Der Asylstatus von in Griechenland anerkannten Flüchtlingen kann in Deutschland neu überprüft werden. Am OLG München wurde der dritte Reuß-Prozess eröffnet. In einem Dieselfall sieht das LG Erfurt Rechte der Natur als objektive Wertordnung.
Thema des Tages
EuGH zu Flüchtlingsstatus: Nationale Asylbehörden oder Gerichte sind bei der Bewertung eines Schutzstatus frei und nicht an vorherige Einstufungen in anderen Mitgliedstaaten gebunden. Liegen solche jedoch vor, müssen sie im Rahmen der erforderlichen "neuen, individuellen und aktualisierten Prüfung" berücksichtigt werden. Dies entschied der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts. Im zugrundeliegenden Fall hatte eine Syrerin nach Flüchtlingsanerkennung in Griechenland in Deutschland einen erneuten Asylantrag gestellt. Das Urteil betrifft Zehntausende Flüchtlinge, die nach ihrer Anerkennung in Griechenland nach Deutschland weiterwanderten. Sie haben nun nicht den Anspruch, in Deutschland den gleichen Status wie in Griechenland zu erhalten. Es berichten taz (Christian Rath) und LTO (Tanja Podolski).
tagesschau.de (Michael-Matthias Nordhardt/Christoph Kehlbach) und beck-aktuell (Denise Dahmen) berichten zudem über eine zweite EuGH-Entscheidung. Auf Vorlage des Oberlandesgerichts Hamm entschied der EuGH, dass die Flüchtlingsanerkennung eines kurdischen Türken in Italien einer deutschen Auslieferung des Mannes in die Türkei entgegenstehe.
Rechtspolitik
Chatkontrolle: Der EU-Rat wird wohl am morgigen Donnerstag informell über den Kompromiss-Vorschlag der belgischen Präsidentschaft abstimmen. Danach sollen nur Fotos, Videos und URLs, die in Chats hochgeladen werden, auf kinderpornografische Inhalte gescannt werden können, nicht aber Texte und Audio-Nachrichten, wie ursprünglich vorgesehen. Die Nutzer:innen sollen der "Moderation" vorher zustimmen müssen und können ohne diese Zustimmung keine Fotos und Videos hochladen. 36 Abgeordnete von Grünen, Liberalen und Piraten kritisieren den Vorschlag in einem offenen Brief. Er höhle immer noch die Verschlüsselung aus. netzpolitik.org (Markus Reuter) berichtet.
Jannis Brühl (SZ) behauptet, dass die für die Maßnahme geplante Software "unausgereift" sei und absehbar massenhaft "Fehlalarme, falsche Verdächtigungen, ruinierte Karrieren" herbeiführen werde. Gegenüber dem Staat müsse Transparenz freiwillig sein.
IMK: Bei der am heutigen Mittwoch beginnenden Innenministerkonferenz beraten die Teilnehmenden u.a. die Möglichkeit, bestimmte Straftäter:innen in Länder wie Afghanistan abzuschieben. Als weitere Themen erwähnt die FAZ (Mona Jaeger/Rüdiger Soldt) Anpassungen des Versammlungsrechts, die Verfolgung islamistischer Propaganda, die Verwertbarkeit polizeilicher Bodycam-Aufzeichnungen auch bei öffentlichen Versammlungen sowie die Auslagerung der Asylgewährung an Nicht-EU-Staaten wie Ruanda.
Asyl in Ruanda/Drittstaatenmodell: Über den im Auftrag des Bundesinnenministeriums erstellten Prüfbericht zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten berichten nun auch Welt (Nikolaus Doll/Marcel Leubecher) und spiegel.de (Rasmus Buchsteiner u.a.). Die FAZ (Alexander Haneke u.a.) bringt eine Übersicht in Frage-und-Antwort-Form. Die Bundesregierung habe sich noch nicht abschließend positioniert.
Anwaltsvergütung: Das Bundesjustizministerium hat nun seinen Referentenentwurf zur Erhöhung der Anwaltsgebühren offiziell vorgelegt. Konkret sollen die Festgebühren um neun Prozent und die Wertgebühren um sechs Prozent steigen. Die letzte Erhöhung erfolgte 2021. Der "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und des Justizkostenrechts (Kostenrechtsänderungsgesetz 2025)" wird nun an Länder und Verbände versandt, Stellungnahmen werden bis zum 8. Juli erwartet. Es berichten beck-aktuell und LTO.
Bürokratieabbau: Als Teil des geplanten vierten Bürokratieentlastungsgesetzes hat das Bundesjustizministerium eine dem Hbl (Heike Anger) vorliegende Formulierungshilfe erarbeitet, über die das Kabinett am heutigen Mittwoch abstimmen soll. Das 117-seitige Papier sehe vor allem Entlastungen für die Zeitarbeitsbranche vor. Der Artikel schildert auch weitergehende Forderungen der FDP und des BDI.
Staatliche Förderung und Verfassungstreue: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der SZ widerspricht der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD) dem jüngst unterbreiteten Vorschlag der Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU), staatliche Förderungen von Kunstschaffenden von deren Verfassungstreue abhängig zu machen. Statt begründete Reden und Gegenreden zu fördern, überantworte der "abenteuerliche Vorschlag" die Einordnung von künstlerischen Positionen und Werken dem Verfassungsschutz. Einstweilen müsse akzeptiert werden, "dass sich nicht jede demokratische Errungenschaft durch Verrechtlichung sichern lässt."
LVerfG Berlin-Richterwahl: Über die Kontroverse der von der Berliner CDU als Kandidatin für ein Richteramt am Berliner Landesverfassungsgericht abgelehnten Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz schreibt nun auch beck-aktuell (Maximilian Amos). In Kreisen des Abgeordnetenhauses sei man bemüht, "das Thema nicht allzu hoch kochen zu lassen." Offenbar schwinge hierbei die Erinnerung an die 2019 gescheiterte Ernennung der nachmaligen Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) mit.
Justiz
OLG München – Umsturzpläne/Reuß: Am Oberlandesgericht München begann der dritte Prozess gegen Mitglieder der mutmaßlichen Verschwörergruppe Reuß. Den acht Angeklagten wird v.a. die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vorgeworfen. Neben einer Astrologin sitzen u.a. ein Schweißer, ein Landschaftspfleger und ein Jurist auf der Anklagebank. Strafverteidiger Wolfgang Heer forderte Freispruch für seinen Mandanten Thomas Tschernescheck. Dieser habe sich rechtzeitig von den Umsturzplänen distanziert. Die Bundesanwaltschaft habe eine entsprechende Email aber zulasten seines Mandanten gewertet. Es berichten SZ (Annette Ramelsberger), FAZ (Timo Frasch), taz (Dominik Baur), spiegel.de (Julia Jüttner), zdf.de (Jan Henrich) und LTO.
LG Erfurt – Diesel-Skandal/Rechte der Natur: Das Landgericht Erfurt hat in der mündlichen Verhandlung eines Dieselklagefalls Anfang Juni seine Rechtsauffassung mitgeteilt, dass sich aus der EU-Grundrechtecharta Rechte der Natur ablesen lassen.
Sie begründen demnach eine "objektive Wertordnung" und strahlen in die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten aus. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Andreas Gutmann und die Doktorandin Jenny Garcia Ruales schreiben im Verfassungsblog zudem über die gerichtliche Behandlung von Rechten der Natur weltweit.
LG Darmstadt – Tötung eines Obdachlosen: Wegen Mordes ist ein 15-Jähriger am Landgericht Darmstadt angeklagt. Von Überwachungskameras aufgezeichnet, hatte er im vergangenen November in der Innenstadt 87-mal auf einen Obdachlosen eingetreten und die Tat zum Prozessauftakt gestanden. Angesichts seiner erheblichen Alkoholisierung geht die Staatsanwaltschaft von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aus, so die Welt (Hannelore Crolly).
LG Hamburg zu Kindergartenkinder und AfD-Berichterstattung: Dem Spiegel ist es seitens des Landgerichts Hamburg untersagt worden, seine Berichterstattung über die Bürgermeisterwahl in Schwerin mit einem Foto zu bebildern, auf dem Kindergartenkinder zu sehen sind. Das beanstandete Foto hatte einen AfD-Wahlkampfstand gezeigt, an dem eine in Tracht gekleidete Kindergruppe vorbeilief. Geklagt hatten zwei heute siebenjährige Kinder. Das LG gab ihrem Eilantrag statt, weil sie mit dem Wahlkampfstand nichts zu tun hatten und als Kinder besonders schutzwürdig seien. beck-aktuell berichtet.
VG München – Verdachtsfall AfD Bayern: Am Verwaltungsgericht München wird an neun angesetzten Verhandlungstagen geprüft, ob der bayerische Verfassungsschutz die Landes-AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und diesbezüglich die Öffentlichkeit unterrichten durfte. Im Eilverfahren waren die behördlichen Maßnahmen unbeanstandet geblieben, so LTO. Dementsprechend schätze die Partei auch ihre Chancen ein. Das Landesamt hatte sich u.a. auf Einflussnahmen des offiziell aufgelösten "Flügels" und enge Kontakte zur identiären Bewegung berufen.
ArbG Mainz – Pro-Palästina/El Ghazi: Am heutigen Mittwoch verhandelt das Arbeitsgericht Mainz die Kündigungsschutzklage des niederländischen Fußballprofis Anwar El Ghazi. Diesem war seitens des Bundesligaklubs Mainz 05 nach mehreren pro-palästinensischen Social Media Posts zum Gaza-Krieg fristlos gekündigt worden. LTO (Max Kolter) rekapituliert den zeitlichen Ablauf von Posting, entschuldigendem Statement, Abmahnung und einem neuerlichen Posting des Sportlers, in dem er seine Parteinahme unmissverständlich äußerte. Ob dieses abschließende Statement eine fristlose Kündigung rechtfertigt, sei umstritten. Im Erfolgsfall könne sich El Ghazi über ausstehendes Gehalt in Höhe von mehr als vier Millionen Euro freuen.
StA Essen – AfD vs. Essener OB: Die Essener Staatsanwaltschaft wird keine Ermittlungen gegen den Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) im Zusammenhang mit dem bevorstehenden AfD-Bundesparteitag aufnehmen. Die AfD hatte ihn angezeigt, weil die Stadt den Mietvertrag über die Essener Grugahalle kurzfristig gekündigt hatte. Sämtliche in Frage kommenden Straftaten erforderten vorsätzliches Handeln. Hierfür sehe die Staatsanwaltschaft keine Anhaltspunkte, so LTO.
ZIT: Die bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. angesiedelte Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität verfolgt seit nunmehr fünf Jahren schwerpunktmäßig Äußerungsdelikte auf Social Media-Kanälen. Der SWR-RadioReportRecht (Kolja Schwartz) lässt sich von Oberstaatsanwalt Benjamin Krause erklären, wie dies funktioniert und geht darüber hinaus auch auf die aus Anlass der Europameisterschaft eingegangene Partnerschaft mit DFB und UEFA ein.
Recht in der Welt
Frankreich – Neuwahlen: Rechtsanwalt Michael Hempelmann legt im Verfassungsblog die verfassungsrechtlichen Grundlagen der jüngst vom französischen Präsident Emanuel Macron verfügten Auflösung des Parlaments und der Anordnung von Neuwahlen dar und leitet diese auch historisch her. Angesichts des bei den Wahlen zur Nationalversammlung geltenden Mehrheitswahlrechts seien Prognosen über den Wahlausgang unseriös. Bei einer "cohabitation ohne absolute Mehrheit" drohe Frankreich "eine neue Phase anhaltender Regierungsinstabilität", die mit der Verfassungs von 1958 gerade vermieden werden sollte.
Polen – Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit: Für den FAZ-Einspruch skizziert Rechtsprofessor Reiner Schmidt die polnische Diskussion darüber, wie im Land Demokratie und Rechtsstaat wiederhergestellt werden sollen. Insbesondere herrsche Uneinigkeit darüber, wie mit dem Verfassungsgerichtshof umzugehen sei, dessen Mitglieder von der abgewählten PiS-Regierung ernannt wurden.
Italien – Verfassungsreform: Eine Mehrheit des italienischen Senats hat sich für die von Ministerpräsidentin Georgia Meloni betriebene Verfassungsreform ausgesprochen. Nun folgt die Abstimmung im Abgeordnetenhaus. Weil dort nicht mit einer Zweidrittelmehrheit zu rechnen sei, müsse das Vorhaben aller Voraussicht nach in einem Referendum entschieden werden, so spiegel.de. Kern der Reform sei die Direktwahl des Ministerpräsidenten sowie ein Mehrheitsbonus für die bei nationalen Wahlen siegreiche Partei. Zur Sicherung stabiler Mehrheiten würden der siegreichen Partei 55 Prozent der Sitze in beiden Kammern des Parlaments garantiert.
Estland – Spionage: Wegen Spionage für den russischen Militärgeheimdienst GRU hat ein estländisches Bezirksgericht den im Land lehrenden Politikprofessor Wjatscheslaw Morosow zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt. Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. spiegel.de berichtet.
Thailand – Ehe für alle: Als erstes südostasiatisches Land könnte Thailand demnächst Eheschließungen unter Homosexuellen legalisieren. Nach einer entsprechenden Abstimmung im Senat des Landes bedarf es nun noch der Zustimmung des Königs, schreibt spiegel.de.
Indien – Arundhati Roy: Über die Anklage gegen die Schriftstellerin Arundhati Roy berichtet nun auch die SZ (David Pfeifer). Roy hatte in einem 14 Jahre zurückliegenden Vortrag geäußert, die Region Kashmir sei "kein integraler Bestandteil" Indiens.
Sonstiges
Verfassungsschutzbericht: In Berlin stellten Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, den Verfassungsschutzbericht 2023 vor. Der Bericht beschreibe vielfältige Bedrohungslagen von Rechts- und Linksextremismus, aus islamistischer Richtung sowie Cyberangriffe durch das russische Regime. Es berichten FAZ (Friederike Haupt), LTO und beck-aktuell.
Im Leitartikel bezeichnet Reinhard Müller (FAZ) die Annahme, der Verfassungsschutz sei lediglich für strafbare Handlungen zuständig, als "ein bis in publizistische und politische Kreise verbreitetes Missverständnis." Als "Frühwarnsystem und Seismograph" sammle das Amt Informationen über die vielfältigen Bedrohungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Deren Schutz wiederum sei zu wichtig, "um sie einer Behörde zu überlassen", dies sei eine gemeinschaftliche Aufgabe. Christoph Koopmann (SZ) macht sich Gedanken über die Gründe von Menschen, sich von demokratischen Werten zu verabschieden und bedauert, dass Präventionsprojekte oftmals unterfinanziert seien.
Verletzung beim Fußball: Der so erfolgreich in die EM gestartete Fußballprofi Niclas Füllkrug brach noch vor dem Eröffnungsspiel mit einem Fehlschuss beim Aufwärmtraining einem in der ersten Reihe platzierten Fan die Hand. Haftungsansprüche des Verletzten würden jedoch ein schuldhaftes Handeln voraussetzen, das hier sicher ausscheide, resümiert LTO (Markus Sehl). Diskutabel erschienen jedoch Ansprüche gegenüber der UEFA, die als Turnier-Veranstalterin in einer vertraglichen Beziehung zum Fan stand und die veranlasste, dass sonst im Stadion aufgespannte Schutznetze abgenommen wurden.
Helpcheck: Die SZ (Mirjam Hauck) stellt das Start-up Helpcheck vor, das sein Angebot nun auf die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen Daten-Leaks erweitert hat. In Zusammenarbeit mit einer Anwaltskanzlei übernehme das Unternehmen die in der Rechtsprechung immer noch uneinheitlich beurteilte Durchsetzung von Ansprüchen nach der Datenschutzgrundverordnung und berechne im Erfolgsfall 25 Prozent Provision.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 19. Juni 2024: . In: Legal Tribune Online, 19.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54802 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag