Die juristische Presseschau vom 18. Mai 2022: BVerfG bil­ligt Bet­ten­steuer / Teil-Eini­gung im IGH-Streit mit Ita­lien / Mens­trua­ti­ons­ur­laub in Spa­nien?

18.05.2022

BVerfG lehnt Klagen von Hoteliers gegen kommunale Übernachtungsteuern ab. Italien verbietet Gerichten Zwangsversteigerungen von deutschen Immobilien. Spanien will Menstruationsurlaub für Frauen mit Regelbeschwerden einführen.

Thema des Tages

BVerfG zu Bettensteuer: Die Steuer auf Hotelübernachtungen in Hamburg, Bremen und Freiburg ist verfassungskonform. Nach einem nun veröffentlichtem Beschluss wies der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts bereits im März die von mehreren Hoteliers eingelegten Verfassungsbeschwerden zurück. Die Länder hätten die Gesetzgebungskompetenz für diese örtliche Aufwandssteuer, die auch nicht gleichartig mit der Umsatzsteuer sei. Die Einziehung der Steuer belaste Übernachtungsbetriebe nicht unverhältnismäßig, dies könne beim Einchecken der Gäste miterledigt werden. Anders als das Bundesverwaltungsgericht 2012 erlaubt das Bundesverfassungsgericht (neben der Besteuerung von touristischen Übernachtungen) auch die Besteuerung beruflich bedingter Übernachtungen; eine Unterscheidung sei unpraktikabel. Bisher gelten solche Bettensteuern in mehr als dreißig deutschen Kommunen. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), BadZ (Christian Rath), LTO und tagesschau.de (Gigi Deppe)

Heike Göbel (FAZ) erinnert im Wirtschafts-Teil daran, dass staatliche Einnahmequellen, sobald entdeckt, "ungern" losgelassen werden. "Immer wieder" hätten Gerichte z.B. private Hoffnungen auf ein Ende der "befristeten Ergänzungsabgabe" Solidaritätszuschlag enttäuscht. Ähnlich gehe es nun den unterlegenen Hoteliers. Kommunen sollten aber der Versuchung widerstehen, "Geld im Schlaf zu holen", wollten sie dringend benötigte Touristen nicht verschrecken.

Rechtspolitik

Bundestags-Wahlrecht: In einem Gastbeitrag für die FAZ unterbreiten Sebastian Hartmann (SPD), Konstantin Kuhle (FDP) und Till Steffen (Grüne), Obleute ihrer Fraktionen in der Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts, ein "Gesprächsangebot" zur Reform des Bundestags-Wahlrechts. Ihr Modell geht weiterhin vom Prinzip der personalisierten Verhältniswahl aus, beschränkt aber die Sitzzahl einer Partei auf Landesebene streng auf deren jeweiliges Zweitstimmenergebnis. Hierdurch entfielen Überhang- und Ausgleichsmandate. 

Im Leitartikel begrüßt Reinhard Müller (FAZ) den gemachten Anfang und weist gleichzeitig auf mögliche Legitimitätsprobleme hin, die sich daraus ergeben könnten, dass "nicht jeder, der die meisten Stimmen in einem Wahlkreis gewonnen hat", ins Parlament einziehe. Zudem sei es bislang "gute Übung" gewesen, "das Wahlrecht im Konsens zu verabschieden." Die Union habe aber wenig Anlass, den nun gemachten Vorschlag zu unterstützen.

Kanzler-Ruhegehalt: Die Unionsfraktion im Bundestag will die Alimentierung des Altkanzlers Gerhard Schröder (SPD) wegen dessen umstrittener Haltung zum russischen Angriffskrieg beenden. Weil die Regelungen zu Ruhegehalt, Büroausstattung und -mitarbeitenden sowie Fahrdienst bislang lediglich auf einem Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses beruhen, könnte hierfür ein einfacher Ausschussbeschluss ausreichend sein, schreibt LTO. Um jedoch die Schaffung einer "Lex Schröder" zu vermeiden, schwebe der Union eine grundsätzliche Regelung vor, nach der Pensionsansprüche ausgeschiedener Regierungsmitglieder unter dem Vorbehalt der Nichtzufügung eines erheblichen Schadens für das Ansehen des Landes stehen sollen. In der Regierungskoalition ringe man derzeit noch um eine einheitliche Position zu der Angelegenheit.

Normenkontrollrat: Mit der Übergabe von Ernennungsurkunden durch den Bundespräsidenten nahmen vier neue Mitglieder sowie der Unternehmer Lutz Goebel als Vorsitzender ihre Arbeit für den Nationalen Normenkontrollrat auf. Das nunmehr dem Bundesjustizministerium unterstehende Gremium für Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung bedürfe zu seinem Erfolg der Mitarbeit betroffener Ministerien. Der Rat wolle künftig auch jedes neue Gesetzesvorhaben auf digitale Umsetzungsmöglichkeiten abklopfen. Es berichten die FAZ (Corinna Budras/Dietrich Creutzburg) in ihrem Recht und Steuern-Teil sowie das Hbl (Heike Anger).

DSGVO-Bußgelder: Der Europäische Datenschutzausschuss hat einen Fünfstufenplan zur europaweiten Vereinheitlichung von Bußgeldern wegen Datenschutzverstößen vorgelegt. Hierdurch sollten die unterschiedlich intensiven Aktivitäten der nationalen Datenschutzbehörden harmonisiert werden, so die FAZ (Corinna Budras) in ihrem Unternehmens-Teil.

Einheitliches Patentgericht: Zum nächsten Jahreswechsel soll das Einheitliche Patentgericht (englisch: Unified Patent Court) seinen Dienst antreten. Für den Recht und Steuern-Teil der FAZ stellt Rechtsanwalt Bolko Ehlgen die Zuständigkeiten des Gerichts vor und ruft Unternehmen auf, "bereits jetzt" eine Strategie zu entwickeln. So könnte es sinnvoll sein, besonders wertvolle Patente "vor der Gefahr der einheitlichen Vernichtung zu schützen" und diese auch weiterhin der Jurisdiktion nationaler Gerichte zu unterwerfen.

Justiz

IGH – Deutschland vs. Italien: Die FAZ (Thomas Jansen/Matthias Rüb) berichtet über erste Folgen der von Deutschland Ende April beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag erhobenen Klage gegen Italien über die Zulässigkeit individueller Entschädigungsforderungen von NS-Opfern. Unmittelbar nach Klageerhebung habe das italienische Kabinett ein Gesetzesdekret angenommen, nach dem die Gerichte des Landes keine Zwangsversteigerungen von deutschen Liegenschaften zur Befriedigung von Entschädigungsforderungen mehr betreiben dürfen. Die Opfer sollen nun von italienischer Seite entschädigt werden, ein entsprechender Fonds mit 55 Millionen Euro wurde eingerichtet. Daraufhin nahm Deutschland seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurück. Diese rasche (Teil-)Einigung unterstreiche den grundsätzlichen Konsens beider Regierungen, individuelle Forderungen künftig auszuschließen. Der IGH-Rechtsstreit bleibt in der Hauptsache aber bestehen. 

BVerfG zu Amazon/prozessuale Waffengleichheit: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde des Amazon-Konzerns wegen Unzulässigkeit abgelehnt. Das Unternehmen hatte gerügt, vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Entsperrung eines Händler-Kontos durch das Landgericht Hannover nicht mündlich angehört worden zu sein. Das BVerfG habe nun darauf verwiesen, dass Amazon gegen die Verfügung keinen Widerspruch eingelegt habe. LTO (Stefan Schmidbauer) berichtet.

BGH zu Grundstücksverkaufsgenehmigung: Nach eigenen Angaben zum ersten Mal hat der Bundesgerichtshof entschieden, unter welchen Voraussetzungen die rechtswidrig erteilte Genehmigung eines Grundstücksverkaufs nach dem Grundstücksverkehrsgesetz zurückgenommen werden kann. Der BGH stellte fest, dass die Genehmigung aufgrund unrichtiger Angaben des Erwerbers rechtswidrig gewesen sei und damit zurückgenommen werden durfte. Im weiteren Verlauf müsse nun aber das Brandenburgische Oberlandesgericht noch prüfen, ob zum Zeitpunkt des Rücknahmebescheids alternative Erwerber vorhanden gewesen seien. LTO berichtet.

OVG NRW zu Abwassergebühren: Die Abwassergebühren in Nordrhein-Westfalen sind über Jahre auf Basis einer falschen Grundlage berechnet worden. Das hat das Oberverwaltungsgericht Münster in einem Musterverfahren zu einem Abwasserbescheid der Stadt Oer-Erkenschwick entschieden. Dabei wurden zwei Kalkulationsfehler festgestellt. Das OVG änderte mit dem Urteil laut LTO seine eigene langjährige Rechtsprechung. 

LG Neubrandenburg zu Mordversuch wegen Vaterschaft: Das Landgericht Neubrandenburg hat einen Kriminalpolizisten u.a. wegen versuchten Mordes zu einer Haftstrafe von elf Jahren verurteilt. Aufgrund eines Streits über seine Vaterschaft als Folge einer kurzen sexuellen Begegnung hatte der Angeklagte die Frau mit Spiritus übergossen und angezündet. Vor der Urteilsverkündung habe der Mann in seinem letzten Wort die Unvoreingenommenheit des Gerichts in Frage gestellt, schreibt spiegel.de (Wiebke Ramm).

LG Neuruppin – KZ-Wachmann Sachsenhausen: Das Verfahren gegen den mutmaßlichen KZ-Wachmann Josef S. steht vor dem Abschluss. In ihrem Abschlussplädoyer legte die Staatsanwaltschaft dar, dass nach ihrer Ansicht die gegen den Angeklagten sprechende Indizienlage erdrückend sei, so die taz (Klaus Hillenbrand). S. sei daher wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen zu einer mehrjährigen Haftstrafe zu verurteilen.

VG Berlin zu Parkplätzen für E-Autos: Auch der durch Parkplätze und Anschlüsse für E-Autos verursachte Lärmpegel kann das baurechtliche Rücksichtnahmegebot verletzen. Dies entschied nach Bericht von LTO das Verwaltungsgericht Berlin in einem nun veröffentlichten Urteil von Ende März. Eine Grundstückseigentümerin wollte im Hinterhof eines Wohngebäudes fünf Parkplätze für E-Autos und zwei Ladeanschlüsse einrichten. Die behördliche Verweigerung einer entsprechenden Baugenehmigung sei aber rechtens gewesen, so das VG. Nach einem gerichtlich eingeholten Gutachten könnten die Geräusche des Türen- und Kofferraumschlagens die zulässigen nächtlichen Werte für Geräuschimmissionen überschreiten. 

Recht in der Welt

Spanien – Menstruationsurlaub: Ein Gesetzentwurf der spanischen Regierung will Frauen das Recht geben, bei Regelbeschwerden mit vollem, vom Staat bezahlten Gehaltsausgleich daheim zu bleiben. Der Bericht von LTO gibt die Einschätzung eines Experten wieder, der eine vergleichbare Regelung hierzulande für "theoretisch denkbar" hält. Neu sei vor allem die staatliche Gehaltsübernahme. Bisher gelte in Deutschland bei gesundheitlicher Arbeitsunfähigkeit die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers.

Laut Kommentar von Patricia Hecht (taz) drücke das in diesem Zusammenhang verwendete Wort "Urlaub" Ignoranz aus. Ein "Gamechanger" sei es hingegen, dass in Spanien zusammengedacht werde, "was zusammengehört", nämlich sogenannte reproduktive Rechte. Diese ermöglichten es "Menschen, die Kinder bekommen können", ihren Alltag angemessen zu gestalten.

USA – Johnny Depp/Amber Heard: Der Verleumdungsprozess des früheren Schauspieler-Ehepaars Johnny Depp und Amber Heard wurde in den USA mit einem Kreuzverhör von Heard fortgesetzt. Eine von ihr beauftragte PR-Agentur habe in einem Statement erklärt, dass Depp "Amber oder jeden anderen Frau" das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Redefreiheit beschneiden wolle, schreibt die FAZ (Christiane Heil). bild.de (Sarina Roocks/Katie Pleghar) beschreibt "die Psychotricks" der Prozessparteien und nennt als Beispiel deren Kleiderwahl. Die SZ (Annette Ramelsberger) schließlich vergleicht im Feuilleton die Berichterstattung über den Prozess und meint, es sei "ein Segen, dass in Deutschland nicht aktuell übertragen wird." In Gerichtssälen spielten sich Dramen ab. Bei aller gebotenen Zurückhaltung in der Berichterstattung gelte es, "die Balance zu wahren zwischen Privatsphäre und Transparenz."

EGMR/Schweiz – Klimaseniorinnen: In einem englischsprachigen Beitrag widerspricht Rechtsprofessorin Veronique Boillet auf dem Verfassungsblog einem zentralen Argument der Schweizer Regierung im Fall der sogenannten Klimaseniorinnen. Gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte habe die Regierung dargelegt, dass etwaige Entscheidungen des Gerichtshofs den politischen Prozess unterliefen und hierdurch auch die Gewaltenteilung gefährdeten. Direktdemokratische Instrumente seien zwar geeignet, die öffentliche Debatte zu bestimmten Themen zu stimulieren, hätten jedoch nicht die Macht, das Parlament zum Handeln in drängenden Bereichen wie etwa dem Kampf gegen den Klimawandel zu zwingen.

USA – Allianz-Tochter: In der Auseinandersetzung über fehlgeschlagene Anlagestrategien hat sich die US-Tochter Allianz Global Investors (AGI) mit dem Justizministerium der USA und der dortigen Börsenaufsicht auf einen Vergleich geeinigt. Nach diesem dürfe AGI in den nächsten zehn Jahren in den USA keine Investmentfonds mehr anbieten, müsse sich wegen Wertpapierbetrugs schuldig bekennen und zusätzlich eine Strafe in Milliardenhöhe bezahlen. Es berichten u.a. SZ (Herbert Fromme) und Hbl (Astrid Dörner/Christian Schnell).

Frankreich - Burkinis in Grenoble: Der fanzösische Innenminister Gerald Darmanin (LREM) hat den zuständigen Präfekten angewiesen, gegen die Zulassung von Burkinis in den Freibädern von Grenoble juristisch vorzugehen, weil dies gegen die laizistischen Werte der Republik verstoße. Der Stadtrat von Grenoble hatte - vermeintlich salomonisch - die örtliche Schwimmbadordnung so geändert, dass nicht nur "oben ohne"-Varianten, sondern auch muslimische Ganzkörperanzüge, sog. Burkinis, für zulässig erklärt wurden. spiegel.de berichtet.

Sonstiges

Volkszählung: Aus Anlass der nun gestarteten Volkszählung erinnert der SWR-RadioReportRecht (Frank Bräutigam/Kolja Schwartz) an die politische und juristische Debatte über die für 1983 geplante Volkszählung. Diese gipfelte im sogenannten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und dem hierdurch etablierten Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Psychotherapie und Verbeamtung: Eine prominent besetzte Göttinger Diskussionsrunde befasste sich mit dem weit verbreiteten Mythos, dass die Inanspruchnahme einer Psychotherapie die Chancen auf eine Verbeamtung schmälere. Die Teilnehmenden waren sich weitgehend einig, dass dem nicht so sei, schreibt LTO-Karriere (Pauline Dietrich). Die sich anschließende Publikumsdiskussion habe jedoch das Fortwirken diesbezüglicher Ängste belegt.

Flugbereitschaft/Lambrecht: Die Welt (Thorsten Jungholt) befasst sich ausführlich mit der jüngst aufgedeckten Mitnahme des erwachsenen Sohnes der Bundesministerin für Verteidigung, Christine Lambrecht (SPD), in einem Hubschrauber der Bundeswehr-Flugbereitschaft. Das von Lambrecht geleitete Ministerium habe bei seiner Rechtfertigung des Fluges innerhalb der vergangenen Woche seine Begründung gewechselt. Die nun verbreitete Auslegung einer Zentralen Dienstvorschrift gebe "einfachen Soldaten" Hoffnung, dass auch sie sich künftig auf die "Fürsorge zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst/Beruf" berufen können. Für Constantin van Lijnden (Welt) reiht sich die Affäre in eine von der Ministerin zu verantwortende "Serie kommunikativer Ungereimtheiten" ein.

BRAK-Statistik 2021: Die Bundesrechtsanwaltskammer hat ihre Mitgliederstatistik veröffentlicht. Zum Stichtag 1. Januar 2022 verzeichnete die Kammer gegenüber dem Vorjahr bundesweit eine fast exakt gleiche Mitgliederzahl, wobei der Anteil von Rechtsanwältinnen leicht stieg. Diese und weitere Zahlen präsentiert LTO.

 

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LTO/mpi

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. Mai 2022: . In: Legal Tribune Online, 18.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48479 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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