Die 2018 beschlossene Erhöhung der staatlichen Parteienfinanzierung wurde vom BVerfG kassiert. Erneut ist ein Pfleger wegen Tötung von Patienten angeklagt. Londoner High Court verhandelt über Schiedsspruch gegen Nigeria wegen Erdgasfeld.
Thema des Tages
BVerfG zu Parteienfinanzierung: Die 2018 von CDU/CSU und SPD im Bundestag beschlossene Ausweitung der staatlichen Parteienfinanzierung verstößt gegen das Prinzip der Staatsfreiheit der Parteien gem. Artikel 21 Grundgesetz. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in einer abstrakten Normenkontrolle auf Antrag von 216 Bundestagsabgeordneten von FDP, Grünen und Linken. Beanstandet wurde insbesondere die Anhebung der absoluten Obergrenze von staatlichen Zuwendungen an die Parteien von 165 Mio. Euro auf 190 Mio. Euro. BVerfG-Vizepräsidentin Doris König führte aus, dass das Gericht an den Maßstäben seines Grundsatzurteils von 1992 festhalte, wonach eine absolute Obergrenze erforderlich ist, damit nicht der Eindruck entstehe, die Parteien könnten sich aus dem Staatshaushalt nach Belieben selbst bedienen. Diese Obergrenze könne (jenseits des Inflationsausgleichs) nur angehoben werden, wenn sich die Rahmenbedingungen "einschneidend" ändern. Bei der Bestimmung der exakten Höhe habe der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum, zugleich aber auch Begründungspflichten, weil es sich um Gesetzgebung in eigener Sache handelt. Das Gericht vermochte in den Herausforderungen durch die Digitalisierung der Kommunikation zwar "einschneidende Veränderungen" erkennen, weshalb die Erhöhung der Obergrenze "dem Grunde nach" gerechtfertigt sein könnte. Der Gesetzgeber habe aber nicht hinreichend begründet, warum der Mehrbedarf zur neuen absoluten Obergrenze von 190 Millionen Euro führe. Deshalb wurde das Änderungsgesetz von 2018 für nichtig erklärt. Über die daneben gerügte "missbräuchliche Beschleunigung des damaligen Gesetzgebungsverfahren" traf das BVerfG keine Entscheidung, weil es auf die Frage der formellen Verfassungswidrigkeit nicht mehr ankam. Es gilt nun wieder die frühere Fassung des Parteiengesetzes, also die Obergrenze von 165 Millionen Euro. Die Bundestagsverwaltung kann die zwischenzeitlich ausbezahlten zusätzlichen Zuschüsse von den Parteien zurückfordern. Über das Urteil berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Klaus Hempel) und LTO (Lorenz Menkhoff). Vertiefte Analysen bringen Rechtsanwalt Sebastian Roßner auf LTO und spiegel.de (Dietmar Hipp u.a.).
Im Leitartikel behauptet Reinhard Müller (FAZ), dass die damalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles treibende Kraft der "im Schweinsgalopp und während der Fußball-WM" verabschiedeten Neuregelung gewesen sei. Das hierzulande mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichts etablierte System staatlicher Unterstützung der Parteien könne sich auf gute Gründe berufen, beinhalte aber gerade für "die systemtragenden, die regierenden Parteien" die Gefahr, ihre Interessen mit jenen des Staates zu verwechseln. Max Bauer (tagesschau.de) hält es dagegen eher für eine Gefahr für die Demokratie, wenn Parteien "zu reinen Wahlvereinen von machtgierigen Populisten" mutieren. Dem entgegenzuwirken, sei die im Grundsatz nun bestätigte Funktion einer staatlichen Unterstützung der Parteien. Das "Grundproblem", die parlamentarische Entscheidung "in eigener Sache", ändere sich freilich nicht. Heinrich Wefing (zeit.de) erkennt im nun beendeten Verfahren das Funktionieren der Gewaltenteilung und gleichsam eine Unterstützung für die "Idee der Parteiendemokratie." Auch nach Christian Rath (taz) funktionierte die Oppositionskontrolle. Das BVerfG habe sich wiederum "als Wächter profiliert, ohne den Parteien ernsthaft zu schaden." Diese müssten nur eine "Ehrenrunde" drehen, um die Erhöhung der Obergrenze mit ausführlicher Begründung erneut beschließen zu können. Wolfgang Janisch (SZ) schließlich hält die gerichtliche Argumentation für "arg schulmeisterlich", zumal "das zentrale Argument der Erhöhung" - die Digitalisierung - unbeanstandet geblieben sei. "Das klingt wie Nachsitzen für einen Schüler, obwohl er drei Viertel der Aufgabe richtig gelöst hat." So bleibe als Pointe des "millionenteuren Rüffels", dass der "politische Kontrollmechanismus" seine Funktionsfähigkeit bewiesen hat, obwohl auch die Parteien der klagenden Oppositionsabgeordneten von der Erhöhung der Zuschüsse profitiert hätten.
BVerfG zu Parteienfinanzierung/Gesetzgebung: Parallel zur Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der Reform der Parteienfinanzierung entschied das Bundesverfassungsgericht auch über eine Organklage der AfD-Bundestagsfraktion, die als unzulässig verworfen wurde. Die Fraktion hatte insbesondere eine Verletzung ihrer Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte durch das außergewöhnlichen Tempo des nur zehntägigen Gesetzgebungsverfahrens gerügt. Weil sich die AfD-Fraktion dabei aber nur auf das "Recht auf Opposition" berufen hatte, statt auf die Rechte der Abgeordneten gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, habe es die BVerfG-Rechtsprechung "vollständig außer Acht gelassen", zitiert LTO (Lorenz Menkhoff) aus der Urteilsverkündung.
Rechtspolitik
Bundestags-Wahlrecht: Die FAZ (Daniel Deckers) widerspricht dem vor allem von der CSU vorgebrachten Vorwurf, der jüngste Reformvorschlag der Ampel-Fraktionen zum Bundestags-Wahlrecht stelle eine "organisierte Wahlfälschung" dar. Bei Zugrundelegung der Ergebnisse der vergangenen Wahl würden tatsächlich bayerische Wahlkreise betroffen, dies gelte jedoch auch für andere Länder. Die Annahme, die Ampelkoalition plane eine "Lex CSU", sei "grundfalsch."
Organspenden: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat das vor knapp drei Jahren verabschiedete Organspende-Gesetz als "gescheitert" bezeichnet und eine neue Parlamentsabstimmung über die sogenannte Widerspruchslösung angekündigt. Nach dem Bericht der Welt (Kaja Klapsa) seien die in den vergangenen Jahren gesunkenen Zahlen von Organspender:innen aber eher auf mangelhafte Umsetzung des Gesetzes zurückzuführen. So sei von der Beratungspflicht von Menschen bei Behördengängen aufgrund des erhöhten Personalaufwandes Abstand genommen worden.
Prozessfinanzierer: Auf ihrer Recht und Steuern-Seite informiert die FAZ (Katja Gelinsky) über Kritik an den Plänen des EU-Parlaments, "die Integrität des EU-Rechtssystems zu gewährleisten". Dass hierbei vor allem Prozessfinanzierer unter strengere Aufsicht gestellt werden sollen, behindere die Rechtsdurchsetzung durch Verbraucherschutzverbände, so eine im Text zitierte Expertin. Demgegenüber wollten die Parlamentarier:innen dem Missbrauch des Rechtssystems durch einseitig finanziell motivierte Unternehmen entgegen wirken.
Schuldengrenzen und EU-Verträge: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ warnt Rechtsprofessor Frank Schorkopf vor der Gefahr eines schleichenden Bedeutungsverlustes der EU-Verträge am Beispiel der geplanten Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Diese verstoße eigentlich gegen Schuldengrenzen, die in einem Vertragsprotokoll festgelegt sind, das aus politischen Gründen aber nicht geändert werden kann. Mittlerweile habe die EU-Kommission selbst eingeräumt, dass die Fiskalregeln eine Komplexität erreicht hätten, die Änderungen innerhalb der durch die Verträge gesetzten Grenzen unmöglich erscheinen lasse. Das Bundesverfassungsgericht habe im vergangenen Dezember in seinem Urteil zum EU-Sonderhaushalt eine lediglich formale Prüfung unternommen, so Schorkopf, und so den künftigen Weg etwa für eine Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes gewiesen.
Justiz
LG München I – Mord durch Pfleger: Wegen zweifachen Mordes und mehrfachen Mordversuchs ist ein 26-jähriger Pfleger am Landgericht München I angeklagt. Laut Anklage soll der Angeklagte mehreren Patienten – unter ihnen auch der mittlerweile verstorbene Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger – Sedativa und Opiate verabreicht haben, um während seiner Schichten Ruhe zu haben. Zu Prozessbeginn räumte der Angeklagte die Vorwürfe im Wesentlichen ein, so die FAZ (Karin Truscheit). Im Übrigen habe er seinen erheblichen Alkoholkonsum beschrieben. Fehlende Qualifikationen oder häufige Medikamentennachbestellungen seien nie kritisch thematisiert worden.
Nach dem Eindruck von Annette Ramelsberger (SZ) häufen sich Prozesse wie der vorliegende oder jener gegen Niels Högel, dem wohl größten Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es bleibe zu hoffen, dass jener Oldenburger Prozess nun auch den Kliniken vermittelt habe, dass auch personelle Engpässe keine Ausreden für mangelhafte Kontrollen sein sollten.
BGH zu Zinsanpassungsklauseln: Seine "sparerfreundliche" Rechtsprechung setzte der Bundesgerichtshof in einem Verfahren zur Wirksamkeit variabler Zinsanpassungsklauseln fort. Diese seien hinfällig, wenn sie "Sparer unangemessen benachteiligen", so der BGH, der ein Grundsatzurteil von 2021 bestätigte. Günstige Zinskonditionen müssten günstig bleiben. Die Berechnung der Prämiensparer:innen zustehenden Nachzahlungen muss nun das zuvor befasste Oberlandesgericht Dresden vornehmen. Die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet.
LG Köln zu Krone-Schmalz vs. Davies: Nach einem LTO vorliegenden Beschluss des Landgerichts Köln kann die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz nicht verhindern, dass die Historikerin Franziska Davies ihre Arbeit kritisiert. Der Vorwurf, Krone-Schmalz ignoriere die Fachliteratur und die Analysen von Expert:innen zum Putin-System, griffen zwar in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Krone-Schmalz ein, der Vorwurf wurde vom Gericht aber als Meinungsäußerung eingestuft, die hinzunehmen sei.
StA Fulda – Dehm vs. Silbereisen: Nach einer Anzeige des früheren Bundestagsabgeordneten und Musikproduzenten Diether Dehm (Linke) prüft die Staatsanwaltschaft Fulda derzeit, ob gegen den Sänger Florian Silbereisen ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz einzuleiten ist. Silbereisen hatte bei einer Schlagershow den von Dehm mitgetexteten Song "1000 und 1 Nacht (Zoom!)" ohne das Wort "Indianer" gesungen. LTO berichtet.
GBA – Myanmar: Geschädigte des Militärregimes in Myanmar haben beim Generalbundesanwalt Anzeige gegen die Machthaber wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erstattet. Die vorgeworfenen Taten beträfen sowohl vom Regime veranlasste Übergriffe gegen die Volksgruppe der Rohingya als auch die Unterdrückung der politischen Opposition nach dem letzten Militärputsch in Myanmar. FAZ (Till Fähnders) und taz (Sven Hansen) schreiben, dass die von der NGO "Fortify Rights" unterstützte Anzeigenerstattung auf das in Deutschland geltende Weltrechtsprinzip vertraue.
Recht in der Welt
Großbritannien/Nigeria – Schiedsspruch: Der britische High Court verhandelt in dieser Woche über das von Nigeria eingelegte Rechtsmittel gegen einen Schiedsspruch. 2017 hatte ein Schiedsgericht in London das Land zu Schadensersatz von gut sechseinhalb Milliarden Dollar verurteilt, nachdem die Erschließung von Erdgasfeldern in Nigeria nicht zustande gekommen war, obwohl das Land sie vertraglich zugesagt hatte. Vertragspartner und Kläger ist ein auf den Virgin Islands registriertes branchenfremdes Unternehmen, das inzwischen von einem Hedge-Fonds übernommen wurde. Nigeria macht vor dem High Court geltend, dass der Vertrag nur zustandegekommen war, weil nigerianische Entscheidungsträgern bestochen waren. Auch der nigerianische Vertreter vor dem Schiedsgericht sei bestochen gewesen. Sollte der Schiedsspruch Bestand haben, wäre die mittlerweile auf elf Milliarden Dollar angewachsene Schadensersatzsumme für das Land "kaum zu stemmen", so die FAZ (Philip Plickert). Mit einer Entscheidung sei im März zu rechnen.
EGMR/Russland – Homosexuelle Paare: In der vergangenen Woche bestätigte die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass die Russische Föderation durch ihre Weigerung, gleichgeschlechtlichen Paaren eine legale Anerkennung zu verleihen, gegen das in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verstößt. Rechtsprofessorin Zuzana Vikarska wundert sich auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) über den geringen medialen Nachhall der Entscheidung. Der Gerichtshof habe sich eine Entscheidung angemaßt, zu der eigentlich allein der nationale Gesetzgeber befugt sei. Die negative Wirkung der Entscheidung könne der EGMR kaum einfangen. Bemerkenswert sei, dass an der Entscheidung offenbar auch ein russischer Richter mitgewirkt hat.
USA – korrupter mexikanischer Minister: In New York steht der frühere Chef der mexikanischen Bundesermittlungsbehörde und nachmalige Minister für innere Sicherheit wegen Bestechlichkeit und Drogenschmuggels vor Gericht. Genaro Garcia Luna soll als Helfer des sogenannten Sinaloa-Kartells mehrere Millionen Dollar kassiert und dessen in die USA reichende geschäftliche Aktivitäten unterstützt haben, so die Anklage. Die Verteidigung des früheren Ministers betone dagegen, dass die Vorwürfe lediglich auf Zeugenaussagen verurteilter Krimineller beruhten, so die FAZ (Sofia Dreisbach).
Sonstiges
Panzerlieferungen: Noch vor der nun gefallenen Entscheidung zur Lieferung deutscher Kampfpanzer an die Ukraine legte Rechtsprofessor Andreas Zimmermann in einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch dar, dass die – nun wohl auch stattfindende – deutsche Genehmigung für die Weiterlieferungen solcher Panzer aus Polen völkerrechtlich bereits entschieden sei. In einem Interview mit dem französischen Fernsehen habe die Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock (Grüne), erklärt, einem solchen Ansinnen "nicht im Wege stehen" zu wollen. "Seit langem geklärt und unstreitig" sei es, dass "Außenminister eines Staates diesen durch einseitige Erklärungen völkerrechtlich binden können", ungeachtet der Form und des verwendeten Mediums der Erklärung.
zdf.de (Charlotte Greipl/Jan Henrich) legt dar, dass auch die geplanten Panzerlieferungen Deutschland nicht zur Kriegspartei machten. Diese völkerrechtliche Schwelle würde erst bei Teilnahme am Konflikt, etwa durch eigene Streitkräfte erreicht.
RA für Musikrecht: Im Rahmen der "Small Talk"-Reihe befragt LTO-Karriere (Pauline Dietrich) Rechtsanwalt Stephan Mathé. Der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht setzt seinen beruflichen Schwerpunkt auf das Musikrecht und vertritt in diesem Zusammenhang große Musikverlage oder Influencerinnen.
Das Letzte zum Schluss
Säumiger Mieter: Dem weltweit populären Unternehmergenie Elon Musk hat die Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter bislang keine gute Presse bereitet. Seine Sparmaßnahmen zeigen jetzt aber auch konkrete Wirkungen in anderen Bereichen. spiegel.de berichtet, dass das Londoner Twitter-Büro nun wegen ausstehender Mietzahlungen verklagt wird – vom Crown Estate, der das Vermögen von Charles III. und seiner Familie verwaltet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 25. Januar 2023: . In: Legal Tribune Online, 25.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50872 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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