Die juristische Presseschau vom 16. März 2021: Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fahren gegen Großbri­tan­nien / LSG Nds-Bremen zu Impf­schaden / Anzeige gegen rus­si­schen Söldner

16.03.2021

Wegen einseitiger Verlängerung der Brexit-Übergangsregeln hat die EU-Kommission ein Verfahren gegen das Vereinigte Königreich eingeleitet. LSG verlangt Kausalität für Impf-Schadensersatz. Syrische Familie wendet sich an russische Justiz.

Thema des Tages

Großbritannien – Brexit: Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien eingeleitet. Großbritannien habe Anfang März einseitig und ohne Absprache die Übergangsbestimmungen zum Handel mit Nordirland im Austrittsabkommen verlängert. Das sogenannte Nordirland-Protokoll, welches Teil des 2019 beschlossenen Austrittsvertrags ist, sieht vor, dass Produktstandards des EU-Binnenmarkts für Nordirland weiter gelten, weil Waren von Nordirland ohne weitere Kontrollen nach Irland - also in den EU-Binnenmarkt - verbracht werden können. Um Engpässe bei der Belieferung nordirischer Geschäfte zu vermeiden, setzen die Übergangsbestimmungen die Verpflichtung zum Nachweis der Konformität mit EU-Standards derzeit bei Lieferungen von Großbritannien nach Nordirland aus. Während der britische Brexit-Beauftragte David Frost die einseitige Verlängerung der Übergangsbestimmungen aufgrund der drohenden Warenknappheit in Supermärkten für rechtmäßig erklärte, hält der EU-Kommissionsvize Maroš Šefčovič diese für einen klaren Rechtsbruch. Statt ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anzustrengen, hat die EU-Kommission nun einen Streitschlichtungsmechanismus ausgelöst, der in den Brexit-Verträgen angelegt ist: Ein Schlichtungsausschuss, in dem beide Seiten vertreten sind, soll in den nächsten Wochen über den Streit entscheiden. Die Entscheidung kann in einer gütlichen Einigung, aber auch in einer Verhängung von Strafzöllen und Lieferbeschränkungen enden. Es berichten FAZ (Thomas Gutschker/Jochen Buchsteiner), SZ (Alexander Mühlauer) und taz (Eric Bonse).

Die SZ (Alexander Mühlauer) kommentiert, dass das Handeln der britischen Regierung zwar ökonomisch sinnvoll, aber rechtlich falsch war. Obwohl es nur konsequent sei, dass die EU nun rechtliche Schritte gegen die britische Regierung einleitet, dürfe Nordirland nicht "zum Spielball" in diesem Konflikt werden.

Rechtspolitik

Meinungsfreiheit in Sozialen Netzwerken: Peter Biesenbach, CDU-Justizminister von NRW, und Rechtsprofessor Rolf Schwartmann schlagen im FAZ-Einspruch vor, die Nutzungsbedinungen von sozialen Netzwerken künftig einer AGB-Kontrolle zu unterwerfen. Das Bürgerliche Gesetzbuch soll entsprechend angepasst werden. Damit soll sichergestellt wirden, dass grundgesetzlich erlaubte Äußerungen in sozialen Netzwerken nicht* gelöscht werden. Der Staat könne den Netzwerken Muster-AGB zur Verfügung stellen, um ihnen Rechtssicherheit zu gewährleisten. 

Justiz

LSG Nds-Bremen zu Impfschäden: Das Landessozialgericht Niedersachen-Bremen stellt fest, dass Schadensersatzforderungen wegen Impfschäden nur dann erfolgreich geltend gemacht werden können, wenn der Zusammenhang von Impfung und Schaden nach gesicherten medizinischen Erkenntnissen festgestellt werden kann, so LTO. Allein die Möglichkeit, dass ein gesundheitlicher Schaden auf der Impfung beruht, reiche nicht aus. Vorliegend handelte es sich beim Kläger um einen Bundeswehrsoldaten, der aufgrund eines Auslandseinsatzes im Jahr 2010 gegen Gelbfieber geimpft wurde und daraufhin an gesundheitlichen Problemen litt. Eine derartige Gelbfieber-Impfung wurde schon 600 Millionen Mal gespritzt, ähnliche Nebenwirkungen wie bei dem Kläger seien bislang aber nicht aufgetreten. Dabei kann der Abgleich mit bekannten Nebenwirkungen laut Gericht ein Indiz dafür sein, ob die Gesundheitsprobleme auf der Impfung beruhen oder nicht.

BGH zu Nebenkostenabrechnung: Die Rechtsanwälte Wolf-Rüdiger Bub und Nikolay Pramataroff besprechen auf beck-aktuell ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Januar zur formellen Ordnungsmäßigkeit einer Nebenkostenabrechnung im Gewerberaummietrecht. Laut BGH sollen die Grundsätze, die für das Wohnraumrecht entwirckelt wurden, auch auch für das Gewerberaummietrecht gelten. Die Autoren halten dies für richtig, denn die formellen Erfordernisse für Abrechnungen seien nicht wohnraumspezifisch. 

LAG Hamburg zu familienfreundlicher Teilzeit: Das Landesarbeitsgericht Hamburg entschied im Fall einer Hafenarbeiterin, sie habe ein Recht auf Schichten, die ein Familienleben ermöglichen. Dies gelte auch gegenüber dem Hamburger Hafen, wo rund um die Uhr gearbeitet wird. Es berichtet spiegel.de (Matthias Kaufmann).

LAG Düsseldorf zu Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit: Nun berichtet auch die FAZ (Marcus Jung) über ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, das als erstes höherinstanzliches Gericht über den Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit entschied. Gestritten wurde darüber, ob der Urlaubsanspruch anteilig entsprechend der Kurzarbeit gekürzt werden dürfe. Die Klägerin berief sich darauf, dass die Kurzarbeit nicht auf ihren Wunsch erfolgt sei und daher auch keine Freizeit darstelle. Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die Kurzarbeit den Urlaubsanspruch mindere. Begründet wurde das Urteil mit Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs. Der Anspruch auf Erholungsurlaub setze eine tatsächlich erfolgte Tätigkeit voraus. 

OLG Frankfurt/M. - IS-Rückkehrer Taha Al-J.: Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt M. sagte die deutsche IS-Rückkehrerin Jennifer W. zum Tod eines jesidischen Sklavenkinds aus. Ihr ehemaliger Ehemann Taha Al-J. ist angeklagt, weil Al-J. im Irak das fünfjähriges Mädchen mutmaßlich verdursten lassen hat. Jennifer W. wiederholte die Aussage, die sie vor einigen Tagen am OLG München in ihrem eigenen Prozess machte, so die FAZ (Anna-Sophia Lang). Danach habe sie ihren  damaligen Ehemann mehrfach gebeten, das Kind loszubinden, er habe sie aber nur angeherrscht, ruhig zu sein.

LG Hamburg – Geldwäsche: Die Staatsanwaltschaft Hamburg erhebt Anklage gegen sieben Personen, unter anderem aus Großbritannien und Dubai. Den Angeschuldigten wird vorgeworfen, vor allem über die Varengold Bank in Hamburg Geldwäsche betrieben zu haben. Bislang wurde zwar die Anklageerhebung, aber noch nicht die Namen der Angeschuldigten bestätigt, so die FAZ (Marcus Jung). Die Anklage richtet sich nicht gegen Verantwortliche der Bank.

VG München – Neubesetzung der BFH-Spitze: Am Verwaltungsgericht München sind drei Eilanträge von Kandidaten eingegangen, die bei der Neubesetzung der Spitze des Bundesfinanzhofs nicht berücksichtigt wurden. Eine Entscheidung über die Anträge ist noch nicht absehbar, so LTO.

VG Halle zu Impfaffäre: Das Verwaltungsgericht Halle stoppte die geplante Sondersitzung des Stadtrats Halle zur Impf-Affäre um den Oberbürgermeister Bernd Wiegand. Grund dafür war ein Formfehler: Die Einladungsfrist sei nicht eingehalten worden, weshalb der Beschluss anfechtbar ist. Der Stadtrat wollte entscheiden, ob Wiegand die Führung seiner Dienstgeschäfte vorläufig verboten werden soll. Wiegand hatte Mitte Januar entgegen der festgelegten Impfreihenfolge bereits eine Corona-Impfung erhalten. Es berichtet focus.de

GenStA Berlin – Betrug bei Corona-Soforthilfe: Wie spiegel.de berichtet, ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Berlin gegen Islamisten und Moscheeverbände, die sich Corona-Soforthilfen erschlichen haben sollen. Es bestehe auch der Verdacht der Terrorismus-Finanzierung. Insgesamt laufen aktuell mehr als 100 Ermittlungsverfahren gegen 60 Islamisten.

Elektronische Akte Ba-Wü: zeit.de meldet, dass alle baden-württembergischen Landgerichte in Zivilverfahren vollständig auf die elektronische Aktenführung umgestellt sind. Alle neu eingehenden Zivilverfahren würden ab Mittwoch nur noch elektronisch geführt.

Recht in der Welt

Russland – Strafanzeige gegen Söldner: spiegel.de (Fidelius Schmidt) berichtet über die Strafanzeige einer syrischen Familie gegen einen russischen Söldner. Die russische Justiz soll gegen den Söldner wegen Folter und Mordes eines jungen Mannes in Syrien ermitteln. Der Söldner gehört der sogenannten Wagner-Gruppe an, der besonders viele Morde an syrischen Zivilisten vorgeworfen werden. Die Strafanzeige wurde von mehreren internationalen Organisationen unterstützt, die monatelang Beweise gesammelt hatten. 

USA – Sanktionen Xiaomi: Ein Gericht in Washington hat die gegen den chinesischen Smartphone-Anbieter Xiaomi verhängten Sanktionen ausgesetzt. Damit gab das Gericht dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Xiaomis statt, so LTO. Die Sanktionen waren ursprünglich vom damaligen Präsidenten Donald Trump verhängt worden. Laut Gericht waren die Sanktionen aber nicht ausreichend begründet gewesen, außerdem habe Trump seine Vollmachten überschritten.

USA – Datensammlung durch Google: Gegen Google wurde bereits letztes Jahr eine Sammelklage mit der Begründung erhoben, Google sammele auch im sogenannten “Private Mode“ personenbezogene Daten und verwerte sie. Damit verletze Google das Recht auf Privatsphäre. Google beantragte daraufhin die Einstellung des Verfahrens. Dieser Antrag wurde nun aber abgewiesen, was das Hauptverfahren einläute, so netzpolitik.org (Tomas Rudl)

Tschechien – Entschädigung von Romnija: Tschechien plant ein Gesetz, das eine einmalige Zahlung von 12.000 Euro an Romnija vorsieht, die Opfer von Zwangssterilisierung geworden waren. In den 1970er und 1980er Jahren wurden in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik die meisten Zwangssterilisationen an Romnija durchgeführt, aber auch in deren Nachfolgestaaten kam es noch zu Zwangssterilisationen. Der Gesetzentwurf wurde am 10. März nach mehreren Anläufen in erster Lesung gebilligt. Jedoch muss dieser noch vor den im Oktober anstehenden Parlamentswahlen von der Abgeordnetenkammer und dem Senat beschlossen werden, so focus.de

Australien – Klimaschutz-Klage: Vor einem australischen Gericht klagen acht Teenager und eine fast 90 Jahre alte Nonne gegen Umweltministerin Sussan Ley mit dem Ziel, die Bewilligung neuer Kohleprojekte zu verhindern. Die Umweltministerin habe gegenüber der nächsten Generation eine Schutzpflicht. Sollten die Kläger vor Gericht Erfolg haben, handele es sich um einen Präzedenzfall, der den gesamten Wirtschaftszweig beeinflussen würde. Juristen verweisen auf positive Urteile in anderen Ländern, wie in den Niederlanden, so die taz (Urs Wälterlin)

Indonesien –  Demokratie: Der Juniorprofessor Mohammad Ibrahim erläutert mit dem Rechtswissenschaftler Abdurrachman Satrio auf dem Verfassungsblog, wie die Gesundheitskrise in Indonesien von einer Krise der verfassungsmäßigen Demokratie abgelöst wurde.

Polen/Ungarn - Rechtsstaatlichkeit: Im Interview mit Rechtsprofessor Armin von Bogdandy breitet dw.com (Dimitra Kyranoudi) den Streit um die Rechtsstaatlichkeit in Europa aus. Anlass dafür waren die Klagen Polens und Ungarns vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die "Rechtsstaatsklausel". Bogdandy hält Geld zwar für ein gutes Mittel um Druck auszuüben, die Situation in den beiden Ländern sei dennoch sehr kritisch.

Sonstiges

Missbrauch in der Kirche: LTO (Pia Lorenz) spricht im Interview mit Bistumsanwalt Carsten Brennecke und Gutachter RA Björn Gercke. Es geht um die Nichtveröffentlichung eines Gutachtens über den Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bistum Köln. Durch diese Nichtveröffentlichung stehe Erzbischof Woelki unter Verdacht, etwas vertuschen zu wollen. Brennecke hält die äußerungsrechtlichen Mängel des Gutachtens allerdings für so schwerwiegend, dass er eine Veröffentlichung für rechtswidrig hält. Gercke, dessen Kanzlei mit dem Erstellen eines zweiten Gutachten beauftragt wurde, geht auf die Methode und den Umfang seiner Erhebungen ein. Gerckes Gutachten soll am 18. März vorgestellt werden.

Der Kirchenrechtler Bernhard Sven Anuth diskutiert die Missbrauchsvorwürfe im Gespräch mit deutschlandfunk.de (Christiane Florin) vor dem Hintergrund des Kirchenrechts. So sei Missbrauch im Kirchenrecht bloß ein Verstoß gegen das Zölibatsgebot, der Missbrauch von Minderjährigen werde im Codex Iuris Canonici (CIC) als Ehebruch gewertet.

Gemeinsinn und Identität: Juniorprofessor Matthias Goldmann stellt sich auf dem Verfassungsblog die Frage, wie viel Gemeinsinn die Gesellschaft verträgt. Angestoßen wurde dieser Beitrag durch Wolfgang Thierses Kritik an Identitätspolitik. Goldmann stellt diese Debatte in den Kontext der Weimarer Staatsrechtslehre.

* (Wort eingefügt am 16. 3. um 10.00 h) 

 

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lto/ela

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. März 2021: . In: Legal Tribune Online, 16.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44503 (abgerufen am: 12.11.2024 )

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