Die juristische Presseschau vom 21. Januar 2021: Home­of­fice-Gebot / Staats­haf­tung wegen Mie­ten­gren­ze? / Bidens erste Exe­cu­tive Orders

21.01.2021

Neue Corona-Arbeitsschutzverordnung sieht Homeoffice-Gebot vor, aber keine Pflicht. Staatshaftungsklage gegen Hessen könnte bei BGH Erfolg haben. US-Präsident Biden erlässt erste 17 Executive Orders.  

 

Thema des Tages

Corona – Homeoffice: Sofern keine zwingenden betrieblichen Gründe dagegen sprechen, müssen Arbeitgeber ab nächstem Mittwoch ihren Beschäftigten das Arbeiten von zu Hause anbieten. So sieht es die im vom Bundesarbeitsministerium erlassene "SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung" (Corona-ArbSchV-E) vor. Anders als der noch am Dienstag im Bundeskabinett diskutierte Verordnungsentwurf, sind aber keine verschärften Sanktionen und Kontrollbefugnisse mehr vorgesehen. Auch ein subjektives Klagerecht der Beschäftigten auf Homeoffice ist nicht enthalten. Durch die neue Regel zum Homeoffice soll die Zahl der Menschen reduziert werden, die bisher weiter täglich zur Arbeit pendeln. Darüber hinaus enthält die Verordnung verschärfte Schutzregeln für Beschäftigte, die beruflich bedingt nicht von zu Hause aus arbeiten können. Beschäftigte müssen demnach jeweils mindestens zehn Quadratmeter Platz haben. Dort, wo das nicht möglich ist, muss der Arbeitgeber medizinische Masken zur Verfügung stellen. Mit der Corona-ArbSchV-E macht das Ministerium von seiner Verordnungsermächtigung im Bereich des Arbeitsschutzes Gebrauch. Es berichten die FAZ (Dietrich Creutzburg/Hendrik Kafsack), das Hbl (Heike Anger uA) und beck-community (Markus Stoffels).

"Endlich wird der unerträgliche Zustand beendet", kommentiert Pascal Beucker (taz) die neue Verordnung. Arbeitsrechtsanwalt Michael Fuhlrott stellt sich auf LTO unter anderem die Frage, inwiefern es für einen derart weitgehenden Eingriff in die betriebliche Organisationshoheit und die grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Arbeitgebers anstatt einer bloßen Verordnung nicht eher eines formellen Gesetzes bedürfe.

Rechtspolitik

Weisungsrecht ggü. Staatsanwaltschaft: Nach mehreren EuGH-Urteilen hat das Bundesjustizministerium nun einen Referentenentwurf zur Einschränkung des Weisungsrechts der Justizminister gegenüber der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Wie LTO (Annelie Kaufmann/Markus Sehl) ausführt, sieht der Entwurf unter anderem vor, dass Weisungen ausgeschlossen sein sollen, wenn die Staatsanwaltschaft einen europäischen Haftbefehl (EHB) ausstellt oder vollstreckt. Außerdem sollen laut Entwurf, auf Einzelfälle bezogene Weisungen unzulässig und alle Weisungen künftig schriftlich zu begründen sein. Die deutschen Generalstaatsanwaltschaften und die Bundesanwaltschaft legten dem Justizministerium Anfang Dezember bereits konkrete Vorschläge für einen Referentenentwurf vor, die wohl weitgehend im nun vorliegenden Entwurf enthalten sind.

Kinderrechte ins Grundgesetz: Kinderrechte sollen ausdrücklich im Grundgesetz verankert werden. Das sieht der nach langer Diskussionen nun vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachte Entwurf vor. Wie SZ und FAZ (Marlene Grunert) melden, ist aber ungewiss, ob dieser Entwurf für eine entsprechende Grundgesetzänderung im Bundestag und Bundesrat die nötige Zweidrittelmehrheit erhält.

"Neue Verfassungslyrik darf nicht von Vollzugsdefiziten ablenken", meint Reinhard Müller (FAZ) zu dem Gesetzesvorhaben. Es fehle häufig nicht an Normen, sondern an deren Durchsetzung.

Kükenschreddern: Anders als bisher sollen männliche Küken in Geflügelbetrieben ab nächstem Jahr nicht mehr getötet werden dürfen. Der vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzesentwurf aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium sieht für die betroffenen Betriebe stattdessen ein Verfahren zur Geschlechterbestimmung im Ei vor, sodass männliche Küken gar nicht erst ausgebrütet werden. Während Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) dies nach Berichten von FAZ (Julia Löhr) und Tsp als einen Fortschritt für den Tierschutz sieht, kritisiert die Geflügelwirtschaft den Entwurf als zu weit gehend. 2019 aber hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, der Tierschutz wiege schwerer als wirtschaftliche Interessen und erlaubte das sogenannte Kükenschreddern nur noch für eine Übergangszeit.

Julia Löhr (FAZ) meint, das Verbot sei ein Schritt in die richtige Richtung, weitere müssten aber folgen.

Umsetzung EU-Urheberrecht: In einem "Streitgespräch" in der Zeit (Heinrich Wefing/Uwe Jean Heuser) diskutieren YouTuber Rezo und der FAZ-Herausgeber Carsten Knop über die EU-Urheberrechtsreform und deren geplante Umsetzung in nationales Recht, sowie deren Risiken für Meinungsfreiheit und den Datenschutz.

Corona – Impfung: swr.de (Christoph Kehlbach) beantwortet Fragen rund um das Impfen im Arbeitsplatzkontext. Beispielsweise können Arbeitgebende die Arbeitnehmenden grundsätzlich nicht dazu verpflichten, sich gegen Corona impfen zu lassen. Für Angestellte in Krankenhäusern kann eine solche Pflicht allerdings durchaus möglich sein.

Corona – Parlamente: Die Landesparlamente mehrerer Bundesländer haben inzwischen eigene Beteiligungsgesetze erlassen, die genaue Regeln zur Parlamentsbeteiligung beim Erlass von Corona-Verordnungen vorsehen, erläutert die taz (Christian Rath). Dabei ist das Berliner Gesetz von voriger Woche am weitestgehenden, weil das Abgeordnetenhaus jeder grundrechtseingreifenden Corona-Verordnung zustimmen muss. Nur in Sachsen-Anhalt findet zum Beschluss der Landesregierung bisher keine obligatorische Einbindung des Landtags statt.

Corona – Insolvenzantragspflicht: Das Bundeskabinett stimmte für den erneuten Aufschub der Pflicht zur Insolvenzanmeldung. Krisengebeutelten Betrieben, die einen Anspruch auf Corona-Hilfen haben, deren Auszahlung sich aber verzögert, wird danach noch ein Aufschub bis zum 30. April gewährt. Das Bundesjustizministerium wies laut FAZ (Julia Löhr/Corinna Budras) jedoch darauf hin, dass für Betriebe, die bereits wüssten, dass ihre Schieflage durch die Corona-Zuschüsse nicht ausgeglichen werden kann, dieser Anmeldungsaufschub nicht besteht.

Justiz

BGH – Staatshaftung/Mietpreisbremse: Der Bundesgerichtshof verhandelt an diesem Donnerstag über die Haftungsklage eines Ehepaares gegen das Land Hessen. Durch einen Rechtsdienstleister will das Ehepaar das Land Hessen für eine Mietbegrenzungsverordnung haftbar machen, mit welcher der Mietpreis des Ehepaars deutlich gesenkt worden wäre. Diese kassierte der BGH aber 2019, da die Beamten bei der Anfertigung der Verordnung auf die vorgeschriebene Begründung verzichtet hatten. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) ausführt, lehnte der BGH solche Staatshaftungsklagen zwar bisher weitgehend ab, könnte in diesem Fall aber eventuell anders entscheiden. 

EuGH zu Umweltinformationen/Stuttgart 21: Verweigern Behörden die Preisgabe von in "internen Mitteilungen" enthaltenen Umweltinformationen, muss dies stets gut begründet sein. Die Behörde hat im Einzelfall zu prüfen und darzulegen, ob solche Umweltinformationen beispielsweise aus Umweltschutzinteressen preiszugeben sind. Das befand der Europäische Gerichtshof zu einem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in einem Fall, der die Baumfällungen im Rahmen des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 betrifft. Eine Privatperson hatte Zugang zu Unterlagen über die Baumfällungen beantragt, der laut LTO jedoch abgelehnt worden war.

EuG zu Halloumi: Auch nach erneuter eingehender Prüfung besteht keine Verwechslungsgefahr zwischen dem zyprischen Grillkäse Halloumi und einem ähnlichen Käseprodukt aus Bulgarien. So entschied das Gericht der Europäischen Union und wies damit bereits zum zweiten Mal die Klage der "Stiftung zum Schutz des traditionellen zyprischen Käses namens Halloumi" ab. Diese sieht ihre eigene Unionskollektivmarke durch das als Unionsmarke eingetragene Bildzeichen "BBQLOUMI" der bulgarischen Firma verletzt. Zwar sei eine Verwechslungsgefahr nicht von vornherein ausgeschlossen, die Endung "-loumi" würde aber wenig zur Kennzeichnungskraft der angemeldeten Marke "Halloumi" beitragen, begründet das EuG seine erneute Entscheidung. Das erste gleichlautende Urteil des EuG hatte der Europäische Gerichtshof im März 2020 aufgehoben, weshalb das EuG nun erneut entscheiden musste, wie LTO ferner schreibt.

BGH zu RAK-Wahlen: Wegen amtlicher Wahlbeeinflussung ist die Wahl fast des gesamten Vorstands der Düsseldorfer Rechtsanwaltskammer (RAK), einschließlich dessen bisherigen Präsidenten Herbert P. Schons ungültig. Das entschied der Bundesgerichtshof letzten November wie aus dem nun veröffentlichten Beschluss hervorgeht, über den beck-aktuell (Joachim Jahn) ausführlich berichtet. Der BGH bestätigt damit die Entscheidung des nordrhein-westfälischen Anwaltsgerichtshofs.

BSG zu elektronischer Gesundheitskarte: Ohne Vorlage einer elektronischen Gesundheitskarte haben Krankenversicherte keinen Zugang zu ärztlichen Leistungen. Ein Papiernachweis ist keine taugliche Alternative, so das Bundessozialgericht in seinem Urteil zu zwei Verfahren aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die Kläger hatten wegen Datenschutzbedenken die elektronische Karte nicht nutzen wollen und deshalb von ihren Krankenkassen einen Nachweis auf Papier gefordert, wie die FAZ (Marcus Jung) berichtet. Zudem sahen sie ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Laut BSG sind die gesetzlichen Regelungen zur elektronischen Gesundheitskarte aber im Einklang mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und stellen deshalb keine Verletzung von Grundrechten der Kläger dar. Besonders hervorzuheben sei an dem Urteil der Hinweis des BSG, dass es eine absolute Datensicherheit nicht geben könne, wird der Rechtsprofessor Andre Niedostadek auf LTO zitiert.

BAG – Entgelttransparenz: Professorin Nora Markard erläutert auf LTO die Details einer Klage auf Entgeltgleichheit, die zurzeit beim achten Senat des Bundesarbeitsgerichts anhängig ist. Dabei geht es um die Frage, ob eine nach dem Entgelttransparenzgesetz eingeklagte Gehaltsauskunft als Indiz für eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gelten kann.

OLG Köln zu Handyverbot am Steuer: Ist das Handy während des Autofahrens zwischen Ohr und Schulter geklemmt, besteht darin ein "Halten" eines Handys am Steuer im Sinn der Straßenverkehrsordnung. Die Nutzung der Hände ist nicht zwingend erforderlich. Das geht aus einem nun veröffentlichen Beschluss des Oberlandesgerichts Köln hervor, meldet die FAZ. Ein solches Einklemmen würde laut Gericht ein nicht unerhebliches Gefahrenpotenzial bergen. Sollte sich das Handy aus der Klemme lösen, kann dies zu unwillkürlichen Reaktionen bei der fahrenden Person führen. Zulässig ist nur eine befestigte Freisprecheinrichtung.

LG München I – gesund.bund.de: Im November letzten Jahres gab Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Zusammenarbeit seines Gesundheitsprotals gesund.bund.de mit der Suchmaschine Google bekannt. Durch diese Kooperation sieht sich das kommerzielle Gesundheitsportal NetDoktor.de benachteiligt und wirtschaftlich geschädigt, weshalb es vor dem Landgericht München I zwei einstweilige Verfügungen gegen die Bundesrepublik Deutschland und Google beantragte. In der Verhandlung ging es nun vor allem darum, um welche Art von Informationen es sich bei den bei gesund.bund.de eingestellten Informationen handle – ob es um amtliche Mitteilungen gehe oder um presseähnlich aufbereitete Artikel. Nach Bericht der SZ (Stephan Handel) ließ die Vorsitzende Richterin bisher keine Tendenzen erkennen. Eine Entscheidungsverkündung wird für den 5. Februar erwartet. 

LG Berlin – Abou Chaker/Bushido: Vor dem Landgericht Berlin läuft der Prozess gegen Clanchef Arafat Abou-Chaker weiter. Dabei ging es diesmal um einen unfertigen Pool, fehlende Baugenehmigungen und eine Menge Geld. Bushido widerspricht sich in seinen langen Aussagen dabei wohl häufiger, wie unter anderem spiegel.de (Wiebke Ramm) und die Welt (Sebastian Gubernator) berichten.

AG Berlin-Tiergarten – Rapper Fler: Am zweiten Prozesstag gegen den Rapper Fler vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten, nur zwei Stockwerke unter Bushido, stellt sich Fler diesmal als Opfer einer Verleumdung dar, berichten spiegel.de, die taz und FAZ (Sebastian Eder). Fler, bürgerlich Patrick Losenský, hätte sich durch einen Polizisten auf Zivilstreife provoziert gefühlt und diesen deshalb beleidigt. Fler muss sich unter anderem wegen Beleidigung, Sachbeschädigung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis verantworten.  

Recht in der Welt

USA – Executive Orders: Gleich zu Beginn seiner Amtszeit erlässt der neue US-Präsident Joe Biden mehrere Verordnungen und macht damit einige Entscheidungen seines Vorgängers Donald Trump rückgängig. Aufgrund der fehlenden Mehrheit im Kongress hatte Trump hauptsächlich mittels präsidentieller Verordnungen regiert, welche Biden nun seinerseits durch Verordnungen zurücknehmen oder ändern kann, wie Professor Niels Petersen auf LTO ausführt. So ordnete Biden bereits 17 Executive Orders an, darunter zum Verbleib der USA in der WHO, zum Wieder-Beitritt der USA zum Pariser Klimaabkommen, zum Stopp des Mauerbaus an der Mexikanisch-Amerikanischen Grenze. Außerdem führte Biden die Pflicht zum Tragen einer Maske in Regierungsgebäuden und Flugzeugen ein, wie unter anderem SZ.de (Thorsten Denkler), zeit.de und FAZ.de berichten.

Polen – Justizminister Ziobro: Unter Zbigniew Ziobro, Polens Justizminister und Generalstaatsanwalt, wurde unter anderem das polnische Verfassungsgericht faktisch zu einem Parteigericht, wie die SZ (Florian Hassel) berichtet. Ziobro wolle aber noch mehr Macht über die Justiz. So wolle er die Berufungsgerichte abschaffen und der Staatsanwaltschaft den Zugang zu elektronischen Richterakten sichern.

Sonstiges

Pressefreiheit: Auf Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion teilte die Bundesregierung die offiziellen Zahlen zu Angriffen auf Journalisten im Jahr 2020 mit. Bundesweit kam es danach zu 252 Straftaten, die sich "gegen Medien" richteten, wobei mehr als die Hälfte der Angriffe von Personen aus dem rechten Spektrum kamen. Die Zahl der Vorfälle hat sich im Vergleich zu den Vorjahren damit mehr als verdoppelt, wie die SZ (Florian Flade/Ronen Steinke) analysiert. Die Angriffe auf Medienschaffende werden dabei häufig aus Demonstrationen heraus verübt. Die Abgeordnete Margit Stumpp (Grüne) fordert deshalb einen strategischen Schutz von Journalisten.

Anlagengenehmigung: In einem Beitrag auf dem Verfassungsblog diskutiert Rechtsprofessorin Birgit Peters am Besipiel der anhaltenden Proteste von Bürgern und Umweltschutzverbänden gegen die Gigafactory von Tesla im brandenburgischen Grünheide die Probleme bei der Öffentlichkeitsbeteiligung im Anlagengenehmigungsverfahren. 

Havemann: In der Zeit-Rubrik "Verbrechen" (Christoph Dieckmann) wird der 69-jährige Künstler, Autor, ehemalige Richter und Gefangene Florian Havemann portraitiert. Havemann ist Sohn des ehemaligen DDR-Dissidenten Robert Havemann.


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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Januar 2021: . In: Legal Tribune Online, 21.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44052 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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