Soll Deutschland hier lebende Ukrainer zum Dienst an der Waffe in der Heimat drängen? War die Super-League-Pressemitteilung des EuGH falsch? Das AG Starnberg hat eine empfindliche Geldstrafe und unfreundliche Worte für Jens Lehmann.
Thema des Tages
Wehrpflichtige Ukrainer: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat sich dagegen ausgesprochen, in Deutschland lebende Ukrainer zu einer Wehrdienstleistung in der Heimat zu zwingen. Zur Begründung behauptete Buschmann, dass "unsere Verfassung ja für deutsche Staatsbürger vorsieht, dass niemand gegen seinen Willen Dienst an der Waffe leisten muss". Das ukrainische Verteidigungsministerium hatte appelliert, Druck auf geflüchtete wehrfähige ukrainische Männer auszuüben, in die Ukraine zurückzukehren. Es berichten LTO und Sa-FAZ (Markus Wehner).
Jan Darns (WamS) bezeichnet in einem Kommentar die Überlegungen des ukrainischen Verteidigungsministers zwar als "nachvollziehbar". Gegen ihre Umsetzung sprächen nicht nur die Wertung des Grundgesetzes, sondern auch Art. 4 des Europäischen Auslieferungsabkommens. Dieser verbiete Auslieferungen bei militärisch strafbaren Handlungen, zu denen Fahnenflucht gehöre. Reinhard Müller (Sa-FAZ) dagegen betont, "dass ein demokratisches Land seine Bürger in einem Verteidigungskrieg in die Pflicht nimmt." Dies durchzusetzen, sei Aufgabe der Ukraine. Deutschland aber dürfe "nicht pflichtvergessen erscheinen."
Rechtspolitik
Airtag-Tracking: Das Bundesjustizministerium sieht keinen Regelungsbedarf für das heimliche Tracking von Personen mit Hilfe von Airtags von Apple. Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes seien ausreichend. Die Justizministerkonferenz hatte Buschmann im November einstimmig zu einem Regelungsvorschlag aufgefordert, es bestehe eine Strafbarkeitslücke. Seit 2021 lassen sich Gegenstände mithilfe eines befestigten Airtags in der Größe eines 2-Euro-Stücks leichter wiederfinden. Airtags können aber auch für die Überwachung von Personen missbraucht werden. Die Mi-taz (Christian Rath) berichtet.
Betriebsverfassung: Rechtsanwalt Tobias Neufeld hält auf LTO eine grundlegende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes für unumgänglich. Während die zu Pandemiezeiten geltenden, "pragmatischen und guten Lösungen für eine digitale Betriebsrätearbeit" ihre Sinnhaftigkeit bewiesen hätten, gelte nunmehr wieder die grundsätzliche "Notwendigkeit physischer Präsenz" und erforderten zahlreiche Verfahren Schriftform. Dies widerspreche der oftmals digital geprägten Realität.
Bundestagswahl in Berlin: Der Spiegel (Dietmar Hipp u.a.) schreibt über die anscheinend geringen praktischen Auswirkungen der letztwöchigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Teilwiederholung der Bundestagswahl in Berlin. Nur in wenigen Wahlkreisen wie Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf könnten sich Änderungen beim Direktmandat ergeben. Eine außergewöhnlich geringe Wahlbeteiligung in den betroffenen Wahlbezirken könnte auch dazu führen, dass bisherige Berliner Sitze anderen Bundesländern zufielen.
Bundestags-Wahlrecht: Laut spiegel.de hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigt, eine künftige Regierungsbeteiligung seiner Partei von einer Rücknahme der im Sommer 2023 beschlossenen Reform des Bundeswahlgesetzes abhängig zu machen. Dort wurde u.a. die Grundmandateklausel gestrichen, die der CSU auch dann die Präsenz im Bundestag gesichert hätte, falls sie bundesweit weniger als fünf Prozent der Wählerstimmen erhält.
Justiz
EuGH zu Super League: Die Sa-SZ (Thomas Kistner) befasst sich in ihrem Sport-Teil ausführlich mit den Reaktionen auf das Super League-Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Die UEFA habe noch am Freitag eine "geharnischte Protestnote" an das Gericht verschickt und dieses aufgefordert, die Pressemitteilung zu korrigieren. Die bislang veröffentlichte Pressemitteilung gebe wesentliche Inhalte des 69 Seiten umfassenden Urteils unzutreffend wieder. Dies betreffe etwa den angeblichen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung des Verbandes oder auch die Reichweite der jetzigen Entscheidung.
AG Starnberg zu Jens Lehmann: Wegen Sachbeschädigung, Beleidigung und versuchtem Betrug hat das Amtsgericht Starnberg den ehemaligen Fußball-Nationaltorhüter Jens Lehmann am vergangenen Freitag zu einer Geldstrafe von 210 Tagessätzen verurteilt. U.a. soll er die Garage seines Nachbarn mit einer Kettensäge beschädigt haben. In der mündlichen Urteilsbegründung warf das Gericht dem Angeklagten vor, sich wahrheitswidrig als "Opfer der Justiz" dargestellt und "hanebüchene Geschichten" zu seiner Verteidigung vorgebracht zu haben. WamS (Per Hinrichs) und LTO berichten.
LG München I – Andrea Tandler: Die Unternehmerin Andrea Tandler und ihr mitverurteilter Geschäftspartner haben Revision gegen das Steuerhinterziehungs-Urteil des Landgerichts München I eingelegt. Über die Revision muss der Bundesgerichtshof entscheiden. Die strafprozessuale Verständigung in dem Verfahren steht der Einlegung eines Rechtsmittels nicht im Wege. LTO berichtet.
BVerwG zu Kreuzen in Behörden: Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Christina Jacobs und Maike Middeler kritisieren auf dem Verfassungsblog das in der vergangenen Woche verkündete Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum bayerischen Kreuzerlass. Es sei schon nicht einsichtig, dass sich das BVerwG beim verneinten Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot an vermeintlich bindende Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz gebunden fühlt, obgleich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof tatsächlich auch "eine sachlich nicht zu rechtfertigende Bevorzugung des christlichen Symbols" festgestellt hatte. Auch die Verneinung einer Verletzung des Neutralitätsgebots überzeuge nicht. Geschichte und Kultur einerseits und Religion andererseits ließen sich kaum voneinander trennen. Die staatliche Pflicht zur Objektivität umfasse das Gebot, "bereits den Anschein" diesbezüglicher Mängel zu vermeiden.
In der WamS diskutieren Hannah Bethke und Matthias Kamann die Entscheidung kontrovers. So bestehe keine Pflicht, "jegliche religiösen Bezüge geradezu auszulöschen" bzw. sei der Erlass "doppelt verfehlt", in dem er die staatliche Neutralitätspflicht verletze und das "Zentralsymbol des Christentums … zur besseren Lederhose" herabwürdige.
LG München I – EY/Wirecard: Mit Ablauf diesen Jahres verjähren mögliche Ansprüche im Zusammenhang mit der im Juni 2020 angemeldeten Insolvenz von Wirecard. Beim Landgericht München I hat nun die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz fristgemäß Klage erhoben, die vom Bilanzprüfer EY mehr als 700 Millionen Euro Schadensersatz fordert. Beim Bayerischen Oberlandesgericht ist zudem ein Kapitalanleger-Musterverfahren anhängig, dessen Anmeldefrist bereits im September abgelaufen ist. Das ebenfalls am LG München I anhängige Strafverfahren gegen Markus Braun und andere ehemalige Wirecard-Manager dürfte nicht vor dem nächsten Sommer beendet sein. LTO und Mi-FAZ (Marcus Jung) berichten.
VG Dresden – AfD-Einstufung: Der sächsische Landesverband der AfD will gegen seine Einstufung als "gesichert rechtsextremistisch" durch den Verfassungsschutz des Freistaats sowohl Eilrechtsschutz beantragen als auch klagen. Die Partei moniert eine auf Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zurückgehende Diffamierung, so LTO. Zudem sei ihr keine Einsicht in das als geheime Verschlusssache eingestufte Verfassungsschutz-Gutachten gewährt worden.
AG Karlsruhe zu linksunten.indymedia: Die Mi-junge welt (Detlef Georgia Schulze) analysiert die inzwischen erhaltenen Beschlüsse des Amtsgerichts Karlsruhe aus dem Juni, auf deren Grundlage die Wohnungen von fünf Beschuldigten in Freiburg durchsucht wurden, denen die Fortsetzung der verbotenen linksradikalen Vereinigung linksunten.indymedia.org durch die Veröffentlichung des Archivs der Plattform vorgeworfen wurde. Die Beschlüsse zeigen laut Autor keinen hinreichenden Tatverdacht auf.
Recht in der Welt
USA – Trump/Verschwörung: Der US-Supreme Court hat ohne Begründung den Antrag von Sonderermittler Jack Smith abgelehnt, sofort über die Immunität von Ex-US-Präsident Donald Trump zu entscheiden. Ausgangspunkt ist das in Washington geführte Strafverfahren, in dem Trump Verschwörung zum Wahlbetrug vorgeworfen wird. Seine Anwält:innen verweisen auf Trumps Immunität als damaliger Präsident. Die zuständige Richterin hat das Argument zurückgewiesen. Dagegen hat Trump Rechtsmittel beim Berufungsgericht eingelegt, das nun entscheiden wird - nachdem der Versuch Smiths gescheitert ist, das Verfahren zu beschleunigen, indem er sofort den US-Supreme Court einschaltet. Der angestrebte Beginn des Washingtoner Verfahrens im März dürfte dadurch nicht mehr einzuhalten sein. spiegel.de berichtet.
Israel – Krieg in Gaza: LTO (Hasso Suliak) schildert die deutsche Debatte zur humanitären Lage in Gaza, nachdem das UN-Welternährungsprogramms vor einer bevorstehenden Hunger-Katastrophe im Gazastreifen warnte. Günter Krings, der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, zweifelte an der Seriösität der UN-Aussage und warf zudem UN-Generalsekretär Antonio Guterres vor, mit seinen Statements einer Täter-Opfer-Umkehr Vorschub zu leisten. Vertreter:innen der Linken, der Grünen und von Ärzte ohne Grenzen forderten schnelle humanitäre Hilfe und die Einhaltung des Völkerrechts.
Reinhard Müller (Mi-FAZ) erinnert im Leitartikel daran, dass Völkerrecht selbstverständlich und "ohne Unterschied für alle gilt." Hieran Israel, "ein Opfer von Völkermord" zu erinnern, sei "eine Gratwanderung". "Der Unterschied zwischen Unrechtsregimen und Rechtsstaaten, zwischen Terrorbanden und demokratisch sowie rechtlich gebundenen Streitkräften" zeige sich auch an der Pflicht, den besiegten Feind "vor Gericht" zu stellen und nicht umzubringen.
Malta – Rechtsstaat: Martin Rath (LTO) beschreibt Malta in einem vom Montesquieuschen "Geist der Gesetze" inspirierten Porträt des EU-Mitgliedstaates. Erwähnt wird auch eine jüngst vorgelegte Dissertation, die der Republik Malta u.a. mangelnde Unabhängigkeit der Justiz und ein erhebliches Ausmaß an Korruption attestiert.
Österreich – Rene Benko: Ein internationales Schiedsgericht hat den Antrag eines saudi-arabischen Staatsfonds abgelehnt, Zahlungsansprüche gegen die insolvente Signa Holding des Unternehmers Rene Benko in einem Eilverfahren zu sichern. Die behaupteten Ansprüche müssten nach der unanfechtbaren Entscheidung nun in einem regulären Schiedsverfahren geltend gemacht werden, so die Sa-SZ (Klaus Ott) unter Bezugnahme auf die Darstellung des Sanierungsverwalters von Signa.
Schweden – Tesla: An einem schwedischen Berufungsgericht ist der Autohersteller Tesla mit dem Versuch gescheitert, Postmitarbeitende zur Auslieferung von Nummernschildern zu verpflichten. Die Postler:innen hatten die Arbeit in Unterstützung von streikenden Tesla-Mechaniker:innen verweigert, erklärt die Sa-FAZ (Roland Lindner). Der Tesla-Streik soll dem Abschluss eines Tarifvertrages dienen.
Russland – LGBT-Bewegung: Im Feuilleton schreibt die Mi-FAZ (Anna Narinskaja) über die Ende November ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Russlands, die "internationale LGBT-Bewegung" als extremistisch einzustufen. Der Schritt markiere eine weitere Wegmarke im Kampf gegen jeden, "der sich von der Allgemeinheit abhebt und nicht dem vorherrschenden Trend in Putins Russland entspricht.“ Weit über LGBTQ-Menschen hinaus könne jeder mit einer abweichenden Ansicht zum Thema verfolgt werden. Dass dies durch ein bislang immer noch nicht veröffentlichtes Urteil und nach einer nicht-öffentlichen Verhandlung geschehe, runde das Bild ab.
Frankreich – Bataclan-Prozess: Die Sa-SZ (Oliver Meiler) spricht mit Emmanuel Carrère über dessen seit August auch auf Deutsch erschienenes Buch "V13" zum Strafprozess wegen der Pariser Anschläge vom 13. November 2015. Als "Musterwohnung der Justiz" habe der Mammutprozess seine Funktion als "Psychotherapie vor Publikum" durchaus erfüllt, so der Autor, der das Verfahren für eine Wochenzeitschrift verfolgt hatte.
Sonstiges
Staatsanwalt und Krimis: LTO-Karriere (Franziska Kring) interviewt den Frankfurter Oberstaatsanwalt Olaf König zu seiner beruflichen Nebentätigkeit. König berät die ZDF-Serie "Der Staatsanwalt" und andere Krimiproduktionen zu juristischen Fragen und versucht auch, Ideen aus der Rechtswirklichkeit beizusteuern.
Malteserorden: Martin Rath klärt auf LTO über Werden und Sein des nun fast 1.000-jährigen Malteserordens auf. Obgleich seit mehr als 200 Jahren nicht mehr im Besitz von Territorien und nach einer Selbst-Neuerfindung als "katholisches Parallelunternehmen zur Rotkreuz-Bewegung", unterhalte der Orden als gemeinhin anerkanntes Völkerrechtssubjekt diplomatische Beziehungen zu rund 100 Staaten und genieße Beobachterstatus bei einigen UN-Organisationen.
artig/unartig 2023: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Andreas Zöllner und Hendrik Schwager unternehmen auf LTO einen satirischen Jahresrückblick auf Gerichtsentscheidungen und rechtspolitische Ereignisse aus der Sicht des Weihnachtsmannes und seiner binären artig/unartig-Logik. Es geht um Fridays for Future, die Letzte Generation, Cannabis, Strafzumessung, Kinderrechte, Gendern und geschlechtliche Selbstbestimmung.
Das Letzte zum Schluss
Sicherheit vor Zauber: An der Westküste Schottlands verzaubert die historische Dampflok "Jacobite Steam Train" Harry Potter-Fans wegen offensichtlicher Ähnlichkeit mit dem "Hogwarts Express" der Buch- und Film-Reihe. Laut spiegel.de steht der Betrieb des Zuges vor einer ungewissen Zukunft, weil der High Court des Landes die Betreiberfirma nun dazu verurteilte, eine zeitgemäße Zentralverriegelung des Zuges zu installieren.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 23. bis 27. Dezember 2023: . In: Legal Tribune Online, 27.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53494 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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