Die juristische Presseschau vom 24. Januar 2024: BVerfG zu NPD-Finan­zie­rung / BGH zu kor­ruptem Amts­richter / Ver­eins­verbot gegen AfD-Jugend­ver­band?

24.01.2024

Das BVerfG beschloss den Finanzierungsausschluss der verfassungsfeindlichen NPD. Der BGH bestätigte die Verurteilung eines Amtsrichters wegen Rechtsbeugung und Bestechlichkeit. Kann die Junge Alternative als Verein verboten werden? 

Thema des Tages

BVerfG zu NPD-Finanzierung: In erstmaliger Anwendung des 2017 in das Grundgesetz eingefügten Artikel 21 Abs. 3 hat das Bundesverfassungsgericht die NPD (mittlerweile in "Die Heimat" unbenannt) von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Der Ausschluss gilt für sechs Jahre. In dem von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung beantragten Urteil hat das BVerfG ausgeführt, dass Art. 21 Abs. 3 GG kein verfassungswidriges Verfassungsrecht ist, weil das Demokratieprinzip nur denjenigen Parteien Chancengleichheit garantiert, die selbst demokratische Prinzipien anerkennen. Auch beim Finanzierungsausschluss sei (wie beim Parteiverbot) ein qualifiziertes und planvolles Handelns zur Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erforderlich, ohne dass es hier auf die Stärke (Potenzialität) der Partei ankommt. Berichte über das 129 Seiten lange Urteil und dessen Folgen für den Umgang mit der AfD bringen u.a. SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), LTO (Christian Rath), Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer), spiegel.de (Dietmar Hipp), tagesschau.de (Gigi Deppe)SWR-RadioReportRecht (Klaus Hempel/Max Bauer) und beck-aktuell (Jörg von Heinemann/Pia Lorenz).

In einem separaten Kommentar schreibt Wolfgang Janisch (SZ), das Karlsruher Urteil zeige auch, "wie ein  Parteiverbot in der juristischen Praxis funktioniert". Die Berliner Debatte sei zu verzagt. Schließlich sei schon die BVerfG-Entscheidung zur NPD von 2017 ein "Dreiviertelsieg" gewesen. Reinhard Müller (FAZ) erinnert daran, dass der Antrag auf ein Parteiverbot eine Ermessensentscheidung der Politik sei. Man müsse dieses Schwert nicht ziehen. "Karlsruher Verfahren sollten nicht als Kampfmittel geschrumpfter Volksparteien erscheinen, die das Volk vernachlässigt haben." Christian Rath (taz) warnt davor, den Finanzierungsausschluss als milderes Mittel zum Parteiverbot zu sehen. Das Prinzip der "demonstrativen Diskriminierung" verletze offensichtlich das Gerechtigkeitsempfinden, weshalb es kontraproduktiv sei. Sollte die AfD von der Finanzierung ausgeschlossen werden, fänden sich sicherlich genügend "deutschnationale Milliardäre, die der AfD ja nur gegen die Benachteiligung helfen wollen." Für Jost Müller-Neuhof (Tsp) hat die Idee dagegen "zumindest einen gewissen Charme", wenn auch ein gerichtlicher Erfolg eher zweifelhaft sei. Anders als die Politik ließen sich Gerichte nicht von Stimmungen leiten.

Rechtspolitik

Künstliche Intelligenz: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Andreas P. Müller macht auf dem Verfassungsblog darauf aufmerksam, dass die sogenannte Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Ministerraat und EU-Kommission über die Ausgestaltung des sogenannten AI Acts befürchten ließen, dass sich der Rat und die von ihm gesetzten Schwerpunkte "Wirtschaftsförderung und nationale Sicherheit" durchsetzen. Der Autor macht dies am Beispiel des Verbots biometrische Fernidentifizierung fest, das in der gegenwärtigen Entwurfsversion dem "AI Act mit seinen ethischen Fundierungen und ambitionierten Zielsetzungen" zuwider laufe.

KapMuG: Die Rechtsanwälte Alexander Retsch und Marco Sustmann begrüßen im Recht und Steuern-Teil der FAZ das Vorhaben von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), den kollektiven Rechtsschutz für Kapitalanleger effizienter zu gestalten. Der bislang vorgelegte Referentenentwurf für eine Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes weise diesbezüglich sinnvolle Ansätze auf. Es bleibe aber das Problem, dass Schadensersatzansprüchen weiterhin individuell durchgesetzt werden müssen. Wenn Einzelkläger, wie geplant, weniger in KapMuG-Verfahren am OLG eingebunden werden, könne dies zur zusätzlichen Belastungen der Landgerichte führen.

BayVerfGH-Richterwahl: Der bayerische Landtag wird voraussichtlich am heutigen Mittwoch mit den Stimmen der Regierungsfraktionen der CSU und der Freien Wähler eine Liste von 15 Kandidat:innen für den Verfassungsgerichtshof des Freistaates bestätigen. Zu den voraussichtlichen "nichtberufsrichterlichen Mitgliedern" gehören auch zwei Kandidaten der AfD, berichtet die FAZ (Timo Frasch). Der Präsident des Gerichts habe dem Landtag erst kürzlich dargelegt, dass eine unvollständige Besetzung des Gerichts "mit schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Unsicherheiten verbunden" sei. Bereits zuvor habe sich der Ältestenrat des Landtags auf eine Abstimmung über eine Liste mit Vorschlägen aller Fraktionen im "Block" verständigt.

Thomas Holl (FAZ) beschreibt eine "juristische Zwickmühle", in der sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) befinde. Dieser müsse befürchten, dass eine Verfassungsklage der AfD Erfolg haben würde, wenn bei "einer Einzelabstimmung statt der seit Ewigkeiten praktizierten En-bloc-Abstimmung" das Richtergremium unvollständig gefüllt würde.

Justiz

BGH zu korruptem Amtsrichter: In einem nun veröffentlichten Beschluss hat der Bundesgerichtshof bereits Ende November die Verurteilung eines Baden Badener Amtsrichters durch das Landgericht Karlsruhe zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren u.a. wegen Rechtsbeugung und Bestechlichkeit bestätigt. Der Richter hatte einen befreundeten Autohändler gegen Bezahlung jahrelang Rechtsrat erteilt und zusätzlich in einem Strafverfahren gegen einen Bekannten des Autohändlers durch eine Verständigung mit der Verteidigung (ohne Staatsanwaltschaft) eine Bewährungsstrafe herbeigeführt. Außerdem warnte er den Autohändler vor drohendem Kokain-Ermittlungen. beck-aktuell berichtet.

BGH zu Fristversäumnis: Der Bundesgerichtshof erkannte auf Fristwahrung, nachdem eine Berufungsbegründung beim LG Berlin rechtzeitig eingegangen war, ihr Ausdruck dort aber erst deutlich nach Fristablauf zur Akte geheftet wurde. Die zwischenzeitliche Verwerfung der Berufung müsse jedenfalls aufgehoben werden, da das Versäumnis hier als "gerichtsinternes Versehen" behandelt werden müsse. beck-aktuell berichtet.

LAG S-H zu Bedrohung einer Kollegin: Wie schon die Vorinstanzen entschied auch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in einem nun veröffentlichten Urteil aus dem Juli, dass eine mit der Bedrohung einer Arbeitskollegin begründete außerordentliche Kündigung nur dann Bestand haben kann, wenn die Bedrohung ernst gemeint war und ernst genommen wurde. Das Gericht vermochte dies im zugrundeliegenden Fall nicht zu erkennen. Der erfolgreiche Kläger hatte beim Ausprobieren einer Heringsanlage ein scharfes Filetiermesser in die Hand genommen und in die Richtung des Halses einer Kollegin bewegt. Ein zumindest bedingter Vorsatz bezüglich einer Drohung sei hierin aber nicht zu erkennen, so das Urteil. LTO berichtet.

LG Hamburg zu Lindemann-Anwalt: Am Landgericht Hamburg ist die Süddeutsche Zeitung mit dem Antrag einer einstweiligen Verfügung gegen Rechtsanwalt Simon Bergmann abgewiesen worden. Die Zeitung wollte dem Vertreter des Rammstein-Sängers Till Lindemann die Verbreitung bestimmter Aussagen untersagen, in denen dieser im Rahmen eines LTO-Streitgesprächs die Berichterstattung der Zeitung über seinen Mandanten kritisiert hatte. Nach Auffassung des Gerichts würde das "unvoreingenommene und verständige Durchschnittspublikum" die beanstandete Äußerungen jedoch ohne Weiteres als Meinungsäußerung einstufen. LTO berichtet.

LG Berlin I – Vergewaltigung im Görlitzer Park: Im Verfahren über eine Vergewaltigung im Görlitzer Park ist am Landgericht Berlin I die gegenüber einem Haftrichter ergangene Aussage eines der Angeklagten verlesen worden. Der aus Guinea stammende Mann habe Mitte Dezember erklärt, dass er den Park in der Juninacht zum Drogenkauf aufgesucht habe. Dort sei er von dem georgischen Paar eingeladen worden, an deren Intimitäten teilzunehmen. Dies wurde zum Teil auch in einem kurzen Video festgehalten. Im Anschluss habe die Frau mit ihm Telefonnummern getauscht. Über die Verhandlung berichten FAZ (Julia Schaaf) und spiegel.de (Julia Jüttner).

LG Würzburg zu Daniel Halemba: Das Landgericht Würzburg hat den Haftbefehl gegen den Landtagsabgeordneten Daniel Halemba (AfD) aufgehoben. Bezüglich der andauernden Ermittlungen gegen Halemba bestehe keine Verdunkelungsgefahr mehr, so zeit.de.

FG Sachsen/FG RhPf zu Grundsteuer: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ weist Rechtsanwalt Daniel Dressler auf divergierende Rechtsprechung bei der Bewertung des sogenannten Bundesmodells der reformierten Grundsteuer hin. Während das Sächsische Finanzgericht im vergangenen Oktober diesbezüglich auf den weiten gesetzgeberischen Spielraum abgestellt habe, habe das Finanzgericht Rheinland-Pfalz im November Kritik an der undifferenzierten Ermittlung der Ertragskraft der Immobilien angemeldet. Nach einer Beschwerde zum Bundesfinanzhof müsse nun dieser entscheiden.

Strafmaß bei Sexualstraftaten: Thomas Fischer (spiegel.de) unternimmt eine Bestandsaufnahme der von ihm mitbetriebenen Debatte über die Angemessenheit von Straferhöhungen bei Sexualdelikten. Zu diesem Zweck erinnert er an die ursprüngliche Forderung von Hoven/Rostalski nach flächendeckenden Straferhöhungen im genannten Bereich, die bestenfalls populistisch sei. Darüber hinaus ließen sich auch in Strafrechtsfragen widerstreitende Meinungen vertreten, dies sei schließlich "Kennzeichen einer offenen Diskussion."

Recht in der Welt

EGMR/Polen – Rechtsstaat: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Julian Jansen stellt auf dem JuWissBlog ein Ende November verkündetes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vor, in dem die durch die sogenannte Justizreform in Polen entstandenen rechtsstaatlichen Probleme in selten gekannter Offenheit benannt würden. Ausgangspunkt war eine Entscheidung des Landesjustizrats, der auf Anregung des damaligen Generalstaatsanwalts eine zugunsten des früheren Präsidenten Lech Walesa ergangene Berufungsentscheidung aufgehoben hatte. Der EGMR erkannte hierin einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren und begründete dies vor allem mit der Beteiligung einer Rechtsmittelkammer des Obersten Gerichts Polens. Diese Kammer sei kein "auf Gesetz beruhendes, unabhängiges und unparteiisches Gericht." Das zutage getretene "generelle Strukturproblem" in Polens Justiz habe den EGMR zur Einleitung eines sog. Pilotverfahrens veranlasst.

Polen – Ex-Innenminister Kaminski: Staatspräsident Andrzej Duda hat den früheren polnische Innenminister Mariusz Kaminski ebenso wie einen ehemaligen Staatssekretär begnadigt. Die beiden waren erst vor zwei Wochen im Präsidentenpalais festgenommen worden. Die beiden PiS-Politiker seien inzwischen auf freien Fuß gesetzt worden. zeit.de berichtet.

Niederlande – Mord an Peter de Vries: Im Amsterdamer Hochsicherheitsgericht begann die zweite Auflage des Strafprozesses über die Ermordung des bekannten Fernsehjournalisten Peter de Vries. Nach der Tat im Jahr 2021 sollten der Todesschütze und sein Fluchtwagenfahrer bereits im Juli des Folgejahres verurteilt werden. Das Verfahren wurde aber schließlich eingestellt, nachdem Ermittlungen Hinweise auf Hintermänner ergeben hatten. Nun stehen sieben weitere Angeklagte vor Gericht, die eine Verbindung zum "Boss der marokkanischen Drogenmafia" haben sollen, schreibt die FAZ (Thomas Gutschker). Ein Urteil soll im Juni verkündet werden.

Iran – Todesstrafe: Im Iran ist erneut eine Todesstrafe wegen Beteiligung an den Protesten im Herbst 2022 vollstreckt worden. Der Getötete war wegen "Korruption auf Erden" sowie Mord verurteilt worden. Nach Angaben seines Verteidigers sei das letztere Verfahren aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Zudem litt der junge Mann an psychischen Problemen, ohne dass dies Berücksichtigung gefunden habe. Es berichten FAZ (Friederike Böge) und taz (Daniela Sepehri).

Sonstiges

JA-Verbot: Die FAZ (Stephan Klenner) befasst sich mit der Idee, die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative auf Grundlage des Vereinsrechts zu verbieten. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem SRP-Verbot von 1952 zwei Arten von Parteiorganisationen benannt: "Teile der Partei" unterfielen einem Verbot, "selbständige Organisationen" aber nicht. Unterscheidungskriterien habe das BVerfG nicht genannt, in der Rechtswissenschaft seien diese umstritten. Der spätere FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle habe in seiner Dissertation 1994 Jugendorganisationen von Parteien als deren "qualifizierte Hilfsorganisationen" bezeichnet.

Wesentlich unproblematischer stellt sich das Problem nach Darstellung der SZ (Ronen Steinke) dar, da die Junge Alternative ein eingetragener Verein ist. "Hier wäre ein ganz normales Vereinsverbot möglich", wird Rechtsprofessorin Sophie Schönberger zitiert. Zuständig wäre Bundesinnenministern Nancy Faeser (SPD). Das Verwaltungsgerichts Köln urteilte im März 2022 über die inhaltliche Ausrichtung der JA, dort stünden viele Indizien für eine extremistische Ausrichtung im Programm, die bei der AfD mühsam anhand von Äußerungen von Funktionär:innen belegt werden müssten. 

Juristische Einstiegsgehälter: Eine auf Befragungen deutscher Studierender beruhende Studie einer Personalberatung hat ergeben, dass Studierende der Rechtswissenschaft die höchsten Erwartungen bezüglich der Höhe ihrer Einstiegsgehälter hegen. Der aktuelle Durchschnittswert liegt bei 58.500 Euro, so LTO-Karriere. Bei einer bereits zwei Jahre zurückliegenden Erhebung seien die tatsächlichen Einstiegsgehälter für in Vollzeit arbeitende Berufsanfänger und -anfängerinnen mit gut 52.000 Euro beziffert worden.

 

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LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. Januar 2024: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53704 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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