Die juristische Presseschau vom 22. Februar 2024: End­s­purt zum Cannabis-Gesetz / BKartA darf Geschäfts­ge­heim­nisse wei­ter­geben / Ex-Tinder-Nutzer:innen klagen

22.02.2024

Noch ist die Ampel-Mehrheit für die Cannabis-Abstimmung am Freitag nicht sicher. Der BGH erlaubte dem Bundeskartellamt, Betriebsgeheimnisse von Google an Konkurrenten zu geben. US-Tinder-Nutzer klagen gegen das Suchtpotenzial der App.

Thema des Tages

Cannabis: Noch ist nicht sicher, ob die Ampel-Koalition am Freitag im Bundestag eine eigene Mehrheit für den Beschluss des Cannabisgesetzes zusammenbekommt. Laut FAZ (Daniel Deckers/Friederike Haupt) haben bei einer Probeabstimmung in der SPD-Fraktion rund zwei Dutzend Abgeordnete mit Nein gestimmt. Die Unterstützung des Gesetzes bei Grünen und FDP sei aber geschlossen. Wenn die Ampel keine eigene Mehrheit hätte, wäre sie auf Stimmen der Linken-Abgeordneten angewiesen. Wie LTO (Hasso Suliak) berichtet, hat der Entwurf des Cannabisgesetzes im federführenden Gesundheitsausschuss eine Mehrheit gefunden. Doch selbst wenn der Bundestag am Freitag zustimmt, sei das geplante Inkrafttreten am 1. April fraglich, weil der Bundesrat bei diesem Einspruchsgesetz möglicherweise den Vermittlungsausschuss anruft. Der Deutsche Richterbund warnt laut zeit.de vor einer starken Belastung der Gerichte mit Amnestieverfahren. Bundesweit müssten rund 100.000 Akten überprüft werden. 

Julian Aé (spiegel.de) spricht sich für das Cannabisgesetz aus, das nur ein Minimalkonsens sei. "Es wird lediglich sichergestellt, dass erwachsene Konsumenten nicht mehr schikaniert oder eingesperrt werden – und dass sie nicht mehr gezwungen sind, sich Material zweifelhafter Provenienz auf dem Schwarzmarkt zu beschaffen." Daniel Deckers (FAZ) kritisiert Innenministerin Nancy Faeser (SPD), weil sie sich nicht der Kritik der SPD-Landesinnenminister an dem Gesetz anschloss. "Koalitionsräson geht halt vor Staatsräson."

Rechtspolitik

Abgeordnetenbestechung: Die Ampel-Koalition will den Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) durch einen neuen Straftatbestand der "unzulässigen Interessenswahrnehmung" (§ 108f StGB) ergänzen. Strafbar wären Abgeordnete auch dann, wenn sei ihre Stellung und ihre Kontakte jenseits des Mandats für Geschäfte ausnutzen. Die Höchststrafe soll bei drei Jahren liegen. An diesem Donnerstag wird der Bundestag in erster Lesung über den Gesetzentwurf beraten. Es berichten beck-aktuell (Pia Lorenz/Britta Weichlein) und LTO

Justiz

BGH zu Kartellrecht und Geschäftsgeheimnisse: In Wettbewerbsverfahren darf das Bundeskartellamt Geschäftsgeheimnisse der überprüften Firma zur Stellungnahme an Mitbewerber weitergeben, um den Markt besser zu verstehen. Dabei muss allerdings das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet werden. Dies entschied der Bundesgerichtshof und lehnte eine Klage Googles gegen das Bundeskartellamt weitgehend ab. Es berichten FAZ (Marcus Jung), beck-aktuell und LTO

EuG zu Insektizidzulassung: Das Gericht der Europäischen Union hat die um zehn Jahre verlängerte Zulassung des Insektizids Cypermethrin durch die EU-Kommission nicht beanstandet und eine Klage der NGO Pesticide Action Network (PAN) abgelehnt. PAN hatte auf eine neue Entscheidung gedrungen, weil ein Gutachten auf Gefahren für Honigbienen und Wasserorganismen hinwies. Das EuG billigte der Kommission jedoch einen weiten Beurteilungsspielraum zu. Es könne genügen, dass die Kommission die Zulassung mit Auflagen erteile, um so das Risiko auf ein vertretbares Maß zu senken. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky) und beck-aktuell

BVerfG – MdB Hahn im PKGr: Der Abgeordnete André Hahn (Linke) hat eine Organklage erhoben und einen Eilantrag gestellt, mit dem er verhindern will, dass am heutigen Donnerstag der Bundestag auf seinen Sitz im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) einen CDU/CSU-Abgeordneten wählt. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hatte entschieden, dass Hahn seinen Sitz im PKGr verloren hat, weil die Linke keine Fraktion mehr stellt. Hahn sieht sich jedoch auf vier Jahre als Geheimdienst-Kontrolleur gewählt. Die taz (Konrad Litschko/Sabine am Orde) berichtet. 

BVerwG – Kita-Finanzierung: Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt an diesem Donnerstag über eine Klage der Diakonie, die in Wuppertal 25 Kitas betreibt, aber pro Kind weniger Zuschüsse bekommt als Elterninitiativen oder andere freie Träger. Die Diakonie sieht darin eine Diskriminierung. Falls sich das BVerwG dieser Ansicht (anders als die Vorinstanzen) anschließt, müsste der Fall vermutlich dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden, weil die Ungleichbehandlung auf einem Landesgesetz beruht. LTO (Tanja Podolski) berichtet vorab. 

OVG Berlin-BB zu Projektion auf Botschaft: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat eine Eil-Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin bestätigt, wonach eine ukrainische NGO keine Kriegsbilder auf die russische Botschaft projizieren darf, meldet beck-aktuell

OVG Berlin-BB zu Klimaschutzprogrammen: Im November hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg von der Bundesregierung die Vorlage von Sofortprogrammen für die Sektoren Wohnen und Verkehr gefordert, inzwischen liegt die Begründung des Urteils vor. Im Verfassungsblog lobt der Doktorand Niklas Täuber das "sowohl verfassungs- als auch einfachrechtlich herausragende argumentative Niveau" des Urteils, mit dem auch der Klimaexpertenrat aufgewertet worden sei. Die Wirkung des Urteils sei aber vermutlich von begrenzter Dauer, weil ein Gesetzentwurf der Bundesregierung die Mechanismen der Sofortprogramme erheblich schwächen werde. 

LG Dortmund – tödlicher Polizeieinsatz gegen Mouhamed Dramé: Vor dem Landgericht Dortmund sagten mehrere Sozialarbeiter:innen der Einrichtung aus, in der der 16-jährige senegalesische Migrant lebte, als er bei einem Polizeieinsatz zu seinem Schutz mit sechs Schüssen aus einer Maschinenpistole erschossen wurde. Ein Zeuge sagte aus, Dramé sei mit einem Messer langsam auf die Polizisten zu gekommen, zwei andere Zeugen sagten, Dramé habe sich schnell bewegt oder sei sogar gerannt. Für die Frage, ob der schießende Polizist eine Notwehrlage annehmen durfte, könnte das entscheidend sein. Es berichten SZ (Christian Wernicke), FAZ (Reiner Burger) und taz (Andreas Wyputta)

LG Berlin I – § 353d StGB/Arne Semsrott: Nun berichtet auch die SZ (Wolfgang Janisch) über die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Aktivisten Arne Semsrott wegen verbotener vorzeitiger Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten, die es ihm nach einer Verurteilung ermöglichen wird, den entsprechenden § 353d Strafgesetzbuch vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. 

Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) nimmt die Anklage zum Anlass, an zwei prominente Ermittlungsverfahren gem § 353d StGB zu erinnern (die aber nicht zu Verurteilungen führten). Betroffen war zum einen der heutige Chef des Kanzleramts, Wolfgang Schmidt (SPD), zum anderen der Innenminister von Baden-Württemberg, Thomas Strobl (CDU).

LG München I – Wirecard-Anleger:innen: Beim Landgericht München I gingen im Jahr 2023 über 4.000 neue Klagen von Wirecard-Anleger:innen ein, die Schadenersatz von der Wirtschaftsprüfungsfirma EY verlangen. Sie müssen allerdings noch Jahre auf eine Entscheidung warten, weil die Verfahren bis zur Entscheidung eines Musterverfahrens am OLG München ausgesetzt sind. Das Hbl (René Bender) berichtet.

ArbG Kiel – Kündigung eines Flugverweigerers: Am heutigen Donnerstag verhandelt das Arbeitsgericht Kiel über die Kündigungsschutzklage des Verhaltensökonomen Gianluca Grimalda. Das Institut für Weltwirtschaft hatte ihm im Oktober gekündigt, weil er sich aus Klimaschutz-Gründen weigerte, seine Heimreise von einem Forschungsaufenthalt auf Papua-Neuguinea mit dem Flugzeug durchzuführen und er deshalb länger als zwei Monate unterwegs war. Die Kündigung sei nicht gerechtfertigt, so Grimalda, da er angeboten habe, unterwegs zu arbeiten. Die FAZ (Laura Albermann) berichtet. 

FG Hannover zu Betriebskosten einer Influencerin: Eine Mode-Influencerin kann ihre Ausgaben für Kleidung und Accessoires nicht als Betriebskosten steuerlich geltend machen, das entschied das Finanzgericht Hannover laut LTO. Schon die Möglichkeit einer privaten Nutzung schließe eine steuerliche Berücksichtigung aus

Recht in der Welt

EuGH zu Halloumi-Käse: Zypriotische Käsehersteller:innen haben erfolglos dagegen geklagt, dass Halloumi-Käse nur dann als regionale Bezeichnung geschützt ist, wenn er mehr Schafs- bzw. Ziegenmilch enthält als Kuhmilch. Die Kläger:innen hatten auf den Mangel an Schafen und Ziegen hingewiesen. Der EuGH sah aber keinen Grund, deshalb von traditionellen Anforderungen abzurücken. Es berichten SZ (Raphael Geiger) und FAZ (Marcus Jung). 

Großbritannien – Julian Assange: Der Londoner High Court hat nach der zweitägigen Anhörung nicht über die Auslieferung von Julian Assange an die USA entschieden, sondern den Parteien eine neue Frist bis zum 4. März eingeräumt, um weitere schriftliche Ausführungen machen zu können. Über die Anhörung berichtet die SZ (Michael Neudecker)

Stefan Kornelius (SZ) kritisiert im Leitartikel die teilweise schlecht informierten Unterstützer:innen von Assange. Dieser sei kein Journalist, sondern ein Hacker und Aktivist, der ohne Prüfung möglichst große Datenmengen veröffentlicht hat, und dabei auch vulnerable Personen gefährdete. Angeklagt sei er nicht wegen der Veröffentlichungen, sondern wegen Anstiftung zum Datendiebstahl. 

USA – Supreme Court: Rechtsprofessor Russell Miller erinnert in der FAZ an verschiedene vergangene Verfahren, in denen der US-Supreme Court den Ausgang von Präsidentschaftswahlen beeinflusste oder entschied. Außerdem zählt Miller moralische Fehlurteile des Supreme Court auf wie die Billigung rassistischer Gesetze. 

USA – Klage gegen Tinder: Fünf Nutzer:innen von Dating-Apps wie Tinder und Hinge haben gegen den verantwortlichen Dating-Konzern Match Group geklagt. Die Apps seien so konzipiert, dass man möglichst lange, möglichst viel Zeit mit ihnen verbringt und dafür bezahlt. Ihr Hauptzweck sei nicht, Dates zu vermitteln. Darüber seien sei getäuscht worden, so die Kläger:innen, auch seien sie nicht über das Suchtpotential der Dating-Apps aufgeklärt worden. Leonard Scharfenberg (SZ) berichtet. 

Sonstiges

AfD-Verbot: Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) spricht sich in der taz gegen ein AfD-Verbotsverfahren aus. Zum einen sei es "sehr schwierig nachzuweisen", dass die AfD tatsächlich und belegbar eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung darstellt. Außerdem seien Parteiverbote auch politisch fragwürdig: "Denn was nach hartem Durchgreifen klingt, ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit."

Grundrechtsverwirkung von Björn Höcke: Rechtsprofessor Winfried Kluth warnt auf beck-aktuell vor falschen Erwartungen an eine Grundrechtsverwirkung gem. Artikel 18 GG. Hiermit könne wohl nur der Ausschluss von Bundestagswahlen, nicht aber von Landtagswahlen erreicht werden. Außerdem dauere das Verfahren zu lange für anstehende Wahlen. Zur Begründung der Verwirkung dürften auch keine Aktivitäten angeführt werden, die Höcke als Parteimitglied ausgeführt hat. 

Vorsatz und Fahlässigkeit: An der FU Berlin läuft eine Untersuchung zur Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässsigkeit. Dabei wird eine offene Umfrage durchgeführt, die sich nur an Jurist:innen richtet, um deren Denkweise zu verstehen. LTO stelllt das Projekt vor. 


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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. Februar 2024: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53938 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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