Auch für entsandte osteuropäische Pflegekräfte gilt der deutsche Mindestlohn. Der ungarische Ministerpräsident bezeichnet sich als Kämpfer für die Rechte Homosexueller und das Hbl wirft einen Blick auf Entwicklungen am Rechtsmarkt.
Thema des Tages
BAG zu entsandten Pflegekräften: Auch entsandten ausländischen Pflegekräften steht bei der Arbeit in deutschen Haushalten der deutsche gesetzliche Mindestlohn zu. Dies gilt auch für Bereitschaftsdienst, etwa in der Nacht, stellte das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurteil fest. Geklagt hatte eine Bulgarin, die mit einer bulgarischen Firma einen Arbeitsvertrag für die häusliche Pflege von Senior:innen in Deutschland im Umfang von 30 Arbeitsstunden pro Woche unterzeichnetet hatte. Tatsächlich habe sie jedoch einschließlich Bereitschaftszeiten praktisch rund um die Uhr gearbeitet und verlangte dafür zusätzliche Vergütung. Das zuvor mit der Sache befasste Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte die Stundenzahl des Arbeitsvertrags wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben als unbeachtlich eingestuft. Das BAG beanstandete dies und forderte vom LAG eine Gesamtbetrachtung, in der auch der Arbeitsvertrag berücksichtigt wird. Es ist also noch offen, wieviele Stunden die bulgarische Pflegerin bezahlt bekommt. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch/Rainer Stadler), FAZ (Britta Beeger/Marcus Jung), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Gigi Deppe) und LTO berichten
Rainer Stadler (SZ) begrüßt das Urteil als "überfällig" und macht gleichzeitig darauf aufmerksam, dass bei Einhaltung von Arbeitszeitbestimmungen bisherige Pflege-Jobs "eigentlich auf drei bis vier Kräfte verteilt werden" müssten. Christian Rath (taz) fordert von "Politik und Sozialverbänden" als Konsequenz der Entscheidung "schnell praktikable und rechtssichere Modelle" für die Beschäftigung von osteuropäischen Pfleger:innen. Anderenfalls drohe eine Ausweitung der Schwarzarbeit.
Rechtspolitik
Wiederaufnahme: In einem Gastbeitrag für spiegel.de polemisiert Thomas Fischer gegen die aktuellen Pläne, Wiederaufnahmen zuungunsten Beschuldigter in Mordfällen zu erleichtern. Der frühere Bundesrichter und jetzige Strafverteidiger hält bereits den von "Politik-Verkäufern und Authentizitäts-Schwätzern" erdachten Titel des "Gesetzes zur Herstellung materieller Gerechtigkeit" für "eine Unverschämtheit" und macht geltend, dass es für den grundgesetzlich geschützten Ne bis in idem-Grundsatz "gute Gründe in der Form und der Verfahrensökonomie", aber auch inhaltlicher Art gebe. Gerechtigkeit lasse sich vielfältig definieren. Ihr werde nicht geholfen durch einen wahlbedingten "Vorschlag für die Galerie". Vor der für den heutigen Freitag angesetzten Bundestagsabstimmung fasst die FAZ (Marlene Grunert) noch einmal die in der Sachverständigenanhörung für und wider das Vorhaben geäußerten Argumente zusammen und macht darauf aufmerksam, dass sich das Justizministerium wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht am Entwurf beteiligt hat.
"Rasse" und Rassismus: Rechtsprofessor Tarik Tabbara räsonniert im Verfassungsblog über den weiterhin "höchst problematischen" Umgang mit Rassismus im Recht. Ausgangspunkt ist der neu entworfene Ausschlussgrund bei Einbürgerungen, die jenen verweigert werden sollen, die u.a. wegen einer rassistisch motivierten Straftat verurteilt wurden. Demgegenüber stellt der Autor das Scheitern der Bemühungen, die "Rasse" in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) durch das Verbot "rassistischer" Benachteiligung oder Bevorzugung zu ersetzen. Bemerkenswert sei schließlich, dass der geplante neue Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung Schutz auch für durch "rassische" Herkunft bestimmte Gruppen entfalten soll. Diese begrifflichen Verwirrungen belegten die Gefahr der Instrumentalisierung der Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus.
Justiz
EuGH zu Bundesnetzagentur: Auf Vorlage des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Bundesnetzagentur auch im grenzüberschreitenden Güterverkehr ein Mitspracherecht bei der Verteilung von Schienenkapazitäten durch die Bahnunternehmen hat. Daneben müsse die Agentur vor Beanstandungen konkreter Nutzungsbedingungen auch Regulierungsstellen anderer beteiligter Staaten konsultieren, um ein möglichst einheitliches Vorgehen zu gewährleisten. Über die Entscheidung und den zugrundeliegenden Streit zwischen Agentur und der Bahn-Tochter DB Netz berichtet LTO.
OLG Frankfurt/M. – Franco A.: Im Verfahren gegen den Bundeswehr-Leutnant Franco A. wurde über die Zulassung sogenannter Sprachmemos des Angeklagten gestritten. In einer dieser von der Bundesanwaltschaft zitierten Sprachnotizen habe sich der Angeklagte darüber ausgelassen, dass Juden und Deutsche "nicht das gleiche Volk" seien, schreibt die FAZ (Anna-Sophia Lang) im Lokalteil. Zudem habe das Oberlandesgericht Frankfurt/M. vorgeschlagen, die Anklage wegen Betruges einzustellen, weil es "in diesem Verfahren um etwas viel Wichtigeres" gehe.
LG Halle zu "Deutschem Reichsbräu": In einem nun bekanntgewordenen Nichteröffnungsbeschluss hat das Landgericht Halle/Saale vor zwei Wochen ein Strafverfahren wegen des Vertriebs eines "Deutschen Reichsbräus" abgelehnt. Nach dem Bericht von LTO sei das Gericht von einer "sicherlich rechtsextremen Gesinnung der an dem Vertrieb der Bierflaschen Beteiligten" ausgegangen. Weder dies noch die konkrete Gestaltung mit Frakturschrift, Reichsadler, Eisernem Kreuz noch der Kastenpreis von 18,88 Euro begründe aber eine Verwechslungsgefahr mit nationalsozialistischer Symbolik.
LG Bonn – Maskenverweigerer: Am Landgericht Bonn müssen sich Maskenverweigerer unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Bei einer Auseinandersetzung über die Maskenpflicht im Mai 2020 hatten sie in einem Troisdorfer Supermarkt Polizisten verletzt. Nach Ansicht der Anklage hätten die zum Teil aus Osteuropa stammenden Angeklagten mit Verbindungen zur Reichsbürgerszene den von ihnen verursachten Auflauf gezielt geplant, schreibt spiegel.de (Christian Parth). Dies gestanden die Angeklagten zum Prozessauftakt ein, bestritten jedoch, eine körperliche Auseinandersetzung gesucht zu haben.
AG Berlin-Tiergarten – Missbrauch durch Arzt: Im Strafverfahren um einen möglichen sexuellen Missbrauch durch einen Arzt vernahm das Berliner Amtsgericht Tiergarten einen Juristen der Ärztekammer. Bei diesem seien Meldungen von Patienten eingegangen, die nun auch als Nebenkläger beteiligt sind, so spiegel.de (Wiebke Ramm). Ein standesrechtliches Verfahren wegen dieser Vorwürfe ruhe seit der Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen.
VG Berlin zu Airbnb: Besteht ein Verdacht auf verbotene Zweckentfremdung von Wohnraum, müssen Online-Portale wie Airbnb den Behörden die Daten der Vermieter:innen den Behörden übermitteln. Dies entschied nach Bericht von LTO das Verwaltungsgericht Berlin. Airbnb kann sich nicht darauf berufen, dass es irischen Datenschutzregeln unterfalle und deshalb die Daten nicht herausgeben müsse.
Recht in der Welt
Ungarn – Homophobie: Vor Beginn des EU-Gipfels hat sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban gegen die Kritik an dem Gesetz gegen die Darstellung nicht-heterosexueller Sexualität verteidigt. Er sei ein Kämpfer für die Rechte Homosexueller, zitiert die SZ (Björn Finke/Matthias Kolb) Orban. Nach einer Analyse von spiegel.de (Jan Puhl) gehe es dem Ministerpräsidenten "wohl nicht in erster Linie" um "eine knallhart minderheitenfeindliche Agenda". Vielmehr diene das Gesetz – wie auch die jetzige Reaktion im europäischen Ausland – eher dazu, sich seinen Wählern als Verteidiger traditioneller Werte zu inszenieren, die vom liberalen Westen bedroht würden. Es könne gehofft werden, dass das Gesetz ebenso wenig zur Anwendung kommt, wie das vor drei Jahren verabschiedete "Stop-Soros-Gesetz", mit dem die Unterstützung von Flüchtlingen kriminalisiert wurde.
Die frühere Bundesjustizministerin und jetzige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley (SPD), beschreibt im Interview mit der taz (Stefan Reinecke) die Unionsrechtswidrigkeit des Gesetzes, wachsenden Einfluss von Rechtspopulisten in Osteuropa und Fehler im Umgang der EU mit Orban.
Die dem Gesetz offenbar zugrundeliegende Annahme einer Beeinflussbarkeit der sexuellen Orientierung von Kindern bezeichnet Thomas Schmid (Welt) im Leitartikel als "Mittelalter". Von Seiten der EU solle nun nicht "das ganz große Tremolo" angestimmt "und zum Endkampf für das Gute und die Werte der EU" geblasen werden. Vielmehr müsse die sogenannte Rechtsstaatskonditionalität "ganz kühl" angewendet werden.
Österreich – Bundespräsident hilft Verfassungsgerichtshof: Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen hat beim Wiener Straflandesgericht die Exekution einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zur Pflicht des Finanzministers zur Herausgabe von E-Mails an den Ibiza-U-Ausschuss angeordnet. Minister Georg Blümel (ÖVP) hatte die Daten bislang nur ausgedruckt und nach dem Eindruck von Ausschussmitgliedern selektiv herausgegeben. Über das "Novum" der österreichischen Geschichte berichten FAZ (Stephan Löwenstein) und SZ (Alexandra Föderl-Schmid).
Türkei – HDP: In der Türkei verhandelt der Verfassungsgerichtshof über ein Verbot der Oppositionspartei HDP. Im Interview mit LTO (Markus Sehl) erläutert Rechtsprofessor Osman Can die formellen und materiellen Voraussetzungen eines solchen Verfahrens, erklärt den weiteren Verlauf und macht als Grund für das Vorgehen wahltaktische Überlegungen aus. Obgleich die nächste Parlamentswahl in der Türkei erst in zwei Jahren anstehe, scheinen Neuwahlen möglich. In diesem Fall wolle Präsident Erdogan eine Koalition der Oppositionsparteien verhindern.
Türkei – Gönul Örs: Unter anderem wegen Terrorpropaganda hat ein türkisches Gericht die Kölnerin Gönul Örs zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Örs hatte sich 2012 an einer Protestaktion für die Freilassung Abdullah Öcalans auf einem Rheindampfer beteiligt, schreibt die taz (Jürgen Gottschlich). Mit dem nun ergangenen, noch nicht rechtskräftigen Urteil wurde auch die Ausreisesperre Örs aufgehoben. Jürgen Gottschlich (taz) erkennt in einem separaten Kommentar in dem Urteil "vor allem eine politische Botschaft an Sympathisanten der PKK in Deutschland".
USA – Britney Spears: In dramatischen Worten hat die Sängerin Britney Spears einem kalifornischen Gericht die Betreuung durch ihren Vater beschrieben. Dieser kontrolliere sämtliche Aspekte ihres Lebens und nutze sie finanziell aus, so die FAZ (Christiane Heil) zu der telefonischen Anhörung. Sie hätte bis dato die Aufhebung der Betreuung nicht beantragt, weil ihr nicht bekannt gewesen sei, dass sie hierzu befugt sei.
USA – Fall George Floyd: In Minneapolis/USA wird heute das Strafmaß wegen der Tötung George Floyds verkündet. Die Welt (Katja Ridderbusch) unternimmt eine Spurensuche zu ehemaligen Nachbarn und Kollegen des verurteilten Derek Chauvin.
USA – Rudy Giuliani: Wegen "nachweislich falscher und irreführender Aussagen gegenüber Gerichten, Gesetzgebern und der Öffentlichkeit" ist Rudy Giuliani die Zulassung als Anwalt im US-Bundesstaat New York zumindest bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahren vorläufig entzogen worden. Giulianis Verhalten während der juristischen Versuche, die Ergebnisse der letzten Präsidentschaftswahl in Frage zu stellen, sei eine "unmittelbare Gefahr für die Öffentlichkeit", zitiert spiegel.de aus der jetzigen Entscheidung.
Sonstiges
Rechtsmarkt: In mehreren Beiträgen untersucht das Hbl den wirtschaftlichen Zustand der Anwaltschaft und die Aussichten innerhalb mehrerer Bereiche. So stiegen die Aktivitäten Legal Tech-basierter Angebote bei der Geltendmachung von Verbraucherrechten, so das Hbl (Volker Votsmeier). Diese Lösungen seien oftmals effektiver als etwa die Musterfeststellungsklage. Klassische Wirtschaftskanzleien sind nach Darstellung von Hbl (Rene Bender/Volker Votsmeier) überwiegend gut durch die Corona-Pandemie gekommen. Die nun vorliegenden Geschäftszahlen für das vergangene Jahr wiesen zum Teil erhebliche Umsatzzuwächse auf. Auch im Kapitalmarktrecht gebe es keinen Mangel an Arbeit, schreibt das Hbl (Rene Bender) in einem ausführlichen Porträt Carsten Berrars, dem "wohl gefragtesten Rechtsberater der Republik für M&A- und Kapitalmarkttransaktionen" und stellt im Weiteren dessen neuestes Arbeitsgebiet vor: sogenannte Spacs oder auch Börsenmäntel, Unternehmenshüllen ohne eigenes operatives Geschäft, aber ausreichend Kapital für Erwerbungen. Schließlich wird vom Hbl (Rene Bender/Volker Votsmeier) Strafverteidiger Björn Gercke interviewt. Der Rechtsanwalt spricht über seine Erfahrungen mit dem Gutachten für das Erzbistum Köln, Mandate wie die Verteidigung von Alexander Falk, unterbreitet einen rechtspolitischen Vorschlag für den Kampf gegen Geldwäsche und spricht über Lernerfahrungen im Anwaltsberuf.
Wirtschaftsjurist: LTO-Karriere (Franziska Krings) befragt den Wirtschaftsjuristen Jonathan Krämer zu seinem beruflichen Alltag. Krämer arbeitet nach vielfältigen internationalen Erfahrungen bei einer NGO, die sich weltweit für die Rechte von Kindern einsetzt und schätzt hieran vor allem den interdisziplinären Austausch.
Profiler und Gefährder: Die SZ (Ronen Steinke) beschreibt eine neue Aufgabe für polizeiliche Profiler: Sie müssen die Gefährlichkeit islamistischer Gefährder einschätzen und polizeirechtliche Maßnahmen empfehlen.
Infektionsschutz und Ordnungsrecht: Nach Ausschreitungen Feiernder in Münster hat die Stadtverwaltung in der vergangenen Woche eine Allgemeinverfügung mit einem Verweilverbot für ein bestimmtes Gebiet erlassen. In der Einschätzung der studentischen Hilfskraft Andre Bartsch auf dem JuWissBlog sind dabei die Grenzen zwischen Infektionsschutzrecht als besonderem Gefahrenabwehrrecht und dem allgemeinen Ordnungsrecht nicht hinreichend beachtet worden.
Das Letzte zum Schluss
Fuck School: Das Oberste Gericht der USA hat sich als Verteidiger pubertären Dagegenseins erwiesen und nebenbei das Recht auf freie Meinungsäußerung von Schülern gestärkt. Mit nur einer Gegenstimme entschied das Gericht, dass eine High School eine Schülerin nicht dafür bestrafen durfte, dass sie – aus Verärgerung über die Nichtaufnahme in das Cheerleading-Team – in einem Snapchat-Post folgendes Bekenntnis teilte: "Fuck school – fuck softball – fuck cheer – fuck everything". Die FAZ (Julia Anton) berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 25. Juni 2021: . In: Legal Tribune Online, 25.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45299 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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