Die juristische Presseschau vom 21. Februar 2023: Neuer Ver­fas­sungs­richter Eifert / Drogen-Panne im Gesund­heits­mi­nis­te­rium / Stra­tegi­sche Pro­zess­füh­rung der GFF

21.02.2023

Der Bundespräsident hat Rechtsprofessor Martin Eifert zum Verfassungsrichter ernannt. Dem Gesundheitsministerium missglückt eine Gesetzesaktualisierung zu neuen psychoaktiven Stoffen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagt strategisch. 

Thema des Tages

BVerfG-Richter Eifert: Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Rechtsprofessor Martin Eifert zum Verfassungsrichter am Ersten Senat ernannt. Er war bereits Mitte Dezember vom Bundestag auf Vorschlag der Grünen gewählt worden. Eifert wird von LTO (Christian Rath) vertieft porträtiert. Eifert war bereits 2020 für die Nachfolge von Richter Johannes Masing im Gespräch gewesen, damals als Vorschlag der SPD. Nach einer Änderung der Geschäftsverteilung des Senats sei Eifert nun zuständig für "rekordverdächtige" 16 Themenbereiche, unter ihnen auch das öffentliche Umweltrecht. Damit sei er künftig "federführender Richter für den verfassungsrechtlichen Klimaschutz." Im privaten Bereich habe er sich die Kinderbetreuung mit seiner Frau hälftig aufgeteilt. Seine Ernennung beweise, dass diese Aufgabenübernahme durch Männer einer Karriere nicht im Wege stehe.

Eiferts "ungewöhnlich angenehme Work-Life-Balance" und seine intellektuelle Herkunft aus "der klugen, nicht ganz uneitlen Schule" des früheren Verfassungsrichters Wolfgang Hoffmann-Riem finden auch Erwähnung im Porträt der FAZ (Reinhard Müller).

Ex-BVerfG-Richterin Baer: Verfassungsrichterin Susanne Baer scheidet mit dem Ablauf ihrer Amtszeit vom Bundesverfassungsgericht. Bei der Aushändigung ihrer Entlassungsurkunde überreichte ihr Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Anerkennung "herausragender Dienste" für die Bundesrepublik das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens. Dies berichtet LTO und zeichnet den Berufsweg der Vertreterin einer feministischen Rechtswissenschaft und Rechtspolitik nach.

Rechtspolitik

Psychoaktive Stoffe: Seit 2016 bestimmt das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) die Strafbarkeit von Besitz, Handeltreiben oder Herstellen von LSD-Derivaten. Seitdem hat sich ein Wettlauf zwischen den Anbietern dieser auch "Legal Highs" genannten psychoaktiven Stoffe und dem Gesetzgeber entwickelt, bei dem Letzterer die jeweils neuesten, dann dem Verbot unterfallenden Stoffgruppen aufführt. Nach Informationen von LTO (Hasso Suliak) ist bei der letzten Aktualisierung des NpSG im vergangenen Oktober nun etwas gehörig schiefgelaufen. Wie in einem Fachaufsatz im nächsten "Strafverteidiger" nachzulesen sei, habe ein Interpunktionsfehler statt der beabsichtigten Verbotserweiterung sogar die "Re-Legalisierung" und eine "Generalamnestie" bezüglich einer ganzen Reihe psychoaktiver Stoffe bewirkt. Auf Nachfrage habe sich eine Sprecherin des Bundesministeriums für Gesundheit betroffen gezeigt und eine zeitnahe Berichtigung des Fehlers in der Verordnung angekündigt. Ob sich dies angesichts der erforderlichen Zustimmungspflicht des Bundesrates bewerkstelligen lasse, sei jedoch fraglich. Bis zum Änderungszeitpunkt dürfte jedenfalls eine Reihe von Strafverfahren zu – eigentlich ungewollten – Freisprüchen führen.

Dokumentation der Hauptverhandlung: Die Neue Richtervereinigung (NRV) begrüßt den Referentenentwurf für die geplante Einführung einer audiovisuellen Dokumentation strafrechtlicher Hauptverhandlungen grundsätzlich. Sie halte jedoch zunächst die allein audiotechnische Dokumentation samt zeitgleicher Transkription für ausreichend, so LTO. Dagegen sieht die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) keine derartigen Einschränkungen vor. Gerade weil Menschen "keine Videokamera" seien, liege es nahe, "menschliche Defizite" durch visuelle Aufnahmen zu kompensieren. Die Stellungnahmefrist endete am vergangenen Freitag.

Justiz

BVerfG – parteinahe Stiftungen: Vor dem für den morgigen Mittwoch geplanten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu möglichen Leistungsansprüchen der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung berichtet die taz (Gareth Joswig) über die Kritik am bisherigen Nichtzustandekommen einer gesetzlichen Grundlage für diese Zuwendungen.

BGH zu Namensänderung: In einem nun veröffentlichten Beschluss von Ende Januar hat der Bundesgerichtshof die Anforderungen für eine Namensänderung von Kindern verringert. Zwar gelte das Prinzip der Namenskontinuität weiterhin als Grundsatz und müsse bei der Ermittlung der Erforderlichkeit auch weiterhin eine umfassende Abwägung beteiligter Belange und Interessen erfolgen. Im Falle der fehlenden Zustimmung beider Elternteile sei nun aber keine Kindeswohlgefährdung mehr erforderlich. Als milderes Mittel sei auch ein Doppelname zu prüfen. LTO berichtet.

BVerwG zu Facebook-Seite des MDR: Am 30. November des vergangenen Jahres entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der MDR berechtigt ist, Kommentare auf seinen Social-Media-Seiten zu löschen, wenn diese keinerlei Sendungsbezug aufweisen. In einer Analyse der nun vorgelegten Gründe bedauern der Wissenschaftliche Mitarbeiter Tobias Mast und Rechtsprofessor Wolfgang Schulz auf dem Verfassungsblog, dass auch "etwa 15 Jahre, nachdem die Phänomene relevant wurden" immer noch keine verfassungsrechtlich stringente Lösung vorliege. Stattdessen rette man sich in einem "hochkomplexen Interessengeflecht" aus gleichsam grundrechtsverpflichteten und -berechtigten Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und deren Interaktion mit Privaten in das "Kleinklein einer Staatsvertragsanlage". Das Gericht habe eine Chance vertan.

BAG - Einsichtsrecht von Betriebsräten: Rechtsanwältin Johanna Reiland macht im Expertenforum Arbeitsrecht auf einen Beschluss des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalts aufmerksam, das im vergangenen Oktober wegen grundsätzlicher Bedeutung eine Rechtsbeschwerde zur Frage des "digitalen Einsichtsrechts" von Betriebsräten zum Bundesarbeitsgericht zugelassen hat. Im Ausgangsfall waren Bewerbungsunterlagen dem Betriebsrat wohl elektronisch, nicht aber in Papierform zugestellt worden.

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: LTO (Stefan Schmidbauer) bringt ein Update der (umgekehrten) Chronologie der Ereignisse. Im Mittelpunkt stehen die Einlassungen des hauptangeklagten früheren Wirecard-Chefs Markus Braun und die Aussagen des Kronzeugen Oliver Bellenhaus.

VG Schleswig zu Thermofenstern: Auf Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hat das Verwaltungsgericht Schleswig nun entschieden, dass die vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erteilte Freigabe von Abschalteinrichtungen in Form sogenannter Thermofenster in einem VW-Diesel-Modell rechtswidrig war. In Anwendung der engen Maßstäbe einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem vergangenen Oktober befand das VG, dass die von der DUH beanstandeten Abschalteinrichtungen technisch nicht notwendig seien, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. Die hierzu vom KBA und VW beschriebenen Gefahren beträfen nur Extremszenarien. Gegen die Entscheidung wurden sowohl Berufung als auch Sprungrevision zugelassen. Sollte der Musterentscheid Bestand haben, könnte dies zur Stilllegung von Millionen Fahrzeugen führen. Die obsiegende DUH hat weitere Klagen gegen Freigabebescheide angekündigt bzw. bereits anhängig gemacht. Es berichten LTO (Felix W. Zimmermann) und FAZ (Katja Gelinsky/Tobias Piller).

ArbG Berlin – RBB-Führungskräfte: Nach Bericht der SZ (Anna Ernst) sind in den vier mittlerweile beim Arbeitsgericht Berlin anhängigen Kündigungsschutzverfahren ehemaliger RBB-Führungskräfte noch keine Einigungen erzielt worden. So seien in zwei Fällen Gütetermine verstrichen, in denen der beklagte Sender seine fehlende Vergleichsbereitschaft unterstrichen habe.

AG Starnberg zu Fledermausköttel: Die Exkremente von Fledermäusen, sogenannte Köttel, stellen dann keinen zur Minderung führenden Mietmangel dar, wenn das Auftreten der Tiere landesüblich und damit hinzunehmen ist. In einem noch nicht rechtskräftigen Urteil führte das Amtsgericht Starnberg nach Bericht von LTO zunächst aus, dass sich der behauptete Umfang der Köttel auf der Terrasse einer Mietwohnung durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt habe. Zudem sei aber auch die Begegnung mit landestypischen Tieren – und deren Abfallprodukten – jedenfalls im ländlichen Raum hinzunehmen.

Recht in der Welt

Israel – Justizreform: Die FAZ (Christian Meier) berichtet über die geplanten Parlamentsabstimmungen zu ersten Gesetzesänderungen im Rahmen der israelischen Justizreform. Die von heftigen Protesten begleiteten Reformen beträfen das Prozedere für die Richterwahl. Hier schaffe die neue Zusammensetzung des Wahlkomitees einen entscheidenden Einfluss der jeweiligen Regierungskoalition. Durch die andere Neuerung würde dem Obersten Gericht die Möglichkeit genommen, sogenannte "Grundgesetze" einer Prüfung zu unterziehen.

Die Berichte von SZ (Constanze von Bullion/Peter Münch) und zeit.de (Steffi Hentschke) über den Besuch von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Land weisen auf die heikle Situation angesichts der dortigen Kritik an der geplanten Reform hin.

USA – Desinformation: Die milliardenschwere Schadensersatzklage des Wahlautomaten-Herstellers Dominiongegen den US-amerikanischen Fernsehsender Fox beleuchtet die FAZ (Nina Rehfeld). Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens hätten vorgelegte Dokumente die "ohnehin bezweifelte Vertrauenswürdigkeit" des Senders bereits jetzt nachhaltig beschädigt. So gehe aus Textnachrichten prominenter Personen von Fox News hervor, dass die Betreffenden sich der Erzählung des früheren Präsidenten, seine Wiederwahl sei an einer Verschwörung unter Verwendung der Wahlautomaten gescheitert, erst angeschlossen hatten, nachdem klar geworden, dass dies vom Publikum gewünscht wird.

Juristische Ausbildung

Legal Tech und IT-Recht im Referendariat: Dass im Rechtsreferendariat in Bayern ab Juli eine Spezialisierung in den Bereichen Legal Tech und IT-Recht möglich ist, findet die Zustimmung von Alexander Pradka (Hbl). Auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung hätten sich die Anforderungen in juristischen Berufen "bereits stark verändert." Erforderliche Kapazitäten ließen sich durch Automatisierungen standardisierter Abläufe gut herstellen. Hierfür brauche es eine "andere, zusätzliche Expertise."

Sonstiges

GFF: Die SZ (Wolfgang Janisch) erklärt die Arbeit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und ihr Konzept der strategischen Prozessführung. 2015 durch u.a. den Richter Ulf Buermeyer und den Politker Malte Spitz (Grüne) gegründet, beschäftige der u.a. durch fast 4.000 Fördermitglieder finanzierte Verein mittlerweile etwa 20 Mitarbeitende. Schwerpunktmäßig engagiere sich die GFF "gegen Überwachung und Diskriminierung, für soziale Teilhabe und lebendige Demokratie". Sie vermeide "Spektakelklagen" wie die "Mammutklage" gegen das CETA-Abkommen und setze dagegen eher auf "kompetente Autoren" von Verfassungsbeschwerden und sorgfältiges "Casting" der Kläger", um nicht als unzulässig abgewiesen zu werden.

Öffentlichkeitsarbeit der Polizei: In einem Kommentar beklagt Ronen Steinke (SZ) einen "enttäuschend lässigen Umgang mit Fakten, wenn die Polizei selbst Betroffene von Straftaten ist." Wie der Fall der über das Wochenende berichteten Auseinandersetzung in Trier belege, sei es "nicht gut, dass die Polizei in Deutschland in solchen Situationen Opfer, Ermittlerin und Pressesprecherin zugleich ist." Die in einigen Ländern bestehenden, in anderen geplanten "Polizeibeauftragten" seien hier nur Behelfslösungen, weil deren Arbeit im Falle strafrechtlicher Ermittlungen pausieren müsse.

Paul Kirchhof: Die FAZ (Reinhard Müller) gratuliert Paul Kirchhof zu seinem heutigen 80. Geburtstag. Er habe durch seine verfassungsrichterliche Tätigkeit, aber auch "als Wissenschaftler, als Autor und Redner tiefe Spuren hinterlassen" und befasse sich auch weiterhin mit den "großen Fragen von Freiheit und Gerechtigkeit." Der damalige Kanzler Gerhard Schröder hatte Kirchhof als "Professor aus Heidelberg" abgestempelt.

Rechtsgeschichte – Geschwister Scholl: Der Historiker Hans Günter Hockerts unternimmt im Feuilleton der SZ einen "Blick in die Maschinerie der Gewaltjustiz" und schreibt über den Prozess gegen Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst. Am 18. Februar 1943 festgenommen, wurden die drei schon am 22. Februar nach einer knapp dreistündigen Verhandlung durch den Volksgerichtshof u.a. wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung erfolgte weitere vier Stunden später.

Das Letzte zum Schluss

Rettungsgasse: Das vergangene Wochenende lief nicht besonders gut für die Fußballer des FC Bayern München, immerhin haben sie aber bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen noch einen Stein im Brett. spiegel.de berichtet, dass der Mannschaftsbus auf dem Weg zum Flieger nach München von Einsatzkräften auf der BAB 52 durch eine wegen eines Unfalls gebildete Rettungsgasse gelotst wurde. (Nach den letzten Verschärfungen der einschlägigen Bußgeldbestimmungen werde die unberechtigte Benutzung einer Rettungsgasse eigentlich mit 240 Euro und zwei "Punkten in Flensburg" geahndet.)

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.  

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Februar 2023: . In: Legal Tribune Online, 21.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51110 (abgerufen am: 21.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen