Bundestagsabgeordnete Diether Dehm will das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach "Sputnik-V"-Geimpfte keinen Anspruch auf ein deutsches Impfzertifikat haben, nicht akzeptieren und vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen. Die Entscheidung verstoße "eklatant gegen den Gleichheitsgrundsatz". Die EU habe beschlossen, dass Menschen, in deren Herkunftsländern das russische Vakzin zugelassen ist, sich innerhalb der EU frei bewegen könnten. Menschen, deren Herkunftsländer den Impfstoff nicht zugelassen haben, bleibe dies hingegen verwehrt. spiegel.de berichtet.
LG Osnabrück zu Handyvideo von Polizeieinsatz: Das Landgericht Osnabrück widersprach der Vorinstanz und stellte fest, dass Tonaufnahmen eines Polizeieinsatzes im öffentlichen Raum nicht strafbar sind. Die Osnabrücker Polizei wurde bei der Fixierung sich widersetzender Personen mit einem Handy gefilmt und stützte dessen Beschlagnahme auf den Anfangsverdacht der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 Strafgesetzbuch. Die Norm sei jedoch nicht einschlägig, so das LG, weil sie keine Äußerungen im öffentlichen Raum erfasse. LTO berichtet.
LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Nach der gescheiterten Flucht der wegen Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen angeklagten KZ-Sekretärin Irmgard Furchner, reflektiert nun auch der Tsp (Jost Müller-Neuhof) ihr Verhalten und das Verfahren. Die juristische Aufarbeitung von Taten rangniedriger Täter:innen aus der Zeit des Nationalsozialismus habe zu lange auf sich warten lassen. Dass die Staatsanwaltschaft die Flucht der 96-Jährigen nicht erwartet hatte, sei sinnbildlich für das Versagen einer ganzen Generation.
AG Hagen – eingesperrte Kita-Kinder: Die Staatsanwaltschaft Hagen hat die frühere Leiterin einer inzwischen geschlossenen Kindertagesstätte wegen Freiheitsberaubung und Nötigung von Kindern in 19 Fällen vor dem Amtsgericht Hagen angeklagt. Sie soll unter anderem Kinder eingesperrt und ihnen Angst gemacht haben. Die Frau weist alle Vorwürfe von sich. Die Hauptverhandlung soll am 10. Februar beginnen. Es berichten bild.de (Alex Talash) und spiegel.de.
Recht in der Welt
Italien/Spanien – Carles Puigdemont: Ein Berufungsgericht im sardischen Sassari hat entschieden, dass der frühere katalanische Regierungschef Carles Puigdemont vorerst nicht an Spanien ausgeliefert werden muss. Das Gericht stoppte ein Auslieferungsverfahren und will auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über Puigdemonts Immunität als Europaabgeordneter warten. In Spanien wird Puigdemont im Zusammenhang mit dem katalanischen Unabhängigkeitsreferendum im Herbst 2017 Rebellion gegen den spanischen Staat und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. tagesschau.de und zeit.de berichten.
Georgien – Michail Saakaschwili: Nach seiner Rückkehr aus dem Exil wurde der ehemalige georgische Präsident Michail Saakaschwili unter anderem wegen Amtsmissbrauchs verhaftet. Nun soll der 53-Jährige eine 2018 – in seiner Abwesenheit – gegen ihn ausgesprochene Haftstrafe von sechs Jahren absitzen. Saakaschwili war von 2004 bis 2013 Präsident und setzte unter Abgrenzung zu Russland prowestliche Reformen durch. Nach seiner Abwahl ging er in die Ukraine und nahm die ukrainische Staatsbürgerschaft an. Saakaschwili kam nach Georgien zurück, um seine proeuropäische Partei "Vereinte Nationale Bewegung" beim Kommunalwahlkampf zu unterstützen, den sie am Samstag verlor. Es berichten die taz (Barbara Oertel) und spiegel.de.
Großbritannien – Vergewaltigung durch Polizisten: Kurz nach dem Urteil im Mordfall Sarah Everard wurde ein weiterer Polizeibeamter aus London wegen Vergewaltigung angeklagt. Dem 46-Jährigen wird vorgeworfen, am 4. September 2020 eine Frau in St. Albans, nordwestlich von London, vergewaltigt zu haben. Der am Samstag suspendierte Polizist war – wie der Mörder von Sarah Everard – in der Londoner Polizeieinheit zum Schutz des Parlaments und von Diplomaten tätig. Er weist alle Vorwürfe zurück. Es berichten FAZ und spiegel.de.
Italien – Falschparken: Wie die SZ (Oliver Meiler) berichtet, reagiert die italienische Regierung mit neuen Strafen auf die "verkehrschaotischen Innenstädte". Wer etwa unberechtigt auf einem Behindertenparkplatz parkt, zahlt künftig bis zu 672 Euro.
USA – Abtreibungsgesetz Texas: Der US-Jurist Russell Miller erklärt im FAZ-Einspruch (in englischer Sprache), dass in Deutschland ein Bundesstaat kein so extremes Abtreibungsgesetz beschließen könnte, weil hier der Bund die Kompetenz für das Abtreibungsrecht hat. Außerdem würde ein derartiges Gesetz sofort per abstrakter Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht landen. In den USA ist für die Befassung des Supreme Courts dagegen ein konkreter Rechtsstreit erforderlich. Schließlich könnte sich der Staat in Deutschland wegen der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auch nicht dadurch einer gerichtlichen Kontrolle entledigen, dass er die Durchsetzung eines Gesetzes den Zivilklagen von Privatpersonen überlässt.
USA – Abtreibungsgesetz Mississippi: Unter Darlegung der geänderten Machtverhältnisse am Supreme Court schreibt die FAZ (Majid Sattar), dass es bei der Verhandlung über das Abtreibungsgesetz des US-Bundesstaats Mississippi zu einer Rechtsprechungsänderung kommen könnte. Das Gesetz wurde 2018 erlassen und verbietet weitgehend Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche. Untere Instanzen befanden das Gesetz für verfassungswidrig. Am 1. Dezember werde dazu mündlich verhandelt. Bisher gelten die Grundsätze aus dem Urteil "Roe v. Wade", wonach einzelstaatliche Einschränkungen des Abtreibungsrechts vor der Lebensfähigkeit des Fötus untersagt sind.
Sonstiges
"Pandora-Papers": Nach den "Panama-Papers" im Jahr 2016 sind Unterlagen bekannt geworden, die zahlreiche Politiker:innen und Prominente auf der ganzen Welt wegen möglicher Steuersparmodellen belasten könnten. Die mehr als 11,9 Millionen Dokumente firmieren unter dem Begriff "Pandora-Papers" und wie die "Panama-Papers" könnten auch diese Dokumente aus Anwaltskanzleien stammen. Die Bundesregierung sieht bislang nur einen geringen Bezug zu Deutschland. U.a. LTO berichtet.
Neutralität von Behörden im Wahlkampf: Rechtsprofessorin Diana zu Hohenlohe ordnet auf dem Verfassungsblog die von Jan Böhmermann in seiner Sendung "ZDF Magazin Royale" (vom 24. September 2021) erhobenen Vorwürfe der Einmischung von Ministerien in den Wahlkampf verfassungsrechtlich ein. Konkret stehen Beeinflussungen von Wähler:innen durch das Bundesarbeitsministerium und durch das Klimaministerium in Rheinland-Pfalz durch Microtargeting auf Facebook im Raum. Dies sei ein eklatanter Verfassungsverstoß, weil die chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung des Volkes erfordere, dass die Staatsorgane im Wettbewerb der Parteien Neutralität wahrten.
Promotion für Arbeiterkinder: Im Interview mit LTO (Pauline Dietrich) geben die juristischen Habilitandinnen Anna K. Bernzen und Dana-Sophia Valentiner spezielle Tipps für eine erfolgreiche Promotion von Erstakademiker:innen.
Das Letzte zum Schluss
Zelle statt Hotelzimmer: Ein 49-Jähriger verwechselte in der Nacht zu Montag eine Würzburger Polizeiwache mit einem Hotel und erkundigte sich nach einem Zimmer. Als er nicht gehen wollte und seine Personalien festgestellt wurden, stellte sich heraus, dass gegen ihn zwei Haftbefehle wegen geringerer Vergehen vorlagen. Da er die 3000 Euro, die eine Strafe abgewendet hätten, nicht zahlen konnte "hatte sich für ihn zumindest das Problem mit der Zimmersuche erledigt", heißt es in der Mitteilung der Polizei. spiegel.de berichtet.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/tr
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Die juristische Presseschau vom 5. Oktober 2021: . In: Legal Tribune Online, 05.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46206 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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