Christoph Möllers hat Antisemitismus-Klauseln in der Kulturförderung begutachtet. Die bayerische Regierung hat der Landesverwaltung gendersensible Wortbinnenzeichen verboten. Völkerstrafrechtler Sands erklärt seinen Einsatz für Palästina.
Thema des Tages
Kunstfreiheit: Rechtsprofessor Christoph Möllers hat im Auftrag von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) ein Gutachten zur Zulässigkeit von Diversitäts- und Antisemitismus-Klauseln in der Kulturförderung erstattet. Möllers hält es für unzulässig, dass der Empfang staatlicher Förderung vom Bekenntniss zu einer "vielfältigen Gesellschaft" abhängig gemacht wird, weil dies "mit rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht zu vereinbaren" sei. Dagegen könne der Staat von geförderten Künstler:innen ein Bekenntnis gegen Antisemitismus und Rassismus einfordern. Problematisch sei aber, sich auf eine bestimmte (umstrittene) Definition von Antisemitismus festzulegen, wie es vor einigen Monaten in Berlin versucht wurde. Letztlich bedeuteten solche Klauseln "eine beträchtliche nachgelagerte Kontrolle des gesamten öffentlichen Kunstbetriebes", die rechtspolitisch fragwürdig sei, so der Staatsrechtler. Die SZ (Ronen Steinke) berichtet.
Rechtspolitik
Gendern: Die bayerische Regierung hat eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats beschlossen, nach der gendersensible Wortbinnenzeichen wie Gender-Gap, Genderstern, Doppelpunkt oder Mediopunkt ausdrücklich für unzulässig erklärt werden. Wenn z.B. Lehrer:innen solche Zeichen verwenden, müssen sie mit dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen. Nach Darstellung der Staatskanzlei handele es sich lediglich um eine Klarstellung, da schon bisher der Gebrauch der offiziellen Rechtsschreibung vorgeschrieben war. Wenn Schüler:innen Genderzeichen verwenden, soll dies zwar als "nicht korrekt" markiert, aber nicht als Fehler gewertet werden. LTO berichtet.
TKÜ/Einbrüche: Bei einer Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestags hat sich die Mehrheit der gehörten Sachverständigen für eine Entfristung der 2019 eingeführten Möglichkeit ausgesprochen, die Telekommunikation von Personen zu überwachen, die im Verdacht stehen, Wohnungseinbrüche zu begehen. Dies berichtet LTO. Die aktuelle Regelung laufe im nächsten Dezember ab. Das Bundesjustizministerium bevorzuge eine weitere Fünf-Jahres-Befristung, weil sich angesichts eines coronabedingten Rückgangs solcher Taten nicht genügend Datenmaterial für eine Evaluation ergeben habe.
Schuldenbremse: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ spricht sich Rechtsprofessor Heiko Sauer gegen die Idee aus, allen Wahlberechtigten die Möglichkeit einzuräumen, staatliche Haushaltsdisziplin durch eine "Schuldenbremsen-Verfassungsbeschwerde" erzwingen zu können. Die diesbezüglichen Argumente überzeugten nicht. So sei das "Grundrecht auf Demokratie" im Europaverfassungsrecht entwickelt worden, um Mängeln demokratischer Einflussnahme auf Unionsebene zu begegnen. Die Rechtsfigur der intertemporalen Freiheitssicherung hingegen setze die Absehbarkeit zukünftiger Auswirkungen aktueller Haushalts-Entscheidungen voraus. Grundsätzlich sei fraglich, "ob eine umfassende Funktionalisierung der Einzelnen zu Hütern der Verfassung verfassungspolitisch sinnvoll ist."
Digitalisierung der Justiz: Die Digitalisierung der Justiz biete in Deutschland ein durchwachsenes Bild, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch). Während an Gerichten schon längst nicht mehr das Fax-Gerät "den Endpunkt der technologischen Entwicklung markiert" und die Erprobungsphase verschiedener Textverarbeitungstools ansprechende Resultate liefere, bestehe nach wie vor ein "Rückstand im Außenauftritt." So seien zeitgemäße Angebote wie ein zentrales Informationsportal oder gar die Möglichkeit von Online-Klagen noch immer weit entfernt.
KI in der Justiz: In einem Gastbeitrag für beck-aktuell machen Anne Paschke und Pauline Fellenberg, Rechtsprofessorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, darauf aufmerksam, dass die Nutzung von KI-Systemen durch Gerichte nach der geplanten KI-Verordnung der EU besonderen Pflichten unterliegt.
Cannabis: Die FAZ (Daniel Deckers/Katharina Iskandar) wiederholt die anhaltende Kritik der Länder am geplanten Cannabisgesetz. Bei der für Freitag geplanten Abstimmung im Bundesrat sei die Anrufung des Vermittlungsausschusses wahrscheinlich.
Die Arbeit des Ausschusses und seine Funktion erklärt der Bundestagsabgeordnete und aktuelle Ausschussvorsitzende Hendrik Hoppenstedt (CDU) in einem ausführlichen Gespräch mit LTO (Hasso Suliak). Die Vertraulichkeit der Sitzungen und der dort verhandelten Inhalte sei dringende Voraussetzung für die Kompromissbereitschaft der Teilnehmenden.
Bürgergeld-Sanktionen: Über die vom CDU-Vorstand beschlossenen Pläne für eine grundlegende Reform des Bürgergeldes und insbesondere die hiermit verbundenen erhöhten Sanktionsmöglichkeiten berichtet nun auch LTO ausführlich.
Streik: Die SZ (Ronen Steinke u.a.) gibt in Frage-und-Antwort-Form einen Überblick zur aktuellen Debatte über eine Einschränkung des Streikrechts sowie arbeits- und verfassungsrechtliche Aspekte.
Schwangerschaftsabbruch: spiegel.de (Sophie Garbe/Milena Hassenkamp) bringt einen großen Artikel über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von § 218 Strafgesetzbuch. Vor dem Hintergrund anhaltender Diskussionen über eine Neuregelung des Rechts von Schwangerschaftsabbrüchen sinke die Zahl der Praxen, die Abtreibungen durchführen, kontinuierlich. Gleichzeitig trage eine gut organisierte Lebensschutzbewegung sowie die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus den 1970er- und 1990er-Jahren dazu bei, die Reformbereitschaft der Politik abzuwürgen.
Justiz
EuGH zu harmonisierten technischen Normen: Rechtsanwalt Thomas Klindt formuliert auf beck-aktuell eine Generalkritik der vor zwei Wochen verkündeten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die freie Zugänglichkeit harmonisierter technischer Normen. Das nach dem erfolgreichen Kläger auch "Malamud-Entscheidung" genannte Urteil stelle das System europäischer Produktsicherheitsnormen in Frage, weil mit dem Wegfall bislang zu zahlender Lizenzgebühren auch der Anreiz zur Erarbeitung der Normen entfalle. Der Anwendungsbereich der Normen habe sich bislang auf den Vollzug europäischen Produktrechts durch nationale Marktüberwachungsbehörden beschränkt. Warum sich der EuGH nun genötigt gesehen habe, ein Anfechtungsrecht Privater zu konstruieren, bleibe "ein komplettes Rätsel." Die Entscheidung wird auch von Alexandru Soroiu auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) analysiert. Der Doktorand sieht eine nun etablierte Pflicht betroffener Organisationen, ihre Normen proaktiv zu veröffentlichen.
BVerfG – AfD-Ausschussvorsitz: Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am heutigen Mittwoch über die Verfassungsmäßigkeit der Abwahl des AfD-Abgeordneten Stephan Brandner als Vorsitzender des Bundestags-Rechtsausschusses 2019 sowie die Weigerung der übrigen Fraktionen, in der laufenden Legislaturperiode AfD-Vorschläge für Ausschussvorsitze zu wählen. beck-aktuell (Maximilian Amos) stellt insbesondere den Fall Brandner vor und erinnert, dass die Eilänträge der AfD erfolglos blieben. Dieses Schicksal drohe nun auch dem von der Partei geltend gemachten Anspruch auf Vorsitze. Die Abwahl vom Ausschussvorsitz sei hingegen in der Geschäftsordnung des Bundestages nicht geregelt, hier dürfe die Klärung verfassungsrechtlicher Maßstäbe erwartet werden.
BGH zu Notarkosten: Die Kosten gesellschaftsrechtlicher notarieller Arbeit orientieren sich auch dann an allgemeinen Sätzen, wenn die Gesellschaft, die die Arbeit in Anspruch nahm, gemeinnützig ist. Dies entschied der Bundesgerichtshof laut beck-aktuell in einem Beschluss von Anfang Februar.
OLG Frankfurt/M. - rechtsextreme Polizei-Chats: Zu einem noch nicht bekannten Zeitpunkt wird das Oberlandesgericht Frankfurt/M. über die Eröffnung einer Hauptverhandlung gegen Teilnehmende eines rechtsextremen Polizei-Chats entscheiden. Die zuständige Staatsanwaltschaft hatte Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des Landgerichts Frankfurt/M. eingelegt, das eine Verbreitung der Inhalte über die private Gruppe hinaus nicht zu erkennen vermochte. LTO (Max Kolter) nimmt dies zum Anlass, die noch wenig einheitliche Rechtsprechung zur Verbreitung von Inhalten in polizeilichen Chatgruppen darzustellen. In rechtspolitischer Hinsicht bestehe Uneinigkeit über die Notwendigkeit einer speziell an Amtspersonen gerichteten Strafrechtsergänzung, die jedoch in dieser Legislaturperiode wohl ohnehin nicht mehr zu erwarten sei.
LAG Hamm zu AGG-Hopping: Nun stellt auch Rechtsanwältin Kristina Schilder im Expertenforum Arbeitsrecht ein Anfang Dezember verkündetes Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vor, in dem unter Bezug auf Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Rechtsmissbrauch durch sogenanntes AGG-Hopping festgestellt wurde. Der unterlegene Kläger hatte sich systematisch auf nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen beworben, dabei aber zB nicht einmal einen Lebenslauf mitgeschickt.
LG Traunstein zu Tod von Hanna Wörndl: Wegen Mordes an der Studentin Hanna Wörndl hat das Landgericht Traunstein den Angeklagten Sebastian T. zu einer Jugendstrafe von neun Jahren Haft verurteilt. Das Gericht ging von einer Spontantat infolge eines zufälligen Zusammentreffens aus. T., der nachts joggte, wollte die Studentin vergewaltigen, schlug sie mit einem Stein bewusstlos und warf dann den Körper zur Verdeckung des Vergewaltigungsversuches in einen Bach, wo das Opfer ertrank. Das Gericht kritisierte bei der Verkündung die Verteidigerin Regina Rick, weil sie versucht habe, über die Medien Druck auf das Gericht auszuüben.FAZ (Karin Truscheit), SZ (Benedikt Warmbrunn) und Welt (Christoph Lemmer) berichten.
Nach Benedikt Warmbrunn (SZ) spiegelt die mündliche Urteilsbegründung die im Verfahren zutage getretenen Widersprüche nicht hinreichend wieder. Angesichts der "vielen Vielleichts, die Sebastian T. entlastet hätten", sei ein Urteil "im Zweifel gegen den Angeklagten gesprochen" worden.
LG Kassel – Wiederaufnahme nach EGMR-Urteil: Das Landgericht Kassel hat am vergangenen Donnerstag eine vom Landgericht Darmstadt als Mörderin verurteilte Frau vorläufig freigelassen. Das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang des Jahres ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Verweigerung eines Wiederaufnahmeverfahrens nach einem erfolgreichen Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stattgegeben. Inzwischen war der Fall an ein anderes Landgericht – Kassel statt Darmstadt – verwiesen worden. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet.
VG Potsdam zu Protestcamp gegen Tesla: Die Initiative "Tesla stoppen" erwirkte am Verwaltungsgericht Potsdam Eilrechtsschutz gegen die polizeiliche Auflage, Baumhäuser eines Protestcamps zu räumen. Die Organisation protestiert gegen die Erweiterung des Tesla-Werks in Grünheide. Die Polizei habe in ihrer auf naturschutz- und baurechtliche Aspekte abstellenden Begründung die Bedeutung der Versammlungsfreiheit nicht hinreichend gewürdigt, so LTO über den Beschluss.
AG Waren/Müritz – Beleidigung von Drosten: Am Amtsgericht Waren (Müritz) sagte der Virologe Christian Drosten als Zeuge und Geschädigter einer Beleidigung aus. Im Laufe einer dreistündigen Vernehmung habe die Verteidigung auf vielfältige Weise versucht, den offenbaren Hass der Angeklagten "irgendwie rational erscheinen zu lassen", schreibt spiegel.de (Jean-Pierre Ziegler) und zeigt sich verwundert, dass das Gericht "jede noch so abseitige Frage" zugelassen habe.
Recht in der Welt
IGH/Israel – Besatzung palästinensischer Gebiete: Unter anderem im Gutachtenverfahren des Internationalen Gerichtshofs über die völkerrechtliche Zulässigkeit der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete vertritt der britische Anwalt und Autor Philippe Sands die palästinensische Seite. Im Interview mit zeit.de (Martin Klingst) legt er seine Ansicht über die Völkerrechtswidrigkeit der Besatzung dar, spricht über die Beweggründe seines Einsatzes und schlägt vor, die materiellen Anforderungen für die Strafbarkeit des Genozids zu senken.
Kroatien – Präsident: Wegen des Verbots, sich parteipolitisch zu betätigen, hat das Verfassungsgericht Kroatiens dem aktuellen Präsidenten des Landes, Zoran Milovanovic, eine Kandidatur bei den kommenden Parlamentswahlen untersagt. Um Premierminister zu werden, müsse der Präsident zunächst vom Präsidentenamt zurücktreten, so die taz (Erich Rathfelder).
Italien – Seenotrettung: Die 20-tägige Festsetzung eines von der deutschen Organisation SOS Humanity betriebenen Schiffs ist von einem italienischen Zivilgericht als rechtswidrig eingestuft worden. Dies meldet die SZ.
USA – Polizeigewalt: Ein Bezirksgericht im US-Bundesstaat Mississippi hat einen ehemaligen Polizisten zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der Angeklagte hatte im vergangenen Jahr mit Kollegen zwei afroamerikanische Männer in deren Haus mehrere Stunden lang auf erniedrigende Weise misshandelt und einen der beiden angeschossen. Die Strafen der Mitangeklagten werden in den nächsten Tagen verkündet, schreibt spiegel.de.
USA – Trump/Immobiliengesellschaften: Vor der in der nächsten Woche ablaufenden Frist hat der US-amerikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump offenbar Mühe, die von einem New Yorker Gericht wegen Finanzbetrug verhängte Geldstrafe von mehr als 450 Millionen Dollar aufzubringen, berichtet nun auch die SZ (Peter Burghardt).
Sonstiges
Vulnerabilität und Recht: Im Gespräch mit der Welt (Anna Schneider) stellt Rechtsprofessorin Frauke Rostalski Themen ihres Buches "Die vulnerable Gesellschaft" vor. Als vulnerabel verstandene Menschen oder Gruppen beanspruchten in einer besonderen Weise staatlichen Schutz und beeinflussten so auch die (Straf-)Gesetzgebung, wie sich dies an der neu eingeführten verhetzenden Beleidigung nach § 192a Strafgesetzbuch nachvollziehen lasse.
AfD: Der SWR-RadioReportRecht (Christoph Kehlbach/Gigi Deppe) befasst sich mit der AfD und bespricht in diesem Zusammenhang die Voraussetzungen eines Parteiverbots, die geheimdienstliche Beobachtung der Partei sowie den Stand des am Oberverwaltungsgerichts Münster anhängigen Verfahrens.
Einreiseverbot Martin Sellner: Die Ausländerbehörde Potsdam hat gegen den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner ein Einreiseverbot verfügt. Die wohl mit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begründete Maßnahme habe Sellner selbst bekannt gemacht, teilen SZ (Christoph Koopmann), LTO und taz (Konrad Litschko) mit. Sellner habe angekündigt, gegen den Bescheid vorgehen zu wollen.
EY-Umstrukturierung: Das Hbl (Rene Bender/Bert Fröndhoff) berichtet, dass die Prüfungsgesellschaft EY ihre rechtliche Struktur in Deutschland maßgeblich geändert hat. Anfang des Jahres sei die jahrzehntelang bestehende GmbH in eine KG umgewandelt worden. Drei von deren fünf Gesellschaftern seien mittlerweile aber wieder ausgeschieden. Die Maßnahmen stünden wohl im Zusammenhang mit dem Versuch, drohende Schadensersatzforderungen wegen der Wirecard-Insolvenz abzuwehren bzw. abzumildern. Das Unternehmen bestreitet dies.
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LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 20. März 2024: . In: Legal Tribune Online, 20.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54153 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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