Die juristische Presseschau vom 11. Juni 2021: Dis­kus­sion um mani­pu­lierte Krypto-Handys / Staat­stro­janer besch­lossen / EuGH zu sub­si­diärem Schutz

11.06.2021

Sollen auch deutsche Behörden eine Fake-Krypto-Infrastruktur aufbauen dürfen? Bundestag beschließt Quellen-TKÜ für Bundespolizei und Nachrichtendienste. Der EuGH kritisiert deutsches Leichenzählen von Flüchtlingen in Herkunftsländern. 

 

Thema des Tages

Manipulierte Krypto-Handys: Oberstaatsanwalt Benjamin Krause von der Frankfurter Zentralstelle für die Bekämpfung der Internet-Kriminalität spricht mit der FAZ (Anna-Sophia Lang) über den Schlag gegen die Organisierte Kriminalität, der durch das Abhören vermeintlicher Kryptohandys möglich wurde. Es sei einzigartig, dass das FBI hier die gesamte vermeintliche Krypto-Infrastruktur zur Verfügung gestellt habe. Indem die Täter glaubten, sie seien nicht abhörbar, hätten sie ganz offen über die Taten und ihre Planung gesprochen. In Deutschland wäre derartiges nicht möglich, so Krause, weil Gerichte dann eine Beihilfe zur Tat annehmen könnten und Verdeckte Ermittler in Deutschland in der Regel keine Straftaten begehen dürfen. Krause sieht hier allerdings Diskussionsbedarf, sonst könne Deutschland immer nur von Polizei-Aktionen im Ausland profitieren.

Rechtsanwalt und Ex-BGH-Richter Thomas Fischer kritisiert im Interview mit spiegel.de (Dietmar Hipp), dass das FBI der Organisierten Kriminaltät "Tatwerkzeuge" zur Verfügung gestellt habe. "Das ist eine Mischung aus präventiver Strafverfolgung und Tatprovokation. Es berührt eine Grenze des rechtsstaatlich Zulässigen." Nach deutschem Recht wäre dies unzulässig, wenn die Person vorher nicht tatgeneigt war. Fischer hält es auch für rechtswidrig, dass deutsche Gerichte nur aufgrund von Abhörergebnissen der US-Behörden in Deutschland Durchsuchungen genehmigten. Er geht aber davon aus, dass die Gerichte die Verwertung der Erkenntnisse zumindest bei schwerer Kriminalität billigen werden. Allerdings fragt sich Fischer, ob die US-Behörden ihre Schutzpflichten verletzt haben, wenn sie z.B. von geplanten Morden wussten und diese nicht verhindert haben, um den großen Schlag gegen die Organisierte Kriminalität nicht zu gefährden. 

Rechtspolitik

Quellen-TKÜ/Nachrichtendienste/BPol: Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalition in zwei Gesetzen beschlossen, dass Nachrichtendienste und die Bundespolizei künftig verschlüsselte Kommunikation mit Hilfe von Quellen-Kommunikationsüberwachung abgreifen und dabei Staatstrojaner einsetzen dürfen. Dies werde aber nur in wenigen Fällen zur Anwendung kommen. Es berichten SZ (Mike Szymanski), FAZ (Helene Bubrowski) und zeit.de (Patrick Beuth).

Überwachung: Ein Antrag der FDP auf die Einführung einer Überwachungs-Gesamtrechnung ist im Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition abgelehnt worden, berichtet die BadZ (Christian Rath). Bei einer Anhörung im Februar hatte der Freiburger Rechtsprofessor Ralf Poscher ein Modell vorgestellt, das er im Auftrag der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung derzeit entwickelt. 

Frauenquoten: An diesem Freitag wird der Bundestag voraussichtlich das Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen beschließen. Das Gesetz zwingt börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mindestens drei Vorstandsmitgliedern dazu, mindestens eine Frau im Vorstand zu haben. Das Gesetz wird laut SZ (Kathrin Werner) 64 Unternehmen betreffen, von denen 42 bereits die Anforderungen erfüllen. Im Herbst 2020 erfüllten erst 34 Unternehmen die Anforderungen.

Pakt für den Rechtsstaat: Auf der Ministerpräsidentenkonferenz wurde ein Bericht von Bund und Ländern vorgelegt, der den 2019 beschlossenen Pakt für den Rechtsstaat als Erfolg beschreibt. Der Bund hatte den Ländern 220 Millionen Euro überwiesen. Diese sollten im Gegenzug 2.000 neue Stellen für Richter:innen und Staatsanwält:innen schaffen. Tatsächlich wurden sogar 2.700 neue Stellen in der Justiz geschaffen. Es berichtet LTO (Pauline Dietrich).

Anwaltstag – Rechtspolitik: Edith Kindermann, die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, kritisierte beim Anwaltstag das gescheiterte Unternehmenssanktionengesetz. Es hätte zu einer Verletzung des Berufsgeheimnisses geführt. Dagegen lobte Kindermann die BRAO-Reform, die am Donnerstag im Bundestag beschlossen werden sollte, als Geschenk zum 150-jährigen Geburtstag des DAV. Weniger positiv äußerte sich Kindermann laut LTO zum Legal-Tech-Gesetz, das an diesem Freitag im Bundestag beschlossen werden soll.

Betriebsräte: Die Anwälte Thomas Winzer und Miriam Launer stellen auf LTO das Betriebsrätemodernisierungsgesetz vor, das im Bundestag am 21. Mai beschlossen wurde und im Sommer in Kraft treten soll. Es soll vor allem die Gründung und die Wahl von Briebsräten erleichtern sowie das Betriebsverfassungsrecht der Digitalisierung anpassen. Die Autoren halten das Gesetz für halbherzig.

Mietspiegel: Kommunen mit mehr als 50.000 Einwohnern müssen künftig einen Mietspiegel erstellen. Darauf haben sich laut Hbl (Marin Greive) und spiegel.de die Rechtspolitiker:innen der Koalition geeinigt. 

Versammlungsgesetz NRW: Die schwarz-gelbe Koalition von Nordrhein-Westfalen plant ein eigenständiges Landes-Versamlungsgesetz. Am 6. Mai fand im Landtag eine Sachverständigen-Anhörung dazu statt. Rechtsprofessor Clemens Arzt stellt auf dem Verfassungsblog seine Kritik vor. Der Regierungsentwurf verbleibe zu sehr im eingriffsrechtlichen Denken. 

Justiz

EuGH zu subsidiärem Schutz: Auf Vorlage des Verwaltungsgerichtshofs Ba-Wü hat der Europäische Gerichtshof die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum subsidiären Schutz für Flüchtlinge beanstandet. Dieser Schutzstatus komme nicht erst ab einer bestimmten Zahl von jährlichen Todesopfern in der Heimatregion in Betracht. Vielmehr seien bei der Beurteilung der Gefährlichkeit einer Rückkehr auch viele andere Kriterien zu berücksichtigen, berichten tagesschau.de (Klaus Hempel) und LTO.

EuGH zu Presse und Produkthaftung: Der Europäische Gerichtshof entschied in einem Fall aus Österreich, dass ein Zeitungsartikel mit einem unrichtigen Gesundheitstipp kein fehlerhaftes Produkt im Sinne des EU-Produkthaftungsrechts darstellt und daher keine verschuldensunabhängige Haftung bestehe, berichtet LTO. In einem Tipp von "Kräuterpfarrer Dominik" war eine Meerrettich-Auflage für zwei bis fünf Stunden (statt Minuten) empfohlen worden. 

BVerfG – EU-Vertragsverletzungsverfahren/PSPP-Urteil: Der CSU-Politiker Peter Gauweiler droht mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren, berichtet die FAZ (Corinna Budras u.a.). Die Kommission handele "ultra vires", überschreite also ihre Kompetenzen, so Gauweiler. Die Bundesregierung müsse die deutsche Verfassungsidentität verteidigen. 

BVerfG – E-Zigaretten und Tabaksteuer: Die Hersteller von E-Zigaretten wollen Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Erweiterung der Tabaksteuer auf E-Zigaretten einlegen, berichtet spiegel.de. Bisher unterliegen E-Zigaretten nur der Mehrwertsteuer. 

BGH zu Banken-AGBs: Das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Zustimmungspflicht bei Gebührenerhöhungen für Girokonten dürfte allein bei der Deutschen Bank zu Mindereinnahmen in Höhe von je 100 Millionen Euro im zweiten und dritten Quartal dieses Jahres führen. Weil die Kunden unerlaubt erhöhte Gebühren zurückfordern können, habe die Bank entsprechende Rückstellungen veranlasst, berichtet spiegel.de

OLG Hamm zu dortmund.de: Das Oberlandesgericht Hamm hat die Klage des Verlegers der Ruhr-Nachrichten gegen die städtische Webseite dortmund.de abgelehnt und damit die Vorinstanz bestätigt. Das OLG fand zwar einige Texte, die nicht auf eine kommunale Webseite gehören, diese gingen aber in der Masse der Informationen unter. Insgesamt sei die Webseite nicht presseähnlich aufgemacht und stelle daher keine staatliche Konkurrenz zur privaten Presse dar. Der Verleger will nun Revision zum BGH einlegen, berichtet LTO.

LG Kiel – Wehrmachtspanzer: Am Landgericht Kiel hat ein Sachverständiger ausgesagt, dass manche der Kriegswaffen, die bei einem Rentner gefunden worden waren, nicht mehr einsetzbar sind. Ein verrosteter Wehrmachtspanzer könnte laut Experte aber wieder einsatzfähig gemacht werden, wenn man es sich leisten kann. Für den Vorsitzenden Richter kommt es darauf an, ob der Panzer als Kampfmittel in einem Konflikt zwischen bewaffneten Staaten einsetzbar sei, trotz verrostetem Rohr. Dann würde der Besitz gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen. Die FAZ (Matthias Wyssuwa) berichtet.  *

LG Nürnberg – Mordversuch mit Zimtschnecke: Am Landgericht Nürnberg hat der Prozess gegen einen 39-jährigen Mann begonnen, dem versuchter Mord an seiner getrennt lebenden Frau und deren Mutter vorgeworfen wird. Der Mann gibt zu, Zimtschnecken vergiftet zu haben. Allerdings habe er die Frauen nur "ausschalten" wollen, um ungestört ein Wochenende mit seinem bei der Mutter lebenden Kind verbringen zu können. spiegel.de berichtet. 

StA München – Wirecard: Das Hbl (Volker Votsmeier u.a.) berichtet ausführlich über den Stand der Wirecard-Ermittlungen. Die Anklage soll bis Jahresende fertiggestellt sein, ein Prozess könnte Mitte 2022 beginnen, sei in Verfahrenskreisen zu hören. Nicht angeklagt werden solle überraschend der langjährige Finanzvorstand Burkhard Ley. Vor Gericht sollen dagegen Ex-CEO Markus Braun, der ehemalige Dubai-Statthalter Oliver B. sowie der Ex-Chefbuchhalter und Vizefinanzvorstand E.

Recht in der Welt

EU – Rechtsstaatlichkeit und Finanzen: Das EU-Parlament hat sich mit 506 gegen 150 Stimmen für die Vorbereitung einer Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission ausgesprochen. Diese soll sofort EU-Staaten, die die Rechtsstaatlichkeit missachten, Zuschüsse kürzen. Die EU-Kommssion will gemäß einer Absprache mit Ungarn und Polen aber erst auf eine EuGH-Entscheidung über den neuen Mechanismus warten. Es berichtet u.a. LTO. Laut FAZ (Thomas Gutschker) wird die Kommission vor allem zum Vorgehen gegen Tschechien aufgefordert. 

Myanmar – Aung San Suu Kyi: Die Staatsrätin und Wahlgewinnerin Aung San Suu Kyi wird nun auch wegen Korruption angeklagt. Sie soll von einem Bauunternehmer und dem Chef einer Regionalregierung umgerechnet fast eine halbe Million Euro und mehrere Kilogramm Gold angenommen haben, berichtet die FAZ (Till Fähnders)

Frankreich – Macron-Ohrfeige: Nur zwei Tage nachdem ein Rechtsextremist den französischen Präsidenten Emmanuel Macron öffentlich geohrfeigt hatte, verurteilte ihn ein Strafgericht in der Stadt Valence wegen "Gewalt gegen eine Amtsperson" zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, wobei laut spiegel.de 14 Monate zur Bewährung ausgesetzt sind. 

Sonstiges

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Auf dem JuWisBlog postuliert Marvin Damian Hubig, dass öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten nicht zur "absoluten Objektivität" verpflichtet sind. Die Programmgrundsätze begründeteen vielmehr eine öffentlich-rechtliche Pluralitätspflicht.
 

* Zusammenfassung am 12. 6. neu formuliert.

 

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lto/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. Juni 2021: . In: Legal Tribune Online, 11.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45176 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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