Vor 100 Jahren ergingen sehr milde Urteile nach Hitlers Putschversuch. Nach der Teillegalisierung von Cannabis ergeben sich praktische Folgeprobleme. Demnächst beginnen drei Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Gruppe um Prinz Reuß.
Thema des Tages
Rechtsgeschichte – Hitler-Prozess: Am 1. April 1924 verkündete das Volksgericht München I sein Urteil gegen Adolf Hitler, Erich Ludendorff und weitere Teilnehmer des sogenannten Hitler-Putsches vom 9. November des Vorjahres. Hitler sowie drei weitere Angeklagte wurden für den Hochverrat nur zu je fünf Jahren Festungshaft verurteilt; die Angeklagten Röhm und Frick sowie drei weitere Angeklagte erhielten Strafen zu je einem Jahr und drei Monaten Festungshaft wegen Beihilfe zum Hochverrat. Ludendorff wurde freigesprochen. In einem Gastbeitrag für beck-aktuell legen Franz Josef Düwell, Vorsitzender Richter a.D. am BAG und Sebastian Felz vom Forum Justizgeschichte zahlreiche Gründe dar, die die Entscheidung zu einer Rechtsbeugung durch Richter Georg Neithardt machen. So hatte das Gericht seine Zuständigkeit aufgrund einer bayerischen Verordnung zuungunsten des eigentlich zuständigen Staatsgerichtshofes in Leipzig angenommen, es hatte maßgebliche Tatkomplexe unberücksichtigt gelassen und schleßlich auch bei der Strafzumessung des hochverräterischen Unternehmens eine nicht mehr zu vertretende Milde walten lassen. Dies gipfelte in der Behauptung, die Angeklagten wären "bei ihrem Tun von rein vaterländischem Geiste und dem edelsten selbstlosen Willen geleitet" gewesen. Mit dieser "Argumentationsakrobatik" gelang es dem Gericht auch, die nach dem Republikschutzgesetz zwingende Ausweisung des Österreichers Hitler zu vermeiden, da dieser "deutsch denkt und fühlt."
Rechtspolitik
Cannabis: Nach dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes stellt sich potentiell Konsumierenden die Frage nach dem Bezug des Rauschmittels, denn die sogennanten Cannabisclubs dürfen ihren Betrieb erst im Juli aufnehmen. Bis dahin müssen Pflanzen selbst angebaut werden oder Cannabis doch auf dem Schwarzmarkt gekauft werden. Der Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes fordert die zügige Ingangsetzung der sogenannten zweiten Säule , die versuchsweise Erprobung des Verkaufs in Fachgeschäften. Hierzu existiere bislang nur ein Eckpunktepapier des Ministeriums, das keinen Zeitplan zum weiteren Ablauf nennt. Die SZ (Tim Frehler/Thomas Kirchner) berichtet.
Arbeitsrechtliche Aspekte des Cannabisgenusses führt spiegel.de (Florian Gontek) unter Bezugnahme auf Einschätzungen von Rechtsprofessor Michael Fuhlrott auf. Während der Konsum grundsätzlcih Privatsache ist, dürfte die arbeitgeberische Fürsorgepflicht den Gebrauch bei, während und vor der Arbeit in sicherheitsrelevanten Bereichen untersagen. Dabei sollten Betriebsvereinbarungen genutzt werden.
Künstliche Intelligenz/Kennzeichnungspflicht: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) befürwortet eine Kennzeichnungspflicht für Fotos und Videos, die durch KI-Tools erzeugt wurden. Hierdurch würde die Einordnung als Kunstwerk bzw. Abbild der Wirklichkeit erleichtert, so Buschmann laut FAZ.
Justiz
OLG Frankfurt/OLG Stuttgart/OLG München – Umsturzpläne/Reuß: Mit entsprechenden Beschlüssen haben die Oberlandesgerichte Frankfurt/M., Stuttgart und München die Hauptverfahren gegen 26 mutmaßliche Mitglieder der "Gruppe Reuß" wegen des Vorwurfs der Gründung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eröffnet. Die vermeintlichen Rädelsführer der Gruppe, unter ihnen die Berliner Richterin und frühere Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann (AfD), müssen sich in Frankfurt/M. verantworten. Das dortige Verfahren beginnt am 23. Mai, bis zum Januar des nächsten Jahres sind 48 Termine anberaumt. Die gleiche Terminanzahl ist am OLG Stuttgart geplant, wo gegen den militärischen Arm der Gruppe verhandelt werden soll. Am OLG München schließlich wird zwischen dem 18. Juni und Januar 2025 gegen weitere acht Angeklagte verhandelt. LTO berichtet.
EuGH zu personalisierter Onlinewerbung: Nun stellt auch Rechtsanwalt Stefan Peintinger im Recht und Steuern-Teil der FAZ die Anfang März verkündete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Anwendbarkeit der Datenschutzgrundverordnung im Falle personalisierter Onlinewerbung vor. Mittelständische Unternehmen, die künftig sogenannte Echtzeit-Werbung schalten wollen, dürften mit den nun statuierten Anforderungen überfordert sein. Es bleibe auch abzuwarten, wie der im Fall unterlegene Verband auf diese Entwicklung reagiere.
BGH zu Handelsregisterdaten: Ein Anspruch auf Löschung der im Handelsregister vermerkten persönlichen Daten eines Geschäftsführers ergibt sich weder aus der Datenschutzgrundverordnung noch aus anderen nationalen Regelungen. Dies entschied nach Bericht von beck-aktuell der Bundesgerichtshof bereits im Januar. Der Antragsteller hatte erfolglos behauptet, dass die Veröffentlichung seine Sicherheit gefährde.
LSG Nds-Bremen zu Haftung für Sozialleistungssbetrug: Nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen haftet eine vormalige Leistungsempfängerin für den von ihrem früheren Lebensgefährten begangenen Sozialleistungsbetrug und muss daher zu viel geleistete Beträge zurückzahlen. Die Frau hatte ihren damaligen Partner während des Leistungsbezuges mit der Kommunikation gegenüber dem Jobcenter beauftragt und diese Vollmacht gegenüber der Behörde nie widerrufen. Der Mann hatte es derweil unterlassen, dem Amt die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit seiner Lebensgefährten zu melden und die weiterlaufenden Zahlungen selbst in Empfang genommen. Über den mit "Grundsatzfragen des BGB AT" gespickten "Fall mit Prüfungspotenzial" berichtet LTO.
AG Dresden zu Btm-Handel: bild.de (Bernhard Schilz) berichtet über den "ersten Strafrabatt nach der Cannabis-Freigabe". Am Amtsgericht Dresden wurde ein Drogenkurier, der seiner 17-jährigen Freundin einen Joint überließ, vor einer Polizeikontrolle flüchtete und eine unbeträchtliche Menge Cannabis und Crystal Meth besessen hatte, nach einer mehrmonatigen Untersuchungshaft zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Dabei wurde die neue Rechtslage angewandt. Allein für die Abgabe von Cannabis an Minderjährige gab es früher ein Jahr Haft, der Angeklagte kam jedoch mit der neuen Mindeststrafe von 3 Monaten davon.
Recht in der Welt
Niederlande – Shell und Klima: In Den Haag begann das Berufungsverfahren im Fall des Ölkonzerns Shell. Dieser war 2021 dazu verurteilt worden, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent zu senken, erinnert die taz (Tobias Müller). In seinem Eröffnungsstatement habe das Unternehmen nun argumentiert, dass dem angefochtenen Urteil die "juristische Grundlage" fehle. Klimaschützende Maßnahmen einzuführen, sei Sache des Gesetzgebers.
Ukraine – russische Kriegsverbrechen: In Den Haag trafen sich Abgesandte verschiedener Institutionen, um über den Fortgang strafrechtlicher Ermittlungen zu Kriegsverbrechen infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine zu beraten. Nach Einschätzung des federführenden niederländischen Außenministeriums sind bislang mehr als 100.000 Kriegsverbrechen dokumentiert. Dies berichtet die taz (Tanja Tricarico).
Ronen Steinke (SZ) stellt in einem Kommentar in Frage, ob das unbedingte Verlangen der Ukraine, Strafverfahren unter eigener Regie zu betreiben – und hierbei oft auf die Anwesenheit von Angeklagten zu verzichten – "auch klug ist." Es beeinträchtige vielmehr die internationale Akzeptanz der Verfahren. Besser wäre es, den Internationalen Strafgerichtshof mehr einzubinden. Mehr Unabhängigkeit bringe auch mehr Glaubwürdigkeit der Strafverfolgung.
Italien – Justizreform: Die von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angeführte italienische Regierung hat die Einführung von "psychologischen Test für Richter und Staatsanwälte" beschlossen, schreibt LTO. Weder Ausgestaltung noch mögliche Konsequenzen der ab 2026 geltenden Maßnahme seien bislang bekannt. Justizminister Carlo Nordio habe darauf hingewiesen, dass derartige Tests in Polizeischulen üblich seien. Gleichwohl ist die Ministerpräsidentin wiederholt mit Kritik an einer "politisierten Richterschaft" aufgefallen.
Österreich – Spionage: Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat Untersuchungshaft gegen den am Karfreitag festgenommenen Egistio Ott angordnet. Ott war bis 2017 Chef des später aufgelösten Bundesamts für Verfassungsschutz. Nun wird gegen ihn wegen des Vorwurfs der Spionage "zum Nachteils Österreichs" ermittelt, nachdem britische Behörden Zusammenhänge zwischen ihm und einem Kontaktmann des in Russland vermuteten Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek herstellten. Marsalek soll schon zehn Jahre für Russland gearbeitet haben. Die FAZ (Stephan Löwenstein) berichtet.
USA – Abtreibungen: Sofia Dreisbach (FAZ) beschreibt im Leitartikel, wie die Abtreibungsdebatte in den USA "zu einem Machtkampf entlang parteipolitischer Linien geworden ist." Nicht erst die letztwöchige Anhörung am Supreme Court über die Verfügbarkeit einer Abtreibungspille habe die "politische Polarisierung des Landes" deutlich gemacht. Nach der nun zwei Jahre zurückliegenden Grundsatzentscheidung des Supreme Courts würden Bestimmungen über Abtreibungen nicht mehr rechtlich Grundsätzen folgen, sondern im Rahmen von "Überbietungswettkämpfen der Republikaner" entschieden. Dementsprechend werde die Thematik auch im Wahlkampf – von beiden Parteien – behandelt.
USA – Google-Inkognitomodus: Die FAZ (Gregor Brunner) berichtet über eine in den USA per Vergleich beendete gerichtliche Auseinandersetzung über Verbraucherinformationen beim Google-Browser Chrome. Nach der Einigung verpflichtet sich das Unternehmen, den Informationstext über Datenerhebungen im sogenannten Inkognitomodus anzupassen und ältere Browserdaten zu löschen. Die klägerische Schadensersatzforderung von fünf Milliarden Dollar wurde auf dieser Grundlage abgewiesen.
USA – P. Diddy: Die SZ (Jürgen Schmieder) schreibt über die in den USA gegen den Musiker und Unternehmer Sean Combs alias P. Diddy im Raum stehenden Vorwürfe. In einer Zivilklage hat ihn ein Kollege als "Anführer eines gefährlichen vor allem weitreichenden Menschenhandelsrings" beschrieben, dem mehrere Vergewaltigungen und andere Straftaten anzulasten seien. Nach einer in anderem Zusammenhang erfolgten Festnahme eines Mitglieds seiner Entourage hatten Bundesbehörden in der vergangenen Woche verschiedene Anwesen Combs durchsucht.
Juristische Ausbildung
Online-Lernen: Zeitgemäße Lernangebote für Jura-Studierende stellt LTO-Karriere (Sabine Olschner) vor. Der Beitrag behandelt Lerntools wie digitale Karteikarten, nennt Adressen für Linksammlungen und empfiehlt Online-Gesetzesbücher.
Sonstiges
Bundeszwang: LTO (Christian Rath) erklärt die Voraussetzungen, mögliche Anwendungsfälle und das Verfahren des in Art. 37 Grundgesetzes geregelten Bundeszwangs. Dessen historisches Vorbild, die Reichsexekution der Weimarer Verfassung, erwecke zwar "ungute Assoziationen". In Anbetracht denkbarer Wahlsiege der AfD könne das in der Bundesrepublik noch nie angwandte Mittel aber die freiheitlich-demokratische Grundordnung sichern. Etwaige Maßnahmen wären in jedem Fall vorübergehender Natur. Dem betroffenen Bundesland stünde der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht offen. Die "starke Reservefunktion des Bundeszwangs" spreche für einen Verzicht auf voreilige und kontraproduktive Präventivmaßnahmen wie ein AfD-Verbot.
Investitionsschutz: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ stellen die Rechtsanwälte Markus Perkams und Boris Scholtka das Konzept eines "proaktiven Investitionsschutzes" vor, mit dem "mangelnde Akzeptanz und Kommunikation zwischen Investoren und den betroffenen Interessengruppen" bereits im Vorfeld von Investitionen verringert wird. Durch Kontaktaufnahmen "mit allen relevanten Interessengruppen" und frühzeitige Transparenz lasse sich denkbaren Konflikten vorbeugen.
Nötigung: Postdoktorand Siegmar Lengauer unternimmt auf dem Verfassungsblog als "in Österreich sozialisierter Jurist" einen rechtsvergleichenden Blick auf den Gewaltbegriff des deutschen Nötigungstatbestandes. Während im Nachbarland bezüglich des Gewaltbegriffes an der sogenannten Körperlichkeitstheorie, nach der rein passives Verhalten keine Gewalt sein kann, festgehalten werde, würde diese hierzulande in der sogennanten Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgeweicht. Auch und gerade bei Klimaprotesten sei die hierzu entwickelte Lehre vom psychischen Zwang kategorisch abzulehnen. Die Gleichsetzung eines solchen Zwangs mit körperlichem Zwang verstoße "gegen das Verbot der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen."
Verfassungsrichter Hans Kelsen: Im Geisteswissenschaften-Teil der FAZ weist Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz auf eine Abhandlung von Peter Techet hin, der in "Der Staat" untersuchte, wie die rechtstheoretischen Erkenntnisse Hans Kelsens dessen Tätigkeit als österreichischer Verfassungsrichter beeinflussten. Wie Positionen argumentativ durchgesetzt und wie sie in der Öffentlichkeit aufgenommen wurden, zeige Techet anhand zahlreicher Protokolle aus nichtöffentlichen Sitzungen.
Das Letzte zum Schluss
Kein Platz an der Sonnenfinsternis: Am nächsten Montag verdunkelt eine totale Sonnenfinsternis Teile Nordamerikas während des dortigen Nachmittags. Keinesfalls entgehen lassen wollen sich dieses eher seltene Naturschauspiel sechs Insassen eines Gefängnisses im US-Bundesstaat New York. spiegel.de berichtet, dass die Häftlinge Klage gegen die Justizbehörde erhoben haben, weil diese beschlossen hatte, dass am Montag die für Feiertage übliche Regelung gelte, nach der Häftlinge am Nachmittag in den Zellen zu verbleiben haben. Die somit verunmöglichte Besichtigung der Sonnenfinsternis behindere die Ausübung ihres Glaubens, so die Kläger. Sie argumentieren, dass in verschiedenen religiösen Kontexten ein Ereignis beschrieben werde, das einer Sonnenfinsternis ähnele.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 3. April 2024: . In: Legal Tribune Online, 03.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54239 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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