Das BVerfG beanstandete zwei Normen des BKA-Gesetzes zur Datenspeicherung. Das LAG Stuttgart gab einer Managerin nur teilweise Anspruch auf Ausgleich der Lohndifferenz. Das Strafverfahren gegen Martin Winterkorn ist vorläufig geplatzt.
Thema des Tages
BVerfG zu BKA-Gesetz: Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat zwei Normen der im Mai 2018 in Kraft getretenen Novelle des BKA-Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Bei den Regeln für die Datenweitergabe im polizeilichen Informationsverbund wurde § 18 BKA-Gesetz beanstandet. Die bloße Eigenschaft als "Beschuldigter" in einem Ermittlungsverfahren genüge nicht für die Aufnahme in eine BKA-Verbund-Datei. Hier sei die Eingriffschwelle zu niedrig, erforderlich sei auch eine "Negativprognose" der Polizei. Zudem wurde an der Umsetzung des BVerfG-Urteils zum BKA-Gesetz von 2016 die Regelung zur Speicherung von Kontaktpersonen zu terroristischen Gefährder:innen in § 45 BKA-Gesetz beanstandet. Auch hier sei die Eingriffschwelle zu niedrig angesetzt. Die beanstandeten Regelungen gelten in eingeschränkter Weise vorläufig weiter, müssen jedoch spätestens bis zum 31. Juli des nächsten Jahres ersetzt werden. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath), LTO (Joschka Buchholz), Tsp (Jost Müller-Neuhof/Christiane Rebhan), tagesschau.de (Klaus Hempel) und netzpolitik.org (Constanze Kurz). spiegel.de (Dietmar Hipp) bringt eine Analyse, Rechtsprofessor Sebastian Golla befasst sich auf dem Verfassungsblog vertieft mit den – nun beanstandeten – polizeilichen Datenspeicherungen.
Reinhard Müller (FAZ) macht in seinem Kommentar "organisierten juristisch-politischen Aktivismus" mitverantwortlich dafür, dass "nahezu jedes sensible Gesetz beim Bundesverfassungsgericht landet". Auch bei der zu erwartenden nächsten Beanstandung solle nicht außer Acht gelassen werden, dass die Befugnisse dem "Schutz der Freiheit" dienten. Wolfgang Janisch (SZ) zeigt sich irritiert über "die Beharrlichkeit, ja Sturheit", mit der Bund und Länder "bei wirklich jedem Sicherheitsgesetz die Grundrechte strapazieren." Für Max Bauer (tagesschau.de) sind die im Urteil enthaltenden Abwägungen "Gold wert", da sie die Sammlung von "Daten über Straftäter und Gefährder" im Grundsatz ermöglichten und gleichzeitig rechtsstaatliche Prinzipien wahrten. Christian Rath (taz) zweifelt dagegen am praktischen Nutzen Karlsruher Urteile zum Polizeirecht. "Mal sehen, wie der Bundestag die nun von Karlsruhe geforderte ‘Negativprognose’ regelt. Vermutlich so, dass mindestens 15 Aspekte zu berücksichtigen sind und am Ende die Polizist:innen doch machen können, was sie für verhältnismäßig halten."
Rechtspolitik
Singularzulassung: Aus Anlass des jüngsten Beschlusses der Bundesrechtsanwaltskammer, die mit knapper Mehrheit für eine Abschaffung der sogenannten anwaltlichen Singularzulassung am Bundesgerichtshof gestimmt hatte, beschreibt Rechtsanwalt Philipp Heinrichs für LTO das aktuelle Verfahren einer solchen Ernennung. Trotz anhaltender Reformversuche habe sich das System bislang bewährt und auch die Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts gefunden, zuletzt in einer Entscheidung von 2017. Der Deutsche Anwaltverein habe sich zur neuen Entwicklung noch nicht positioniert. "Aufgrund der aktuellen politischen Lage und augenscheinlich vorrangiger Themen" aus anderen Bereichen sei auch nicht zu erwarten, dass der Bundesjustizminister die Angelegenheit hoch priorisiere, so die Einschätzung des Autors.
beck-aktuell (Pia Lorenz) berichtet derweil, dass der BRAK-Beschluss offenbar fehlerhaft ist. Bei der erst seit kurzem geltenden Regelung, die die Stimmen der mitgliederstärkeren Kammern stärker gewichtet, sei das elektronische Wahlsystem fehlerhaft konfiguriert worden. Der RAK Berlin, die den Antrag einbrachte, sei dabei eine (Wahl-)Stimme zuviel zuerkannt worden. Da eine Korrekturbefugnis des Präsidiums nicht existiere, müsse nun wohl erneut abgestimmt werden.
AfD-Verbot: Über die Arbeit an einem Antrag von Bundestagsabgeordneten für ein Verbot der AfD berichtet nun auch spiegel.de (Florian Gathmann u.a.) vertieft. Die Gruppe um Marco Wanderwitz (CDU) habe untereinander vereinbart, bis zur offiziellen Vorstellung des Antrags keine Stellungnahmen abzugeben, daher seien zur Zeit vorwiegend kritische Stimmen zu vernehmen. zeit.de (Eva Ricarda Lautsch/Christian Parth) bringt einen Überblick in Frage-und-Antwort-Form.
Heinrich Wefing (Zeit) begrüßt es, dass sich der Bundestag demnächst mit der Frage beschäftigen wird. Auch wenn "manches" für ein Verbot spreche, spreche "noch mehr gegen ein Verbot der AfD, sowohl juristisch wie politisch." Die jüngsten Vorgänge im Thüringer Landtag seien zwar beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik, hätten aber gleichwohl das Funktionieren der Institutionen bestätigt.
Resilienz des BVerfG: Aus Anlass der gesetzgeberischen Pläne für eine institutionelle Stärkung des Bundesverfassungsgerichts befragt die FAZ (Marlene Grunert) den ehemaligen Verfassungsrichter Peter Müller zu seinem Blick auf das Vorhaben. Der frühere Ministerpräsident hält ein Zustimmungserfordernis des Bundesrats bei Änderungen des BVerfG-Gesetzes für sinnvoll und bedauert, dass das Zweidrittelerfordernis bei der Richterwahl nicht in das Grundgesetz aufgenommen werden soll.
Bürokratieabbau: Anlässlich der Überreichung des Jahresberichts des Nationalen Normenkontrollrats an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) forderten die Teilnehmenden weitere Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie bzw. lobten sich für die diesbezüglich eingeleiteten Schritte. Einzelheiten berichten FAZ (Corinna Budras) und Hbl (Heike Anger).
Sperrklausel: In einer Nachlese zur Wahl in Brandenburg legt Rechtsprofessor Thorsten Kingreen auf dem Verfassungsblog dar, dass eine Sperrminorität der AfD verhindert worden wäre, hätte im Land eine Sperrklausel von drei Prozent – statt fünf Prozent – gegolten. Angesichts von mehr als 200.000 Stimmen in Brandenburg, die ohne "irgendeinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments" blieben, sollte dies Anlass geben, im Land, aber auch im Bund über eine Absenkung der Sperrklausel nachzudenken.
Justiz
LAG BaWü zu Equal Pay/Daimler Truck: Mit einer überraschenden Entscheidung endete das Berufungsverfahren einer Daimler Truck-Managerin, die am Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg gegen eine geschlechtsspezifische Minderbezahlung vorging. Das LAG sprach ihr einen Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem Median der weiblichen und dem Median der männlichen Mitarbeiter ihrer Ebene zu. Die Klägerin habe auch weniger als weibliche Kolleginnen verdient, so dass ihre Minderbezahlung nicht ausschließlich geschlechtsspezifische Gründe haben könne. Das LAG ließ die Revision zu, in der die von der GFF unterstützte Klägerin weiter den vollen Ausgleich zwischen ihrem Gehalt und dem der männlichen Kollegen fordern wird. SZ (Kathrin Werner) und LTO (Tanja Podolski) berichten.
LG Braunschweig – Ex-VW-Chef Winterkorn: Die erst Anfang September gestartete Hauptverhandlung gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn ist am Landgericht Braunschweig vorläufig ausgesetzt worden. Grund ist der Gesundheitszustand des Angeklagten, der nach einem häuslichen Unfall und einer nun erfolgten sachverständigen Begutachtung in den nächsten Monaten nicht verhandlungsfähig sein wird. Das LG prüfe derzeit Verhandlungstermine im nächsten Jahr. FAZ (Marcus Jung/Christian Müßgens), LTO und bild.de (Daniel Puskepeleitis) berichten.
EuGH zu Sanktionen gegen Russland/notarielle Beurkundung: Notar Carsten Cremer begrüßt auf LTO das Anfang September verkündete Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der klarstellte, dass weder die Beurkundung eines Wohnungskaufvertrages für eine russische juristische Person noch die zum Vollzug eines solchen Vertrages erforderlichen Tätigkeiten von den Russland-Sanktionen der EU umfasst sind. Die insofern geschaffene Rechtssicherheit betreffe indes nicht die Beratung bei nicht zwingend beurkundungsbedürftigen Vorgängen. Notfalls müsse in diesen Fällen weiterhin die Weisung der Aufsichtsbehörde eingeholt werden.
BGH zu Befangenheit: Wegen eines zu Unrecht abgewiesenen Befangenheitsantrags hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung zweier Brüder wegen Betrugs aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Bonn zurückverwiesen. Nach dem nun veröffentlichten Beschluss von Anfang Juni hatte die Vorsitzende Richterin mit dem Verteidiger eines der beiden Angeklagten zwar zunächst vereinbart, während dessen urlaubsbedingter Abwesenheit nur sogenannte Schiebetermine durchzuführen, sich dann jedoch nicht an die Absprache gehalten. beck-aktuell berichtet.
BGH zu rechtlichem Gehör/Berufungsablehnung: Nun berichtet auch der ZPO-Blog (Peter Bert) über einen Beschluss des Bundesgerichtshofs von Mitte Juni. Ergeht ein gerichtlicher Hinweis zur offensichtlichen Aussichtslosigkeit einer Berufung noch vor Zugang der Berufungsbegründung, verletze dies den Anspruch des Berufungsführers auf rechtliches Gehör.
OLG Frankfurt/M. zu Sorgerecht und häusliche Gewalt: Vom Vater verübte Straftaten zulasten der Mutter können die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Mutter rechtfertigen. Dies gelte insbesondere, wenn – wie in dem vom Oberlandesgericht Frankfurt/M. vor drei Wochen entschiedenen Fall – körperliche Übergriffe, Nachstellungen, Todesdrohungen und Verstöße gegen ein Näherungs- und Kontaktaufnahmeverbot auch von den betroffenen Kindern miterlebt wurden. Es berichtet LTO.
OVG NRW zu Corona-Soforthilfen/Nebenbestimmungen: Nebenbestimmungen eines Corona-Soforthilfebescheides sind nicht isoliert anfechtbar. Laut beck-aktuell stellte dies das Oberverwaltungsgericht Münster klar. Die beanstandeten Nebenbestimmungen betrafen Rückzahlungspflichten, ohne sie wären die Auszahlungen unionsrechtswidrig gewesen.
LG Stuttgart – Michael Ballweg: Ab dem heutigen Mittwoch muss sich Michael Ballweg, früheres Gesicht der Querdenken-Bewegung, am Landgericht Stuttgart gegen den Vorwurf des versuchten Betrugs in mehr als 9.000 Fällen sowie Steuerhinterziehung verantworten. Der Angeklagte soll Sympathisant:innen der Bewegung über den Verwendungszweck von Spenden getäuscht und diese insbesondere seinem privaten Vermögen zugeführt haben. Laut taz (Benno Stieber) hat das LG 30 Verhandlungstage bis weit in das nächste Jahr angesetzt.
LG Ingolstadt – Mord an Doppelgängerin: Seit Beginn des Jahres verhandelt das Landgericht Ingolstadt über die Tötung einer vermeintlichen Doppelgängerin. Während der bisherigen 44 Verhandlungstage seien verschiedenste Theorien über die Hintergründe der Tat in die Welt gesetzt worden, demnächst wolle das Gericht die Plädoyers terminieren, so die Zeit (Henrik Rampe). Gleichzeitig seien bereits verschiedene Produktionsfirmen damit beschäftigt, den Fall für True-Crime-Formate aufzuarbeiten.
LG Köln zu Zuchthund/AGB: Mit nun veröffentlichtem Urteil von Mitte Juli hat das Landgericht Köln eine AGB-Klausel einer gewerblichen Züchterin für unwirksam erklärt, durch die der Kaufpreis eines Hundewelpens um das Fünffache gestiegen wäre. Voraussetzung wäre die Zuchtfähigkeit des veräußerten Hundes gewesen. Der diesbezügliche Nachweis hätte ohne jede Einschränkung zu einem festgesetzten Termin erfolgen müssen. Hierdurch wurde die Erwerberin laut LG unangemessen benachteiligt. beck-aktuell berichtet.
LG München I zu Mordserie: In der Reihe "Akteneinsicht" erinnert die SZ (Hans Holzhaider) an Horst David, der 1995 vom Landgericht München I wegen siebenfachen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Das Motiv des geständigen Täters blieb im Dunkeln. Weil das Gericht von Habgier ausging, seien psychoanalytische Begutachtungen unterblieben. David starb 2020 in Haft.
GBA – China-Spionage durch AfD-Mitarbeiter: Im Fall des weiterhin in Untersuchungshaft befindlichen früheren Mitarbeiters Jian Guo des EU-Parlamentariers Maximilian Krah (AfD) ist eine weitere Person festgenommen worden. Der Generalbundesanwalt ließ in Leipzig die Chinesin Yaqi X. festsetzen. X. soll im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit "Informationen zu Flügen, Fracht und Passagieren" des Flughafens Leipzig/Halle gesammelt und über Jian Guo an den chinesischen Geheimdienst übermittelt haben. FAZ (Marlene Grunert), spiegel.de (Matthias Gebauer) und LTO berichten.
Cannabis-Amnestie: Die Teillegalisierung von Cannabis stellt sich "für die Justizpraxis als das befürchtete Bürokratiemonster heraus", schreibt der Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, auf beck-aktuell. Eine Umfrage der Deutschen Richterzeitung habe Fallzahlen händisch überprüfter Strafakten mit Cannabisbezug ermittelt und hierbei festgestellt, dass nur wenige Betroffene in den Genuss der mit dem Gesetz verbundenen Amnestieregelung kamen. Eine spürbare Entlastung sei angesichts der zahlreichen kleinteiligen Regelungen des neuen Gesetzes nicht zu erwarten, so "die befragten Justizministerien und Justizpraktiker."
Recht in der Welt
USA – Sturm aufs Kapitol: Nach dem Sturm auf das Kapitol hat die US-amerikanische Justiz rund 1.500 Aufrüher:innen angeklagt, zwei Drittel von ihnen wurden zu Haftstrafen verurteilt. Die Zeit (Kerstin Kohlenberg) begleitet einen von ihnen auf dem Weg vom ländlichen Kentucky in die Hauptstadt, wo er schließlich zu acht Jahren Haft verurteilt wird.
Sonstiges
VDStRL/Ulrich Vosgerau: Über den Antrag von Mitgliedern der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer, bei ihrer Jahrestagung in der nächsten Woche über eine "Distanzierung" von Ulrich Vosgerau abstimmen zu lassen, schreibt nun auch beck-aktuell. Die Satzung des Vereins sehe zwar auch die Möglichkeit eines Ausschlusses vor, darauf sei jedoch verzichtet worden. Dagegen könnte der nun zur Abstimmung stehende Text bei Annahme als Aufforderung zum Austritt verstanden werden.
Das Letzte zum Schluss
Ein Herz für Lebkuchen: Wohl zu langweilig erschienen dem Betreiber eines Standes auf einer Krefelder Kirmes die üblichen Lebkuchenherzaufschriften, seine Angebote beinhalteten "deutlich robusteres Vokabular", schreibt die SZ und führt Beispiele wie "Schlampe", "Hurensohn" und noch "Schlimmeres" an. Weil eine erste Bitte der Kirmesleitung, die Angebote zu entfernen, nicht fruchteten, erfolgte dann die Schließung des Standes auf städtische Weisung. Die Maßnahme fruchtete offenbar, mittlerweile sind die Stücke aus der Auslage entfernt und der Stand wieder geöffnet.
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Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 2. Oktober 2024: . In: Legal Tribune Online, 02.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55548 (abgerufen am: 11.11.2024 )
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