Nach einem erneuten Tweet des Rechtsausschussvorsitzenden Brandner fordern Union, SPD, Grüne und FDP dessen Rücktritt. Außerdem in der Presseschau: Hamburg will das BVerfG krisenfest machen. Dieses entscheidet am Dienstag auch zu Hartz IV.
Thema des Tages
Rücktrittforderungen gegen Rechtsausschussvorsitzenden: Die Bundestagsfraktionen von Union, SPD, Grünen und FDP fordern laut Mo-SZ, zeit.de und spiegel.de den Rücktritt des Vorsitzenden des Bundestagsrechtsauschusses Stephan Brandner (AfD). In einem Tweet hatte Brandner am Donnerstag das an Udo Lindenberg verliehene Bundesverdienstkreuz einen "Judaslohn" genannt. Am Wochenende hatten zahlreiche Politiker diese Äußerung heftig kritisiert. So sagte beispielsweise Volker Ullrich, innen- und rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, Brandners Äußerungen seien unverschämt, spielten mit antisemitischen Ressentiments und seien seiner Position schlicht unwürdig. Auch über eine Abwahl Brandners wird diskutiert, berichtet die Mo-FAZ (Peter Carstens). Ob das möglich ist, sei rechtlich unklar, heißt es in der FAZ.
Rechtspolitik
Hass im Netz – Interview mit BMJV-Chefin Lambrecht: deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) hat sich mit der Bundesjustizministerin über ihre Pläne zur Bekämpfung von Hass im Netz und über die entsprechende praktische Umsetzung unterhalten. Die vorgesehene Anzeigepflicht für Soziale Netzwerke sei angelehnt an das Verfahren bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, bei dem die Banken Verdachtsmeldungen an die Financial Intelligence Unit weiterleiten müssten, erläuterte die Ministerin in dem Gespräch. Außerdem ging es im Interview um den Fortbestand der Großen Koalition und den von Hamburg angekündigten Vorstoß zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichtes.
Stärkung des Bundesverfassungsgerichtes: Hamburg will im Rahmen der in dieser Woche tagenden Justizministerkonferenz einen Beschlussvorschlag zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichtes einbringen. Das meldet der Spiegel (Ralf Neukirch). Das Papier schlägt vor, das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit für die Verfassungsrichterwahl im Grundgesetz zu verankern und die Autonomie des Gerichts hinsichtlich der internen Geschäftsverteilung zu stärken.
Maßnahmenpaket gegen rechts: Jost Müller-Neuhof (Tsp) hat sich die neun Punkte des in der vergangenen Woche im Kabinett beschlossenen Maßnahmenpaketes gegen Rechtsextremismus angeschaut und gelangt dabei zu der Einschätzung, dass bei genauerer Betrachtung aus einem Paket eher ein Päckchen werde - das aber wenigstens an die richtige Adresse, nämlich das Internet gehe.
Entwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens: Opferbeauftragte kritisieren laut einer Meldung des Spiegels (Wolf Wiedmann-Schmidt) die im Gesetzentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens vorgesehene Beschränkung der Zahl der Nebenklagevertreter. Roland Weber, Opferbeauftragter des Landes Berlin, bezeichnete das Vorhaben der Großen Koalition als "rückschrittlich". Es stehe auch im Widerspruch zu Versprechen der Bundesregierung, die nach dem Breitscheidplatz-Anschlag verkündet hatte, Gewaltopfer und Hinterbliebene besser zu unterstützen.
Ergänzung Art. 3 GG: Wie lto.de (Hasso Suliak) berichtet, drängen die Bundestagsfraktionen von Grünen, Linken und FDP auf eine Ergänzung des Artikel 3 GG um das Merkmal der sexuellen Identität. Auch die SPD sei dafür, heißt es bei lto.de, hadere jedoch noch aus Gründen der Koalitionsräson. Die CDU-Fraktion lehnt eine Grundgesetzänderung indes ab. Die "Präzision des Grundgesetzes" lebe von seiner Kürze und der damit verbundenen Prägnanz, eine "Aufblähung des Grundgesetzes wäre weder hilfreich noch wünschenswert", wird der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU Johannes Frei im Beitrag zitiert.
DAV zu GroKo-Bilanz: Der Deutsche Anwaltverein zieht eine überwiegend negative Bilanz der bisherigen Arbeit der großen Koalition. Besonders wird die kürzlich auf den Weg gebrachte Reform des Strafprozesses kritisiert. Der Gesetzentwurf "Modernisierung des Strafverfahrens" verdiene seinen Namen nicht: Die (vermeintliche) Effektivität des Strafprozesses werde zum Maß aller Dinge erkoren, gehe dabei aber ausschließlich auf Kosten von Beschuldigtenrechten, heißt es in einer Mitteilung des Vereins, auf die sich lto.de (Hasso Suliak) bezieht.
Wahlrechtsreform: Der Spiegel (Marcel Pauly, Zusammenfassung) berichtet über den Vorschlag eines junges Mathematikers zur Berechnung des möglichen Neuzuschnitts der Wahlbezirke. Seit Jahren wird über eine Reform des Wahlrechts und eine Reduzierung der Wahlkreise diskutiert, bisher konnten sich die Parteien aber nicht auf ein Modell einigen. Der Mathematiker Sebastian Goderbauer hat nun Algorithmen entwickelt, mit denen der Zuschnitt der Wahlkreise berechnet werden kann und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes eingehalten werden.
Justiz
BVerfG – Hartz IV: Die Mo-taz (Barbara Dribbusch) und die Mo-Welt (Christine Haas) weisen auf die für Dienstag angekündigte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von Sanktionen im Rahmen von Hartz-IV-Leistungen hin.
Es gehe um die fundamentale Frage, ob eine Gesellschaft bei Ihren Ärmsten kürzen dürfe, erläutert Ulrike Hermann (Mo-taz) in ihrem Kommentar. Die Gesellschaft solle akzeptieren, dass nicht jeder in der Lage sei, sich in den Turbo-Kapitalismus einzufinden. Statt diese Menschen mit Sanktionen zu belegen, solle es einen sozialen Arbeitsmarkt geben, der Langzeitarbeitslose auffängt, meint Herrmann.
BVerwG zu Rundfunkbeitrag: Über eine Befreiung vom Rundfunkbeitrag im Härtefall hatte das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden. Es ging laut lto.de und der Sa-FAZ um eine Studentin, die mangels Förderungsfähigkeit keine BaföG-Leistungen und auch keine Sozialleistungen erhielt. Das Gericht sah einen Härtefall als gegeben an. Der Begriff des besonderen Härtefalls erfasse "vor allem diejenigen Fälle, in denen der Beitragsschuldner eine mit den Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII vergleichbare Bedürftigkeit nachweisen kann", so das BVerwG.
VG Berlin zur Klimaklage: Das Verwaltungsgericht Berlin hat am Donnerstag die Klage mehrerer Bauern und der Umweltorganisation Greenpeace gegen die Klimapolitik der Bundesregierung als unzulässig abgewiesen. Das berichtet jetzt auch taz.de (Christian Rath). Die Kläger hatten der Bundesregierung vorgeworfen, nicht genug zur Erreichung der selbst gesteckten Klimaziele zu tun. Das Gericht verneinte jedoch die Klagebefugnis: Es gebe keine Norm, auf die sich die Kläger berufen könnten, um eine Verschärfung der Klimapolitik gerichtlich durchzusetzen.
LG Berlin zu Beleidigungen gegen Renate Künast: Die WamS (Ansgar Graw) widmet sich noch einmal der Entscheidung des Landgerichtes Berlin zur Herausgabe von Daten von Facebooknutzern, die die Politikerin Renate Künast in dem Sozialen Netzwerk beschimpft hatten. Der Autor weist darauf hin, dass das Gericht nur eingeschaltet werden musste, weil im NetzDG ein Richtervorbehalt vorgesehen sei, den Künast seinerzeit in ihrer Funktion als Rechtsausschussvorsitzende selbst mit hineinverhandelt hatte.
Kammergericht und Virus: Noch immer hat das Berliner Kammergericht mit den Folgen des Virenbefalls vom September zu kämpfen. Die technische Rückständigkeit des Gerichtes habe die Justiz allerdings vor dem Kollaps bewahrt, denn nur wenige Gerichte seien bislang digitalisiert und auch beim Kammergericht seien die Akten noch aus Papier, heißt es in der Sa-SZ (Verena Mayer). Im Berliner Abgeordnetenhaus hat sich in der vergangenen Woche der Rechtsausschuss mit dem Trojanerangriff befasst. Über die Sitzung berichtet lto.de (Marcus Sehl).
Strafverfolgungsstatistik: Laut einer Meldung der Sa-FAZ wurden nach den vorläufigen Ergebnissen der Strafverfolgungsstatistik 2018 im vergangenen Jahr rund 712.300 Menschen rechtskräftig verurteilt. Dabei wurde in 77 Prozent der Fälle eine Geldstrafe verhängt, in 14 Prozent der Fälle lautete das Urteil auf Freiheitsstrafe oder Strafarrest.
Recht in der Welt
Ungarn – Verwaltungsgerichtegesetz: Das ursprünglich geplante neue Verwaltungsgerichtegesetz, mit der die ungarische Regierung eine neue Gerichtsbarkeit einführen wollte, kommt jetzt doch nicht. Die zuständige Justizministerin hat das Vorhaben nach anhaltender Kritik zurückgezogen. Die geplanten neuen Gerichte, bei deren Bestellung der leitenden Richter die Regierung das entscheidende Wort gehabt hätte, sollten etwa bei Wahlanfechtungen und Konflikten um Entscheidungen der regierungstreuen Medienaufsicht entscheiden. Spiegel.de und Sa-FAZ (Stephan Löwenstein) berichten über das jetzt zurückgezogene Gesetz.
Griechenland – Asylrecht: Griechenland hat sein Asylrecht verschärft. Ziel der Neuregelung sei es, Asylverfahren zu beschleunigen und Antragssteller im Rahmen des Flüchtlingspakts zügiger zurück in die Türkei zu schicken, heißt es auf spiegel.de. Zudem sollen bis zum Jahresende rund 20.000 Asylsuchende von den überlasteten griechischen Inseln aufs Festland gebracht werden. Auch die Sa-SZ und die Sa-taz berichten darüber.
Schottland – Unabhängigkeit und Brexit: Wegen des voraussichtlich bevorstehenden Brexits werden in Schottland wieder diejenigen Stimmen lauter, die eine Unabhängigkeit des Landesteils fordern. Die Rechtsprofessorin Sionaidh Douglas-Scott erläutert auf verfassungsblog.de, welche rechtlichen oder politischen Wege dazu möglich sind.
Norwegen – Verurteilungen wegen Sozialbetrugs: Die Mo-taz (Reinhard Wolff) berichtet, dass in Norwegen zahlreiche Menschen unschuldig zu Haftstrafen wegen Sozialbetrugs verurteilt wurden. Die Gerichte hatten ohne eigene rechtliche Prüfung einfach die Argumentation der Sozialbehörde übernommen – die aber in Wirklichkeit gegen geltendes EU-Freizügigkeitsrecht verstieß.
Carl Baudenbacher, der frühere Präsident des Efta-Gerichtshofs, meinte in einem separaten Artikel in der Mo-taz, dass die EU auch in Norwegen künftiger genauer hinschauen müsse.
Türkei/Frankreich – Klage gegen "Le Point": Wegen Beleidigung des Staatsüberhauptes hat der türkische Präsident Erdogan Klage gegen das französische Magazin "Le Point" wegen dessen Berichterstattung über das Vorgehen der türkischen Armee in Syrien eingereicht. Der Verband der Zeitungsverleger verwahrte sich gegen Erdogans "Versuch der Einschüchterung".
Sonstiges
70. Geburtstag von Wilhelm Schluckebier: Die Sa-FAZ (Reinhard Müller) würdigt den früheren Richter des Bundesverfassungsgerichtes Wilhelm Schluckebier anlässlich seines 70. Geburtstages. Beim BVerfG war der zurückhaltende Spitzenjurist etwa mit der Glaubensfreiheit, den Ladenöffnungszeiten an Feiertagen und dem Kopftuch von Lehrerinnen befasst, aber auch mit dem Schulrecht, dem Gesellschafts- und Bankrecht, so die FAZ.
Brexit und ZPO: Dass sich die Unsicherheiten zum Brexit auch auf Zivilverfahren in Deutschland auswirken, beschreiben Rechtsanwalt Peter Bert und Richter Benedikt Windau im FAZ-Einspruch. Es wäre wünschenswert, so die Autoren, wenn der deutsche Gesetzgeber Unsicherheiten ausräumte, wo es ihm möglich ist – etwa durch eine Klarstellung zur Anwendbarkeit des Haager Übereinkommens auch auf Gerichtsstandsvereinbarungen, die vor dem Beitritt des Vereinigten Königreichs geschlossen wurden.
Der Fall Oury Jalloh: Der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein fordert in einem Interview mit dem Spiegel (Dietmar Hipp, Zusammenfassung) einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des Falles des 2005 in Polizeigewahrsam in Dessau verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh aus Sierra Leone. Anlass ist ein neues Gutachten demzufolge das Opfer Frakturen des Schädels und einer Rippe erlitten haben soll, bevor es verbrannte. Diese Feststellungen ließen nun "noch mehr daran zweifeln, dass er seine Matratze selbst anzünden konnte", erklärte Singelnstein gegenüber dem Spiegel. Der ungeheuerliche Verdacht, dass hier Polizisten einen Menschen in Gewahrsam getötet haben, bleibe im Raum, so der Kriminologe.
Kriminologe zur Entstehung von Gewalt: Die Sa-SZ (Roland Preuß) hat sich mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer darüber unterhalten, wie Menschen zu Gewalttätern werden. Die Menschen würden nicht als Täter geboren, Menschen würden vielmehr zu Tätern gemacht, sagt der Kriminologe, der über 20 Jahre lang das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen leitete.
Kurzarbeitergeld: Rechtsanwalt Sebastian Ritz erläutert auf lto.de den rechtlichen Rahmen beim Kurzarbeitergeld. Besondere Bedeutung hatte das Instrument in Deutschland während der Finanzkrise, als dadurch – anders als in anderen europäischen Ländern – Massenentlassungen häufig verhindert werden konnten.
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lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 2. bis 4. November: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38519 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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