Auch das Rechtsschutzzentrum von Memorial in Moskau wurde gerichtlich liquidiert. Das BVerfG kritisierte die verweigerte Rehabilitierung eines DDR-Heimkinds. Die New York Times unterlag gegen eine konservative Enthüllungsplattform.
Thema des Tages
Russland – Memorial-Rechtsschutzzentrum: Nur einen Tag nach der gerichtlich verfügten Liquidierung des Dachverbandes Memorial International durch das Oberste Gericht Russlands hat nun das Moskauer Stadtgericht auch das Rechtsschutzzentrum von Memorial für liquidiert erklärt. Auch diesem waren ungenügende Markierungen ausländischer Unterstützung vorgeworfen worden, berichtet die FAZ (Friedrich Schmidt). Zudem sei dem Rechtsschutzzentrum vorgeworfen worden, "Terroristen und Extremisten zu rechtfertigen". Sowohl Rechtsschutzzentrum als auch Dachverband wollten wegen ihrer Schließung den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anrufen. Laut SZ veröffentlichte Memorial International inzwischen ein Schreiben des EGMR. Er fordert demnach von Russlands Regierung, die Entscheidungen nicht zu vollstrecken, bis Straßburg über eine Beschwerde gegen das russische Gesetz über "ausländische Agenten" entschieden habe.
Im Feuilleton schreibt die FAZ (Kerstin Holm), dass die Organisationen die wegen Verstößen gegen Markierungspflichten verhängten Geldstrafen beglichen hätten. Der tatsächliche Grund für den "beispiellosen Repressionskurs" mit seiner "demonstrativen Grausamkeit" gegen Einzelne dürfte darin liegen, dass die NGOs das Ansehen der Sowjetunion und damit wohl auch jenes des jetzigen russischen Staates angriffen.
Rechtspolitik
Corona – Udo Di Fabio: Die FAZ (Reinhard Müller) interviewt in ihrem Staat und Recht-Teil den früheren Verfassungsrichter Udo Di Fabio zu verfassungsrechtlichen Aspekten der Coronapandemie. Di Fabio macht einen "Hang zur Staatsfixierung" aus und räsoniert hiervon ausgehend über Wandlungen im bürgerlichen Verständnis von Freiheit. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz und zur Bundesnotbremse zeigten hingegen "die große Bandbreite einer richterlichen Positionierung in der gewaltengeteilten Ordnung", deren Balance "immer für Diskussionsstoff" sorgen werde.
Cannabis: Als Argument gegen die von der Ampelkoalition geplante Legalisierung von Cannabis für Erwachsene führt Daniel Deckers (FAZ) in einem Kommentar "das Beispiel der Niederlande" an. Die dortige Entkriminalisierung des Cannabisgebrauchs habe mitnichten dazu geführt, "dass das Zersetzungspotential der Organisierten Kriminalität abgenommen hätte." Vielmehr würden der Organisierten Kriminalität dortzulande "ideale Bedingungen" geboten, "die Staatsmacht zu unterwandern."
Neue Gesetze: Im neuen Jahr treten zahlreiche neue Bestimmungen in Kraft. Die FAZ (Corinna Budras/Marcus Jung) gibt im Wirtschafts-Teil einen Überblick zu den wichtigsten neuen Regeln, etwa der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, dem weitgehenden Verbot von Plastiktüten, steigendem Mindestlohn oder der auf einen Monat verkürzten Kündigungsfrist bei sogenannten Dauerverträgen.
Grundsteuer: Zu den herausragenden Neurungen im nächsten Jahr zählt auch die novellierte Grundsteuer. Die vom Bundesverfassungsgericht bereits 2018 angemahnte Neuregelung sieht mit Jahresbeginn eine Pflicht für Eigentümer und Eigentümerinnen von Immobilien vor, den Wert ihres Eigentums an das örtliche Finanzamt zu melden, so das Hbl (Carsten Herz) in einem ausführlichen Überblick. Die konkreten Berechnungsmodelle unterschieden sich dabei zwischen den Bundesländern.
Justiz
BVerfG zu Heimkind-Rehabilitierung: Die fachgerichtliche Zurückweisung des Rehabilitierungs-Antrags eines früheren DDR-Heimkinds nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz war verfassungswidrig. Sowohl Landgericht Schwerin als auch Oberlandesgericht Rostock hätten ihre Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung grob verkannt, entschied das Bundesverfassungsgericht nach Bericht von LTO. Im Ausgangsfall wurde ein 14-Jähriger in den 1970er Jahren nach einem gescheiterten Fluchtversuch von seiner daraufhin inhaftierten Mutter getrennt und ein gutes Jahr lang in einem Heim untergebracht worden. Ob diese Einweisung rechtsstaatswidrig war, muss das LG nun erneut prüfen.
BVerfG zu Triage: Über den am gestrigen Mittwoch veröffentlichten Triage-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts berichtet nun auch zeit.de (Ingo Arzt/Alisa Schellenberg). Der Habilitand Alexander Brade (JuWissBlog) unternimmt eine Analyse. deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) fasst Inhalt und Konsequenzen in einer Übersicht zusammen.
Rechtsprofessor Stefan Huster kritisiert auf dem Verfassungsblog, die Entscheidung gehöre zum intellektuell "Deprimierendsten, was man seit langer Zeit aus Karlsruhe lesen musste." Zwar ließe sich mit dem gefundenen Ergebnis "irgendwie leben". Die vom Gericht aufgeworfenen Anwendungsprobleme ließen sich aber auch vom Gesetzgeber nicht lösen. Dagegen seien zentrale verfassungsrechtliche Fragen unbeantwortet geblieben. Heinrich Wefing (Zeit) kommentiert, dass auch das vom BVerfG angemahnte Gesetz der Ärzteschaft "die Entscheidung im Einzelfall" nicht abnehmen könne. Dass unter dem Stichwort Triage beschriebene tatsächliche Dilemma führe "in eine Grauzone, in die Randbereiche dessen, was Recht regeln kann." Dies dürfe freilich nicht dazu führen, weiterhin nichts zu tun.
BVerfG zu Bundesnotbremse: In einem Gastbeitrag für den Staat und Recht-Teil der FAZ verteidigt der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Bundesnotbremse gegen Kritik. Die Entscheidungen setzten die Rechtsprechung zu "grundrechtlichen Gewährleistungen von Freiheitsvoraussetzungen fort", die Verhältnismäßigkeitsprüfung sei angesichts des Konflikts zwischen hoch- und höchstrangigen Interessen "in ihrer Realitätsgerechtigkeit und rechtlichen Verantwortlichkeit" nachvollziehbar. So werde Rechtssicherheit geschaffen.
BSG in 2021: LTO (Tanja Podolski) setzt die Reihe mit Übersichten zu maßgeblicher Rechtsprechung des zu Ende gehenden Jahres mit dem Bundessozialgericht fort. Das Erfurter Gericht entschied u.a. zur Arbeitsunfalleigenschaft eines Sturzes im Home Office oder zum Arbeitslosengeldanspruch nach dem Rechtsreferendariat.
OVG Berlin-BB zu Corona und Feuerwerksverbot: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat in mehreren Beschlüssen das zuvor vom Verwaltungsgericht Berlin für rechtens erachtete Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk bestätigt. Angesichts der besonderen Eilbedürftigkeit habe sich das Gericht nun auf eine Folgenabwägung beschränkt, so LTO. Diese fiel zulasten der Antragstellenden aus.
In einem Kommentar beschreibt Jörg Wimalasena (taz) das "Böllern auf der Straße" als "eine Bastion proletarischer Feierkultur" und unterstellt dem "großstädtischen Öko-Milieu", die Coronakrise als Vorwand zur ohnehin geplanten Abschaffung dieses Brauches zu benutzen.
OLG SH zu Zuchthengst: Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht entschied, dass der Käufer eines mehrere Hunderttausend Euro teuren Zuchthengstes trotz dessen zwischenzeitlichen Todes den vollen Kaufpreis zahlen muss. Der klagende Käufer habe keinen Mangel des Pferdes nachweisen können, der ihn zum Rücktritt berechtigt hätte. Auch bedeute die vor dem Verkauf stattgefundene Auswahl des Hengstes durch einen Zuchtverband nicht, dass sich der Käufer auf eine Mangelfreiheit des Pferdes hatte verlassen können. LTO berichtet.
LG Dresden – Einbruch in Grünes Gewölbe: Der Strafprozess wegen des Einbruchs in das Dresdner Grüne Gewölbe wird am Landgericht Dresden am 28. Januar beginnen. bild.de schreibt, dass die sechs Angeklagten Mitglieder einer arabischstämmigen Großfamilie seien. Ihnen werde unter anderem schwerer Bandendiebstahl sowie eine besonders schwere Brandstiftung vorgeworfen.
Recht in der Welt
USA – NYT vs. Project Veritas: Die Tageszeitung "New York Times" hat in ihrer Auseinandersetzung mit der konservativen Enthüllungsplattform "Project Veritas" auch am Verfassungsgericht des Staates New York eine Niederlage erlitten. Das Gericht untersagte der Zeitung, bestimmte Dokumente über die Plattform zu veröffentlichen und ordnete deren Herausgabe an, schreibt die SZ (Christian Zaschke). In den betreffenden Unterlagen habe ein Anwalt der Plattform Hinweise für die Durchführung verdeckter Aufnahmen erteilt. Wie schon in der Vorinstanz sei dies nun als Verletzung des Anwaltsgeheimnisses gewertet worden.
USA – Ghislaine Maxwell: In den USA ist Ghislaine Maxwell als Vertraute des verstorbenen Jeffrey Epstein in fünf der sechs gegen sie erhobenen Anklagepunkte schuldig gesprochen worden. Sie soll eine zentrale Rolle beim Aufbau eines Rings zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen gespielt haben. Das Strafmaß werde zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt, berichtet spiegel.de.
China – Zurschaustellung Verdächtiger: Die FAZ (Friedrike Böge) berichtet über eine an kulturrevolutionäre Zeiten erinnernde Bestrafungsmethode in einer südchinesischen Provinz. Mutmaßliche Schlepper illegal Einreisender aus Vietnam waren "zur Abschreckung" mit um den Hals gehängten Schildern von der Polizei öffentlich vorgeführt worden. Videos der Aktion hätten im ganzen Land Aufsehen erregt und eine Parteizeitung veranlasst, in einem später gelöschten Kommentar daran zu erinnern, dass der Oberste Gerichtshof die Praxis öffentlichen Zurschaustellens bereits 1988 verboten habe.
Sonstiges
Corona – Kinderrechte: Von der These ausgehend, dass die Rechte von Kindern bei den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus unzureichend berücksichtigt wurden, wirft die SZ (Thomas Hahn u.a.) einen vergleichenden Blick nach Frankreich, Japan und Dänemark. In allen der genannten Länder habe es Schulschließungen gegeben, gleichwohl unterscheide sich der Blick von Politik und Gesellschaft auf Kinder erheblich.
Corona – Entlassung wegen Impfweigerung: Presseberichten zufolge soll der Bundesligist 1. FC Köln seinen Teammanager wegen einer verweigerten Corona-Impfung entlassen haben. Rechtsanwalt Benjamin Keck widerspricht auf LTO dieser Darstellung und gibt zu bedenken, dass der Betreffende lediglich freigestellt wurde und mit dem Verein derzeit über die Höhe der an ihn zu zahlenden Abfindung verhandle. Grundsätzlich dürften Entlassungen wegen einer Impfweigerung außerhalb der jüngst beschlossenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht unzulässig sein, dies gelte auch für entsprechende Stellenausschreibungen.
Anwalt Benecken im Interview: In ihrem Thema des Tages befragt die Welt (Cornelia Karin Hendrich) den Strafverteidiger Burkhard Benecken zu regionalen Unterschieden bei der Strafhöhe, Erfahrungen im Umgang mit Angehörigen seiner Mandantschaft und besonders krassen Beispielen für prozessuale Fehler der von ihm Vertretenen.
Das Letzte zum Schluss
Dauerschuld: Wer Unterhaltspflichten gegenüber den eigenen Kindern trotz Leistungsfähigkeit nicht nachkommt, verdient neben moralischer Empörung ganz sicher auch die Härte des Gesetzes. Womöglich hat in dem von spiegel.de berichteten Fall eines australischen Vaters die israelische Justiz letzteren Aspekt ein wenig überbetont. Auf Klage der Mutter seiner Kinder verurteilte ein Familiengericht den Mann zur Zahlung von insgesamt rund 500.000 Euro. Um der Anordnung Nachdruck zu verleihen, verfügte es darüber hinaus ein Ausreiseverbot. Diese gilt bis zur vollständigen Zahlung – oder dem 31.12.9999.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 30. Dezember 2021: . In: Legal Tribune Online, 30.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47085 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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