Die juristische Presseschau vom 14. August 2024: Pro­zess zu töd­li­chem Pfusch am Bau / Faeser für heim­liche Durch­su­chungen / Pausch­ge­bühr für Pflicht­ver­tei­diger ver­wei­gert

14.08.2024

Am Landgericht Köln begann der Strafprozess über eine Betonplatte, die eine Autofahrerin tötete. Innenministerin will dem BKA verdeckte Wohnungsdurchsuchungen erlauben. Verteidiger im Lübcke-Fall erhielt keine zusätzliche Pauschgebühr.

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LG Köln – Tod durch Betonplatte: An 26 Verhandlungstagen will das Landgericht Köln die strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Tod einer Autofahrerin klären, die im November 2020 auf der A 3 von einer tonnenschweren Betonplatte erschlagen wurde. Die Platte hatte sich als Teil einer Lärmschutzverkleidung infolge von Korrosion an den Halterungen gelöst. Auf dieses Problem hatte ein Gutachten unmittelbar nach dem Bau im Jahr 2008 hingewiesen. Wegen Totschlags durch Unterlassen ist zum einen ein Bauingenieur angeklagt, der damals als Bereichsleiter für die Baufirma tätig war, die die Platten anbrachte. Er soll damals das Gutachten ignoriert und unterschlagen haben. Zum Prozessauftakt ließ er erklären, dass er das Gutachten damals nicht zur Kenntnis genommen habe; schuld sei der inzwischen gestorbene damalige Bauleiter. Zum anderen sind wegen fahrlässiger Tötung zwei Mitarbeiter des Auftraggebers Straßen.NRW, eines Landesbetriebs, angeklagt. Sie hatten auch das Gutachten in Auftrag gegeben, dann aber nie nachgehakt, wo das Gutachten bleibt. FAZ (Reiner Burger) und LTO berichten. 

Rechtspolitik

Wohnungsdurchsuchungen: Die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geplante Novellierung des BKA-Gesetzes sieht neben der zuletzt diskutierten Gesichtserkennung auch die Möglichkeit heimlicher Wohnungsdurchsuchungen vor. Zudem soll das BKA auch in Wohnungen einbrechen können, um sogenannte Staatstrojaner zur Onlinedurchsuchung oder Quellen-TKÜ auf Computern und Smartphones zu installieren. Beide Befugnisse sind nur zur Verhütung eines internationalen terroristischen Anschlags und vorbehaltlich einer richterlichen Genehmigung möglich. Die taz (Christian Rath) berichtet.

In einem separaten Kommentar bezeichnet Christian Rath (taz) die Befugnis zur heimlichen Wohnungsdurchsuchung als "Tabubruch", der mehr schade als nutze. 

Gesichtserkennung: Die Pläne des Bundesinnenministeriums für einen "biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet" stellt nun auch netzpolitik.org (Tomas Rudl/Anna Biselli) vor und berichtet zudem über die hiergegen vorgebrachte Kritik.

Messer: Zu den Plänen des Bundesinnenministeriums zum Verbot des öffentlichen Tragens von Messern mit langer Klinge bringt die FAZ (Rüdiger Soldt) einen Überblick in Frage-und-Antwort-Form. Ermittler:innen fordern statt schwer kontrollierbarer Waffenverbotszonen die Schaffung eines neuen Straftatbestandes "Angriff mit einer potentiell tödlichen Waffe."

Markus Balser (SZ) mahnt in einem Kommentar zu einer schnellen Lösung. Wenn die jetzigen Vorschläge "wenigstens einige Opfer" verhinderten, "wäre das schon ein Erfolg."

Lieferketten und Menschenrechte: Im FAZ-Einspruch zeichnen die Rechtsanwälte Marc Rutloff und Eric Wagner den Weg zur jüngst in Kraft getretenen EU-Lieferkettenrichtlinie nach. Die von der Bundesregierung geplante Anpassung des früher in Kraft getretenen deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes stehe der Richtlinie nicht im Weg. Soweit hierdurch Unternehmen mehr Zeit bekämen, ihre Strategien anzupassen, sei ihnen dringlich zu raten, dies auch zu tun.

Justiz

OLG Frankfurt/M. zu Pauschgebühr für Pflichtverteidigung: Am Oberlandesgericht Frankfurt/M. ist der Pflichtverteidiger des im Mordfall Walter Lübcke Mitangeklagten mit dem Versuch gescheitert, über die bereits erhaltene Vergütung von 41.000 Euro hinaus eine weitere Pauschgebühr von ca. 60.000 Euro zu bekommen. Das OLG legte in seinem von Anfang März stammenden, nun veröffentlichten Beschluss dar, dass die Bewilligung einer Pauschgebühr dazu diene, ein anwaltliches Sonderopfer auszugleichen. Hierfür bestehe vorliegend jedoch kein Anlass, da die Aufbereitung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft die Einarbeitung in den Prozessstoff erleichtert habe. Weitere behauptete Nachteile des Anwalts, wie die Kündigung seines Mietvertrages oder der erzwungene Austritt aus dem Karnevalsverein, gehörten zum allgemeinen Geschäftsrisiko. beck-aktuell berichtet.

BVerfG – Klimaprotest: Am Bundesverfassungsgericht sind Verfassungsbeschwerden von Mitgliedern der Letzten Generation anhängig, die durch ihre strafrechtlichen Verurteilungen wegen Nötigung ihre grundgesetzliche Versammlungsfreiheit verletzt sehen. Rechtsprofessor Thomas Groß legt im Verfassungsblog dar, dass es systemwidrig wäre, einfachgesetzliche Wertungen zur bei der Nötigung erforderlichen Gewalt über den verfassungsmäßigen Schutz friedlicher Versammlungen zu stellen. 

BGH zu Prämiensparvertrag/Zinsberechnung: Für den Recht und Steuern-Teil der FAZ fassen Rechtsanwalt Michael Rohls und Rechtsanwältin Elisabeth Weber Inhalt und Kernaussagen des vor einem Monat verkündeten Grundsatzurteils des Bundesgerichtshofs zur Zinsberechnung bei Prämiensparverträgen mit unwirksamen Zinsanpassungsklauseln zusammen. Der Beitrag führt weitere Konstellationen um Prämiensparverträge an, deren gerichtliche Klärung noch aussteht.

BVerwG – IZH-Verbot: Beim erstinstanzlich zuständigen Bundesverwaltungsgericht hat der Trägerverein des Islamischen Zentrums Hamburg Klage gegen die Verbotsverfügung von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) aus dem Juli erhoben. Die für das Verbot angegebene Begründung, das IZH sei der verlängerte Arm der iranischen Regierung, beruhe auf "Unterstellungen", so die Klageschrift laut LTO. Hauptziel der Klage sei die Wiedereröffnung der Iman-Ali-Moschee, auch Blaue Moschee genannt, um schiitischen Glaubensangehörigen auch weiterhin die Religionsausübung zu ermöglichen. 

OLG Frankfurt – Umsturzpläne/Reuß: Nach der Sommerpause nahm die Ex-Richterin und Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann am Oberlandesgericht Frankfurt/M. erstmals ausführlich zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung. Die Juristin bezeichnete die von der Anklage behaupteten Pläne zum Sturm des Parlaments als "Ammenmärchen". Bei den beanstandeten, durch sie zu verantwortenden Einschleusungen von Mitverschwörern in das Parlamentsgebäude habe es sich um gewöhnliche Bundestagsführungen gehandelt, die sie als Dienst am Volk verstanden habe. LTO berichtet.

OLG Oldenburg zu Google-Bewertung: Die negative Google-Bewertung der gegnerischen Anwältin ist unzulässig, wenn der Bewertende nicht offenlegt, dass er mit der bewerteten Anwältin gar kein Mandatsverhältnis hatte. Nur mit dieser Klarstellung hätte laut Oberlandesgericht Oldenburg die Meinungsfreiheit den Eingriff in das Recht am ausgeübten Gewerbebetrieb der Anwältin überwogen. beck-aktuell berichtet.

LG Berlin I – Angriff auf Franziska Giffey: spiegel.de berichtet, dass die Berliner Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen zum Angriff auf die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) mit dem Ergebnis abgeschlossen hat, dass der 74-jährige Täter vermutlich im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt habe. Weil die Gefahr nicht auszuschließen sei, dass er weitere Taten begehe, müsse nun das Landgericht Berlin I über eine Unterbringung des Mannes befinden.

LG Halle zu rechtsextremen Überfall auf Volksfest: In ihrer Reihe Akteneinsicht erinnert die SZ (Annette Ramelsberger) an einen rechtsradikalen Überfall auf eine syrischstämmige Familie auf einem Volksfest in Eisleben. Erst auf öffentlichen Druck wurde die lange verschleppte Anklage dem Landgericht Halle zugewiesen, das 2014 zwei der Täter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilte.

LG Bonn – Cum-Ex/Kronzeuge: Nach Informationen des Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) steht das Landgericht Bonn unmittelbar vor der Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Steueranwalt S., der bislang in zahlreichen anderen Cum-Ex-Verfahren als Kronzeuge aufgetreten war. Seine Kenntnisse der Steuertricksereien habe er in einer mit Hanno Berger zusammen betriebenen Kanzlei angewendet. Der Angeschuldigte habe nun seine Verteidigung gewechselt und Gerhard Strate mandatiert.

AG Berlin-Tiergarten – Klimaprotest: Die Welt (Philpp Woldin) berichtet über ein aktuelles Verfahren gegen eine Klimaaktvistin am Berliner Amtsgericht Tiergarten. Die dort angeklagte, besonders umtriebige Aktivistin habe den Prozess in gewohnter Weise zu einem Vortrag über das Anliegen der Letzten Generation genutzt. Im Allgemeinen kämpfe die Gruppe aber gegen Bedeutungsverlust.

AG Leipzig – Melanie Müller: Der Strafprozess gegen die Schlagersängerin Melanie Müller wegen öffentlichem Zeigen des Hitler-Grußes ist am Amtsgericht Leipzig vertagt worden. Grund war das Ausbleiben einer Zeugin, so spiegel.de.

AG München zu Rücktritt von Pauschalreisevertrag: Über das nun veröffentlichte, Anfang Februar verkündete Urteil des Amtsgerichts München, nach dem bloßes Nichterscheinen am Flugplatz nicht als konkludenter Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag gewertet werden kann, berichtet nun auch LTO.

VG Minden zu anwaltlichem Versorgungswerk: Bei der Bemessung der Beitragshöhe für ein anwaltliches Versorgungswerk sind sämtliche Einkünfte zu berücksichtigen. Dementsprechend muss auch die Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit in einer Bezirksvertretung berücksichtigt werden, so das Verwaltungsgericht Minden in einem nun veröffentlichten Urteil vom Beginn des Jahres. beck-aktuell (Joachim Jahn) berichtet.

VG Freiburg zu "Freiwillig 30"-Schildern: Das Verwaltungsgericht Freiburg hat in der vergangenen Woche Eilanträge gegen behördliche Anordnungen zur Entfernung privater "Freiwillig 30"-Schilder abgewiesen. Die Gestaltung der Schilder lasse nicht auf den ersten Blick erkennen, dass sie keine amtlichen Vorschriftszeichen seien, schreibt beck-aktuell über die nicht rechtskräftigen Beschlüsse.

Recht in der Welt

IGH/Israel – Besatzung palästinensischer Gebiete: Die Doktorand:innen Alina Funk und Ammar Bustami untersuchen auf dem Verfassungsblog wirtschaftliche Implikationen des im vergangenen Monat veröffentlichten Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs zur Rechtswidrigkeit der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete. Das Gericht habe erstmals den völkerrechtlich zwingenden Charakter des Selbstbestimmungsrechts der palästinensischen Bevölkerung anerkannt. Hieraus folgten Konsequenzen für Drittstaaten, die Israel durch Handel mit Produkten aus Ressourcen des besetzen Gebiets unterstützen. Weder die EU noch die Bundesrepublik sollten insoweit Sanktionen "in blinder Anwendung einer falsch verstandenen Staatsräson" ausschließen.

Südafrika – Tötung von Nick Frischke: Im Februar 2023 verschwand der deutsche Tourist Nick Frischke auf einer Wanderung zum Tafelberg im südafrikanischen Kapstadt. Nun beginnt ein Prozess gegen vier Angeklagte, die zugegeben haben, den 23-Jährigen ausgeraubt zu haben, seine Tötung jedoch in Abrede stellen. Zum Prozessauftakt habe der Verteidiger der mehrfach vorbestraften Angeklagten erklärt, sich wegen eines ethischen Konflikts von der Vertretung zurückziehen zu müssen. Gleichwohl soll das Verfahren am morgigen Donnerstag fortgesetzt werden, schreibt die FAZ (Claudia Bröll).

Juristische Ausbildung

Fremdsprachen: LTO-Karriere (Sabine Olschner) beschreibt an Beispielen wie die Kenntnis außergewöhnlicher Sprachen bei der Spezialisierung als Anwält:in genutzt werden kann. An der Uni Passau sei die Fremdsprachen-Ausbildung besonders gut in das juristische Studium integriert.

Sonstiges

Austausch des Tiergartenmörders: LTO (Markus Sehl/Max Kolter) rekapituliert die Vorgänge um den jüngst vereinbarten "XXL-Gefangenenaustausch", bei dem der als Tiergartenmörder verurteilte Wadim Krassikow in seine russische Heimat abgeschoben wurde. Nach einhelliger Meinung von Experten bilde der zur Begründung herangezogene § 456a Strafprozessordnung zwar eine hinreichende Rechtsgrundlage, passe angesichts der besonderen Konstellation "aber eigentlich nicht". Vorzugswürdig wäre eine Ergänzung der Norm im Sinne von § 153d StPO, nach dem Ermittlungen bei einer Gefahr für die Bundesrepublik eingestellt werden können.

Corona/RKI-Protokolle: Nach der im Feuilleton der FAZ vertretenen Ansicht von Rechtsprofessorin Frauke Rostalski kommt die "juristische Dimension des Leaks" der Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts in "Politik, Wissenschaft und Medien" bislang nur unzureichend zur Geltung. Die Veröffentlichung belege zahlreiche Beispiele, bei denen wissenschaftliche Erkenntnisse bei der Begründung freiheitseinschränkender Maßnahmen durch die Politik "nicht beziehungsweise nicht umfassend vorgetragen" worden seien. Dies habe Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung von Maßnahmen und erschüttere darüber hinaus auch das Vertrauen der Bürger:innen.

Lawfare: Für den Recht und Steuern-Teil der FAZ erklärt Rechtsanwalt Jörg Risse das Phänomen "Lawfare" als "legitimes Mittel zur Mobilisierung der öffentlichen Meinung". Würden strategische Prozesse mit einem geschickten Storytelling verbunden, könnten betroffene Unternehmen ungeachtet etwaiger juristischer Erfolge eigentlich nur verlieren. Daher seien sie auf "proaktive Pressearbeit und eine glaubwürdige ESG-Geschäftspolitik" angewiesen. ESG steht für Environmental, Social und Governance.

Weltverbesserung: Im Frühjahr brachten die Rechtsprofessorin Nora Markard und der Journalist Ronen Steinke das Buch "Jura not alone" heraus, das an Beispielen aufzeigen will, wie Recht dazu beitragen kann, konkrete Verbesserungen herbeizuführen. Mit Markard spricht der SWR-RadioReportRecht (Max Bauer) und geht hierbei insbesondere auf den Fall der Journalistin Birte Meier ein, die mit dem ZDF über geschlechtergleiche Entlohnung stritt.

Digitaler Nachlass/Gaming Accounts: Rechtsprofessorin Susanne Lilian Gössl untersucht auf beck-aktuell, inwiefern Gaming-Accounts auf einschlägigen Plattformen vererbbar sind. Ausgehend von den zwei BGH-Entscheidungen über das Facebook-Konto einer Verstorbenen dürfte das Prinzip der Universalsukzession gelten und damit einen Anspruch auf Zugang zum Account begründen. Dies umfasse wohl auch bestehende Verträge über erworbene Spiele und sollte Plattformanbieter veranlassen, ihre diesbezüglichen AGB zu überarbeiten.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 14.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55205 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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