Ex-Bundesrichter Thomas Fischer schlägt vor, dass alle Richter gleich bezahlt werden. Gegen Kanzler Scholz wird weiterhin nicht wegen Cum-Ex-Beihilfe ermittelt. Rechtsprofessor Stefan Huster will das Grundgesetz nicht gemeinsam mit H.-G. Maaßen kommentieren.
Thema des Tages
Richterbesoldung: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer macht sich auf LTO Gedanken über die Angemessenheit der Besoldung von Richtern. Anders als gemeinhin angenommen, lägen "die deutschen Richtereinkommen weit unten" im Vergleich zu anderen EU-Staaten. Besoldungsordnungen sorgten zwar für "komplizierte Stufungen", dienten aber eher dem Ausdruck "informeller Hierarchieunterschiede" innerhalb des Berufsstandes bei ähnlicher Verantwortung und Kompetenz. Effektivität werde dagegen an Erledigungszahlen gemessen, was "weder der Justiz noch den Bürgern nützt." Angesichts eines sinkenden Sozialprestiges der Arbeit sei es kaum verwunderlich, dass "Spitzenleute, die ins Richteramt streben", heutzutage "Seltenheitswert" hätten. Fischers "radikaler Vorschlag" lautet daher, allen Richtern "in allen Instanzen und Funktionen" eine einheitliche, gleich hohe Besoldung zuzusprechen, "die der existenziell herausgehoben Stellung der Aufgabe entspricht."
Rechtspolitik
Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen: Rechtsanwalt Tom Brägelmann erinnert auf Libra an ein Vorhaben der Regierungs-Ampel, die in ihrem Koalitionsvertrag die anonymisierte Veröffentlichtung aller Gerichtsentscheidungen vereinbarte. Die tagesaktuelle, online ohne Weiteres zu erreichende allgemeine Veröffentlichung von Entscheidungen und auch von Schriftsätzen würde die Unabhängigkeit der Justiz stärken. Eine Anonymisierungspflicht bestehe allerdings nicht und ergebe sich auch nicht aus der EU-Datenschutzgrundverordnung.
AGG: Bei der Vorstellung des Jahresberichts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat deren neue Vorsitzende Ferda Ataman gefordert, die von der Regierungskoalition angekündigte Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes "umfassend und zeitnah" in Angriff zu nehmen. Um eine Angleichung an internationale Standards zu erreichen, seien etwa Fristverlängerungen und ein Verbandsklagerecht nötig. Die FAZ (Heike Schmoll) berichtet.
Planungsbeschleunigung: Im Recht und Steuern-Teil greift die FAZ (Corinna Budras) den in der vergangenen Woche vorgestellten Referentenentwurf zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren bei der Planung von Infrastrukturvorhaben auf. Gerade die vorgesehene Regelung zur Heilbarkeit von Mängeln behördlicher Zulassungen besitze besonderes Beschleunigungspotential. Die Begrenzung der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen sehen die im Beitrag zitierten Experten dagegen eher kritisch.
§ 218 StGB: In einem Kommentar fordert Carolin Wiedemann (zeit.de) die ersatzlose Streichung des § 218 Strafgesetzbuch. Die bisherige Regelung stigmatisiere Betroffene und bevormunde sie, indem sie die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs von einer "Bedenkzeit" abhängig mache. Die "patriarchalische Gesetzeslage" drücke den "Anspruch des Staates auf den Körper derer, die gebären können" aus.
Raser: Der von der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg in einem Einstellungsbeschluss enthaltene Vorschlag, ein allgemeines Tempolimit von 200 km/h einzuführen, wird von LTO (Katharina Uharek) vertiefend aufgegriffen. Der Beitrag beschreibt zunächst die Begründung, mit der die GenStA die Einstellung eines Strafverfahrens gem. § 315d StGB (verbotenes Kraftfahrzeugrennen) im Falle einer Autobahnfahrt mit 417 km/h bestätigte. Um die Fahrt mit derart hohen Geschwindigkeiten zu verbieten, könne der Gesetzgeber § 3 Absatz 3 Nr. 2c StVO ändern, der bisher keine Geschwindigkeitsbegrenzung für Autobahnen vorsieht. Wenig plausibel sei auch, dass Autofahrenden – anders als "Fahradfahrern und Kraftradfahrern" – das freihändige Fahren grundsätzlich nicht verboten ist. Diese Thematiken sollten beim am heutigen Mittwoch beginnenden Verkehrsgerichtstag aufgegriffen werden.
EDV-Gerichtstag: Vor dem im September stattfindenden EDV-Gerichtstag sprach Libra (Marie-Luise Schlicker) mit Lena Leffer und Anke Morsch, Geschäftsführerin und Vorstandsvorsitzende des EDV-Gerichtstags. Erforderlich sei mehr Austausch zwischen Justiz und Anwaltschaft zu Fortschritten und Problemen bei der Digitalisierung. Technik-Aversion sei in der Justiz nicht festzustellen. Die Pandemie habe einen Anschub für die Digitalisierung gegeben.
Justiz
GenStA Hamburg – Olaf Scholz/Cum-Ex: Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg wird nicht gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wegen möglicher Beihilfe zugunsten der Cum-Ex-belasteten Warburg-Bank ermitteln. Im Frühjahr hatte der Strafverteidiger Gerhard Strate Anzeige gegen Scholz und dessen Amtsnachfolger als Hamburger Bürgermeister, Peter Tschentscher (SPD), wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung erstattet. In einem an Strate gerichteten Bescheid habe die GenStA nun die von ihm erhobene Beschwerde gegen die Nichteinleitung von Ermittlungen verworfen. Dies berichtet die FAZ (Marcus Jung).
BGH – Alexander Falk: Am heutigen Mittwoch verkündet der Bundesgerichtshof seine Revisionsentscheidung im Fall des erstinstanzlich wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung verurteilten Unternehmers Alexander Falk. Falk wird vorgeworfen, er habe einen Rechtsanwalt ins Bein schießen lassen. In ihrem Unternehmens-Teil rekapituliert die FAZ (Corinna Budras/Marcus Jung) ausführlich den "selbst in der hartgesottenen Frankfurter Justiz ohne Beispiel" stehenden Fall und seine Vorgeschichte.
BAG – Corona-Quarantäne und Urlaubsanspruch: Das Bundesarbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob bezahlter Erholungsurlaub nachzugewähren ist, wenn dem Arbeitnehmer während der Urlaubszeit – wegen eines Kontakts, aber ohne eigene Infektion - eine coronabedingte Quarantäneanordnung behördlich auferlegt wurde. Über das Verfahren, das auf einem Fall aus dem Herbst 2020 beruht, berichten LTO und SZ (Helena Ott).
Detlef Esslinger (SZ) bedauert in einem Kommentar, dass die Klärung der Rechtsfrage nun "wohl noch ein Jahr" auf sich warten lasse. Angesichts "massenhafter" vergleichbarer Fälle sei eine Klärung aber sinnvoll und notwendig.
OLG Köln – Cum-Ex/Christian Olearius: Beim Oberlandesgericht Köln hat Christian Olearius, Gesellschafter der Warburg-Bank, Beschwerde gegen die Anklage wegen Steuerhinterziehung erhoben, Die Anklage gegen ihn, die im Zusammenhang mit Cum-Ex-Steuertricks steht, ist beim Landgericht Bonn anhängig. Olearius moniert, ihm sei im Ermittlungsverfahren kein Gehör eingeräumt worden. Außerdem sei die Anklage vor der Einreichung am Landgericht an Journalisten durchgestochen worden. Vom Abschluss der Ermittlungen habe der Banker aus der Zeitung erfahren. LTO berichtet.
OLG München zu Ex-Wirecard-Chef Braun: Auch nach der mittlerweile fünften Haftprüfung in zwei Jahren bleibt der frühere Wirecard-Vorstand Markus Braun in Untersuchungshaft. Dies entschied nach Bericht von LTO das Oberlandesgericht München. Das zuständige Landgericht München I hat weiterhin noch nicht über die Zulassung der Anklage gegen Braun wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs entschieden.
OVG NRW zu Geflügel-Salami: Eine Verpackungsbezeichnung als "Geflügel-Salami" ist dann irreführend, wenn die Wurst auch Schweinespeck enthält. Die Ausweisung dieser Zutat auf der Rückseite der Verpackung mag hieran nichts zu ändern, entschied wie schon die Vorinstanzen das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, berichtet LTO. Udo Vetter (lawblog.de) erteilt den Anwälten des unterlegenen Unternehmens zudem ein "Kompliment" für die kreative Argumentation, nach der Schweinespeck kein Fleisch sei, vielmehr eine "verkehrsübliche, technologisch erforderliche Fettquelle". Die vom OVG ermittelte Erwartungshaltung des Publikums sei indes eine andere.
LG Trier zu Amokfahrt: Wegen Mordes in fünf Fällen, versuchten Mordes in 18 Fällen und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr hat das Landgericht Trier den 52-jährigen Bernd W. zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet. Bernd W. hatte die Opfer im Dezember 2020 bei einer Amokfahrt in der Trierer Fußgängerzone getötet und verletzt. Ein Sachverständiger hatte im Verfahren eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Die nun verurteilte Tat sei aber nicht unmittelbar aus der krankhaften Störung entstanden. Die FAZ (Julia Anton) und LTO berichten.
SPD-Schiedskommission zu Gerhard Schröder: Der Akademische Rat Sven Jürgensen schreibt auf dem Verfassungsblog über "Unbehagen" an der letztwöchigen Entscheidung der Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Region Hannover, den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht aus der Partei auszuschließen. Über die "rechtserhebliche Entscheidung in Form eines Vereinsausschlusses" hinaus erfordere die Frage des angemessenen Umgangs mit Schröders Verhältnis zu Russland und insbesondere dessen Präsidenten eine Auseinandersetzung mit "genuin politischen" Festlegungen von Grundsätzen. Hier tue sich nicht nur die SPD schwer. Entgegen der "Flüchtigkeit und Interessenfixierung" des politschen Tagesgeschäfts hätte das Schiedsgericht die Aufgabe besessen, "die Grundsätze der Partei zu einem effektiven rechtlichen Prüfungsmaßstab" zu machen.
Recht in der Welt
Russland – Rockmusiker Schewtschuk: Wegen Diskreditierung der russischen Armee hat ein Gericht in Ufa den Rockmusiker Juri Schewtschuk zu einer Geldstrafe verurteilt. In der Petersburger Heimat des Sängers habe sich kein Gericht gefunden, das die beanstandete Äußerung verfolgen wollte, schreibt die FAZ (Kerstin Holm, ausführlicher auf faz.net).
USA – R. Kelly: Das neue Strafverfahren gegen den Popsänger R. Kelly begann in Chicago mit der Auswahl der Geschworenen, berichtet die FAZ (Christiane Heil). Dem Sänger wird der Missbrauch einer zur Tatzeit Minderjährigen und dessen filmische Aufnahme vorgeworfen.
Sonstiges
Kommentarautor Maaßen: In einem Gastbeitrag für den Geisteswissenschaften-Teil der FAZ legt Rechtsprofessor Stefan Huster dar, warum er nicht mehr an einem Verfassungskommentar mitarbeiten möchte, für den auch der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen schreibt. Wenngleich Maaßen mitnichten ein so "klarer Fall" wie jener des Theodor Maunz sei, so habe er aufgrund seiner politischen Äußerungen und Aktivitäten", insbesondere "strafrechtlichen Vergeltungsphantasien, die das Narrativ der Systemgegner" bedienten, Grenzen überschritten. Dem Verlag C.H.Beck sei bei der ursprünglichen Auswahl von Maaßen als Autor kein Vorwurf zu machen, Maaßen habe sich seitdem radikalisiert.
Gasversorgung: Angesichts drohender Versorgungsengpässe beim Energieträger Gas erklärt Rechtsanwalt Wolfgang Ewer im Gespräch mit Libra (Hendrik Wieduwilt) den geltenden Rechtsrahmen. Die Kompetenzen der zuständigen Bundesnetzagentur ergäben sich aus dem Energiesicherungsgesetz. Es bestünden Parallelen zur staatlichen Bewältigung der Pandemie-Bekämpfung. Hier habe sich gezeigt, "wie schnell Bundestag, Bundesrat und auch Bundesregierung" reagieren können, "wenn rasch gehandelt werden muss."
Im Recht und Steuern-Teil der FAZ behauptet Rechtsanwalt Dennis Hillemann dagegen, dass der Bundesnetzagentur ein "rechtlich verbindliches, detailliertes und konkretes Handlungskonzept" zur Verteilung knappen Gases fehle. Sollte es zu einer Gasrationierung kommen, drohe "eine dramatische Klagewelle" von Unternehmen.
Werbung und Datenschutz: Nach dem Muster des Wahl-O-Mats können sich Interessierte in Frage-und-Antwort-Spielen zu allen möglichen Bereichen persönlicher Vorlieben testen. Dies und inwieweit derartige Angebote rechtliche Vorgaben, insbesondere hinsichtlich der Einwilligung in die Verarbeitung erhobener Daten, einhalten müssen, beschreibt Rechtsprofessor Rolf Schwartmann im FAZ-Einspruch.
Das Letzte zum Schluss
RA-Kosten: Anwaltliche Beratung hat ihren Preis. Im Brustton der Empörung beziffert bild.de (Florian Kain u.a.) die Kosten der vom rbb zur Trennung von seiner Intendantin Patricia Schlesinger in Stellung gebrachten Wirtschaftskanzlei und beschwert sich, dass diese "mit unseren Rundfunkgebühren" bezahlt würden. Zum Anwaltsteam des rbb gehöre "der Stars-und-Sternchen-Advokat" Christian Schertz. Patricia Schlesinger lasse sich hingegen – "wie die AfD, Skandal-Kardinal Rainer Woelki oder Wetterfrosch Jörg Kachelmann" - "presserechtlich von der halbseidenen Kölner Kanzlei Höcker" vertreten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 17. August 2022: . In: Legal Tribune Online, 17.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49337 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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